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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 557 / 21.1.2011

Machtkampf in der Côte d`Ivoire

Gbagbo und Ouattara haben beide die Wahl für sich entschieden

"Kann er durchhalten?" fragt diese Woche das französisch-afrikanische Wochenmagazin Jeune Afrique auf seiner Titelseite. "Er", das ist der ivorische Präsident Laurent Gbagbo, der anscheinend die Stichwahl um die Präsidentschaftswahl des Landes von Ende November 2010 - die von massiven Manipulationen auf beiden Seiten überschattet wurde - gegen Alassane Dramane Ouattara verloren hat, aber sich seitdem trotzdem im Amt hält.

Gbagbo vertraut darauf, dass die Zeit für ihn arbeitet. Während viele Beobachter nach möglichen Fraktionierungen innerhalb des Militärs Ausschau halten, macht es den Eindruck, dass die Armeespitze bislang nicht gespalten ist. Bislang jedenfalls scheint Gbagbo von dieser Seite her keine ernsthafte Gefahr zu drohen.

Auf der anderen Seite baut sein Herausforderer, Ouattara, längerfristig auf die Gewehrläufe außerhalb der ivorischen Armee. Das bedeutet: auf die realen Gewehrläufe der Forces Nouvelles (FN, Neuen Kräfte), die den Norden der Côte d'Ivoire seit acht Jahren faktisch beherrschen. Bei ihnen handelt es sich um die frühere Rebellenarmee, die aus dem gescheiterten Umsturzversuch vom September 2002 hervorging - und seit dem Abkommen von Marcoussis im Winter 2002/2003 nördlich einer Waffenstillstandslinie ungefähr auf der Höhe von Bouaké herrscht. Ihre Warlords finanzieren sich aus "Revolutionssteuern", die sie von der Bevölkerung und den Lastwagenfahrern eintreiben. Die FN sind keine politische Partei und treten nicht zu Wahlen an, doch sie unterstützen Ouattara unter der Hand.

Auf der anderen Seite setzt Ouattara auch auf die bislang noch virtuellen Gewehrläufe der so genannten "internationalen Gemeinschaft". Letztere zögert bislang noch, eine mögliche militärische Intervention in dem westafrikanischen Staat anzuordnen, da das ein enormes Eskalationspotenzial in sich bergen würde. Frankreich hat bislang offiziell versichert, nicht militärisch einzugreifen - "es sei denn, dass unsere eigenen Staatsbürger in Gefahr wären", erklärte Außenminister Alain Juppé. In den vergangenen Jahrzehnten war der "Schutz französischer Staatsbürger" jedoch sehr oft der Vorwand für Truppenentsendungen in afrikanische Länder.

Wahlmanipulationen auf beiden Seiten

Dennoch sähe Frankreich es lieber, falls etwa die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS eingriffe. Viele Nachbarstaaten der Côte d'Ivoire halten sich jedoch bedeckt. In Frage kämen vor allem Nigeria und Burkina Faso. Dabei ist jedoch, anders als in Liberia, keineswegs ausgemacht, dass eine solche Truppe die Gbagbotreuen Teile der ivorischen Armee einfach besiegen könnte. Denn im reicheren Süden des Landes fände eine Eingreiftruppe kein von marodierenden Milizen geprägtes Chaos vor wie etwa in Liberia oder Sierra Leone, sondern einen nach wie vor funktionierenden und strukturierten Staat.

Darüber hinaus weist der de facto amtierende Präsident Gbagbo im christlich-animistischen Süden und Westen der Côte d'Ivoire noch einen beträchtlichen Rückhalt innerhalb der dort lebenden Bevölkerungsgruppen auf, auch wenn es dort politische Opponenten gegen ihn gibt. Dagegen votieren das Zentrum, wo die Hochburg des Ex-Präsidenten Henri Konan Bédié - Staatschef von 1993 bis 1999 - liegt, und der muslimische Norden mehrheitlich für Alassane Ouattara.

