Demokratie und ihr Preis
In Sachsen will man Förderpreisträger einer Gesinnungsprüfung unterziehen
Schon seit längerem steht der "Kampf gegen den Extremismus" ganz oben auf der politischen Tagesordnung. Und so kündigte das Bundesfamilienministerium in diesem Jahr zunächst an, zwei Millionen Euro für Projekte gegen "Linksextremismus und Islamismus" bereit zu stellen. (vgl. ak 549) Für die ab 2011 mit öffentlichen Mitteln finanzierten Programme "Toleranz fördern - Kompetenz stärken" und "Initiative Demokratie stärken" ist seit dem 1. Oktober eine Erklärung gegen "Extremismus" obligatorisch. In Sachsen kam die "Extremismusklausel" nun erstmalig zum Einsatz - und rief breiten Protest hervor.
Der CDU-regierte Freistaat Sachsen rühmt sich seiner forcierten Präventionsarbeit gegen "den Extremismus". Doch die damit beauftragte Gemengelage aus Politik, Wissenschaft und Verfassungsschutz befindet sich derzeit selbst wieder einmal in den Schlagzeilen. Aktuell ist dort Michael Richter zu finden, seit 1993 im Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung (HAIT) in Dresden u.a. für den Diktaturenvergleich zuständig.
Nachdem man erstmalig dessen Stasiakten konsultiert hat, kam seine IM-Tätigkeit zum Vorschein. Der als Vertraute des Landtagspräsidenten Matthias Rößler (CDU) im HAIT gehandelte Stasizuträger hat seine bereits institutsintern bekannte Tätigkeit in der DDR angeblich auch nach der Übersiedlung in den Westen im Jahr 1981 fortgesetzt. Dieser Vorgang hat das lädierte Image der rechtskonservativ profilierten Extremismus- und Totalitarismusforschung sächsischer Provenienz nochmals befördert. Selbst in Springers Welt hält man das skandalgebeutelte HAIT inzwischen für eine mehr oder weniger überflüssige Veranstaltung.
Damit es um das zivilgesellschaftliche Engagement für die "Werte der Demokratie, Weltoffenheit und die Anerkennung der Menschenrechte" im Freistaat besser bestellt sein möge, werden dort vorbildliche Projekte u.a. durch die Amadeu Antonio Stiftung alljährlich mit dem "Sächsischen Förderpreis für Demokratie" honoriert. Für den mit 10.000 Euro dotierten Hauptpreis wählte die Jury diesmal zehn Projekte aus, die sich gegen "Rechtsextremismus und für die demokratische Kultur" einsetzen. Nominiert war dieses Jahr das in Pirna aktive Alternative Kultur- und Bildungszentrum Sächsische Schweiz e. V. (AKuBIZ).
Dessen Freude währte indessen nur kurz. Nach Bekanntgabe der Kandidatenliste reichten die InitiatorInnen des Demokratiepreises eine vom sächsischen Innenministerium formulierte "Extremismusklausel" an sämtliche Beteiligten zur Unterzeichnung weiter. Das auf ehrenamtlicher Basis engagierte AKuBIZ kam dieser Anweisung zunächst nach. Nachträglich distanzierte es sich dann aber davon und lehnte die Entgegennahme des Preises schließlich ab, weil die "Extremismusklausel" den Verein praktisch zur Überprüfung seiner KooperationspartnerInnen verpflichtet. Wie der Vorsitzende des AKuBIZ e. V., Steffen Richter, den zur feierlichen Vergabe in die Dresdener Frauenkirche geladenen 200 Gästen erläuterte, betrachtet der Verein dies als "Gesinnungsprüfung" auf Verdachtsbasis.
Tatsächlich wird aus der veröffentlichten Klausel ersichtlich, dass für die auferlegte Ausleuchtung u. a. die Vorgaben des Verfassungsschutzes maßgeblich sind. Dessen Aufgaben möchte der Verein offenbar nicht übernehmen. Konkret wurden die Instrumentalisierungsabsichten in dem Moment, als an das AKuBIZ die Aufforderung erging, von ihrer Webseite einen dem sächsischen Innenministerium unliebsamen Link zu einer Antifa-Gruppe zu entfernen.
Während das CDU-geführte Innenministerium von den PreisträgerInnen verlangt, dass sie nicht den "Anschein erwecken" dürfen, durch "materielle und immaterielle Leistungen extremistische Strukturen zu unterstützen", verweist Steffen darauf, dass der Verein seine PartnerInnen danach auswählt, "ob sie humanistische Grundsätze teilen, sich gegen Diskriminierung und für gesellschaftliche Teilhabe einsetzen". Der für den überraschend verhinderten Ministerpräsident Stanilslaw Tillich (CDU) eingesprungene Regierungssprecher Johann-Adolf Cohausz verlautbarte in der Dresdner Frauenkirche die gewohnten antiextremistischen Floskeln. Seine Ausführungen lassen den Schluss zu, dass die sächsische Landesregierung mit dem Preis eigentlich auch das Engagement gegen Links ausgezeichnet sehen möchte.
