Irland in Not
Das einstige Wirtschaftwunderland steckt mitten in der Finanzkrise
Schlechte Scherze bilden den Ernst der Geschichte. Die Euro-Krise, vom EU-Präsidenten Herman von Rompuy zur "Überlebenskrise" des Eurolands wie der Union aufgebauscht, ist so ein schlechter Scherz. Aus dem jetzt für Irland bitterer Ernst wird. Das Land wird jetzt, mit tätiger Hilfe der EU, in Grund und Boden saniert. Der einst hochgerühmte "keltische Tiger", heute noch ein relativ reiches Land, wird von seinen Regenten den europäischen Banken geopfert.
Irlands Finanzkrise ist im Kern eine Bankenkrise. Das erstaunliche Wirtschaftswunder auf der Insel hielt einige Jahre, dank rasant wachsender Auslandsinvestitionen - vor allem aus den USA. Amerikanische und europäische Investitionen wurden ganz nach neoliberalem Bilderbuch mit niedrigen Steuern, relativ billigen, gut ausgebildeten Arbeitskräften, laxen Regeln und großzügigen Subventionen ins Land gelockt.
Irland war für die US-Multis wie DELL das offene Tor zum größten Markt der Welt - die EU. Die Thatcheristen in Dublin betrieben musterhaft die Politik ihrer Glaubensbrüder. Mit Niedrigsteuern und schlankem Staat übertraf Irland selbst Großbritannien, die irischen Staatsausgaben liegen mit 35 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) heute weit unter dem europäischen Durchschnitt.
Aber nach der Dot.com-Krise begannen vor allem die US-Investitionen in der verarbeitenden Industrie zu schwächeln. Da verlegten sich die irischen Neoliberalen auf die Finanzindustrie. Eine sagenhafte Immobilienspekulation setzte ein, die IrInnen wurden mit billigen und reichlich fließenden Krediten zum kollektiven Kaufrausch ermuntert und lernten, dass man auch ohne Arbeit unerhört reich werden konnte. Das galt zwar nicht für die irische Arbeiterklasse, für die expandierende Mittelklasse dafür um so mehr. Irland kopierte mit tätiger Staatshilfe die Form der Bubble-Ökonomie, wie sie in den USA florierte. Die irischen Banken kam ganz groß raus und die Banken im übrigen Europa waren nur zu gern bereit, die irische Immobilienblase mit zu finanzieren.
Die Blase platzt - die Bankenwelt gerät in Panik
Bereitwillig wurde vergessen, dass Irland sich diese Politik der Steuersenkung und Schrumpfung des öffentlichen Sektors nur erlauben konnte, weil es jahraus, jahrein Milliarden an Hilfsgeldern von der EU erhalten hatte. Die Bubble-Ökonomie im Steuerparadies Irland schien auch dem Staat zu nutzen, dank des Immobilienbooms sprudelten die Steuerquellen: Steuern auf Haus- und Grundbesitz sowie Steuern auf Immobilientransaktionen machten fast ein Fünftel aller Steuereinnahmen aus.
Die Weltwirtschaftskrise hat Irland gleich zu Anfang schwer erwischt. Im Herbst 2007 begann die irische Immobilienblase zu platzen. Aus war's mit den Immobilien- und Finanzgeschäften. Die weit überdimensionierte irische Bauindustrie - mit zehn Prozent Anteil am BIP und 15 Prozent der Beschäftigung - und die Finanzindustrie brachen ein. Die Immobilienpreise sackten in den Keller, die IrInnen saßen auf einem Berg von Hypotheken- und sonstigen Krediten. Mehr als 450 Mrd. hatten sich die irischen Banken bei den Banken im übrigen Europa geliehen - das ist gut das Dreifache des irischen Bruttosozialprodukts (BSP). Als die Blase in Irland platzte, wurden diese Kredite faul, die Bankenwelt verfiel in Panik.
