Queer, flexibel, erfolgreich
Haben dekonstruktive Ansätze den Feminismus entwaffnet?
Der Feminismus - verpoppt, verflacht, verwässert? Die dekonstruktiven Gender Studies klagen zu Unrecht über die Transformation des Feminismus in ein popkompatibles Lifestyle-Projekt, meint Tove Soiland. Denn sie haben die Frage nach der Position der Frau in der kapitalistischen Ausbeutung selbst durch die Kritik an rigiden Geschlechternormen ersetzt und damit ökonomische Verhältnisse in kulturelle Zuschreibungen umgedeutet. Die dabei propagierten queeren Lebensweisen entsprächen perfekt den Bedürfnissen des flexiblen Kapitalismus.
Dass sich die Verwendung von Begriffen nicht reglementieren lässt, wissen wir spätestens seit den Lektionen der Dekonstruktion. Ein Begriff, der das gewissermaßen am eigenen Leibe erfahren muss, ist sinnigerweise der Feminismus selbst. Er taucht heute an vielen verschiedenen Orten auf, an zu vielen, wie manche meinen. Feminismus ist sexy, macht das Leben schöner, will sich dem in der Pharmaindustrie tätigen Globalplayer ebenso andienen wie der selbstbewussten Karrierefrau. Er hat Bravo in Missy Magazine verwandelt und dient Ladies Drive, dem "weltweit ersten Frauenmagazin für Business and Cars", als ultimativer Kick. Und nicht zuletzt ist er für die Wohlfahrtsstaatsreformer zur Leitdisziplin ersten Ranges aufgestiegen: Frauen auf den Arbeitsmarkt! Was also will eine altgestandene Feministin mehr?
Gender Studies beklagen Postfeminismus - warum?
Beim neuen oder "Postfeminismus" handle es sich, so lassen die Gender Studies verlauten, mindestens um eine Verflachung oder Verwässerung der ursprünglichen Anliegen, wenn nicht gar um ihre Entwendung. Zwar würden durchaus einzelne Elemente des Feminismus aufgenommen, doch nur, um den Feminismus als solidarisches Projekt umso nachhaltiger abzuwickeln. Mit Erstaunen nimmt man zur Kenntnis, wer hier nun plötzlich den Feminismus verteidigt. Erstaunlich ist das deshalb, weil bis vor kurzem, sagen wir bis vor ca. fünf Jahren, Feminismus an den universitären Gender Studies das Buhwort schlechthin war. Eine Gedächtnislücke? Ein Missverständnis? Um welchen Feminismus handelt es sich?
Nehmen wir ein viel beachtetes Buch zur Hand: Angela McRobbies "Top Girls", das im letzten Jahr auf deutsch übersetzt wurde. Ohne McRobbies empirische Leistungen auch nur im Geringsten schmälern zu wollen, verblüfft das Buch durch eine eindrückliche theoretische Ungereimtheit. Es durchstöbert akribisch die mannigfaltigen postfeministischen Phänomene, die sich in Regierungsprogrammen und in der Popkultur finden. Seine theoretische Bezugsgröße bleibt dabei ganz arglos: Judith Butler. Kein Wort dazu, dass ihre frühen Schriften als die ersten theoretischen Manifeste des Postfeminismus galten.
Zwar wird an zwei Stellen die theoretische Selbstabschaffung des Feminismus an den Universitäten erwähnt, doch es folgt keine Reflexion darüber, was diese beiden Dinge miteinander zu tun haben könnten oder ob nicht möglicherweise das Eine dem Andern Vorschub leistete. Stattdessen stoßen wir auf die etwas gewagte These, die symbolische Ordnung fühle sich von Judith Butlers Schriften herausgefordert und integriere Teile ihrer Heterosexualitätskritik, um sie so zu entschärfen.