Bédié und Ouattara hatten sich nach dem ersten Wahlgang um die ivorische Präsidentschaft, der am 31. Oktober stattgefunden hatte und vier Wochen vor der Stichwahl lag, verbündet. Beide führten ihre jeweiligen Anhängergruppen zusammen, die jeweils zum Großteil auf "ethnischer" Basis rekrutiert werden. Denn Ethnizität als politischer Faktor spielt in dem westafrikanischen Land seit etwa 15 Jahren eine zentrale Rolle. Damals wurde, in Reaktion auf den Zusammenbruch des bisherigen Wirtschaftssystems - für den unter anderem eine Öffnung des Hauptexportsektors der Côte d'Ivoire, des Kakaoanbaus, für internationale Aufkäufer verantwortlich war - das politische Konzept der Ivoirité auf die politische Agenda gesetzt.

Urheber des ethno-nationalistischen Konzepts waren Mitte der neunziger Jahre Intellektuelle im Umfeld von Präsident Bédié, der von Houphouët-Boigny (1960 bis 1993 erster Präsident der Elfenbeinküste) selbst zu seinem Nachfolger bestimmt worden war. Mit dabei war auch Venance Konan, damals ein gefährlicher Rassenideologe. Umso erstaunlicher ist, dass heute Bédié und sein politisches Lager zu den engsten Verbündeten Alassane Ouattaras zählen. Dies relativiert die Argumente derjenigen, die behaupten, dass Ouattara letztendlich das Opfer des Rassismus der Pro-Gbagbo-Nationalisten sei. So einfach liegen die Dinge nicht, sondern den Vorgängen in der Côte d'Ivoire liegt ein wesentlich komplexeres Machtspiel zu Grunde.

Nachdem Bédié im ersten Wahlgang vom 31. Oktober vorigen Jahres nur als dritter Kandidat abschnitt, fusionierten die politischen Lager der beiden Männer. Ouattara trat daraufhin als Kandidat der "Sammlung der Houphouët-Anhänger für Demokratie und Frieden" (RPDH) an, und sammelte die Überreste der früheren Staats- und Einheitspartei unter Houphouët-Boigny um sich. Auch Venance Konan unterstützt ihn, und kritisiert in den letzten Tagen zugleich Gbagbos Anklagen gegen die Ex-Kolonialmacht Frankreich.

Frankreich will vorerst nicht eingreifen ...

Hintergrund ist, dass Laurent Gbagbo seit Ende Dezember den Abzug aller französischer Truppen aus der Côte d'Ivoire fordert. Die Anhänger Ouattaras haben ihm rasch widersprochen. Allen voran Guillaume Soro, früherer Rebellenchef der FN und von 2007 bis 2010 - im Rahmen des Waffenstillstandsabkommens von Ouagadougou - Premierminister unter Gbagbo, jetzt designierter Premier von "Gegenpräsident" Ouattara. Guillaume Soro erklärte Gbagbos Forderung nach Abgang der französischen Soldaten für "lächerlich". Gbagbos Pose als neuer "Held der afrikanischen Selbstbehauptung" trägt ihm anderswo durchaus Sympathien ein, etwa bei den kamerunischen Linksnationalisten der UPC.

Laurent Gbagbo konnte sich in der Côte d'Ivoire seit 2004 den Schwung der damals durchaus realen Massenbewegung, die teilweise anti-neokoloniale Züge trug, zu Nutze machen. Negativ ist anzumerken, dass der von ihm angefachte Nationalismus - neben der politischen Ausrichtung gegen die französische Hegemonie - immer auch eine Stoßrichtung gegen die "Ethnien" im Norden mitschwingen ließ. Hinzu kommt ferner der religiöse, leicht apokalyptische Zug, den ihm vor allem die Reden seiner Ehefrau Simone Gbagbo verliehen. Simone Gbagbo zählt zu den evangelikalen Christen in Westafrika, die starken nordamerikanischen religiösen Einflüssen unterliegen.

Aus verschiedenen Gründen erhielt ihr Mann Laurent Gbagbo damals Unterstützung aus der US-amerikanischen Rechten, aus Israel - weil seine Regierung ein wichtiger Kunde für dessen Waffenindustrie ist - und aus China, das gerne seinen eigenen wirtschaftlichen Einfluss auf dem afrikanischen Kontinent ausdehnen möchte. Unter Barack Obama hat die US-Administration sich nun seit kurzem explizit gegen Gbagbo gewendet und unterstützt Ouattara.

