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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 557 / 21.1.2011

Geschichte wird gemacht

Mit Opfermythen brechen! Neonazis kaltstellen!

Den "Naziaufmarsch endgültig Geschichte werden zu lassen", ist das erklärte Ziel der Mobilisierung nach Dresden. Ein Stück Vergangenheit also, nichts mehr, womit man sich rumärgern müsste. Ja, das wär schon was! Der Anfang war durchaus vielversprechend: Rund 12.000 Menschen verhinderten am 13. Februar 2010 an verschiedenen Stellen der Stadt auf unterschiedliche Art und Weise ein Durchkommen der Neonazis. Deren Vorstellung von Geschichte zeigte sich bis dahin alljährlich in immer größer werdenden Aufmärschen. Bis zu 7.000 Neonazis zogen schweigend im sogenannten Trauermarsch durch die Stadt. "Die Toten von Dresden sind unsere Mahnung. Ihr Opfer ist unser Auftrag", schreiben sie auf ihre Transparente. Geschichte wird hier zu einer mythisch verklärten Erzählung, in der die Alliierten Deutschland zunächst den Krieg aufzwangen, um dann via Luftangriff zu versuchen, die "deutsche Volksseele auszulöschen". Und diese Geschichte wirkt in ihren Augen bis heute - vermittelt in "Schuldkult" und einem Zeitgeist, der versucht, die Wiederauferstehung des "wahren Deutschlands" zu verhindern.

Geschichte findet sich aber nicht nur in der Konkretisierung solch kruder Vorstellungen auf der Straße. Ein ganz anderes Gesicht zeigt sie in den Kulissen solcher Schauspiele - zum Beispiel in der Dresdner Altstadt. Um sie zu schützen, ist die Oberbürgermeisterin der Stadt, Helma Orosz, angetreten. Im letzten Jahr folgten viele ihrem Aufruf zu einer Menschenkette, die zwar hauptsächlich symbolisch war, von der ausgehend sich jedoch viele an den Massenblockaden auf der anderen Elbseite beteiligten. Das wird in diesem Jahr anders sein. Zwar soll sich die Menschenkette am diesjährigen 13. Februar über beide Seiten des Flusses erstrecken. Doch der "große" Naziaufmarsch ist für den 19. Februar geplant, der "Fackelmarsch in den Abendstunden des 13." wird wohl - so er denn durchgeführt werden kann - fern der Dresdner Innenstadt stattfinden.

Was dann bleibt, ist das Gefühl, auf der richtigen Seite des Gedenkens zu stehen. Ein Gedenken, in dem ausgerechnet Deutsche ihre Hand wohlwollend den europäischen Nachbarn zur Versöhnung hinhalten. Geschichte ist dabei alles andere als nur "von gestern". Geschichte ist die interpretatorische Rekonstruktion dieses Gestern mit einer direkten Verknüpfung zum Heute - und nach Möglichkeit auch zum Morgen. Sie ist das gesellschaftliche Ringen um die Deutung von Vergangenheit. Der Bezug auf sie ist alles andere als Zufall. Orte und Jahrestage werden bewusst gewählt, die Politik mit der Erinnerung verfolgt das Ziel der eigenen Standortbestimmung, der Bewusstmachung seiner selbst, der Produktion von Identität und Sinn. So können - je nachdem - TäterInnen zu Opfern umgedeutet oder "Lehren" aus der Vergangenheit gezogen werden, die innen- oder außenpolitische Ziele legitimieren sollen.

Das Streben nach der Deutungshoheit hat jedoch viele Facetten. Sie flimmern über unsere Fernseher, zeigen uns Hitler, den Verführer, und transportieren das beruhigende Gefühl, dass der große Rest mindestens Opfer der Verhältnisse war - selbst als Täter. Sie finden Eingang in museale Verarbeitungen, die uns zeigen, dass die massenhafte Zustimmung zum Nationalsozialismus letztlich in den Erlösungshoffnungen der Deutschen begründet lag. Oder sie werden in Stein gehauen, um als Erinnerung an die "Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft" den Deutungsrahmen für das Jetzt festzuschreiben. Mehr dazu auf den Themen-Seiten 13-16.