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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 557 / 21.1.2011

Primat der Ideologie

Die Ausstellung "Hitler und die Deutschen. Volksgemeinschaft und Verbrechen"

Der Medienhype ist enorm. "Hitler und die Deutschen" wird als erste deutsche Ausstellung über Hitler tituliert, als "mutig" bezeichnet oder gar zum "Tabubruch" stilisiert. Seit Mitte Oktober rennen BesucherInnen dem Deutschen Historischen Museum (DHM) in Berlin die Türen ein. Dabei geht es hier weder um Hitler, noch wird inhaltlich oder methodisch Neuland beschritten. Es geht um die Frage, warum die Bevölkerung das Hitler-Regime unterstützte und an Verbrechen partizipierte. Erklärt wird das Ganze mit rätselhaft-esoterischen Erlösungshoffnungen der Deutschen.

Sie waren sich der Verantwortung bewusst. Haben zwei Jahre lang nachgedacht. Sich durch die vor NS-Relikten offenbar überquellenden Giftschränke im DHM-Archiv gewühlt. Mit Sorge festgestellt, dass es von Hitler eigentlich nur PR-Material gibt. "Denn keines der überlieferten Hitlerfotos", resümiert der Historiker und Kurator der Ausstellung Hans-Ulrich Thamer, "zeigt den Diktator neben einem Toten oder gar in einem KZ, in einer gewaltsam-sadistischen Haltung oder gar mit einem Gewehr."

Mit einem Gewehr, das wärs gewesen. Stattdessen aber steht er dauernd ohne Gewehr, dafür aber mit erhobenem Arm herum, auf Tribünen oder Autos. Blickt auf Architekturmodelle, genießt Bergpanoramen oder tätschelt kleine Mädchen. Auf einem Foto füttert Hitler sogar ein Reh. In Interviews sagen die AusstellungsmacherInnen immer wieder, solcherart Inszenierung dekonstruieren zu wollen. Dementsprechend wird in der Ausstellung propagandistischer Schein ostentativ mit verbrecherischer Realität kontrastiert.

Die MacherInnen nennen das "Gegenbilder": Hitlerporträts werden mit Bildcollagen hinterlegt, die zeitgenössische Realität verdeutlichen sollen; hinter einer SA-Standarte werden Bilder vom frühen Terror an die Wand projiziert, neben dem Volksempfänger prangt der idealtypische Grundriss des KZ Sachsenhausen. Nicht zuletzt gibt es eine düster gehaltene Holocaust-Ecke, in der etwa Kinderzeichnungen aus Theresienstadt zu besichtigen sind.

Ganz neu: Deutsche Bevölkerung hat mitgemacht!

"Von der Schau soll keine Faszination für Hitler ausgehen" - das werden die AusstellungsmacherInnen nicht müde zu betonen. Daher werden auch keine persönlichen Gegenstände Hitlers präsentiert. Auf keinen Fall soll eine "Führer-Aura" reproduziert werden. Stattdessen lautet die Devise: Geschichtsstunde für ein breites Publikum. Der Clou ist nämlich, dass es in der Ausstellung gar nicht darum geht, "Hitler auszustellen", wie es die KuratorInnen gerne nennen, um im gleichen Atemzug einmal mehr ihre eigene Bedachtsamkeit zu betonen. Vielmehr geht es um die NS-Ideologie der "Volksgemeinschaft" und den Preis, den die Anderen dafür bezahlen mussten.

Ergebnis ist eine in jeder Hinsicht konventionelle Zusammenschau deutscher Geschichte von 1933 bis 1945. Kaum ein Exponat, das man nicht schon mal irgendwo gesehen hat, kaum ein Foto, das nicht schon unzählige Male abgedruckt wurde, kaum eine Filmaufnahme, die nicht schon in zahlreiche Dokumentationen über das Dritte Reich hineinmontiert war.

Auch die Dramaturgie lehnt sich an gängige NS-Rundumschlagserzählungen an: Krisenhafte Republik - Machtübernahme - erfolgreiche "Friedensjahre" des Regimes bei gleichzeitiger politischer Repression und einer Radikalisierung des Rassismus/Antisemitismus - Zweiter Weltkrieg, Stalingrad und Holocaust - Ende - Nachwirkungen.

Geschickt interagiert die Ausstellung so mit halbwegs informierten BesucherInnen: Das, was (vor allem visuell) schon irgendwie bekannt ist - von "Mein Kampf" über den Volksempfänger bis zu "Feind hört mit", vom Reichstagsbrand über Euthanasie bis zum Holocaust - wird abgerufen und zu einer großen Erzählung zusammengeführt.

Auf Irritationen und Ambivalenzen wird dabei weitgehend verzichtet. Durchgängig arbeitet die Ausstellung mit einem Kontrast: Der Utopie der "Volksgemeinschaft" wird die Realität des Verbrechens entgegengestellt: "Inklusion durch Exklusion". So wird kein Zweifel daran gelassen, dass hier ein unhintergehbarer Zusammenhang bestand, dass NS-Gesellschaft ohne Verfolgung, Krieg und Massenverbrechen nicht zu haben war.

