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Eine verlogene Debatte

Die Guttenberg-Affäre hat den Leistungsmythos gestärkt

Der Pädagoge Micha Brumlik stellte in der taz (1.3.11) die These auf, dass sich mit den "Personality-Storys" um Sarrazins Hartz-IV-Sohn und Guttenbergs Plagiat die künftigen Klassenkonflikte zu Wort melden. Die Affäre Guttenberg mobilisierte mehr als nur Ressentiments gegen die politische Elite. Über Tage tobte in den Medien und hinter den Kulissen der Politik ein Kampf zwischen Bürgertum und Adel - mit und gegen die Subalternen. Für ak sprach Ingo Stützle mit den JournalistInnen und BuchautorInnen Anja Krüger und Pascal Beucker über Bildungspolitik und den Klassencharakter der Debatte. Eine Besprechung zu ihrem Buch "Die verlogene Politik" findet sich in "Aufgeblättert".

ak: Welche Rolle spielt ein Doktortitel in der Politik? Ihr geht in eurem sechsten Kapitel zur Bildungspolitik kurz darauf ein ...

Anja Krüger: Der Doktor ist so etwas wie der Adelstitel des Bürgertums und signalisiert die Zugehörigkeit zu einer gesellschaftlichen Elite. Immerhin bringen es in der BRD nur 2,3 Prozent eines Jahrgangs bis zur Promotion. Der akademische Grad spielt von daher auch in der Politik eine nicht zu unterschätzende Rolle: Im aktuellen Kabinett Angela Merkels führen elf von sechzehn Ministerinnen und Minister einen Doktortitel.

Pascal Beucker: Wer sich beispielsweise die Promotionsarbeiten von Guido Westerwelle oder Kristina Schröder anschaut, merkt schnell, dass deren wissenschaftlicher Wert in einem entgegengesetzten Verhältnis zum Renommee steht, das sich die Verfasser vom Erwerb des Titels versprechen durften. Bezeichnend ist auch, dass Guttenberg bereits der zweite Unionspolitiker ist, der in der laufenden Legislaturperiode erwischt wurde, den Doktor zu Unrecht zu führen. Der erste, der CDU-Bundestagsabgeordnete Dieter Jasper, hatte seinen Titel an der "Freien Universität Teufen", einem Unternehmen nach Schweizer Recht, im wahrsten Sinne des Wortes "erworben".

Ist in den Reaktionen auf Guttenberg nicht eine soziale Spaltung zu erkennen?

P.B.: Was sich in den zwei Wochen zwischen der Aufdeckung seines Promotionsbetrugs bis zum Rücktritt abgespielt hat, war ein sehr interessanter Kulturkampf. Im Ringen um sein politisches Überleben versuchte er im Verbund mit der BILD, die antiintellektuellen Ressentiments der bildungsfernen Schichten gegen seine Kritiker zu mobilisieren. Das ist ihm zu einem gewissen Maße gelungen. Gescheitert ist Guttenberg, weil er mit dieser rechtspopulistischen Strategie insbesondere das eigene Lager traf - jene konservativ-bürgerliche Bildungsaristokratie, die sich die hart erarbeiteten Doktortitel nicht so einfach abwerten und lächerlich machen lassen wollte. Keine Zeitung wetterte so heftig gegen den adligen Plagiator wie die FAZ.

Die Reaktionen auf den Fall Guttenberg waren doch genau von den Bildungslügen geprägt, die sie in ihrem Buch ankreiden ...

A.K.: In der öffentlichen Diskussion hat die Bildungsaristokratie hart darum gefochten, ihre Privilegien und ihr Sozialprestige zu verteidigen. Das Außergewöhnliche ist, dass in diesem Fall der Gegner ausgerechnet ein Repräsentant des althergebrachten "echten" Adels ist. Letztendlich scheint der Ausgang der Affäre den Leistungsmythos im Bildungswesen gestärkt zu haben: Ausgeblendet bleibt mal wieder, dass Leistung keine absolute Größe ist, sondern immer auch Resultat psycho-sozialer und materieller Voraussetzungen. Bildungschancen werden in Deutschland sozial vererbt. Und zwar nicht nur, weil sich die Politik nicht dafür verantwortlich fühlt, die extrem unterschiedlichen Voraussetzungen für die Bildenden zu nivellieren. Sondern auch, weil die Bewertenden in Klassenmustern beurteilen. Dass ausgerechnet ein privilegierter Verfechter des gegliederten Schulsystems wie Guttenberg auch noch die Bildungsverlierer für seine Verteidigungsstrategie instrumentalisiert, ist perfide und zynisch.

P.B.: Kinder aus den Randzonen der Gesellschaft haben immer noch geringe Chancen, aufs Gymnasium oder gar auf die Uni zu kommen. Für den Nachwuchs aus den Villen und Herrenhäusern ist das selbstverständlich. Der Fall Guttenberg bestätigt genau das: Wer mit dem passenden familiären Background und dem entsprechenden Habitus ausgestattet ist, kommt auch ohne die verlangte eigene persönliche Leistung auf den akademischen Olymp. Anderen wird diese Chance verwehrt - nicht wegen ihrer vermeintlich minderen Leistungsfähigkeit. Dass jedoch problematisieren die bildungsaristokratischen Kritiker des Freiherrn aus gutem Grunde nicht.

Darf man in der Politik nur nicht zu viel oder nur nicht falsch lügen? Oder sich einfach nur nicht erwischen lassen?

A.K.: Für Politiker gilt wie für alle Lügner: Solange sie nicht erwischt werden, haben sie kein Problem. Es geht eben darum, sie zu erwischen, sie beim Wort von gestern oder aus der Sonntagsrede zu nehmen. Wenn beispielsweise führende Sozialdemokraten von den zu schaffenden Bildungschancen für alle reden, dann geht es darum zu entlarven, welche Heuchelei da mitschwingt. Denn die SPD hätte viel tun können, um die Bildungsmöglichkeiten auch für die Ausgeschlossenen sehr zu verbessern. Oder wenn der nordrhein-westfälische CDU-Vorsitzende Norbert Röttgen die Unterschiedlichkeit seiner drei Kinder als Argument für die Beibehaltung des dreigliedrigen Schulsystems anführt, ist es sinnvoll darauf hinzuweisen, dass selbstverständlich keines von ihnen auf eine Haupt- oder Realschule geht.

P.B.: Die weit verbreitete Auffassung, von Politikern ohnehin nur belogen zu werden, wirkt entpolitisierend und macht empfänglich für autoritäre Lösungen. Gleichwohl gehören Lügen und Täuschungen durchaus zum politischen Geschäft, dienen sie doch zur Verschleierung von Interessen. In unserem Buch deklinieren wir das anhand diverser Politikbereiche durch. Eine der beliebtesten Lügen ist dabei die Postulierung des "TINA-Prinzips", dass es also keine Alternativen gebe. Das TINA-Prinzip dient als Pseudolegitimation unsozialer Politik gegen einen großen Teil der eigenen Wählerschaft. Dabei ist es brandgefährlich, denn es macht Demokratie überflüssig. Schließlich bliebe keine Wahl: Es würde eine Regierung aus Technokraten und Fachleuten reichen, die exekutiert, was notwendig ist. Demokratie lebt hingegen davon, über Alternativen diskutieren und entscheiden zu können. Und es gab und gibt immer Alternativen - in der Bildungs-, wie auch gerade in der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Und gegenüber Kriegseinsätzen allemal.

Interview: Ingo Stützle