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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 556 / 17.12.2010

Braun ist auch eine Farbe

Im niedersächsischen Tostedt hat sich rechter Lifestyle fest etabliert

"Wir erobern die Städte vom Land aus!", zitierte die Journalistin Andrea Röpke Neonazis in Bezug auf deren rechte Bestrebungen in Niedersachsen im Jahr 2005. Das ist - zum Glück - bislang nicht gelungen. Allerdings hat sich mittlerweile in den ländlichen Gebieten Norddeutschlands eine aktive, zum Teil sehr junge Neonazi-Szene herausgebildet. Ein Ort, der sich dabei besonders hervortut, ist die Samtgemeinde Tostedt.

Auf den ersten Blick sieht Tostedt aus wie eine typische niedersächsische Kleinstadt. An zwei Hauptstraßen ziehen sich Einfamilienhäuser entlang, im Stadtkern gibt es die übliche Einkaufsstraße, abseits davon ist nicht viel los. 13.000 Menschen wohnen hier am Rande der Lüneburger Heide, die meisten pendeln täglich zum Arbeiten nach Hamburg. Eine "Schlafstadt" also, richtig schön ruhig. Früher war ich ein paar Mal hier - viel verändert hat sich seither nicht. An Orten wie diesen, zwischen Bürgeridyll und Trostlosigkeit, bekomme ich immer sofort Beklemmungen. Das ist auch jetzt so. Über die Stadtgrenzen hinaus ist Tostedt eigentlich nur durch zweierlei bekannt: Hier findet regelmäßig Norddeutschlands größter Flomarkt statt. Und hier gibt es seit 20 Jahren eine der gefestigsten Nazi-Szenen in der Region. Früher war der Schauplatz für beides die Stadtmitte - "Am Sande", da klingelt es bei mir dunkel. In den 1990er Jahren traf sich hier die "Sande Bande", eine Gruppe Neonazis um deren Anführer Sascha Bothe. Ein unangenehmer Typ mit Hakenkreuztätowierung am Arm. Mittlerweile ist er zwar weggezogen, aber einige seiner damaligen Mitstreiter sind noch immer in der heutigen Tostedter Neonazi-Szene aktiv.

Einer von ihnen ist Sebastian Stöber, der zuletzt im Sommer für Schlagzeilen sorgte: "Neo-Nazi kauft ,Symphonie`", schrieb eine Lokalzeitung. (Tageblatt, 18.6.10) Stöber erstand die frühere Gaststätte in der Nähe von Stade bei einer Zwangsversteigerung vor dem Stader Amtsgericht. Was er hier vorhat, ist bislang unklar. Stöber ist nicht nur Mitbegründer der rechten Gruppierung Gladiator Germania, sondern fühlt sich mittlerweile auch in der Rockerszene wohl, so beim Rockerchapter Gremium MC Stade. "Es ist nicht auszuschließen, dass sich hier eine Mischszene zwischen Rockermilieu und Neonazis etabliert", meint auch Olaf. Mit ihm und mit Frank sitze ich bei einem Kaffee zusammen. Olaf kommt aus Lüneburg und beobachtet die Entwicklungen in Tostedt schon seit Jahren. Frank wohnt in Tostedt. Für antifaschistisch denkende Menschen nicht gerade ein leichtes Unterfangen.

