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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 557 / 21.1.2011

Aufgeblättert

NS-Falschgeldaktion

Durch den preisgekrönten Film "Der Fälscher" wurde ein bisher wenig beachtetes Kapitel der NS-Verbrechensgeschichte bekannt. Im Rahmen der "Operation Bernhard" mussten jüdische Zwangsarbeiter im KZ-Sachsenhausen Falschgeld herstellen. Florian Osuch hat sich in der Abschlussarbeit seines Diplomingenieur-Studiums im Bereich Drucktechnik diesem Thema gewidmet. Das daraus entstandene Buch beginnt mit einem kurzen historischen Exkurs über die Geschichte von Geldfälschungen seit der Antike. Osuch arbeitet die besondere verbrecherische Qualität der NS-Falschgeldaktion heraus, die in einem abgeschirmten Bereich im KZ Sachsenhausen durchgeführt wurde. 142 Drucker, Graveure und Schriftsetzer wurden zwischen 1942 und 1944 in die Fälscherwerkstatt verschleppt; sieben erkrankte Häftlinge wurden von der SS erschossen. Die Nazis wollten mit der Falschgeldaktion zunächst Großbritannien und später auch die USA ökonomisch destabilisieren. Mit der absehbaren Niederlage des NS-Regimes dienten die gefälschten Geldmengen auch dazu, NS-Verantwortlichen die Flucht nach Spanien oder Lateinamerika zu erleichtern. Adolf Burger, einer der letzten Überlebenden der "Operation Bernhard", mit dem Osuch Gespräche führte, berichtet auch, wie die Zwangsarbeiter unter Lebensgefahr den Druck des Falschgeldes verzögerten und so einen Beitrag zum Widerstand leisteten. In seinem Fazit kommt Osuch zu dem Schluss, dass die "Operation Bernhard" der britischen Ökonomie beträchtlichen Schaden zugefügt hat. Noch in den 1950er Jahren mussten zahlreiche Geldscheine aus dem Verkehr gezogen werden. Im Anhang listet Osuch die Namen von 70 an der Falschgeldaktion federführend beteiligte NS-Tätern auf. Es wäre lohnend zu erforschen, wie viele davon später das Falschgeld für den Einstieg in die Post-NS-Ära nutzten.

Peter Nowak

Florian Osuch: "Blüten" aus dem KZ. Die Falschgeldaktion "Operation Bernhard" im Konzentrationslager Sachsenhausen. VSA-Verlag, Hamburg 2009. 136 Seiten, 12,80 EUR

Euro-Krise

Andreas Wehr ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der linken Fraktion GUE/NGL im Europäischen Parlament und Koordinator für Wirtschaft und Währung. Der Euro, die europäische Währung, geriet 2010 unter Druck. Sinnbildlich dafür steht die Finanzkrise Griechenlands, der sich Wehr in seinem neuen Buch widmet. Verantwortlich für die Euro-Krise ist nicht zuletzt Deutschlands exportorientiertes Wirtschaftsmodell. Wehr weist zu Recht auf die andere Seite der Medaille hin: Deutsche Banken kauften im Gegenzug zu den exportierten Waren Finanzschrott aus den USA. Auch wenn Wehrs Rückgriff auf die Theorie des staatsmonopolistischen Kapitalismus problematisch ist, liegt er mit seinem Punkt richtig: Die Finanzblase, die 2008 platzte, ist zwar in den USA gewachsen, war aber nur aufgrund der bekannten Praxis deutscher Geschäfts- und Landesbanken möglich. Die Folgen sind bekannt: Die Finanzkrise stürzte die EU und auch den Euro in eine tiefe Krise. Wehr stellt kurz die Finanzkrisen in Lettland, Island, Spanien dar und diskutiert ausführlicher den "Fall Griechenland". Er beschreibt auch die disziplinierende Politik von IWF und EU und zeigt den eigentlichen Grund der Finanzkrise 2.0: Europäische Banken haben nicht nur in den US-Immobilienmarkt investiert, sondern auch die europäischen Staaten mit Krediten versorgt. Der Rettungsschirm und die Hilfen für Griechenland zielten vor allem auf die Rettung der Vermögen großer europäischer Banken. Dass es mit der internationalen Solidarität nicht weit her ist, zeigt Wehr anhand der Diskussionen in Deutschland. Die rassistische Hetze gegen "die Griechen" spiegelt sich in einer zunehmenden Abkehr der deutschen ökonomischen und politischen Elite von Europa: "Ein bedingungsloses Ja zu Europa ist nicht länger Staatsräson." Insgesamt ein lesenswertes Buch zum Euro-Krisenjahr 2010 und sicherlich auch 2011 nicht überholt.

