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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 557 / 21.1.2011

Die Geister, die der DGB rief

Warum nach dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts Leiharbeiter mit DGB-Tarif in die Röhre gucken

Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zur fehlenden Tariffähigkeit der so genannten Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit (CGZP) hat kurz vor den Weihnachtsferien weit über die juristische Fachpresse hinaus für Furore gesorgt. Denn das Gericht kippte, nach jahrelanger Auseinandersetzung, mit seinem Urteil auch die Dumping-Tarifverträge der Christlichen Gewerkschaften. Von equal pay ist die Branche trotzdem weit entfernt. Denn DGB-Tarifverträge hebeln nach wie vor das Prinzip von gleichem Lohn für gleiche Arbeit aus.

Der Arbeitgeberverband mittelständischer Personaldienstleister (AMP) sieht wegen des Richterspruchs bis zu 4.000 Zeitarbeitsfirmen von Insolvenz bedroht. Denn mit der Tariffähigkeit des CGZP verschwindet auch der Tarifvertrag, der es den AMP-Zeitarbeitsfirmen gestattete, ihre Beschäftigten weit unter den in den Entleiherbetrieben geltenden Tarifen zu bezahlen. Für die AMP-Beschäftigten, die unter den alten Tarifverträgen gearbeitet haben, gilt plötzlich der gesetzliche Grundsatz "gleiche Arbeit, gleicher Lohn", neudeutsch equal pay genannt. Da sowohl die Sozialversicherungsträger als auch die LeiharbeiterInnen selbst nun millionenschwere Nachforderungen stellen können, ist die Pleite vieler Verleihfirmen tatsächlich sehr wahrscheinlich. Dementsprechend groß ist nun die Schadenfreude ihrer GegnerInnen in den Betrieben und Gewerkschaftshäusern.

So weit, so gut. Fragt man aber, wie es nun weitergeht mit der Forderung nach Gleichbehandlung für LeiharbeiterInnen, bleibt einem das Lachen leider schnell im Halse stecken. Denn equal pay wird es trotz des BAG-Urteils bei weitem nicht für alle LeiharbeiterInnen geben. Zum einen, weil der Christliche Gewerkschaftsbund (CGB), von dem die CGZP Teil ist, gemeinsam mit ihrem Partner AMP bereits neue juristische Winkelzüge ausheckt, um die Gleichbehandlung künftig wieder zu vereiteln. Zum anderen, weil auch der DGB Tarifverträge abgeschlossen hat, die eine Abweichung vom Gleichbehandlungsgrundsatz für LeiharbeiterInnen gestatten. Diese Tarifverträge sehen zwar höhere Löhne vor als die der "Christen", equal pay garantieren sie aber auch nicht. Und sie sind erst im Frühjahr 2010 verlängert worden, mit einer Laufzeit bis 2013. Mindestens bis dahin stehen sie einem equal-pay-Anspruch mehrerer Hunderttausend Leiharbeitnehmerinnen juristisch im Weg.

2003 wollte der DGB Lohnuntergrenzen einziehen

Schon der erste Abschluss dieser Tarifverträge im Jahre 2003 war auf scharfe Kritik gestoßen. Die Verantwortlichen hatten sich damals damit verteidigt, dass man wegen der Tarifverträge der "Christen" eine Lohnuntergrenze festziehen müsse, um einen Fall des Lohnniveaus ins Bodenlose zu verhindern. Angesichts des fehlenden Widerstands der DGB-Spitzen gegen die Liberalisierung der Zeitarbeit der Schröder-Regierung im Jahre 2002, die diese Ausnahmetarifverträge rechtlich erst ermöglicht hat, konnte dieses Argument die KritikerInnen aber kaum zufriedenstellen. Sogar sonst treue Verbündete wie etwa der Bremer Arbeitsrechtsprofessor Wolfgang Däubler werfen dem DGB bis heute vor, sich bei diesen Abschlüssen von einer zynischen Standortlogik auf Kosten der LeiharbeiterInnen leiten zu lassen.

Erinnert man sich an den Stand der Diskussion der Gewerkschaftsspitzen zum Thema prekäre Beschäftigung Anfang des letzten Jahrzehnts, vermag das nicht weiter zu verwundern. Mittlerweile haben die Gewerkschaften im DGB aber längst begriffen, dass prekäre Beschäftigungsformen wie die Leiharbeit mittelfristig ihre eigene Existenz bedrohen, weil mit der Erosion des Normalarbeitsverhältnisses zugleich der Boden unter ihren eigenen Füßen wegbröckelt.

Vor allem aber fürchten mittlerweile auch die gewerkschaftlich hoch organisierten Belegschaften vieler krisengebeutelter Industriebetriebe zu Recht, im Zuge eines Massenentlassungsszenarios selbst vor die traurige Wahl "Leiharbeit oder Hartz IV" gestellt zu werden. Heute kommt daher nicht einmal mehr die zahme Chemie-Gewerkschaft IG BCE ohne ein equal-pay-Lippenbekenntnis auf ihrer Homepage aus.

Während sich aber ein und dieselbe IG BCE gleich zu Beginn der Chemie-Tarifrunde im vergangenen Dezember von derlei eilig wieder distanziert hat, lassen die IG Metall und ver.di ihren equal-pay-Kampagnen nun auch Taten folgen. In der Stahl-Tarifrunde Ende September 2010 konnte die Stahlindustrie erstmals verpflichtet werden, nur noch mit Zeitarbeitsfirmen zusammenzuarbeiten, die equal pay garantieren.

Es gibt Anzeichen dafür, dass die IG Metall dieselbe Strategie auch 2012 in der nächsten Tarifrunde der fast vierzig Mal größeren Metall- und Elektroindustrie versuchen wird. Ver.di hat eine solche Vorgehensweise jedenfalls bereits für die kommende Tarifauseinandersetzung der Druckindustrie angekündigt.

Der Hilferuf an die Politik wird verhallen

Das ist ein großer Schritt in die richtige Richtung. Die Entscheidung, parallel dazu auf DGB-Ebene die Verlängerung der Tarifverträge mit den Arbeitgeberverbänden IGZ und BZA zu dulden, erscheint in diesem Lichte aber umso unverständlicher. Und sie dürfte fatale Folgen haben. Denn die Durchsetzung der Gleichbehandlung von LeiharbeiterInnen bei den Entleihern ist ein tarifpolitischer Kraftakt sondergleichen. Er wird nur dort gelingen, wo die Gewerkschaften sehr stark sind. Sonst bleibt ihnen nur der Hilferuf an die Politik. Bei der derzeitigen Zusammensetzung des Deutschen Bundestages glaubt aber niemand daran, die Gleichbehandlung der LeiharbeiterInnen politisch durchsetzen zu können. In Berlin plant man derzeit höchstens einen halbgaren "Mindestlohn für LeiharbeiterInnen", vor allem zum Zwecke der Abschottung des deutschen Arbeitsmarkts gegen die neue Verleiher-Konkurrenz aus Osteuropa. Mit "gleiche Arbeit, gleicher Lohn" hat das nichts zu tun.

Abseits der industriellen Gewerkschaftshochburgen ist die Forderung nach equal pay daher auch nach den jüngsten Entwicklungen kaum weiter als zuvor. Und solange sich die verschiedenen prekär Beschäftigten von der Leiharbeiterin bis zum Scheinpraktikanten nicht organisieren und den Kampf um ihre Rechte in die eigenen Hände nehmen, wird sich daran auch nicht viel ändern. Denn eine solche politische Bewegung kann auch das schönste Gerichtsurteil nicht ersetzen.

Daniel Weidmann