Die etablierte Politik in Frankreich war lange Zeit über "den Fall Laurent Gbagbo" uneinig. Weil dieser in seinen Exiljahren als Oppositioneller in Frankreich gelebt hatte und dort in der Sozialistischen Partei aktiv gewesen war, unterstützen Teile der französischen Sozialdemokratie ihn nach wie vor. Derzeit sind sie allerdings in der eigenen Partei in die Defensive geraten. Viele ihrer Protagonisten wollen von früheren Freundschaften nichts mehr wissen, wie etwa der frühere Kulturminister Jack Lang. Anders der wegen schwerer Korruptionsdelikte in der französischen "ELF-Affäre" verurteile, politisch total abgehalfterte, Ex-Außenminister unter François Mitterrand, Roland Dumas. Er macht sich weiterhin für Gbagbo stark.

... es sei denn, es besteht Gefahr für Franzosen

Der Schwerpunkt in der französischen Politik liegt inzwischen auf einer Unterstützung für Alassane Ouattara. Das bürgerliche, wirtschaftsliberale und konservative Lager steht dabei fast geschlossen hinter der Position von Präsident Nicolas Sarkozy. Viele Akteure der französischen Politik können Laurent Gbagbo nicht verzeihen, dass er im Herbst 2004 französische Soldaten bombardieren ließ. Damals kam es zu einem bis heute unaufgeklärten Zwischenfall, als ex-sowjetische Piloten der ivorischen Luftwaffen eine Fliegerbombe über einem französischen Militärcamp in Bouaké fallen ließen. Gbagbo distanzierte sich davon, doch die französische Armee legte daraufhin die gesamte - kleine - ivorische Luftwaffe in Schutt und Asche. Dies löste wiederum Massendemonstrationen aus, in deren Folge französische Soldaten vor dem Hôtel Ivoire in Abidjan in die Menge feuerten.

Zwar hat auch Präsident Gbagbo in seinen zehn Amtsjahren stets französische Konzerne wie die Transportfirma von Vincent Bollore - diesem Duzfreund Sarkozys gehört ein Großteil der Häfen und Infrastruktur in Westafrika - bedient. Dennoch zweifeln viele französische Politiker an seiner Loyalität und halten ihn mindestens für unzuverlässig, wenn nicht sogar für einen Feind. Aus der Reihe tanzt dabei ausgerechnet die nationalistische extreme Rechte. Jean-Marie Le Pen vom Front National erklärte offen seine Unterstützung für Laurent Gbagbo. Dabei spielt einerseits eine Rolle, dass der rechtsextreme Oppositionspolitiker es liebt, mit "starken Männern" in einer internationalen "Außenseiterposition" zu kokettieren - er verteidigte auch Saddam Hussein und Slobodan Milosevic. Andererseits sind in seinen Augen die von Sarkozy und Obama benutzten Demokratie-Argumente mit denen sie Ouattara unterstützen - obwohl dessen Wahlsieg auch nicht mit Sicherheit fest steht, in der Nordhälfte der Côte d'Ivoire wurde massiv zu seinen Gunsten manipuliert - per se nicht zu akzeptieren. Das propagierte Demokratie-Ideal sei mit der afrikanischen Kultur nicht vereinbar, die vielmehr auf "traditionellen Chefs und Häuptlinge" beruhe, schreibt etwa der Schriftsteller François Celier auf der rassistischen Webseite La valise ou le cercueil.

Seltsame Allianzen, die denen innerhalb der Côte d'Ivoire in nichts nachstehen.

Bernhard Schmid

Bewaffnete Auseinandersetzung

Der Kampf um die Präsidentschaft in der Elfenbeinküste spitzt sich täglich weiter zu. In Abidjan, im Stadtteil Abobo, kam es zu bewaffneten Auseinandersetzung zwischen UN- und Quattara-Truppen auf der einen Seite und Gbagbo-Truppen auf der anderen Seite. Zuvor waren Sicherheitskräfte unter dem Vorwand, Waffenlager ausheben zu wollen, in den Stadtteil eingefallen, welcher mehrheitlich hinter Quattara steht. Nach unterschiedlichen Angaben haben die Auseinandersetzungen zwischen den verfeindeten Gruppen seit den Wahlen im November zu mehr als 200 Toten im Land geführt. Die Menschen fliehen vor den bewaffneten Auseinandersetzungen in die Nachbarländer. Allein nach Liberia sollen inzwischen mehr als 25.000 Menschen geflohen sein. Eine friedliche Lösung der Auseinandersetzungen ist bisher nicht auszumachen.

ga., 18.1.11