Von Versöhnung keine Spur
Nach dem Putsch hat sich in Honduras ein repressives Liberalisierungsregime etabliert
Nach einem Jahr Regierung unter Porfirio Lobo Sosa ist das zentralamerikanische Land Honduras tief gespalten. Was als Regierung der nationalen Einheit angekündigt wurde, entpuppt sich als repressives Liberalisierungsregime. Ansätze einer progressiven Sozial- und Wirtschaftspolitik, die der im Juni 2009 weggeputschte Präsident Manuel Zelaya in Gang gesetzt hatte, werden zurückgedreht, das Land wird durch Sonderwirtschaftszonen und den Verkauf öffentlicher Güter und Ressourcen für ausländische InvestorInnen geöffnet. Die Widerstandsbewegung wird vom Regime umworben, zu den Wahlen anzutreten und sieht sich gleichzeitig mit der Verfolgung ihrer AktivistInnen konfrontiert.
"Das Resultat des Putsches ist ein noch nie da gewesener Ausverkauf der natürlichen Ressourcen von Honduras!" Das ist die Zusammenfassung, die Bertha Cáceres von der Indigenenorganisation COPINH über ein Jahr unter Porfirio Lobo Sosa gibt. Hervorgegangen ist die Regierung aus Wahlen, die im November 2010 abgehalten und von den meisten lateinamerikanischen Staaten nicht anerkannt wurden.
Nach dem Staatsstreich gegen den linken Präsidenten Manuel Zelaya am 28. Juni 2009 hatte das Putschregime unter Roberto Micheletti erst den Ausnahmezustand verhängt und später Wahlen angekündigt. Die repressiven Verhältnisse, unter denen diese stattfanden, bewegten allerdings zahlreiche KandidatInnen dazu, nicht anzutreten. Neben der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) protestierte auch die UNO gegen die Bedingungen, unter denen die Wahl ablief, indem sie keine WahlbeobachterInnen entsandte.
Präsident Lobo dreht die Uhr zurück
Mit Präsident Lobo von der PNH (Nationalpartei Honduras) an der Spitze kam nach Zelaya wieder der alte Machtblock ans Ruder. Gestützt wird die Regierung von den GroßgrundbesitzerInnen, der Unternehmerkammer COHEP und den Militärs. Nicht zuletzt aber auch von der EU, die den honduranischen Sicherheitsapparat im Rahmen des PASS-Programms (Programa de Apoyo al Sector de Seguridad) mit 44 Millionen Euro stärkt, ungeachtet des repressiven Charakters der Regierung. Jesus Antonio Chávez von der Widerstandsplattform FNRP (Frente Nacional de Resistencia Popular) sagt: "Der Putsch hat die honduranische Gesellschaft militarisiert. Hier werden systematisch Menschenrechte verletzt."
Die Koalition aus PNH und dem rechten Flügel der Liberalen Partei (PLH) entpuppte sich als neoliberale Musterschülerin. Ihr Markenzeichen sind Privatisierungen öffentlicher Güter und Ressourcen und Angriffe auf Sozialstandards und Arbeitsrechte. Begleitet wird das Ganze von einem repressiven Vorgehen gegen soziale Bewegungen.
Das staatliche Wasserkraftwerk José Cecillio del Valle, das rund 120.000 Personen versorgt, wurde beispielsweise im Januar an ein italienisches Unternehmen verkauft. Ein neues Wassergesetz macht die Verpachtung ganzer Flüsse an in- und ausländische Unternehmen möglich. Von 300 geplanten Wasserkraftprojekten sind in 47 Fällen schon private Konzessionen zugeteilt, teilweise mit hohen finanziellen Hilfen von USAID. (1) Der Fluss Rio Negro beispielsweise, an dem drei Dörfer liegen, und der die Lebensgrundlage der dortigen BewohnerInnen bildet, wird so zum profitträchtigen Schnäppchen. Gewinne um die 40 Milliarden US-Dollar werden in den nächsten 30 Jahren aus der Energiegewinnung erwartet.
