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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 557 / 21.1.2011

Mikado-Gipfel

Der Klimagipfel in Cancún war ein weiterer Meilenstein zur Erderwärmung

Klimagipfel, Klappe, die Sechzehnte. Vom 29. November bis 10. Dezember 2010 traf sich die internationale Klimadiplomatie im mexikanischen Cancún, um abermals darüber zu befinden, wie die globale Erwärmung verlangsamt werden könne. Nach dem Scheitern des Gipfels von Kopenhagen im Dezember 2009 wurde von Politik und Medien ein Erfolg vermeldet. In Cancún wurde aber weniger das Klima, als vielmehr der UN-Verhandlungsprozess als solcher gerettet. In der Sache verfolgten die meisten Staaten weiter eine Mikado-Verhandlungsstrategie: "Wer sich bewegt, verliert".

Frühmorgens um halb vier fiel der Hammer. Die mexikanische Außenministerin Patricia Espinosa, als Gastgeberin Konferenzpräsidentin, proklamierte die Einigung der anwesenden RegierungsvertreterInnen auf die "Cancún Agreements", die Abschlussdokumente des Cancúner Gipfels. Den vorher mehrmals und vehement geäußerten Einspruch des bolivianischen Vertreters überging sie mit dem kühnen Hinweis, der für die Verabschiedung laut UN-Reglement notwendige Konsens bedeute nicht zwingend Einstimmigkeit. Daraufhin brandete tosender und minutenlanger Applaus im Konferenzsaal auf. Es war noch mal gut gegangen, ein Scheitern wie in Kopenhagen wurde verhindert. Ministerin Espinosa wurde vor Ort als "Gipfelretterin" gefeiert, vom indischen Umweltminister Jairam Rameshgar gar zur "Göttin" ernannt, kaum eine Tageszeitung in Deutschland, die kein Porträt der "Heldin von Cancún" (FR, 12.12.10) in ihr Blatt nahm.

Bundesumweltminister Norbert Röttgen bezeichnete die Abschlussvereinbarungen als großen Erfolg, die tageszzeitung (13.12.10) wusste von einem "überraschend positiven Ausgang der UN-Klimakonferenz in Cancún" zu berichten. Der Umweltverband Germanwatch sah in Cancún das "Comeback der internationalen Klimapolitik". Verwundert reibt man sich die Augen, wähnte man die Klimaverhandlungen seit Kopenhagen doch in einem Zustand zwischen Orientierungslosigkeit und Stillstand.

Klimaverhandlungen in der Legitimationskrise

Ein Blick auf die Abschlussdokumente von Cancún macht allerdings vor allem eines sichtbar: die rosarote Brille, durch die ein Großteil von Politik und Medien den Klimagipfel in Mexiko betrachtet hat. Zwei Beispiele: "Zum ersten Mal in der Geschichte der Vereinten Nationen unterschrieben alle ein gemeinsames Klimabekenntnis: Um nicht mehr als 2 Grad soll sich die Erde erwärmen." (BamS, 12.12.10) Oder Bundesumweltminister Norbert Röttgen in einer Pressemitteilung (11.12.10): "Die Staatengemeinschaft hat sich als handlungsfähig erwiesen. Erstmalig ist das 2-Grad-Ziel von der Weltgemeinschaft offiziell anerkannt worden."

Déjà-vu-Erlebnis? Schon nach dem G8-Gipfel im italienischen L'Aquila im Juli 2009 wurde die dortige Einigung auf das Zwei-Grad-Ziel als Durchbruch für den Klimaschutz gefeiert. Und fünf Monate später hielten einige Verwegene dem "Copenhagen Accord", der fast-Abschlusserklärung des Klimagipfels in Kopenhagen, zugute, dass dort das Zwei-Grad-Ziel festgeschrieben worden sei. Zum dritten Mal musste es jetzt als Nachweis für einen erfolgreichen Gipfelverlauf herhalten, zum ersten Mal wurde es nun offiziell verabschiedet.

Dies ist jedoch kaum mehr als ein symbolischer Akt. Wirkliche Bedeutung bekäme er nur, wenn er durch konkrete Minderungsziele für den Ausstoß an Klimagasen unterlegt wäre. Doch selbst das langfristige, nicht verpflichtende Ziel einer Halbierung der globalen Treibhausgasemissionen bis Mitte dieses Jahrhunderts flog aus den "Cancún Agreements" raus. In einem Entwurf drei Tage vor Abschluss des Gipfels war es noch enthalten, ebenso wie ein Minderungsziel für Industrieländer bis zum Jahr 2050. In der Schlussfassung sucht man aber auch dieses vergebens.

