Tolle Frauen, die tolle Sachen machen
Das Missy Magazine richtet sich an eine neue feministische Generation
Popkulturelle Themen, ein feministischer Anspruch und Elemente von Frauenzeitschriften - diese Zutaten verbinden sich im Missy Magazine zu einer fröhlichen und oft überraschenden Mischung. Seit zwei Jahren ist dieser Mix im Bahnhofsbuchhandel eine Alternative zu den üblichen Mädchenzeitschriften; die Auflage liegt bei gut 20.000 Exemplaren. ak sprach mit Sonja Eismann, einer der Herausgeberinnen, über das neue Interesse an feministischen Themen, darüber, wie prekär die Arbeit für Missy ist, und über die Frage, wie Beate-Uhse-Anzeigen in ein feministisches Magazin kommen.
ak: Das Missy Magazine ist im Herbst zwei Jahre alt geworden - herzlichen Glückwunsch! Hast du vor zwei Jahren ein solches Interesse erwartet?
Sonja Eismann: Rückblickend ist das gar nicht so einfach zu sagen. Wir waren damals so beseelt von der Idee, ein Heft zu machen, das unsere eigenen Interessen und Vorlieben widerspiegelt, dass es selbst als Fanzine befriedigend gewesen wäre. Dass Missy sehr schnell von einer Öffentlichkeit angenommen wurde, die ganz offensichtlich über die Community derer, die "es eh schon wissen" hinausgeht, war natürlich überwältigend.
Also ein Herzensprojekt.
Ja, absolut. Man muss natürlich vorsichtig sein, wenn man sagt, die Arbeit an der Sache ist so lohnend und befriedigend, mehr braucht es gar nicht. Andererseits habe ich schon länger gedacht, dass es diese Community gibt, die ähnliche Anliegen, Ansichten und Interessen teilen. Ich kannte Beispiele aus den USA, das BUST Magazine etwa oder das bitch magazine; das waren Hinweise darauf, dass so etwas doch auch bei uns möglich sein müsste.
Gibt es ein neues Interesse an feministischer Auseinandersetzung?
Das will ich doch hoffen!
Hast du eine Erklärung dafür?
Die Zeit ist einfach reif. Nach der amerikanischen Zählweise gibt es ja bereits die dritte Welle des Feminismus (1) und immer noch sind grundlegende Forderungen nicht erfüllt. Und es gibt immer noch himmelschreiende Diskriminierungen von Frauen. Zugleich hat es, zum Beispiel durch die Institutionalisierung der Gender Studies in den 1990ern, eine Verjüngung feministischer Gedanken gegeben. Junge Frauen wurden durch pop- und subkulturelle Themen direkter in ihrer Lebensrealität angesprochen. Ein schönes Beispiel ist das erste Ladyfest im deutschsprachigen Raum, das 2003 in Hamburg stattfand. Die ganze Szene-Prominenz war ganz selbstverständlich dort, es wurde wieder cool, sich für feministische Anliegen einzusetzen. Das begrüße ich, weil es Raum für Diskussion öffnet. Ich halte aber nichts davon zu sagen, der neue Feminismus ist hip, sexy und glamourös; weg mit dem alten, haarigen, verkrampften Feminismus der 1970er Jahre. So wird es ärgerlicherweise medial häufig ausgespielt. Aber ich glaube, gerade im Bereich Queerfeminismus gibt es sehr viele junge Frauen und auch junge Männer, die auf der Suche sind nach weniger starren, dualistischen Geschlechterbildern. Die fühlen sich in den neuen feministischen Milieus zu Hause, die mittlerweile auch schon ihre ganz eigenen ästhetischen Codes ausgebildet haben, z.B. im Bereich Musik oder Do-It-Yourself. Ich glaube, dass das in gewisser Weise sogar eine neue Jugendkultur ist. Aus dieser Kultur kommen wir auch selber und zu diesen Leuten sprechen wir. Dadurch, dass wir diese Themen nicht nur am Rande behandeln, sondern sie ins Zentrum rücken, haben wir eine Lücke geschlossen.
In eurem aktuellen Heft ist ein Foto abgebildet, das ein Plakat an einer Hauswand zeigt. Darauf steht: " Equal Pay: The Radical Notion That Women Should Have Money". Die Fotografin schreibt: "Das Plakat ist meine Hommage an den 70er Jahre Klassiker: Feminism. The Radical Notion That Women Are People." Ist Feminismus heute immer noch vor allem der Kampf um Gleichstellung?