Für Linke ist der Ärger vorprogrammiert

Der letzte Naziübergriff auf ihn ereignete sich auf dem Weg zu unserem Treffen. "Ist das etwa normal bei euch?", will ich wissen. Olaf antwortet: "Guck ihn dir doch an!" Stimmt: Ich wäre wahrscheinlich mit den Nerven am Ende. Er hingegen ist erstaunlich gelassen. Alltäglich, meint er, sei das in dieser Form nicht. Schließlich seien heute sogar Waffen mit im Spiel gewesen. Aber Ärger ist schon vorprogrammiert, wenn man als Linke oder Linker in Tostedt durch die Straßen geht. So zum Beispiel vor dem "Bunker", einer Kneipe an einer der Hauptstraßen in Tostedt. Hier muss man zwangsläufig vorbei, wenn man von einem Teil der Stadt in den anderen will. Der Laden selbst wird nicht von Rechten betrieben. Er hat sich jedoch zu einem beliebten Treffpunkt für Nazis entwickelt. Momentan hat die Kneipe zwar geschlossen, aber die Wiedereröffnung ist bereits angekündigt. Dass Nazis hier gern gesehene Gäste sind, ist so ungewöhnlich nicht. "Hausverbote für Nazis gibt es in Tostedt nicht."

Ich kann mich erinnern, dass es in Tostedt früher einmal auch ein alternatives Jugendzentrum gab. Bands wie NOFX oder EA80 haben hier gespielt. Und es gab die Antifa Tostedt, das bestätigt mir auch ein Blick in die Broschüre über akzeptierende Jugendarbeit "Rosen auf den Weg gestreut". Und heute? Viel ist da nicht. Ein paar alternative, wenige antifaschistische Jugendliche. Seit einigen Jahren gibt es außerdem das Forum für Zivilcourage, ein bürgerliches Bündnis gegen Rechts. Im Sommer dieses Jahres holte das Forum die Wanderausstellung des Landesamts für Verfassungsschutz Niedersachsen "Extremismus - Erscheinungsformen - Werbemethoden - Gegenstrategien" in die Schützenhalle Tostedt. Die Ausstellung, so erklärt uns der niedersächsische Verfassungsschutz, "gibt einen Überblick über die aktuellen Erscheinungsformen des Rechts- und Linksextremismus".

Diese Gleichsetzung, dieses Wettern gegen "Linksextremismus" erscheint in einem Ort wie Tostedt noch absurder als es sowieso schon ist. Doch gerade hier wird man nicht müde zu betonen, dass "jeder Extremismus" zu bekämpfen sei. So wurde der Arbeitskreis Extremismus unlängst zu einem Präventionsrat ausgebaut. Schließlich, so das Forum, gebe es viele Probleme "von denen der Rechtsextremismus in Tostedt eines ist!"

"Im Mittelpunkt der Ausstellung", so der Verfassungsschutz, "stehen Beispiele rechtsextremistischer Musik". Dafür wurde in der Schützenhalle eine "Musikbox" aufgebaut, mit der man sich "Musikstücke unterschiedlicher Stilrichtungen" anhören konnte. Auch Olaf hat sich die Ausstellung angesehen. "Morgens wurden da Schulklassen durchgeschleust, nachmittags war nicht so richtig viel los". Aber im Gespräch mit der Ausstellungsbegleitung erfährt er, dass auch ab und zu Neonazis vorbeikommen, um sich an der Musik zu erfreuen. Das bestätigt auch das Forum für Zivilcourage. Diese Besuche seien jedoch alle friedlich gewesen. Das, so gewinne ich mehr und mehr den Eindruck, scheint in der Samtgemeinde auch generell das Wichtigste zu sein. Hauptsache, niemand macht Ärger. Und dass die rechten Jugendlichen auf den Nazi-Nippes in den Vitrinen stehen, stört nicht weiter. Den einen oder anderen Musiktipp, was angesagteren Rechtsrock angeht, gabs noch von ihnen obendrauf.

Wo Nazis diese Musik bekommen können, ist kein großes Geheimnis. "Streetwear Tostedt" nennt sich der Laden von Stefan Silar im Stadtteil Todtglüsingen. Auf den ersten Blick macht dieses Fleckchen beinahe einen idyllischen Eindruck. Alte Bauernhäuser und eine fast dörfliche Atmosphäre erwarten einen hier. In einem der Fachwerkhäuser befindet sich - recht unscheinbar - "Norddeutschlands größter Szeneladen". Damit zumindest wirbt Silar auf der Internetseite des zum Laden gehörenden Versands. Das scheint leider nicht ganz übertrieben: Vor der Tür stehen Autos mit Hamburger, Bremer oder Hannoveraner Kennzeichen. Der Laden selbst ist recht geräumig, sogar ein Kicker steht zwischen T-Shirt-Ständern und Musikregalen. Ein Treffpunkt für die rechte Jugend.