Vermutlich ist über das Jurymitglied Dr. Michael Wilhelm, als Staatssekretär im Sächsischen Staatsministerium des Innern für den Verfassungsschutz zuständig, zu einem frühen Zeitpunkt Meldung über den unliebsamen PreisträgerInnen an höchste Stellen erfolgt. Zumindest konnte sich die "Sächsische Staatsregierung" rechtzeitig zur offiziellen Verkündung des Ergebnisses darüber beschweren, dass ihr bei der Verleihung des diesjährigen Förderpreises von der Jury "ein gewisses Maß an Toleranz abverlangt wird".
Die die Entscheidung der Jury missbilligende Landesregierung hat ihren Einfluss nicht nur dazu benutzt, die PreisträgerInnen zu disziplinieren. Tatsächlich hätte der Kotau vor der Landesregierung das Vertrauensverhältnis des AKuBIZ zu seinen KooperationspartnerInnen nachhaltig beschädigt. Deswegen wiegt die Entscheidung des nicht eben finanzstarken Vereins umso schwerer: Der Preis hätte nicht nur dessen Arbeit mittelfristig sichergestellt, sondern auch das bisherige Engagement in einem schwierigen Umfeld gewürdigt. Denn ebenso wie andere Initiativen in Sachsen und anderswo wurden Mitglieder des Vereins in der Vergangenheit bedroht, körperlich verletzt oder waren zudem von Brandanschlägen betroffen.
Nach Auffassung der Linksfraktion im Sächsischen Landtag hat sich das AKuBIZ unbeugsam gegenüber "Selbstzensur und Diskriminierung seiner Partner" gezeigt, was den Verein "erst recht zu einem würdigen Preisträger" mache. In ihrer Presseerklärung verweisen die Grünen auf diffuse Vorbehalte, die der Verfassungsschutz zuvor gegen PreisträgerInnen gestreut hat. Da mochte auch die Amadeu Antonio Stiftung nicht mehr zurückstehen und lobte die Zivilcourage des AKuBIZ. Mit der Einführung der "Extremismusklausel" durch die VerleiherInnen des Demokratiepreises ist mit der Stiftung erstmals eine private Institution vorauseilend der von Familienministerin Schröder vorgesehenen Verankerung der Extremismusformel in die Legislative des Bundes und der Länder gefolgt.
Ihre KritikerInnen stellt die Ministerin, die mit der durch die Extremismusformel normativ aufgeladenen Ausgrenzungstrategien durchaus bewandert ist, derweil unter Generalverdacht. Habe sich doch derjenige, der "damit schon ein Problem hat", aus ihrer Sicht "demaskiert".
Gegen den schwarzgelben Kurswechsel zur Rundumbekämpfung jedweden "Extremismus" meldeten schon im November 2009 zehn WissenschaftlerInnen Protest an. Die damaligen Befürchtungen, die Projektlandschaft könne zu einem Ort des Konfliktaustrags mutieren, hat sich durch die inzwischen eingetretene Entwicklung bestätigt. Tatsächlich sind die Initiativen vor Ort seitdem stärker in das Blickfeld des VS geraten. Im Juni 2010 traf es zunächst die Antifaschistische Informations-, Dokumentations- und Archivstelle München e.V. (a.i.d.a.), die gegen die vom Verfassungsschutz erhobene Einstufung als "linksextremistisch" Klage erhob.
In der zweiten Instanz vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof am 23. September 2010 erreichte der Verein zwar einen Erfolg, doch bis dato hat der Bayerische Jugendring die auf Druck des Verfassungsschutzes abgebrochenen Arbeitsbeziehungen nicht wieder aufgenommen.
Unterdessen fließen Mittel aus dem Etat des Familienministeriums für antilinksextremistische Programme an die nordrhein-westfälische Jungen Union. Und die unternahm damit eine Sightseeingtour in das "linksextreme Berlin", einen Abstecher in ein echtes besetztes Haus inklusive. Der Ausflug der Jungunionisten ins Berliner Szeneleben startete daheim mit einem Saufgelage und endete in der Hauptstadt mit einem Totalabsturz. Immerhin schaffte es die Partytruppe noch zum JU-Deutschlandtreffen mit Herrn von Guttenberg.
Hartmut Rübner