Ebenso wird klargestellt, dass es keine "Machtübernahme", sondern eine "Machtübertragung" durch konservative Eliten gab. Dass das NS-Regime mit seinen Solidaritäts-, Aufstiegs- und Modernisierungsversprechen für die zeitgenössische Bevölkerung attraktiv war. Dass Verbrechen im Wissen und unter Beteiligung weiter Teile der Gesellschaft (inklusive der Wehrmacht) verübt wurden, dass sie bekannt waren und hingenommen wurden.

"70 Jahre danach sollte es möglich sein, zu fragen, wieso damals so viele mitgelaufen und Hitler in Massen gefolgt sind. Das heißt auch, sich mit den Akteuren aus der Mitte der Gesellschaft zu beschäftigen", fordert die Historikerin und Mitkuratorin Simone Erpel. Den AusstellungsmacherInnen wird in Medienberichten daher immer wieder "Mut" attestiert.

Ist es im Jahr 2010 "mutig", auf die aktive Mitwirkung der deutschen Bevölkerung am NS-Regime hinzuweisen? Die Frage nach Einstellungen, Haltungen und Handlungsweisen der Deutschen 1933-45 wurde seit den 1980er Jahren vor allem im Zuge von Alltagsgeschichtsforschung und Oral-History-Projekten vielfach gestellt und beantwortet. Die nahe liegende Erkenntnis, dass die Mitte der Gesellschaft das System aktiv getragen haben muss, war schon damals Voraussetzung und nicht etwa erst Ergebnis der Forschung.

Stieß die Tatsache der vielfältigen Beteiligung ganz normaler Deutscher am NS-Regime zunächst auf gesellschaftlichen Widerstand, so ist sie in NS-Gedenkstätten und historischen Ausstellungen seit etwa 20 Jahren eine absolute Selbstverständlichkeit. Die letzte größere Debatte zum Thema fand Mitte der 1990er Jahre anlässlich der Wehrmachtsausstellung statt. Die damals noch gesellschaftlich aktive "Erlebnisgeneration" spielt heute keine Rolle mehr, Nachgeborene dürfen sich unschuldig fühlen und das einst beargwöhnte Ausland interpretiert deutschen Aufarbeitungseifer wunschgemäß als Normalitäts-Beweis.

"Volksgemeinschaft" als skurrile Science-Fiction-Welt

Das Besondere an der Berliner Ausstellung ist also weder ihr "Mut" noch ihre triviale These, sondern der merkwürdige Nimbus, der sie von Anfang an umwehte und allein in den ersten fünf Tagen 15.000 Menschen ins DHM lockte.

Auch in gedächtnispolitischer Hinsicht ist die Ausstellung signifikant. Denn beim DHM handelt es sich nicht um irgendein, sondern um das Deutsche Historische Museum - initiiert, um deutsches Selbstverständnis in der damals noch symbolischen, mittlerweile faktischen bundesrepublikanischen Hauptstadt zu repräsentieren. Was hier gezeigt wird, hat einen offiziösen Beigeschmack, und wenn hier eine NS-Ausstellung stattfindet, ist davon auszugehen, dass sie den Stand der hegemonialen deutschen Geschichtserzählung zum Thema repräsentiert.

Zu beobachten ist, dass in diese Erzählung ein bemerkenswert breites Spektrum an ansonsten durchaus widersprüchlichen Erklärungsansätzen integriert wurde - dass also keine kontroverse Auseinandersetzung angestrebt, sondern größtmöglicher Konsens gesucht wird. So weit, so typisch für die deutsche Gedächtnispolitik der letzten Jahre. Auffällig ist indes zweierlei: Zum einen die extreme Distanz, die auf der ästhetischen Ebene zwischen "damals" und "heute" konstruiert wird; zum anderen einige beredte Leerstellen in der historischen Erzählung.

In der DHM-Inszenierung erscheint "damals" als bizarre Science-Fiction-Welt, in der man uniformiert war, Kindern Nazi-Spielzeug kaufte, am Adolf-Hitler-Platz wohnte, auf dem Reichsparteitag die Hand zum "deutschen Gruß" reckte, hoffnungsvoll auf den KdF-Wagen sparte und Gartenfeste mit roten Hakenkreuzlampions dekorierte, während jenseits des Gartenzauns das "Juden sind in diesem Ort unerwünscht"-Schild prangte, die Synagoge brannte und der "Euthanasie"-Bus vorbeirauschte. Zu einer derart absurd verdichteten Szenerie finden BesucherInnen mit einiger Sicherheit keinen Zugang - die wahrscheinlichste Reaktion ist hier wohl ungläubiges Kopfschütteln.