"Der Laden ist einer der wichtigsten Gründe dafür, dass es hier in Tostedt eine starke Nazi-Szene gibt", meint Olaf. "Gerade für die Jugendlichen ist das total spannend." Doch nicht nur der Laden im beschaulichen Todtglüsingen macht den Besitzer für junge Neonazis interessant.

Vor fast 20 Jahren kam es in Buxtehude zu einem Streit zwischen zwei Skinheads und dem Kapitän Gustav Schneeclaus. Als der 53-jährige sagt: "Hitler war der größte Verbrecher!", drehen die beiden Skinheads durch und schlagen auf ihn ein. Vier Tage später erliegt Schneeclaus seinen Verletzungen. Einer der beiden Täter ist Stefan Silar. Wegen Totschlags saß er einige Jahre im Knast. Sowas imponiert jungen Neonazis. Nach Haftentlassung beginnt seine organisierte Neonazilaufbahn, zunächst als Führungsfigur der Blood & Honour Sektion Nordmark. Das im Jahr 2000 verbotene Blood-&-Honour-Netzwerk organisierte seinerzeit zahlreiche Rechtsrockkonzerte. Nach dem Verbot war Silar aktiv in der Nachfolgeorganisation Saalschutz Nordmark, einer Gruppierung, die auf Konzerten mit rechten Bands als Security auftritt.

Rechtes Merchandise in der Dorfidylle

Und ausgerechnet am 20. November 2010, dem Geburtstag von Stefan Silar, spielte Kategorie C, eine rechte Hooligan-Band, in Bönningstedt bei Hamburg. Ob das ein Zufall war? Schon zu seinem letzten Geburtstag gab es ein Konzert. 150 BesucherInnen lauschten der Band Path of Resistance in Königsmoor, nahe Tostedt. Mit rechter Musik, so scheint es, kennt sich der ehemalige Blood- &-Honour-Aktivist bestens aus.

Andere öffentliche Auftritte von Neonazis gibt es hingegen in Tostedt kaum. Die letzten Aufmärsche sind sogar an die zehn Jahre her. Zwar gibt es mit Gladiator Germania und dem Nationalen Widerstand Tostedt durchaus feste rechte Strukturen. Aber ein Gladiator zu sein, ist eher eine identitäre Zugehörigkeitsbekundung, der Nationale Widerstand Tostedt besucht hauptsächlich auswärtige Aufmärsche und Veranstaltungen. Hier in Tostedt, das scheinen auch die Neonazis erkannt zu haben, fährt man am besten, wenn man wenig Ärger macht. Und die Akzeptanz "den eigenen Jungs" gegenüber ist in der Kleinstadt offenbar hoch. Man ist befreundet, man feiert zusammen, ist im gleichen Sportverein.

Bei soviel "Normalität" wundert es kaum, dass in Tostedt trotz einer gefestigten Neonazi-Szene nicht rechter gewählt wird als anderswo. Die NPD beispielsweise spielt weder bei Wahlen noch bei den Nazis selbst eine besonders große Rolle. Abgesehen davon, dass hier rechter Lifestyle mehr zählt als das schnöde politische Alltagsgeschäft, hat Frank noch eine andere Erklärung: "Die NPD ist den hiesigen Nazis wahrscheinlich zu demokratisch."

