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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 558 / 18.2.2011

Embedded Feminism

Sind die Forderungen der Frauenbewegung verwirklicht?

Applaus von allen Seiten: Ja sicher sollen Frauen gleichgestellt sein, keine Frage! Doch auch wenn alle eifrig nicken - die strukturelle Benachteiligung der Frauen ist keineswegs beseitigt, eine konsequente Gleichstellungspolitik nicht in Sicht. Dennoch haben sich feministische Themen in den letzten Jahren auf vielfältige Weise in den gesellschaftlichen Mainstream vorgearbeitet. Wer sind die ProtagonistInnen, und was sind die Gründe für diese neue Sichtbarkeit?

Der Feminismus hat sich in den letzten zehn bis 15 Jahren Jahren in beeindruckender Weise von einem Bäh-Wort zur bewussten Selbstbezeichnung vieler junger, aber auch erwachsener Frauen entwickelt. Die Feminismus-Verarsche existiert zwar weiterhin in den Büros, Theaterbühnen und Fernsehanstalten dieser Welt, wird aber zunehmend hinter vorgehaltener Hand formuliert. Diese Verschiebung in der Alltagswelt ist nur ein Aspekt, der darauf schließen lässt, dass ausgewählte feministische Forderungen in die Mitte der Gesellschaft vorgedrungen sind. Nachvollziehen lässt sich dies anhand der frauenpolitischen Positionen in Politik, Kultur und Medien, die in den letzten Jahren immer mehr Raum einnehmen. Im Folgenden geht es um diese Themen und die Gründe für die neue Sichtbarkeit.

ProtagonistInnen des zeitgenössischen Feminismus

Das zentrale Thema öffentlicher frauenpolitischer Auseinandersetzungen ist ganz klar: die berufstätige Frau. Ihre Benachteiligung steht seit geraumer Zeit im Zentrum gesellschaftlicher Debatten. Es wird über Frauenquoten in Vorständen und Aufsichtsräten diskutiert, über Lohngerechtigkeit, fehlende flexible Arbeitszeitmodelle und zu wenig Krippenplätze für den Nachwuchs. Doch das wichtigste Argument dabei ist nicht ökonomische Unabhängigkeit von Frauen. Schwerer wiegen die positiven Effekte für wirtschaftliche Produktivität und Effizienz, die die Gleichbehandlung der Humanressource Frau angeblich bringen soll. Das Argument der Gleichstellungsbeauftragten, wonach die Einbindung von Frauen der Wirtschaft nützen soll, hat sich durchgesetzt.

Auch abseits der Arbeitswelt hat sich einiges bewegt. So wird wieder verstärkt über die Wechselwirkung von Medien-Darstellungen und gesellschaftlichen Prozessen diskutiert, zum Beispiel bei sexistischer Werbung: Jahrzehntelang als Einzelmeinung mieselsüchtiger Emanzen abgetan, stoßen Verbotsforderungen für herabwürdigende Menschendarstellungen in der Werbung plötzlich auf offene Ohren. In einigen Ländern wie Norwegen und Island existiert bereits ein Verbot, nun will die EU nachziehen.

Mit ähnlichen Fragen beschäftigen sich auch Kulturproduktionen, wobei hier zwei Ansätze im Widerstreit miteinander stehen. Der eine schließt inhaltlich an das Bild-Verbot für Werbung an. Feministinnen wie Myrthe Hilkens ("Mc Sex") oder Ariel Levy ("Female Chauvinist Pigs"; siehe ak 553) kritisieren die Sexualisierung in der visuellen Massenkultur, die zumindest für den weiblichen Körper sogar einer Pornografisierung gleichkommt. Sie warnen davor, Promiskuität als Zeichen für Emanzipation misszuverstehen. Table-Dance-Kurse für die Sekretärin und der wachsende Druck zu glatt rasierten Genitalien seien jedenfalls keine Indizien für die sexuelle Selbstbestimmung von Frauen, so die Autorinnen.