Um den Zusammenbruch ihrer Großbanken zu verhindern, hat sich die irische Regierung gleich zu Beginn der Krise 2008 verpflichtet, für deren Schulden gerade zu stehen. Sie gründete eine Bad Bank, die National Assets Management Agency (NAMA), die den Banken die meisten faulen Kredite abkaufte. Bis September 2010 pumpte sie mehr als 50 Mrd. Euro in Bankenrettungsaktionen. Seither sind die wichtigsten irischen Großbanken wie die Anglo Irish Bank und die Allied Irish Bank de facto verstaatlicht. Aber nach wie vor werden sie behandelt wie private Banken, nach wie vor sind die Interessen der ausländischen Gläubigerbanken heiliger als das Wohl des eigenen Landes und seiner BürgerInnen.
Um die Bankenrettung zu bezahlen, wurde eine wahre Sparorgie inszeniert. Die Musterknaben des Thatcherismus in Dublin haben bis heute bereits 14,6 Mrd. Euro "gespart" - mit absehbaren, verheerenden Folgen. Neun Quartale hintereinander schrumpfte die irische Wirtschaft, ein beispielloser Einbruch in der großen Krise. Die Finanzmärkte und die internationale Wirtschaftspresse, die Neoliberalen aller Länder waren begeistert, Newsweek wählte den irischen Premierminister zu einem der zehn Führer der kapitalistischen Welt, weil er so schön brutal mit der eigenen Bevölkerung verfuhr.
Es half alles nichts. Dank der Schrumpfkur brachen die Steuereinnahmen weiter ein, stieg die Arbeitslosigkeit rasant an, rutschte Irland immer tiefer in die Depression. Die NAMA hatte nur einen Teil der faulen Kredite, im Umfang gut fünf Mrd. Euro, eingelagert. Dahinter lauerte der Montblanc der faulen Hypothekenkredite, die wegen der Depression und der wachsenden Arbeitslosigkeit im Lande immer fauler wurden. Als die irischen und ausländischen Gläubiger das kapierten, begann die Massenflucht des Kapitals. Der irische Staat musste mit Krediten einspringen, die Staatsschulden stiegen blitzartig. Die Krise Griechenlands verschaffte Irland eine Atempause, nicht mehr.
Hinter den Kulissen sprang die Europäische Zentralbank (EZB) mit fast 130 Mrd. Euro an Notfallkrediten ein, um den Zusammenbruch der irischen Banken zu verhindern, den der hochverschuldete irische Staat nicht mehr aufhalten konnte. In einem Land, dessen Staatsschulden zu 84 Prozent Auslandsschulden sind, ist der Druck der ausländischen Gläubiger enorm. Als die Finanzmärkte die Kosten für irische Staatsanleihen immer weiter hoch trieben, bekam die EZB kalte Füße: Sie wollte ihr Geld zurück und brauchte dafür eine offizielle Rettungsaktion. Und die britischen, die deutschen, die französischen und belgischen Banken, die Hauptgläubiger der maroden irischen Banken, gerieten in Panik.
Trotz aller Sparwut türmen sich die Schulden
Eigentlich gab es keinen akuten Grund dafür, denn die irische Regierung hatte ihre Anleihen bis zum Sommer 2011 bereits refinanziert. Aber Merkel, Cameron, Sarkozy und Consorten wollten Irland unter den Schutzschirm zwingen, um ein weiteres Exempel zu statuieren. Ihnen geht es darum, die eigenen Banken vor der nächsten Bankenkrise zu retten, koste es die IrInnen, was es wolle.
Gut zwei Wochen nachdem die irische Regierung dem Druck der europäischen PartnerInnen nachgab und um Obdach unterm "Rettungsschirm" gebeten hatte, wurde am 7. Dezember der erste Sparhaushalt durchs Parlament gejagt. Gut 4,5 Mrd. Euro werden im kommenden Jahr eingespart, die Steuern um gut 1,5 Mrd. erhöht. Damit soll die Defizitquote von heute 32 Prozent auf unter zwölf Prozent gedrückt werden.
Es ist das härteste Sparprogramm in der Geschichte des Landes - und nur der erste Abschlag auf das Sparprogramm von insgesamt mindestens 15 Mrd. Euro, das in den nächsten vier Jahren durchgezogen werden soll. Ein Sparpaket in der Größenordnung von zehn Prozent des irischen BSP, das war die Bedingung für die großzügig gewährte Finanzhilfe unterm EU-Schirm von insgesamt 85 Mrd. Euro. Davon gehen 35 Mrd. Euro an die maroden irischen Banken. Trotz aller Sparwut: Die Schulden türmen sich weiter - und die volkswirtschaftliche Basis, die diese Schuldenmassen tragen soll, wird weiter schrumpfen.
