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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 556 / 17.12.2010

Zweierlei Denkmalstreit

Dresden zwischen Gedenken und Opfermythos

In diesem Herbst kochte die Debatte um die Dresdner Erinnerungskultur gleich zweimal hoch. Beide Male entwickelte sich eine Kontroverse um das "richtige Gedenken" an den Bombenkrieg und seine monumentale Darstellung. Der nächste 13. Februar rückt näher - und damit nicht nur der neuerliche Versuch von Neonazis, in der Stadt zu marschieren. Auch die Frage des "richtige Gedenkens" wird in den kommenden Wochen eine verstärkte Rolle spielen.

Schauplatz der Debatten um den Luftkrieg ist nicht nur Dresden. In London soll ein Mahnmal für die 55.000 im Krieg gegen Nazi-Deutschland getöteten Soldaten des Royal Air Force Bomber Command entstehen. Im Rahmen einer Dienstreise der Dresdner Oberbürgermeisterin Helma Orosz nach London sagte deren Sprecherin Heike Großmann: "Dieses Denkmal ist aus Dresdner Sicht schwer zu verstehen". (Sächsische Zeitung, 7.9.10) Orosz selbst äußerte sich nicht, ein Eklat sollte offensichtlich vermieden werden. Die sächsische Presse brauchte solche diplomatischen Petitessen nicht zu beachten, die Bild sprach vom Londoner "Schandmal".

Im September beschloss die Dresdner CDU zudem, die Einrichtung eines Denkmals auf dem Altmarkt voranzubringen. Darauf sollen die Namen von 19.000 bekannten Dresdner Bombentoten eingraviert werden. Als Grund hierfür führt die CDU, ebenfalls fleißig sekundiert von der Lokalpresse, an, dass ein zentrales Mahnmal für die Bombardierung notwendig sei.

Nun ist es nicht so, dass sich in Dresden nicht bereits mehrere Denkmäler mit dem Thema Bombardierung beschäftigten. Schon jetzt existiert eines am Altmarkt, auf dem Heidefriedhof wurde unlängst die Skulptur "Tränenmeer" eingeweiht. Und nicht zu vergessen die zur nationalen Wiederauferstehungskirche restaurierte Frauenkirche. Doch nun soll eine Erinnerungskultur in Stein gehauen werden, bei der "den Opfern" des "Untergangs des alten Elbflorenz" monumental und kollektiv gedacht werden kann.

Diese Suche nach der sprichwörtlichen Zementierung des Gedenkens an die Bombardierung überrascht. Schließlich konstatierte Helma Orosz in einer programmatischen Rede: "Der Tag im Februar steckt den Rahmen für die Erinnerungskultur dieser Stadt." (1) In keiner anderen Stadt überlagert die Betonung der Opferidentität dermaßen das gesamte Geschichtsbild und damit auch notwendigerweise die andernorts erstrittene Erinnerung an die eigentlichen Opfer und Täter der NS-Vernichtungspolitik.

Eine in Stein gehauene Erinnerungskultur

Um die Bombenangriffe auf Dresden wurde in den letzten 65 Jahren ein Mythos aufgebaut, der im Zusammenspiel von öffentlicher Erinnerungskultur, Familiengedächtnis und geschichtspolitischen Interventionen produziert und reproduziert wird. Der komplexe "Mythos Dresden" setzt sich aus einer Vielzahl von Erzählungen und Legenden zusammen, die jedoch eklektisch kombiniert werden können und sich so einer direkten Widerlegung entziehen.