Ich glaube, vor allem die Formen haben sich geändert und die Akteurinnen sind durch andere Dinge geprägt. Durch die unterschiedlichen Sozialisierungen entstehen Reibungen. Aber Feminismus ist letztlich eine emanzipatorische Bewegung, die sich gegen die Diskriminierung aufgrund von Geschlecht einsetzt. Und solange die Diskriminierungen fortbestehen, kann man von keiner großen Veränderung sprechen. Natürlich muss es in der Theoriebildung Fortschritte geben. Der dekonstruktive Feminismus hat in meinen Augen dazu beigetragen, dass den meisten Leuten in den "informierten Zirkeln" die Unterscheidungen zwischen sex und gender inzwischen in Fleisch und Blut übergegangen ist, dass Fragen von Queerness viel präsenter sind, dass eine biologistische Vorstellung von Geschlecht nicht mehr so bestimmend ist. Aber das ändert nichts an den politischen Zuständen, die noch immer von einem biologisch bestimmten Geschlecht ausgehen, auf dessen Grundlage Zuschreibungen und Diskriminierungen passieren. Deshalb sind Abtreibung, Lohnungleichheit und sexuelle Belästigung immer noch wichtige Themen. Vielleicht gibt es neuerdings wieder mehr Aufmerksamkeit dafür.
Die Themen in Missy reichen von Interviews mit Musikerinnen über feministische Beiträge bis zu Bastel- und Sextipps. Welche Leserin habt ihr da eigentlich vor Augen?
Wir richten uns an alle, die es interessiert, in erster Linie an Frauen, aber nicht nur. Ich denke, die Hauptgruppe sind jüngere Frauen, die sich für popkulturelle und tendenziell auch akademische Diskussionen interessieren. Zudem sind wir nicht nur eine Popzeitschrift, wie wir zu Anfang selbst dachten, sondern gewissermaßen auch eine Frauenzeitschrift. Der Begriff hat eine sehr negative Konnotation, was ich problematisch finde, denn darin kommt mal wieder die Abwertung all dessen zum Ausdruck, was mit Weiblichkeit assoziiert ist und damit als trivial wahrgenommen wird: "Frauenthemen" eben. Frauenzeitschriften sind aber einer der wenigen Orte, wo Frauen direkt angesprochen werden in ihrer Lebensrealität und in gewisser Weise auch ernst genommen werden. Natürlich gibt es diesen ganzen Werbe- und Kosmetik- und Schönheitsscheiß, der sehr normierend und disziplinierend ist. Wir müssen sehen, wie wir mit den Genre-Konventionen und Inhalten umgehen. In jedem Fall wollen wir nicht auf die Weise elitär sein wie Popmagazine, die sich letztlich doch vor allem an Jungs, "die sich auskennen", richten. Eine Möglichkeit, mit der wir experimentieren, besteht darin, Frauenzeitungs-Elemente wie Ratgeber oder Beauty-Tipps satirisch einzusetzen.
Wie entscheidet ihr, welche Themen ins Magazin kommen?
Es gibt ein paar Grundsätze: Missy ist relativ offen und breit angelegt, immer profeministisch, ohne dass es überall explizit draufstehen muss. Außerdem ist uns wichtig, dass wir nicht nur kritisieren, sondern auch positive Ansätze herausstellen. Wir wollen die Sachen, die wir gut finden, teilen. Absichtlich naiv ausgedrückt: tolle Frauen, die tolle Sachen machen. Außerdem sollten die Themen irgendeine Form popkultureller Relevanz haben. Wir bringen selbstverständlich auch politische Themen, aber oft haben wir einen popkulturell gefärbten Zugang dazu.
In dem Buch "Hot Topic" hast du vor dem Dilemma der Popkultur gewarnt: Alles, was erfolgreich ist, wird von seinem radikalen Inhalt entkoppelt und als Code in den marktgängigen Kanon des Pop integriert. Droht Missy auch die feindliche Übernahme?
Manchmal wären wir ja ganz froh, wenn uns ein großer, böser Verlag übernehmen und uns von unseren finanziellen Sorgen befreien würde! Aber keine Sorge, bisher hat sich noch keiner gemeldet. Ich habe lange gedacht, dass Feminismus das letzte Kassengift im Bauchladen des Kapitalismus ist. Da bin ich mir nicht mehr so sicher, wenn man sich zum Beispiel anschaut, was mit Beth Ditto passiert ist. Und natürlich sind junge Frauen, die vielleicht auch noch akademisch gebildet sind, eine ökonomisch interessante Zielgruppe. Andererseits beinhaltet der Begriff Feminismus für mich auch immer eine linke, emanzipatorische Haltung. Das lässt sich, denke ich, schwer ausverkaufen. Uns haftet nach wie vor ein alternatives Image an, das viele Anzeigenkunden abschreckt. Aber uns ist auch klar, dass wir inhaltlich Kompromisse eingehen müssen, wenn wir eine breitere Basis an Leserinnen erreichen wollen. Ich persönlich habe durchaus manchmal andere und zugespitztere Ansichten, als die, die im Heft vorkommen.