Der Sparhaushalt für 2011 gibt mehr als einen Vorgeschmack auf das, was die IrInnen erwartet. Und die haben auch lautstark protestiert. Die irische Koalition hat eine hauchdünne Mehrheit von zwei Stimmen im Parlament. Diesen Sparhaushalt in offener Abstimmung - traditionell per Hammelsprung - durch zu bekommen, war ein Meisterstück der Demagogie. Wie im Nachbarland Großbritannien wird den IrInnen und ihren ökonomisch analphabetischen PolitikerInnen weisgemacht, das Land habe kein anderes und kein größeres Problem als eben dieses Defizit. Um das innerhalb von vier Jahren von jetzt 32 Prozent auf unter drei Prozent zu drücken, ist jedes Mittel recht - nach dem Motto: Das oder das totale Chaos.
Also werden im kommenden Jahr 4,5 Mrd. eingespart und die Steuern drastisch erhöht. Aber von den geplanten 1,5 Mrd. Steuererhöhung werden die Kapital- und Vermögensbesitzenden nur bescheidene 140 Mio. aufzubringen haben, der Rest kommt vom irischen Normal-Steuerzahler. Die Einkommensteuer steigt für Gering- und NormalverdienerInnen, die Umsatzsteuer wird auf 23 Prozent erhöht, die Abgaben auf Wasser, auf Benzin und Diesel steigen kräftig.
Aber das Glanzstück der irischen Niedrigsteuerpolitik bleibt: die famose Körperschaftssteuer von 12,5 Prozent. Sonst würden die US-Multis, die weitaus größten ausländischen InvestorInnen und ArbeitgeberInnen im Lande, das Weite suchen. Der Mindestlohn wird um einen Euro gesenkt, das Arbeitslosengeld wird kräftig gekürzt, ebenso das Kindergeld und die Familienbeihilfen. Die Renten werden eingefroren, gleichzeitig werden die Beiträge zur Rentenversicherung erhöht, die Löhne und Gehälter im öffentlichen Dienst um mindestens vier Prozent gekürzt. Gut zehn Prozent der Jobs im öffentlichen Sektor, das sind über 25.000 Beschäftigte, werden gestrichen. Da Symbolpolitik nicht fehlen darf, werden auch die Gehälter der Regierungsmitglieder gekürzt und die der SpitzenbeamtInnen auf 250.000 Euro pro Jahr begrenzt.
Das Glanzstück der irischen Niedrigsteuerpolitik bleibt
Für eine irische Arbeiterfamilie bedeutet das Spardiktat im Durchschnitt Einkommensverluste von mindestens 1.800 Euro pro Jahr - Tendenz steigend. Eine irische Mittelklassenfamilie wird gut 4.500 Euro pro Jahr an Einkommen verlieren. Für die arbeitenden Armen auf der Insel geht es ums nackte Überleben. Die jüngeren, gut ausgebildeten IrInnen beginnen, die Insel in Massen zu verlassen, gut 100.000 AuswanderInnen werden in den nächsten Jahren erwartet. Kein Wunder bei einer Jugendarbeitslosigkeit, die schon jetzt über 30 Prozent beträgt und dank der Spardiktate weiter steigen wird. Das Land verliert seine Zukunft, es wird kaputt gespart. Einst exportierte das Armenhaus Europas nur Kartoffeln und Menschen - beim Menschenexport sind wir schon wieder angelangt. Die überteuerten Immobilien lassen sich nicht mehr verkaufen, die Hypotheken dank Job- und Einkommensverlusten nicht mehr bedienen. Also gehen die Söhne und Töchter ins Ausland, um der Familie das Überleben zu sichern - ein wohlbekanntes Muster.