Die "Sex Positive"-Bewegung predigt das genaue Gegenteil, nämlich die selbstermächtigende Aura sexueller Posen. Seinen glanzlosen Höhepunkt erreichte dieser Ansatz unlängst in der Hollywood-Schmonzette "Burlesque" mit Cher und Christina Aguilera in den Hauptrollen. Anhand dieses Films zeigt sich, wie schnell eine subkulturelle, Konventionen hintertreibende, ironische sexuelle Praxis ihrem Kontext entrissen und in den Pop-Mainstream integriert werden kann.

Doch auch im Bereich, der zwischen den eingefahrenen Geschlechtererscheinungen und -rollen liegt, hat sich einiges getan. Die Vielzahl queerer Clubs und Partys zum Beispiel lässt auf breitere gesellschaftliche Akzeptanz les-bi-schwuler und transidenter Lebensentwürfe schließen. Die Verweigerung der traditionellen sexuellen Normen hat im Club seine hedonistische Entsprechung gefunden. Sie zieht inzwischen auch ein breites heterosexuelles Publikum an.

Eine in dieser Form neue Entwicklung ist dagegen die Selbst-Zuschreibung des Westens, das Projekt der Emanzipation in Bezug auf Geschlecht als auch Sexualität zu repräsentieren und zu einem befriedigenden Ende gebracht zu haben. Diese Selbstvergewisserung funktioniert nach dem Differenz-Gesetz, wonach der Westen emanzipiert ist, weil es etwa der arabische Raum nicht ist. Mit diesem banalen Umkehrschluss entwickelte sich ein neuer Identitätszug, der auch militärisch verteidigt wird. George W. Bush und seine Verbündeten betonten immer wieder, dass vor allem die unterdrückten afghanischen Frauen von der "Befreiung" durch den Westen profitieren würden. Die Folge war, dass im vergangenen Jahrzehnt erstmals unter frauenpolitischen Vorzeichen Kriege geführt wurden. Krista Hunt hat hierfür den Begriff des embedded feminism geprägt. Das gleiche Problem ist am Werke, wenn immer mehr rechte Parteien feministische Anliegen für ihre Zwecke nutzen. So warb die österreichische FPÖ bereits bei der Wien-Wahl 2005 mit dem Spruch "Freie Frauen statt Kopftuch-Zwang".

Rechte Instrumentalisierung feministischer Anliegen

Es wäre sicher übertrieben zu behaupten, dass Feminismen anno 2011 in aller Munde sind. Dennoch denke ich, dass man von einer neuen Sichtbarkeit feministischer Positionen sprechen kann. Die Gründe hierfür können an dieser Stelle nur angedacht bzw. angerissen werden.

Von großer Bedeutung ist sicher der wachsende Einfluss internationaler politischer Organisationen und Zusammenschlüsse auf die Politiken der Nationalstaaten. Die EU-Kommission zum Beispiel hat sich in den letzten Jahrzehnten zum Motor der Gleichstellungspolitik in der Europäischen Union entwickelt: Auf ihre Initiative hin sind Maßnahmen für mehr Krippenplätze ("Barcelona-Ziele") und ein umfassender Anti-Diskriminierungsschutz für ArbeitnehmerInnen entstanden, und auch die aktuellen Frauen-Quoten-Diskussionen gehen auf ihre Vorgaben zurück. Was die EU-Kommission als Schwerpunkt in der Gleichstellungspolitik definiert - aktuell der Kampf um Frauenquoten und Lohngerechtigkeit oder das Verbot sexistischer Werbung - wird früher oder später ein Thema in den Nationalstaaten.

Auch die Strukturen in den Medien waren in den letzten zehn Jahren starken Veränderungen ausgesetzt. Zentral ist hier die Demokratisierung der Vertriebskanäle, angestoßen durch die digitale Revolution. Im Internet gibt es nun unendlich viel Raum für Themen, die in den bürgerlichen Print-Zeitschriften ein Nischen-Dasein fristeten. Eigenständige feministische Online-Medien wie das österreichische dieStandard.at oder auch migrazine.at entstanden, und politische Blogs machten das Medien-Terrain durchlässiger für kritischen Journalismus. Seit gut zwei Jahren gibt es auch im Printbereich eine eigene popfeministische Publikation, die solidarischen Feminismus mit hedonistischer Attitüde an jedem Bahnhofskiosk anbietet: das Missy-Magazine (siehe Seite 15).

