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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 558 / 18.2.2011

Am Rande des Vulkans

Israel/Palästina und der arabische Aufstand

Das Verhalten der relevanten Akteure in der aktuellen Umbruchphase lässt in fast zeitlupenhafter Deutlichkeit Rückschlüsse auf ihr politisches Kalkül zu - selten war das ganze Elend der Lage in Israel/Palästina so offenkundig wie in diesen Tagen. Während die israelische Regierung weiter auf Mubarak setzt, reagieren auch die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) und die Hamas-Regierung in Gaza gereizt auf die Umbrüche in Tunesien und Ägypten. Hoffnungen auf einen "palästinensischen Frühling" dürften sich so schnell nicht erfüllen.

Während der von Tunesien ausgehende Aufstand weitere arabische Länder erfasste, diskutierten Israelis und PalästinenserInnen über die vom britischen Guardian und dem katarischen Fernsehsender Al-Dschasira veröffentlichten Palestine Papers. Die Enthüllungen über die gescheiterten Verhandlungsrunden zwischen der palästinensischen Autonomiebehörde (PA) und der israelischen Regierung lassen an Deutlichkeit nichts zu wünschen: Die palästinensischen Unterhändler um Muhammad Abbas waren gegenüber dem damaligen Premierminister Olmert zu an Selbstaufgabe grenzenden Zugeständnissen bereit, die Yasir Arafat im Jahr 2000 in Camp David noch abgelehnt hatte. Diese betrafen Kernfragen wie das palästinensische Rückkehrrecht sowie die israelischen Siedlungen im Westjordanland und Ostjerusalem.

In der palästinensischen Bevölkerung dürfte dies kaum für Überraschung gesorgt haben. Denn wer wie die PA in Sicherheitsfragen seit Jahren eng mit Israel kooperiert und sogar gezielte Liquidierungen ausgewählter palästinensischer Aktivisten mit der Besatzungsmacht koordiniert, wer aus kleinmütigem Machtkalkül mit Israel gegen die Hamas-Regierung in Gaza intrigiert, dessen politisches Kapital ist schon lange aufgebraucht. Zählt man noch die sprichwörtliche Korruption der PA und ihren autoritären Regierungsstil dazu, so stellt sich die PA für alle sichtbar als williger Vollstrecker des von Israel seit Oslo etablierten Herrschaftssystems dar, nicht aber als glaubhafte Vertreterin palästinensischer Interessen.

Eher schon dürften Israelis sich angesichts dieser Enthüllungen die Augen gerieben haben. Im Sommer 2000 war der israelische Verhandlungsführer Ehud Barak von den gescheiterten Verhandlungen in Camp David nach Hause zurückgekehrt und hatte vom eigenen Versagen abgelenkt, indem er die seitdem tausendfach wiederholte Mär von dem auf der palästinensischen Seite angeblich fehlenden Partner in die Welt setzte. Israelische KommentatorInnen halten selbst nach Veröffentlichung der Palestine Papers an dieser Version fest, indem sie auf noch nicht im Sinne der israelischen Maximalforderungen geklärte Punkte verweisen.

Israel auf "der falschen Seite der Geschichte"?

Dennoch gingen in Israel keine Massen auf die Straße, um gegen die Untätigkeit und die dreisten Lügen der Regierung zu protestieren. Kassandrarufe von Haaretz-Journalisten wie Gideon Levy werden routiniert überlesen, die Diskussion dreht sich längst um wichtigere Dinge, wie etwa die von der Regierung Netanjahu gegen geltendes Recht initiierte Überprüfung linker israelischer NGOs durch einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss oder die mittlerweile annullierte Nominierung eines neuen Generalstabschefs namens Galant, dem massive Korruption und kriminelle Energie beim Erwerb und Bau eines privaten Luxusanwesens nachgewiesen wurden. Doch auch derlei Enthüllungen sorgen nicht mehr wirklich für Aufregung, seitdem in Ägypten ein Volksaufstand ausgebrochen ist, der dort die alte Ordnung ernsthaft in Gefahr bringt.

Denn die Ereignisse in Tunesien, vor allem aber in Ägypten sind geeignet, in Israel alle Alarmglocken schrillen zu lassen: Wer seit Jahren von einer angestrebten strategischen Allianz so genannter gemäßigter arabischer Staaten mit Israel gegen den bösen Iran und überhaupt gegen alle IslamistInnen dieser Welt fantasiert, der hat tatsächlich Grund zur Sorge, wenn ausgerechnet jene "gemäßigten" Regime von den unter ihrer Knute leidenden Bevölkerungen als korrupte Despoten vom Hof gejagt werden. Die strategische Stärke Israels in der Region beruht neben seiner Allianz mit den USA und seiner hochmodernen Armee vor allem auf dem 1978 geschlossenen Friedensvertrag mit Ägypten sowie auf den im Laufe der Oslo-Jahre geschlossenen Verträgen mit der PA und mit dem jordanischen Königreich.

Sollte in Ägypten eine demokratisch legitimierte und gegenüber Israel deutlich kritischer eingestellte Regierung an die Macht kommen, so bricht ein zentraler Pfeiler der israelischen Außen- und Verteidigungspolitik weg. Das Festhalten an Mubarak und die larmoyanten Warnungen israelischer PolitikerInnen vor einer aus ihrer Sicht vorschnellen Parteinahme westlicher Regierungen für die Aufständischen vom Kairoer Tahrir-Square ("Platz der Befreiung") sind also einerseits verständlich. Doch sollte sich hier wirklich eine mit 1989 vergleichbare Zeitenwende in der arabischen Region manifestieren, wie optimistische Stimmen behaupten, so könnte sich diese Haltung der israelischen Regierung noch als Bumerang erweisen. Dann könnte Israel sich unwiderruflich auf "der falschen Seite der Geschichte" positionieren, mit negativen Folgen für seine zukünftigen Beziehungen zu den arabischen Nachbarn.

Wird der nordafrikanische Funke auch auf die palästinensischen Gebiete überspringen und zu einem Aufstand sowohl gegen die PA als auch gegen die Hamas-Regierung in Gaza führen? Beide sind korrupt und autoritär, und beide reagieren tatsächlich nervös auf die aus Kairo strömende frische Brise. So wurden Solidaritätsdemos junger PalästinenserInnen in beiden palästinensischen Teilgebieten von den jeweiligen Sicherheitskräften rigoros unterbunden. Gleichzeitig hat die PA überraschend für Juli dieses Jahres Kommunalwahlen angesetzt. Ob sie je stattfinden werden, steht in den Sternen, da die Hamas umgehend mitteilte, derlei Wahlen zu boykottieren.

Doch Hoffnungen auf einen palästinensischen Frühling dürften sich aufgrund der spezifischen Rahmenbedingungen ohnehin so schnell nicht erfüllen. Denn ein Aufstand gegen die PA wäre letztlich auch einer gegen die israelische Besatzung. Auch eine demokratischere Regierung im Gazastreifen würde Israel bedrohen, insofern sie das Embargo gegen die Enklave international zunehmend weniger vermittelbar erscheinen ließe. Wer schon Mubarak gegenüber einer demokratischen ägyptischen Regierung bevorzugt, würde wohl auch eine palästinensische zivilgesellschaftliche Intifada bekämpfen. Die aus den innenpolitischen Machtverhältnissen resultierende Verweigerung einer politischen Lösung des Nahostkonfliktes wird das Land in der Region in Zukunft noch stärker als bisher isolieren. Wie lange wollen Israelis noch am Rande dieses Vulkans leben?

Achim Rohde