Nazi-Sein ist also fast schon etwas Alltägliches. "Man erkennt die Nazis auf der Straße auch meist nicht", meint Olaf. Vor meinem inneren Auge tauchen Nazis in Kapuzenpullis und mit Basecaps auf: Autonomer-Nationalisten-Style. Aber Olaf klärt mich auf: "Ich mein, so richtig normal. Die T-Shirts mit einschlägigen Sprüchen und Motiven werden erst angezogen, wenn man abends weggeht. In die Disko oder zum Schützenfest." Nazi-T-Shirts als Ausgehklamotte - ich komme aus dem Kopfschütteln gar nicht wieder raus.

"Tostedt hat kein Problem mit Nazis. Wir schon", schreibt die Kampagne Landfriedensbruch in einem Flugblatt. Das Bündnis von verschiedenen antifaschistischen Gruppen und Initiativen aus der weiteren Region scheint damit gar nicht so unrecht zu haben. "Eigentlich sind sich alle in Tostedt einig: Ein Problem gibt es nur, wenn ,die Linken` kommen - am meisten, wenn es ,die Auswärtigen` sind. Solange man unter sich ist, ist ja immer alles ruhig", meint Olaf. Frank ergänzt: "Man kann ja auch durchaus ein nettes Leben haben in Tostedt. Vorausgesetzt allerdings, dass man nichts gegen Nazis sagt. Wer das tut, bekommt schon mal die Scheiben eingeworfen oder die Autoreifen zerstochen." Genau das passierte auch bei zwei Tostedter Jugendlichen von der Evangelischen Jugend, die eine Unterschriftenliste gegen "Streetwear Tostedt" initiierten. Doch selbst in diesem Zusammenhang erzählt Frank von einem Bandabend, bei dem Armbänder "gegen Rechts" verteilt wurden - und bei dem auch Nazis zugegen waren. "Man kennt sich halt und ist miteinander befreundet". Das hört sich erstmal ganz schön widersprüchlich an. Olaf erklärt mir: "Naja, bei den meisten Leuten in Tostedt ist das halt so: Richtige Nazis, das sind welche wie Stefan Silar. Oder eben die, die es im Osten gibt. Aber diese 16- bis 20-jährigen, die sind in den Augen vieler eben nur irgendwie rechts".

Das klingt deutlich harmloser als es ist. So sehr man in Tostedt auch um Ruhe und Ordnung bemüht ist: Allein in diesem Jahr kam es zu mehreren Übergriffen auf nicht-rechte Jugendliche. Das geht so weit, dass Nazis in Häuser einbrechen und auf die Anwesenden mit Knüppeln und Spaten einschlagen. Gleich mehrmals kam es im Frühjahr 2010 zu solchen Szenen.

Tostedt hat kein Problem mit Nazis - wir schon

Karl-Heinz Langner von der Polizeistation Tostedt hat da groteske Erklärungen parat. "Bisweilen reisen Linksextreme aus Bremen und Hamburg in den Ort, um die Konfrontation mit Neonazis und Hooligans zu suchen", schreibt das Hamburger Abendblatt. "Kommt es zu Gewalt zwischen jungen Tostedtern, gehe es nicht selten ganz banal um ein Mädchen." (Hamburger Abendblatt, 23.8.10) Um ein Mädchen, ach so. Den Knaller landete allerdings Langers Kollege Uwe Lehne, Polizeichef im Landkreis Harburg: "Tostedt ist bunt, und auch braun ist eine Farbe." (Harburger Anzeigen und Nachrichten, 4.7.10)

Antifaschistisches Engagement hat es nicht leicht in Tostedt. Das weiß auch die Kampagne Landfriedensbruch. "Die Kampagne ist langfristig gedacht", meint Olaf. "Wir müssen erst mal dahin kommen, dass überhaupt ein Problembewusstsein zum Thema Neonazis entsteht." Dann gehe es darum, BündnispartnerInnen zu finden und Räume zu schaffen, in denen sich alternative Strömungen entwickeln können. Die Kampagne will 2011 richtig loslegen - auf dass in Tostedt bald ein anderer Wind weht.

Maike Zimmermann