Das Ganze ist völlig heillos. Allein die Zinsen auf die zwecks Bankenrettung aufgenommenen Kredite kosten Irland mehr als zehn Mrd. Euro pro Jahr. Sie können sparen, so viel sie wollen, die Schulden und die Zinslasten steigen schneller. Um die ausländischen Gläubigerbanken vor Verlusten zu bewahren, müssen die irischen SteuerzahlerInnen, muss die irische Bevölkerung bluten. Saftige Zinsen von 5,8 Prozent werden fällig. Was da als alternativloser Weg zur ökonomischen Heilung von der Schuldenkrankheit gepriesen wird, gleicht mehr dem Aderlass aus den Hochzeiten der Quacksalbermedizin. Die neoliberalen Quacksalber lassen gleich ganze Völker zur Ader, mit absehbaren Folgen.
So wie man 2007 behauptet hat, durch drakonische Sparmaßnahmen aus der Krise zu kommen, so behauptet man jetzt, eine höhere Dosis des Gifts würde den erwünschten Erfolg bringen. Die irische Volkswirtschaft ist bereits durch die vorhergehende Sparorgie fast gleichem Ausmaß geschwächt. Die jetzige Sparaktion wird dem Land in den nächsten beiden Jahren einen Einbruch von 25 Prozent bescheren, das sieht sogar die Europäische Kommission. Bei einem Rückgang der volkswirtschaftlichen Produktion um 20 Prozent reden wir offiziell von Depression.
Um aus der Schuldenfalle heraus zu kommen, in die sie ihre ausländischen Gläubiger mit der EZB an der Spitze hinein gezwungen haben, müsste Irland Wachstumsraten produzieren, die deutlich über dem Zinssatz für die Staatsschulden liegen. Nur die Finanzmärkte sind zufrieden. Sie haben bekommen, was sie wollten: Europäische Garantien für irische Staatsanleihen. Weil das Spiel aber so lukrativ war und weil sich die europäischen Regierungen so wunderbar gegeneinander ausspielen lassen - gefangen in ihrem ideologischen Gehäuse aus Nationalismus und Neoliberalismus - geht das Spiel weiter. Mit irischen, mit portugiesischen, mit spanischen Anleihen wird kräftig weiter spekuliert.
Es ist klar, dass die irische Koalitionsregierung keine hinreichende Legitimation für diese Politik hat. Sie hat den Widerstand in der Bevölkerung unterschätzt, sie wird die Neuwahlen im Frühjahr haushoch verlieren. Ihre Umfragewerte sind im Keller, nur 13 Prozent der Befragten lassen noch ein paar gute Haare an ihr. Dennoch konnte sie ihr Sparpaket durchs Parlament bringen, denn die politische Klasse, die regierenden wie die Opposition spielenden Neoliberalen haben der Weltwirtschafts- und Finanzkrise wie der Krise im eigenen Land nur die immergleichen Dogmen entgegen zu setzen.
Die Jüngeren verlassen massenhaft die Insel
Unablässig wird behauptet, wider besseres Wissen, die Sparerei, die Gefälligkeiten für das Kapital, würden demnächst wieder Wirtschaftswachstum und Beschäftigung bringen. Die irische Regierung schwadroniert von vier Prozent Wachstum im nächsten Jahr. Selbst ein ökonomisches Wunder dieses Ausmaßes würde Irland nicht aus der Schuldknechtschaft befreien.
In Irland plädiert nur die radikale Linke für eine argentinische Lösung, für das Aussetzen der Schuldenzahlungen, um die Gläubiger zu Neuverhandlungen zu zwingen. Der kontrollierte Staatsbankrott wäre in der Tat im Moment der einzige Weg, um Irland ein wenig ökonomische Souveränität zurück zu geben. Es ist kaum anzunehmen, dass Merkel und Cameron Truppen schicken würden.
Labour, die stärkste Oppositionspartei und der absehbare Wahlsieger im kommenden Frühjahr, will das Rettungspaket in der heutigen Form nicht akzeptieren und drängt auf Neuverhandlungen. Allerdings hat Labour in Irland das gleiche Problem wie Labour in Großbritannien - beide wollen nur ein wenig moderater und sozial "ausgewogener" sparen, 2011 sollen es 1,5 Mrd. Euro weniger sein. Das ist aber immer noch eine Rosskur, die den Patienten umbringen kann. Und es ist immer noch eine Politik, die der Logik des Heraussparens aus der Krise folgt. Labour steckt in der bürgerlichen Denktretmühle und findet keinen Ausweg.
Michael R. Krätke