Ingo Stützle

Andreas Wehr: Griechenland, die Krise und der Euro. Papyrossa Verlag, Köln 2010. 154 Seiten, 12,90 EUR

Opfer rechter Gewalt

Nur etwa ein Drittel der 140 Todesopfer rechter Gewalt seit 1990 ist in den offiziellen deutschen Statistiken berücksichtigt. Öffentlich gemacht wurden die Hintergründe vieler Tötungsdelikte nicht durch Polizei und Gerichte, sondern durch Antifa-Gruppen und unabhängige JournalistInnen. Die Redaktion des Antifaschistischen Infoblattes (AIB) beschreibt im Schwerpunkt ihrer aktuellen Ausgabe einige Fälle, in denen Gerichte "politische Hintergründe" der Taten nicht erkennen wollten, obwohl diese offensichtlich waren. Z.B. im Fall des Dortmunder Neonazis Sven Kahlin, der 2005 einen Punk mit einem Messerstich ins Herz getötet hatte. Kahlin wurde zu sieben Jahren Haft wegen Totschlags verurteilt, kam aber schon im September 2010 frei. Für die Naziszene in NRW ist er ein Märtyrer; während der Haft schickte er seinen "Kameraden" eine Grußbotschaft. In dem redaktionellen Beitrag mit dem Titel "Tote ohne Anerkennung", der den AIB-Schwerpunkt eröffnet, wird auch auf die Verantwortung der radikalen Linken für die Anerkennung von Todesopfern rechter Gewalt hingewiesen. Weitere Beiträge im Schwerpunkt beschäftigen sich mit Reaktionen und Gedenkkulturen nach Neonazi-Morden, der häufigen Ohnmacht der Justiz im Umgang mit Neonazi-Schlägern und vergessenen Opfern rechter Gewalt. Abgeschlossen wird das Titelthema durch eine Analyse zum Neonazi-Terror der 1980er Jahre in der alten BRD sowie einen Artikel zum Oktoberfest-Attentat vor 30 Jahren. In einem Diskussionsbeitrag wird die aktuelle Debatte zum Extremismusbegriff aufgegriffen. Auch der gängige Begriff "Rechtsextremismus" müsse hinterfragt werden, schreiben die AutorInnen.

Js.

Antifaschistisches Infoblatt (AIB) Nr. 89, Winter 2010/2011. 60 Seiten, 3,10 EUR; www.antifainfoblatt.de

Deutsche Geschichte

Der weltberühmte israelische Historiker Saul Friedländer nennt ihn einen Freund, verschweigt aber nicht seine grundlegenden Differenzen mit dem deutschen Kollegen: Hans Mommsen deutet die Shoah, den Mord an den europäischen Jüdinnen und Juden, nach wie vor im Sinne eines "extremen Funktionalismus" - als Werk diverser konkurrierender Instanzen des NS-Regimes, ohne zentrale Steuerung. Das wird auch in Mommsens neuestem Buch deutlich, in dem insgesamt 20 Aufsätze "zur Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert" (Buchtitel) versammelt sind. Es gliedert sich in vier Teile: "Von Weimar zum Dritten Reich", "Hitlers Aufstieg und Monopolisierung der Macht", "Krise und Zerfall des Dritten Reiches", "Der Widerstand im Dritten Reich". Nur ein geringerer Teil der Texte wurde bereits früher veröffentlicht. Ihre Auswahl kann auch als Bilanz eines Forscherlebens verstanden werden. Bei oberflächlicher Lektüre könnte der Verdacht apologetischer Tendenzen aufkommen - erst kürzlich hatte Mommsen die umfangreiche Studie über die Verbrechensgeschichte des Auswärtigen Amts als zu pauschal kritisiert. Dennoch lohnt die Auseinandersetzung mit seinen Thesen, etwa über den "Mythos der Volksgemeinschaft" oder über den bürgerlichen Widerstand, dessen Beschränkungen er durchaus sieht.

Js.

Hans Mommsen: Zur Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert. Demokratie, Diktatur, Widerstand. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2010. 399 Seiten, 24,90 EUR