Mit dieser Deutung reagiert McRobbie auf den für jeden queerfeministischen Standpunkt schwierigen Umstand, dass sich Judith Butlers These von der heterosexuellen Matrix als unserem Unterdrücker Nummer eins angesichts der weit reichenden Liberalisierung sexueller Verhaltenweisen heute kaum mehr aufrechterhalten lässt. Die Argumentation wirkt hilflos, und sie ist symptomatisch. Denn sie verweist auf eine große theoretische Leerstelle in der ganzen gegenwärtigen Debatte und führt ins Zentrum einer brisanten Frage, die bereits eine Rezensentin in dieser Zeitung aufgeworfen hat. Die Frage nämlich, "wie es dazu kam, dass sich herrschaftskonforme geschlechterpolitische Stimmen heute in verschiedenster Weise als Erben der Frauenbewegung darstellen können" (ak 553).
Blickt man auf die Theoriegeschichte des hier implizit als einzig möglich gesetzten Feminismus, dessen Hauptgegenstand die Kritik an der heterosexuellen Matrix und dessen wichtigstes Anliegen die Überwindung der Zweigeschlechtlichkeit ist, so wird man vielleicht eine Antwort auf genau diese Frage finden. Die Elemente, die hier als postfeministisch gebrandmarkt werden, entstammen im Wesentlichen ebendieser Theorie. Die Unterscheidung in einen guten theoretischen Postfeminismus und einen schlechten popkulturellen ist damit kaum haltbar.
Werfen wir also einen Blick zurück. Das hier zur Diskussion stehende Verständnis des Feminismus ist im Rahmen der Cultural Studies in den USA entstanden, die sich seit den 1980er Jahren - in Absetzung von ihren eigenen Wurzeln - zunehmend in Distanz zu den gesellschaftstheoretischen Ansätzen des Marxismus brachten. Nicht die Analyse kapitalistischer Ausbeutungsverhältnisse und die spezifische Position von Frauen darin standen nun im Zentrum der Aufmerksamkeit, sondern die Befragung dieser Kategorien selbst. Leitend hierfür war eine Vorstellung von Herrschaftsverhältnissen, die die in ihnen wirksame Macht vor allem als Disziplinierung verstand - oder, noch grundlegender: als Mechanismen, die bestimmte Subjektpositionen hervorbringt. Diese seien selbst noch in ihrer Physis als Effekt bestimmter normativer Anforderungen zu begreifen. Was so entstand, kann man mit Rosemary Hennessy als cultural materialism, als einen kulturellen Materialismus bezeichnen, der den historischen Materialismus des Marxismus ersetzte.
In diesem Kontext waren es denn auch vor allem die Themen der sexuellen Unterdrückung, die in eine besondere Konkurrenz zum Marxismus traten; insbesondere die Vergeschlechtlichung von Subjektpositionen wurde als ein solch machtgeleiteter Prozess der Materialisierung aufgefasst. In der Folge wurden nicht nur Fragen der sexual politics, also der sexuellen Verhaltensweisen, Begehrensformen und Geschlechtsidentitäten, in der Tendenz wichtiger als Fragen der Ausbeutung. Sexuelle Verhältnisse wurden nun zunehmend nicht mehr in ihrer Wechselwirkung mit den Produktionsverhältnissen gesehen. Stattdessen fand eine Art Umschrift statt, die auch ökonomische Verhältnisse als Identitätszuweisungen umdeutete. Das geschlechtsspezfische Rollenverhalten, nicht die ökonomischen Verhältnisse, war nun plötzlich für die Ausbeutung verantwortlich. Dass Feminismus heute vor allem dies meint: sexual politics, und damit allzu selbstverständlich als Identitätspolitik erscheint, hat darin seinen Grund.
Kulturelle Wende in der feministischen Theoriebildung
Diese Verknüpfung von Feminismus mit sexual politics, um nicht zu sagen: die einseitige Verpflichtung des Feminismus auf dieses Projekt ließ erst die Frage des Subjekts des Feminismus - und damit das solidarische Projekt - prekär werden. Dass die Dekonstruktion des feministischen Subjekts wichtiger wurde als die Artikulation einer nach wie vor bestehenden kollektiven Betroffenheitslage, ist nur im Kontext dieser spezifischen theoretischen Entwicklung an den Universitäten zu verstehen. Es war die explizite Frontstellung gegenüber dem Marxismus und seiner Analysen der Produktionsverhältnisse, die jene Betonung der Differenzen - plurale Identitätsformen und das Recht auf ihre Anerkennung - in den Mittelpunkt stellte. Die Analyse der Kapitalverhältnisse, die diese Lebensformen vielleicht erst ermöglichten, wurde darüber in den Hintergrund gedrängt. Dies beförderte jene Haltung, die wir nun als popkulturellen Lifestyle vor uns haben: eine etwas merkwürdig anmutende Feier sexueller Freiheiten, die sich auf das dem liberalen Gedankengut eigentümliche Recht auf Andersheit zu berufen scheint, das sich - infolge der strikten Abstinenz hinsichtlich kollektiver Forderungen - gleichwohl nicht um die materiellen Bedingungen kümmert, unter denen diese Andersheit verwirklicht werden kann.