Doch, Moment, hatten wir was überlesen? "Nach Cancún, wo jetzt der Korridor der Reduktionsverpflichtungen (für Industrieländer; Anm. ak) verbindlich auf 25-40 Prozent festgelegt wurde" - so Frank Schwabe, klimaschutzpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion in einer Pressemitteilung (11.12.10). Unter tagesschau.de (11.12.10) war zu lesen: "In einem Beschluss nur für die Mitglieder des Kyoto-Protokolls ... wird bekräftigt, dass die Unterzeichnerstaaten insgesamt bis 2020 ihre CO2-Emissionen um 25 bis 40 Prozent unter den Stand von 1990 absenken sollen."

Da hat der Genosse Schwabe wohl nicht genau nachgelesen. Denn im Beschluss von Cancún heißt es lediglich, man erkenne die Ergebnisse des UN-Klimarats (IPCC) an, dass die genannte Minderung der Industrieländeremissionen zur Einhaltung des anspruchsvollsten IPCC-Szenarios erforderlich wäre. Dort steht nicht, dass sich die Industrieländer darauf festlegen, geschweige denn, dass sie dies verbindlich tun.

Konkreter wird es ein paar Absätze später. Es werden Selbstverpflichtungen der Industrieländer zur Minderung ihres Klimagasausstoßes zur Kenntnis genommen, die in einem separaten Dokument aufgelistet sind. Oder besser aufgelistet werden sollen, denn dieses Dokument existiert bislang noch gar nicht. Einem solchen Blankoscheck könne er nicht zustimmen, brachte der bolivianische Delegierte Pablo Solón als einen der Gründe für die Ablehnung der "Cancún Agreements" vor.

Waldschutz wird zum Spielball der Finanzmärkte

Legt man die nach der Kopenhagener Konferenz von den Industrieländern an das UN-Klimasekretariat gemeldeten Selbstverpflichtungen zugrunde, würde dies auf eine Minderung von 12 bis 17 Prozent bis zum Jahr 2020 gegenüber 1990 hinauslaufen, wären da nicht ein paar Schlupflöcher wie die Anrechnung von Landnutzungsänderungen und die Übertragung nicht genutzter Emissionsrechte aus der Kyoto-Periode 2008 bis 2012. Beschlüsse über die Größe der Schlupflöcher wurden in Cancún vertagt. Sie könnten aber laut Berechnungen des Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung im schlimmsten Falle dazu führen, dass die Minderungsleistung der Industrieländer auf zwei Prozent zusammenschrumpft.

Das ist dann selbst für den CSU-Bundestagsabgeordneten Josef Göppel ein wenig zuviel des Guten. "Die Unfähigkeit der EU, eine Minderung der Treibhausgase um 30% bis 2020 zuzusagen, obwohl 2010 schon 17,3% erreicht sind, war zweifellos eines der Ärgernisse dieser Konferenz", heißt es im Cancún-Bericht des Obmanns der CDU/CSU-Fraktion im Umweltausschuss.

Wenn es denn schon nicht bei der Reduzierung der fossilen Emissionen klappt, dann vielleicht bei der Reduzierung der Tropenwaldzerstörung. Unter dem Kürzel REDD (Reducing Emissions from Deforestation and forest Degradation in developing countries) soll ein Waldschutzprogramm für Entwicklungsländer in der internationalen Klimapolitik verankert werden. Hier zeichnete sich im Vorfeld eine Einigung ab. Und siehe da, schon nach der ersten Verhandlungswoche wurde vermeldet: "Einigkeit beim Waldschutz." (klimaretter.info, 6.12.10)

Ja, es gab in Cancún eine generelle Einigung darüber, dass man dem Waldverlust in Entwicklungsländern etwas entgegensetzen will. Wer soll denn auch da was dagegen haben? Ein wenig Abwarten ist aber noch angesagt. Denn Details des REDD-Mechanismus sollen in einem Arbeitsprogramm bis zur übernächsten Klimakonferenz Ende 2012 ausgearbeitet werden. Die Kernfrage bei REDD aber wurde wieder mal aufgeschoben. Läuft die Finanzierung des Waldschutzes über einen Fonds, in den die Industrieländer einzahlen? Oder wird das im Wald gebundene CO2-Teil eines Emissionshandelssystems und damit zur handelbaren Ware? Letzteres würden den Waldschutz selbst wie auch die im und vom Wald lebenden Menschen zum Spielball der Finanzmärkte machen. Nach der Finanzkrise ist die Kommodifizierung (zur Ware machen; Anm. ak) weiterer Lebensbereiche wohl nicht mehr ganz so opportun und so hat man diese alles entscheidende Frage lieber um ein Jahr vertagt.