Die Inwertsetzung natürlicher, ehemals öffentlicher Ressourcen bleibt aber nicht auf Flüsse beschränkt. Die Regierung vermisst ganze Waldstriche auf ihre Kapazität, Kohlendioxid zu absorbieren. Anschließend werden sie parzelliert und an ausländische Konzerne verleast, die so an neue CO2-Emissionszertifikate gelangen. Die lokale Bevölkerung hingegen wird durch den Verkauf der Wälder von deren Nutzung ausgeschlossen.
Während Lobo den schon seit 20 Jahren andauernden Landkonflikt zwischen GroßgrundbesitzerInnen und LandarbeiterInnen eskaliert, trägt er den Interessen der Maquiladora-Industrie (2) Rechnung. Die Arbeitsbedingungen der zumeist aus der verarmten Landbevölkerung stammenden ArbeiterInnen der Maquiladoras werden durch ein neues Arbeitszeitgesetz noch stärker prekarisiert. Sie werden jetzt nur noch für ihre tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden bezahlt, es gibt kein Urlaubs-, kein Kranken- oder Elterngeld mehr, auch keine Zuschläge für das Wochenende.
Der Gipfel des Ausverkaufs des Landes ist aber das im Januar dieses Jahres beschlossene Projekt "Modellstadt" im Norden Honduras. Nach einer Verfassungsänderung werden in so genannten speziellen Entwicklungszonen die honduranischen Gesetze weitgehend außer Kraft gesetzt. In autonomen Städten mit eigener Legislatur sollen ausländische InvestorInnen künftig direkt am Gesetzgebungsprozess beteiligt werden. Diese "investorenfreundlichen", den chinesischen "Sonderproduktionszonen" nicht unähnlichen "Autonomiegebiete" sollen auch Freihandelsabkommen mit anderen Staaten abschließen können.
Es scheint als könnte es der Regierung nicht schnell genug gehen, das Rad der Zeit zurückzudrehen und die Erinnerung an Zelayas Reformprogramm auszulöschen. Denn Zelaya, der 2005 mit einem moderaten Programm zum Präsidenten gewählt wurde, stellte ab 2006 die soziale Frage in den Mittelpunkt. Er hob den Mindestlohn um 60 Prozent an, initiierte ein Alphabethisierungsprogramm, machte die Hochschulen frei zugänglich und führte kostenlose Schulspeisungen ein.
Zelaya: Soziale und politische Wende
Wirtschaftspolitisch veranlasste er einen Stopp laufender Privatisierungsprogramme im Gesundheits- und Energiesektor. Seine Niedrigzinspolitik stimulierte Investitionen im Land und verhinderte eine Währungsabwertung, zusätzlich wurden Förderprogramme für kleine und mittelständische Unternehmen ins Leben gerufen. Auch umweltpolitisch vollzog Zelaya eine Kehrtwende. Ein Schutzprogramm für Wälder, ein Verbot von Bergbau unter freiem Himmel und der Stopp von Flussprivatisierungsprojekten sollten Honduras natürliche Ressourcen erhalten.
Obwohl Zelaya mit dieser Politik den sozialen Bewegungen sehr nahe stand, bedurfte es doch deren permanenten Drucks, um den Reformprozess lebendig zu halten. Als Abkömmling der Viehzuchtoligarchie entsprach Zelaya in keiner Weise dem kommunistischen Schreckgespenst, das seine GegnerInnen von ihm zeichneten. Im Gegenteil: er schloss Freihandelsverträge etwa mit Chile und Taiwan ab, auch mit der EU führte er darüber Verhandlungen. Trotzdem sagt Jesus Garza von der honduranischen Nichtregierungsorganisation CHAAC (Coalición Hondureña de Acción Ciudadana): "Zelaya war in Zentralamerika die markanteste Alternative zum Neoliberalismus."