Queere Lebensweise passt perfekt zum Postfordismus
Kommen wir auf die Frage zurück: Wie kam es dazu, dass sich Teile des Feminismus, etwa die gegen rigide Geschlechternormen gerichteten Strömungen, in die nach der Fordismuskrise begonnene Erneuerung des Kapitalismus so problemlos eingliedern ließen? Die Antwort ist: Weil sich die Analyse der Subjektivierungsweisen explizit davon löste, diese auf die Produktionsverhältnisse - und damit auf mögliche historische Veränderungen in ihnen - rückzubeziehen. Im Rahmen dieser theoretischen Prämissen kann nämlich nicht mehr gefragt werden, ob das Instabilwerden von Identitäten, das in diesem Kontext als Errungenschaft der sexual politics und damit als Effekt politischer Kämpfe verstanden wird, nicht ganz einfach auf die veränderten Bedürfnisse des postfordistischen Akkumulationsregimes zurückzuführen ist.
Nicht der Umstand, dass Subjektivierungsweisen thematisiert und politisiert werden, ist das Problem. Aber dass sich die theoretischen Konzepte, mit denen dies geschieht, explizit von der Analyse der Produktionsverhältnisse fern hielten - und damit deren postfordistischen Wandel nicht verstehen -, erklärt die postfeministische Passfähigkeit.
Es kann sein, dass die heterosexuelle Norm dem sich herausbildenden Kapitalismus extrem behilflich war. Das Geschlechterregime des Postfordismus verlangt aber kaum mehr nach normierten Geschlechtsidentitäten, sondern fordert gerade deren Flexibilisierung ein. So betrachtet wäre die Popularität queerer Lebensweisen und deren Verankerung an den Universitäten selbst das Phänomen, das soziologisch zu untersuchen und zeitgeschichtlich zu verorten wäre. Überspitzt könnte man sagen: Die Vorstellung von der Dekonstruierbarkeit geschlechtlicher Positionen und damit von der Verhandelbarkeit des eigenen geschlechtlichen Seins ist selbst zu einer Subjektivierungsweise geworden, die, weit davon entfernt, subversiv zu sein, sich bestens in die Erfordernisse spätkapitalistischer Produktion einpasst, ja dieser am ehesten entspricht.
Dies macht auch deutlich, warum es hier nicht einfach um die Synthese zweier Ansätze, sagen wir der Dekonstruktion und des historischen Materialismus, gehen kann. Festzustellen, dass diese Ansätze inkompatibel sind, ist deshalb nicht Dogmatismus. Man müsste vielmehr fragen, ob die stillschweigende Umdeutung ökonomischer Verhältnisse in kulturelle Zuschreibungen nicht ihrerseits dogmatisch ist. In gewisser Weise beansprucht sie, alles in sich integriert zu haben, weil sie, vermeintlich, immer schon eine Stufe tiefer ansetzt. Damit aber macht sie einen Fundierungsanspruch geltend.
Eine merkwürdige theoretische Schlaufe, in die sich da das dekonstruktive Projekt verwickelt hat, ist es doch einmal ausgezogen, die Ausschlüsse der andern zu skandalisieren. Hegemonial ist dieses Projekt jedenfalls, denn neben ihm scheint nichts anderes mehr Platz zu haben. Außer eben die wilden und so betrachtet auch neckischen Blüten der postfeministischen Popkultur.
Tove Soiland
Tove Soiland ist Lehrbeauftragte an verschiedenen Universitäten und dankt den Studierenden des Seminars Postfeminismus an der Universität Hannover für die zahlreichen Diskussionen.