Beschlossen wurden hingegen Finanztransfers in Entwicklungsländer - zumindest scheinbar. Gemeinsam haben die Industrieländer Finanzversprechen für den Klima- und Regenwaldschutz sowie die Anpassung an den Klimawandel in Entwicklungsländern übernommen. Doch wer im Einzelnen zahlt, ist vollkommen unklar. Diese Frage stand in Cancún nicht einmal auf der Agenda der Verhandlungen.

Wohin die Reise geht, zeigt der Umgang mit der Zusage von Bundeskanzlerin Angela Merkel in Kopenhagen, im Rahmen des "fast start finance" bis zum Jahr 2012 knappe 1,3 Mrd. Euro an Klimageldern zur Verfügung stellen zu wollen. Diese Gelder sollen "neu und zusätzlich" sein. Darüber herrschte schon in Kopenhagen Einigkeit, und so wurde es nun in Cancún auch offiziell beschlossen. Denn wenn Gelder aus der Entwicklungszusammenarbeit abgezogen oder bereits lange zugesagte Klimagelder umdeklariert würden, wäre dies ein Nullsummenspiel.

Bundesregierung simuliert Finanzzusagen

Und genau so verfährt die Bundesregierung: "Neu und zusätzlich" sind für die Jahre 2010 bis 2012 bislang lediglich knappe 140 Mio. Euro im Bundeshaushalt vorgesehen. Damit Kanzlerin Merkel international ihr Gesicht nicht verliert, zählt die Bundesregierung einfach alles zusammen, was bereits an Klima- und Waldschutzgeldern im Etat des Umwelt- und Entwicklungsministeriums vorgesehen ist. Und weil das dann immer noch nicht reicht, rechnet sich die Bundesregierung die mit deutscher Unterstützung vom Climate Investment Funds der Weltbank vergebenen, jedoch zurückzuzahlenden Kredite für Entwicklungsländer in vollem Umfang an. Die Bundesregierung steht damit nicht allein. Eine Untersuchung des World Resources Institute kommt zu dem Schluss, dass auch viele der Finanzzusagen anderer Industrieländer lediglich alter Wein in neuen Schläuchen ist.

Im Großen und Ganzen wurde in Cancún nur das offiziell beschlossen, was bereits in Kopenhagen zur Entscheidung vorlag. Garniert mit ein paar "Sahnehäubchen" wie der Einbeziehung von Projekten zur Abtrennung und unterirdischen CO2-Verpressung (CCS) in den "Clean Development Mechanism" (CDM). Über den CDM können Industrieländer und Unternehmen einen Teil ihrer Einsparverpflichtungen in Entwicklungsländer auslagern. Praktisch bedeutet die Entscheidung von Cancún, dass sich RWE zukünftig möglicherweise für die Unterstützung eines Kohlekraftwerkbaus in Indien mit der vermeintlichen Zukunftstechnologie CCS die notwendigen Emissionsrechte besorgt, um in hiesigen Breiten weiter konventionelle Kohlekraftwerke betreiben zu können. Wenn das mal keine saubere Lösung ist.

Nächstes Jahr macht die Klimakarawane Ende November im südafrikanischen Durban Halt. Dort soll es dann was werden mit dem Nachfolgeabkommen für das Kyoto-Protokoll, das im Jahr 2012 ausläuft. Oder vielleicht auch nicht. Zeitpläne für den Abschluss der Verhandlungen sucht man in den "Cancún Agreements" vergebens. Wie auch? Bis jetzt besteht nicht einmal Einigkeit darüber, ob ein oder zwei Abkommen angestrebt werden. Oder darüber, welche völkerrechtliche Form und Verbindlichkeit sie haben sollen.

Den unmittelbaren klimapolitischen Mehrwert von Cancún brachte das International Transport Forum der OECD in seiner Pressemitteilung nach Ende des Gipfels auf den Punkt: Nein, von Cancún sei kein zusätzlicher Druck auf den Verkehrssektor zur Reduzierung von Emissionen zu erwarten. Die Lehre aus Cancún sei, dass die Herausforderung für die Transportbranche nun darin bestünde, sich an ein sich wandelndes Klima anzupassen.

Doch für die Klimadiplomatie in Cancún war dies zweitrangig. Denn es zählte nur eines: Es musste eine Einigung geben - über was auch immer. Denn nach Kopenhagen waren die UN-Klimaverhandlungen in eine tiefe Legitimationskrise geraten. In Cancún musste daher Handlungsfähigkeit bewiesen werden. Dafür wurden im Vorfeld des Gipfels die Erwartungen derart heruntergefahren, dass allein die Tatsache, diesmal nicht ergebnislos auseinanderzugehen, bereits als Erfolg dargestellt werden konnte. Gerettet wurde in Cancún somit der UN-Verhandlungsprozess als solcher, nicht aber das Klima.

Bernd Brouns