Sein Programm stand für eine neue Wachstumsstrategie durch Binnenmarktorientierung und regionale Integration. Zelaya orientierte sich an neuen strategischen Partnern, an Ländern wie Venezuela, Bolivien, Ecuador oder Kuba, mit denen er das Kooperationsabkommen ALBA-TCP (3) abschloss. Auch trat das Land dem venezolanischen Erdölverbund Petrocaribe bei. (4) Weit davon entfernt, private Initiative einzuschränken, wurde der Erfolg von Zelayas Richtungswechsel durch ein Wirtschaftswachstum von sieben Prozent und gestiegene Investitionen deutlich.
Sein Reformkurs nahm zudem einen zentralen Schwachpunkt der honduranischen Politik ins Visier: die Verfassung des Landes. Schon Oscar Arias, bis Februar 2010 Präsident von Costa Rica und Vermittler in den Verhandlungen zwischen Zelaya und Putschist Micheletti, sagte: "Ich war gezwungen, die honduranische Verfassung zu studieren. Sie ist die schlechteste der Welt." 1982 wurde sie nach dem Übergang von der Militärdiktatur zur Demokratie wesentlich von den Militärs geprägt. Sie ist bis heute in dieser Form erhalten.
Zelaya erließ schon wenige Tage nach Amtsantritt ein Gesetz zur "BürgerInnenbeteiligung". Es ermöglichte durch Plebiszite und Referenden eine Stärkung der öffentlichen Kontrolle und der Zivilgesellschaft. Wirklicher Meilenstein aber sollte eine Verfassunggebende Versammlung werden. Mit ihr sollte der soziale Reformprozess in der Verfassung verankert werden. Als Zelaya die Bevölkerung befragen wollte, ob sie über die Einberufung einer solchen Versammlung abstimmen möchte, war für die traditionellen Eliten des Landes der Bogen überspannt. Am Tag der Befragung putschten das Militär und die politische Rechte, Zelaya wurde aus seinem Wohnsitz entführt und nach Costa Rica geflogen.
Das Putschregime ging mit scharfer Munition gegen den sich augenblicklich formierenden Widerstand auf der Straße vor. Menschenrechtsorganisationen wie FIAN International berichteten von extralegalen Hinrichtungen, Hunderten willkürlichen Verhaftungen, Morddrohungen und zahlreichen Einschränkungen der Pressefreiheit. Nach fünf Monaten beinahe permanenten Ausnahmezustandes und permanenter Ausgangssperren verkündete das Regime Wahlen zum regulären Wahltermin, dem 29. November 2009.
Auch wenn kurz zuvor der Ausnahmezustand aufgehoben worden war, konnte von einem sauberen Wahlvorlauf nicht gesprochen werden. Die Schließung oppositioneller Medien, Morddrohungen gegen JournalistInnen und gar die Ermordung führender linker Politiker wie Ramon García von der Partei Unificación Democrática (UD) schufen ein Klima der Angst. Zahlreiche KandidatInnen für die Lokal- und Provinzwahlen zogen ihre Kandidaturen zurück. Auch der unabhängige Präsidentschaftskandidat und Gewerkschaftschef Carlos H. Reyes entschied, unter diesen Verhältnissen nicht zu den Wahlen anzutreten. Er warnte vor Wahlbetrug und bezeichnete die Wahlen als "Show": "Die Putschisten haben geputscht um zu bleiben, und nicht um die Macht in fairen Wahlen wieder abzugeben."
Die Kolumbianisierung des Konflikts
So konnte nach den Wahlen von einer Rückkehr zu stabilen und demokratischen Verhältnissen keine Rede sein. Das Land ist tief gespalten. Der Widerstand gegen den Putsch hat sich konsolidiert und stellt mittlerweile eine eigene und selbstständige politische Kraft dar. Die Frage nach der Zukunft des Landes ist aktueller denn je, Bereitschaft, zum Status Quo zurückzukehren, gibt es auf Seiten der Opposition nicht. "Die Menschen wollen keine Reformen, sie wollen eine Neugründung des Landes und eine Verfassung, die den Bedürfnissen des Volkes entspricht", erklärt Bertha Cáceres. Der aktuelle Widerstand hat drei Dimensionen: das ist einmal der Widerstand gegen den Putsch, dann der Widerstand gegen die neoliberale Politik des Kabinetts von Lobo und schließlich der Kampf für die Einberufung einer Verfassunggebenden Versammlung von unten.