Das Alltägliche und vor allem Private, reale Vorteile, soziale Aufstiegs- und Karrierechancen, das nach 1933 zunehmend verbreitete Gefühl politischer und ökonomischer Stabilität werden im DHM zwar erwähnt, nicht aber wie in anderen Ausstellungen durch Beispiele oder Zusatzinformationen vertieft. Im Vordergrund steht die ästhetische Power herrschender Modernisierungs- und Solidaritätsversprechen, illustriert durch ein abstruses Winterhilfswerkplakat nach dem anderen. Vor allem aber verzichtet die Ausstellung völlig auf Zeitzeugeninterviews, deren wiederkehrende "Es-ging-wieder-bergauf"-Narrativ kombiniert mit Erzählungen über individuelle Chancen und Erwartungen weitaus informativer gewesen wäre als Dutzende sorgfältig sortierte und drapierte Nazi-Merchandising-Produkte.

Beredte Lücken in der Erzählung

Dass vor 1933 ein mitunter äußerst weitsichtiger linksradikaler bis liberaler Diskurs gegen Hitler und die nationalistische Rechte existierte, dessen ProtagonistInnen nach der Machtübernahme nicht zufällig entweder Terror und Repressionen ausgesetzt waren oder emigrieren mussten, wird ebenfalls marginalisiert bis unterschlagen. Jedenfalls wird nicht ersichtlich, dass es alternative Antworten auf reale gesellschaftliche Probleme gegeben hat.

Stattdessen: "Mein Kampf" in soundsovielen Übersetzungen und Blindenschrift; John Heartfields "Millionen stehen hinter mir"-Plakat, Wahlplakate aus der Weimarer Republik. Auffällig unterrepräsentiert sind auch Versuche, sich dem NS-Regime zu entziehen, Formen des Widerstands oder der Solidarität mit Verfolgten - darstellenswert nicht, weil sie ein Massenphänomen gewesen wären, sondern weil auf diese Weise deutlich hätte werden können, dass es auch nach 1933 noch möglich war, den Verstand zu bewahren anstatt devote Briefe an Hitler zu schreiben. Auch hier genügt es nicht, auf (immerhin!) Georg Elser und die Akteure des 20. Juli zu verweisen. Es muss ja nicht gleich der Tyrannenmord sein - zugänglicher gewesen wäre vielleicht der jugendlich-renitente Alltagsverstand eines Edelweißpiraten.

Aber um all das geht es den MacherInnen letztlich gar nicht. "Wie konnte ein sozialer und politischer Niemand eine solche Wirkung erzielen?", fragt Hans-Ulrich Thamer in Ausstellungstexten und Interviews. Seiner Ansicht nach wäre Hitler in anderen Zeiten "ein am Rande der Gesellschaft dahinvegetierender Versager gewesen: Kein Schulabschluss, kein Berufsabschluss, keine politische Erfahrung, gar nichts".

Die Karriere des antibürgerlichen "Versagers" führt die Ausstellung mitsamt all ihrer Konsequenzen hauptsächlich auf irrational-esoterische Motivlagen in der Bevölkerung zurück: "Erlösungshoffnungen", individuelle und kollektive "Sehnsüchte", die auf Hitler "projiziert" und von diesem und seiner Partei instrumentalisiert worden seien. Zwar heißt es explizit, dass besagte Sehnsüchte und Hoffnungen durchaus in Interessen und gesellschaftlichen Bedingungen wurzelten. Von diesen aber ist wenig Konkretes zu erfahren. So gelingt es doch wieder, die Deutschen als irgendwie "verführt" darzustellen - wenn auch mehr oder weniger freiwillig.

"Primat der Ideologie" nennt man das im NS-Forschungsjargon - in Anlehnung an die Dichotomie im marxistischen Diskurs (Politik/Ökonomie). Man muss das NS-Regime nicht mit den Interessen des Monopolkapitals erklären, um das Masterkonzept der "charismatischen Herrschaft", das die MacherInnen ihrer Ausstellung zugrunde gelegt haben, unzureichend zu finden. Zumindest, solange man den Anspruch erhebt, sich nicht nur mit diesem Aspekt nationalsozialistischer Herrschaft zu beschäftigen, sondern Entstehung und dynamische Entfaltung des Regimes umfassend in den Blick nehmen zu wollen.

Das Konzept der "charismatischen Herrschaft" verstellt durchaus den Blick: Dass moderne Gesellschaften immer wieder vor ähnlichen Problemlagen und Fragen stehen, dass die grundsätzlichen ideologischen Alternativen, die sich nach dem Ersten Weltkrieg stellten, auch gegenwärtigen Diskursen zugrunde liegen, dass sozialdarwinistisch-rassistische Erklärungen sozialer Realitäten mitnichten vom Tisch sind - all das dürfte kaum die Erkenntnis sein, die BesucherInnen aus dieser Ausstellung mitnehmen. Dazu ist das, was dort präsentiert wird, viel zu befremdlich. Höchstens lernen sie, besser keine "Erlösungshoffnungen" zu hegen.

Cornelia Siebeck

Die Ausstellung läuft noch bis zum 27. Februar im Deutschen Historischen Museum. Siehe www.dhm.de