Ist die Beate Uhse Werbung mit dem dürren Model so ein Kompromiss?
Ob man es glaubt oder nicht: Die Zeitungsbranche ist so konservativ, dass Unternehmen wie Beate Uhse außerhalb des "Erotikmarkts" gar nicht so leicht Anzeigen schalten können. Das kommt dann wieder uns als "unangepasstem" Magazin zu Gute. Über das Bild der dürren Frau sind wir natürlich nicht so glücklich. Andererseits vertritt Missy einen Pro-Sex-Feminismus; wir sind der Meinung, dass sexuelles Begehren oder auch Pornografie nicht dem männlichen Geschlecht überlassen werden sollte, sondern dass Frauen sich das auch erobern und erforschen sollten. Ich selbst denke, dass Pornografie, auch alternative und vermeintlich selbstbestimmte Pornografie, immer noch ein Ausbeutungsverhältnis im Kapitalismus ist, dem ich nicht so begeistert zustimmen kann. Aber ich glaube, es ist im Interesse eines neuen Feminismus, über solche Fragen zu diskutieren. Bei der Beate Uhse Werbung haben wir uns letztlich darauf geeinigt, dass es vor dem Hintergrund einer von einer Frau geleiteten Firma, die explizit auch die sexuellen Interessen von Frauen adressiert, als Kompromiss in Ordnung geht.
Du hast vorhin selbst darauf hingewiesen: Frauen verdienen immer noch weniger als Männer. Wie prekär ist die Arbeit am Missy Magazine?
Sehr prekär. Lange Zeit konnten wir drei Redakteurinnen uns überhaupt nichts auszahlen. Die Anzeigenverantwortliche, die vierte Herausgeberin, hat schon immer eine Provision bekommen, denn diesen Knochenjob kann man nun wirklich nicht damit rechtfertigen, dass es sich um interessante Arbeit handelt. Seit ein paar Monaten können wir uns nun Honorare zahlen, wenn auch sehr niedrige. Die Autorinnen haben, sobald es möglich war, Honorare bekommen - ab der zweiten Ausgabe. Auch die fallen bescheiden aus, liegen aber im Rahmen dessen, was man für Beiträge in Popkultur-Magazinen wie Spex oder Intro auch bekommt. Uns war es wichtig, dass wir, sobald es geht, Honorare zahlen, weil wir selbst als freie Autorinnen arbeiten und wissen, dass es einen Unterschied macht, ob man z.B. 20 Euro für einen Text bekommt oder gar nichts. Wenn wir könnten, würden wir mehr bezahlen - auch uns selbst! -, aber derzeit ist das leider noch nicht möglich.
Und wie seid ihr zu eurem Namen gekommen: Missy Magazine?
Es war uns wichtig, etwas zu finden, das ironisch mit Frauen- oder Mädchenzeitschriftenkonventionen spielt. Da es einige Mädchenzeitschriften gibt, die eine "Miss" im Titel führen, erschien uns Missy ganz passend, zumal es auch eine ironisch-coole Ansprache unter afroamerikanischen Frauen ist - das hat uns auch gefallen. Einige Leute haben uns gefragt, warum wir uns so verkleinern und verniedlichen würden und in das Mädchenhefte-Schema einsortieren. Aber wir sehen "Missy", im Gegensatz zum fürchterlich reaktionären "Fräulein", als sehr kraftvollen Begriff. Man denke bloß an Missy Elliott!
Interview: Jan Ole Arps
Sonja Eismann arbeitet als Journalistin und Kulturwissenschaftlerin und hat 2008 zusammen mit Chris Köver und Stefanie Lohaus das Missy Magazine gegründet. Die zehnte Ausgabe erscheint am 21. Februar.
Anmerkung:
1) Der Third Wave Feminism bezeichnet feministische Ansätze, die in den 1990er Jahren vor allem in den USA entstanden sind. Hierzu gehören z.B. die an den Thesen Judith Butlers orientierten Ansätze, die die Analyse gesellschaftlicher Geschlechterkonstruktionen in den Mittelpunkt stellen, queere Politiken, die sich gegen die dominanten Geschlechternormen wenden, aber auch (sub)kulturelle Ansätze wie die Riot Grrrl-Bewegung oder die "Ladyfeste".