Die Gründe für die neue Sichtbarkeit

All diese Entwicklungen geschahen unbemerkt vom medialen Male-Stream, der bis heute gern verbreitet, dass Feminismus für junge Frauen keine Rolle mehr spiele bzw. nur mehr in Form eines stets gut gelaunten Postfeminismus. Tatsächlich haben sich Mädchen und Frauen aber auch in den 1990ern für Gleichstellung und Gerechtigkeit interessiert. Heute befinden sich diese Frauen in Positionen, in denen sie ihren Überzeugungen Platz einräumen können, wenngleich noch überwiegend in sogenannten Nischenmedien und -kulturen. Je stärker diese alternative Medien werden, desto größer wird auch der Druck auf die etablierten Medien, diese Themen besser abzudecken.

Eng mit den Veränderungen in der Medienwelt verknüpft ist der Zuwachs an feministischen Rollenbildern in der Pop-Kultur. Künstlerinnen wie die Gossip-Frontfrau Beth Ditto oder die schwedische Dancefloor-Chronistin Robyn sind nicht mehr nur die Stars einer kleinen feministischen Subkultur, sondern strahlen weit über die Grenzen dieser Szene hinaus.

Der Einzug feministischer Inhalte in die gesellschaftliche Mitte hat auch jene energetisiert, die Gesellschaftskritik grundsätzlicher formulieren. Linke und autonome Feministinnen reagieren auf die integrationistische Frauenpolitik und die Vereinnahmungsversuche der Rechten und befeuern so die Diskussion. Die Auseinandersetzungen über feministische Positionen werden vielstimmiger, vor allem in den Nischen-Medien und politischen Organisationen. So wird die Integration von Frauen in einen diskriminierenden Arbeitsmarkt heute auch als Teilaspekt des neoliberalen Gesellschaftsumbaus diskutiert. Und die Bemühungen zur Steigerung der Frauenquoten in den Vorständen sind zwar schön und gut, aber grundsätzlich elitär und weit davon entfernt, unternehmerische Strukturen und Ziele in Frage zu stellen. Auf die Einpassung feministischer Argumente in die internationale Kriegsmaschinerie reagiert bisher vor allem die akademische Welt, Theoretikerinnen wie Judith Butler etwa, indem sie post-koloniale Positionen in den Internationalen Beziehungen stärker rezipieren. Und rechten Vereinnahmungsversuchen begegnen Aktivistinnen heute dadurch, dass sie antirassistische und antisexistische Anliegen verknüpfen.

Die Antwort auf die Frage, ob die neue feministische Sichtbarkeit ein Sieg der Emanzipationsbewegungen ist, muss ambivalent ausfallen. Linke, kapitalismuskritische Positionen werden vom Mainstream weiterhin ignoriert. Das gleiche gilt für dekonstruktivistische Ansätze mit Ausnahme der (hippen) Queerbewegung. Erkennbar ist hingegen, dass sich die meisten von Medien und Politik aufgegriffenen feministischen Anliegen mit der sozialen Situation von Frauen beschäftigen. Die Zuspitzung von Verteilungsfragen vor allem in der Arbeitswelt, wo Frauen nach wie vor strukturell benachteiligt werden, könnte ein Grund dafür sein. Zudem kollidiert Diskriminierung mit dem neoliberalen Ideal der Leistungsgerechtigkeit, dem sich vor allem die internationalen Organisationen verschrieben haben. Es zeigt sich, dass breitere gesellschaftliche Diskussionen nicht unbedingt dazu führen, dass sich auch wirklich etwas verändert. Es wird sich zeigen, ob "lautes Totschweigen" die neue Methode der Mächtigen ist.

Ina Freudenschuß