Genau das möchte der Machtblock, der den Putsch gestützt hat, um jeden Preis verhindern. Seine Strategie bewegt sich dabei zwischen Versuchen der Einbindung und gleichzeitig harter Repression, Einschüchterung und Sabotage. So wurde dem Widerstand einerseits vorgeschlagen, eine Partei zu gründen und an Wahlen teilzunehmen. Andererseits sind seine führenden AktivistInnen regelmäßig das Ziel von Anschlägen, Entführungen und extralegalen Verhaftungen.
Allein im ersten Halbjahr der Regierung Lobo registrierte die renommierte honduranische Menschenrechtsorganisation COFADEH (Komitee der Angehörigen der Verhafteten und Verschwundenen in Honduras) über 100 politische Morde. Dazu kamen mehr als 1.000 politisch motivierte Menschenrechtsverletzungen. Die Koordinatorin der Organisation, Bertha Oliva, ruft die international Gemeinschaft dazu auf, den Versöhnungsdiskurs von Lobo als eine Lüge zu erkennen. "Ich bin es leid zu sehen, wie hier verfolgt, gemordet, unterdrückt und gleichzeitig gelogen wird", beklagt Oliva.
Im April 2010 erklärten Reporter ohne Grenzen Honduras zum gefährlichsten Land für JournalistInnen weltweit. Als im Januar 2010 der Zeitungsjournalist Henry Suazo von Unbekannten erschossen wurde, belief sich die Zahl der bis dahin ermordeten JournalistInnen bereits auf elf. Aktuell wurde im Januar 2011 Esdras Amado López, Direktor des Fernsehsenders Canal 36, von einem Militär mit dem Tod bedroht. Von den registrierten Mordfällen wurde bisher nur ein einziger aufgeklärt. Dieses Klima der Straflosigkeit und der Angst hat mit Demokratie nichts zu tun. Oscar Mendoza, Sekretär der Basisorganisation Patronato Regional del Occidente (PRO) sagt vielmehr: "Was wir hier erleben, ist die Kolumbianisierung des Konflikts in Honduras."
Fabian Unterberger
Die Anmerkungen
1) Die Entwicklungsbehörde United States Agency for International Development (USAID) stimmt ihre Politik eng auf die US-amerikanische Außenpolitik ab und wirkt häufig an der Destabilisierung von politisch unliebsamen Regierungen mit.
2) Maquilas sind Montagebetriebe, in denen - zu Niedriglöhnen - importierte Einzelteile oder Halbfertigware für den Exportmarkt zusammen gebaut wird.
3) Das wirtschaftliche und politische Bündnis ALBA-TCP (Bolivarianische Allianz für die Völker unseres Amerika - Handelsvertrag der Völker) umfasst derzeit acht lateinamerikanische Staaten, darunter Venezuela, Kuba, Ecuador und Bolivien. Es existiert seit Dezember 2004, gilt als Alternative zu der von den USA geplanten und gescheiterten gesamtamerikanischen Freihandelszone ALCA und hat zum Ziel, die Mitgliedsländer unabhängiger von den USA und Europa zu machen. Auf der Basis von Kooperation, Komplementarität und Solidarität statt Freihandel wollen die ALBA-Länder die wirtschaftlichen Ungleichgewichte zwischen sich nivellieren und sozialer Entwicklung Vorrang vor Profiten einräumen.
4) Petrocaribe ist ein Abkommen von 2005, mit dem sich Venezuela dazu bereit erklärt, Erdöl zum Vorzugspreis an einige lateinamerikanische Staaten (derzeit 18) abzugeben. Das Ziel ist es auch, gemeinsam Erdölvorkommen zu erschließen.