Basal ist dabei die Erzählung einer unschuldigen Kulturstadt Dresden, die - militärisch sinnlos - kurz vor Kriegsende zerstört wurde. Der Bombardierung von Dresden wird der Rang eines singulären Geschehens in der Geschichte des Luftkriegs zugesprochen und dabei unterschiedslos mit Städten wie Rotterdam, Coventry und Leningrad gleichgesetzt, die durch den NS-Angriffskrieg zerstört wurden. Um diese "Singularität" zu untermauern wurde lange mit überdimensionierten Totenzahlen hantiert, Legenden um Tieffliegerangriffe gesponnen. Für die Tradierung des Mythos spielten aber auch rührselige urbane Legenden, wie die "weiße Rose" von Dresden, eine Rolle. (2)

Ironischerweise waren es neben linker Kritik auch die Nazis, die durch die alljährlich wachsenden Aufmärsche und den Skandal um den Begriff "Bombenholocaust" ab 2004 eine Differenzierung des Gedenkens beförderten. Eine Historikerkommission wurde eingesetzt, welche die Totenzahlen auf ca. 22.710 bezifferte. (vgl. ak 549) Mittlerweile hat sich das offizielle Dresden mit den Fakten der Historikerkommission abgefunden und kann eine Kontextualisierung der Angriffe nicht mehr aussparen. Dazu Helma Orosz: "So schrecklich die Zerstörung unserer Stadt auch für jedes einzelne Schicksal war: Der Krieg ist von Deutschland ausgegangen und lange bevor die Altstadt brannte, zog Rauch aus den Ruinen der Synagoge."

Diese Sätze hätten vor einigen Jahren sicherlich zur Abwahl der Bürgermeisterin durch ihre eigene, häufig notorisch geschichtsklitternde Fraktion geführt. Die im "Rahmen des Erinnerns" festgelegten Mindeststandards werden jedoch nun in der Gedenk-Liturgie in Dresden fleißig aufgesagt. Durch diese von "klassischem" Geschichtsrevisionismus befreite Darstellung kann Dresden als "nationaler Erinnerungsort" (Pierre Nora) für die "deutschen Opfer" im Bombenkrieg inszeniert werden. Seinen Ausdruck findet dies in der medialen Resonanz auf die Trauerfeierlichkeiten am 13. Februar, aber auch in Fernsehfilmen wie "Dresden", den 13 Millionen Menschen sahen.

Der Mythos ist tot, es lebe der Mythos

In dem modernisierten Gedenken wird der Holocaust nicht geleugnet, sondern akzeptiert und die "Verbrechen von Deutschen" neben die "Verbrechen an Deutschen" gestellt. In Dresden findet diese Einebnung der Geschichte unter dem Schlagwort der "Gravuren des Krieges" (3) und den Stelen auf dem Heidefriedhof seinen symbolischen Ausdruck. Dort finden am 13. Februar die Gedenkfeiern für die Bombentoten statt. In einem Stelenrondell steht Auschwitz direkt und kommentarlos gegenüber einer Stele für Dresden. Dies verwischt die Differenz zwischen Täter und Opfer, Angreifer und Angegriffenen.

So wundert es nicht, dass Jahr für Jahr am Heidefriedhof am 13. Februar neben den etablieren Parteien auch Nazis Kränze für die Bombentoten niederlegen. Dieser unliebsamen Trauergemeinschaft wollen sich die Parteien mit protokollarischem Geschick entziehen. Doch ohne eine grundlegende Auseinandersetzung mit dem "Mythos Dresden" wird sich das Rätsel ihrer Anwesenheit wohl nicht lösen lassen.

Henning Obens, aktiv bei Avanti - Projekt undogmatische Linke

Anmerkungen:

1) Helma Orosz: "Erinnerungskultur - Erinnern für die Zukunft", 18.10.10

2) Dieses Symbol stecken sich die Stadtoberen am 13.2. ans Revers. Was Außenstehenden als Hommage an den Widerstand der Scholl-Geschwister erscheinen kann, geht auf eine Erzählung zurück, wonach eine alte Frau nach der Bombardierung nur einen Teller mit einer "weißen Rose" retten konnte. Dennoch wird auch die Doppeldeutigkeit des Symbols gerne in den "bizarr zusammengesetzten Alltagsverstand" (Gramsci) integriert.

3) Die Ambivalenz der Erinnerungskultur wird besonders in diesem Projekt deutlich: Einerseits wird Erinnerung an jüdische Opfer gefördert, andererseits die Opfer der NS-Vernichtungspolitik unter dem Topos Kriegsopfer mit Bombentoten rubriziert.