Wir dürfen uns nicht ins Bockshorn jagen lassen
Die Diskussion über Massenblockaden muss weitergehen
Der Naziaufmarsch am 19. Februar wurde durch vielfältige Blockadeaktionen verhindert. Dies ist maßgeblich der Mobilisierung von Dresden Nazifrei zu verdanken. Tausende AntifaschistInnen folgten dem Aufruf, über 200 Busse machten sich auf den Weg nach Dresden. In den Medien war von Gewaltszenarien die Rede. Über die Frage der Legitimität verschiedener Protestformen sprach ak mit Wolfgang vom AK Antifa Dresden und Sascha von Avanti - Projekt undogmatische Linke. Beide Gruppen sind Teil des Bündnisses Dresden Nazifrei.
ak: Jetzt mit einigem Abstand - was sagt ihr zum diesjährigen Februar?
Sascha: Also perspektivisch könnte der 19. Februar ein erster Schritt sein, um die Dynamik dieses Aufmarsches zu brechen. Wenn wir jetzt dranbleiben, haben wir eine gute Chance, die Dresdner Aufmärsche endgültig zu beenden. Wir haben bundesweit erhebliche Beachtung gefunden und die Mobilisierung von Antifaschistinnen und Antifaschisten zu Blockaden gestärkt. Darum sagen wir, das war ein Erfolg - trotz aller Probleme, die es am Rande gab.
Wolfgang: Und am 13. Februar ist es erstmals gelungen viele Dresdner und Dresdnerinnen auf die Straße zu bringen - das ist wirklich ein Novum für die Stadt. Dort waren 3.500 Leute, auch von der Menschenkette. Es gab Protest in Hör- und Sichtweite. Es war das erste Mal, dass wir das in dieser Form durchsetzen konnten. Das ist für den 13. durchaus ein Erfolg.
S.: Mir ist es wichtig, eines hervorzuheben: Bei all den wütenden Reaktionen, insbesondere vonseiten der Polizei und der Stadtverwaltung, muss man doch erkennen, dass die Akzeptanz von Blockadeaktionen in der Bevölkerung - nicht nur in Dresden, sondern auch bundesweit - enorm zugenommen hat, vor allem auch anhand der Blockaden letztes Jahr und dieses Jahr.
W.: Das ist richtig. Man merkt das auch daran, dass andere Bündnisse aufspringen, bei denen es auch Richtung Blockade geht, wie zum Beispiel 1. Mai nazifrei in Berlin oder Cottbus Nazifrei.
Also würdet ihr beide sagen, dass ist ein Konzept, das sich durchaus bewährt hat?
S.: Dieses Konzept ist ja nicht neu, sondern wird seit etwa zehn Jahren, seit der Mobilisierung gegen den Heßmarsch durchgesetzt und findet immer stärker Beachtung. Man denke nur an die Blockadeaktionen gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm oder an die Castor-Schottern-Aktionen im letzten Jahr. Das hat sehr viel Potenzial. Und das geht deutlich über das hinaus, was wir bisher schon erreicht haben. Es ist wichtig, dass wir das Konzept an sich ernst nehmen und politisch-inhaltlich verteidigen. Damit meine ich beispielsweise, dass dieser lange Kampf um den Aktionskonsens nicht nur aus strategischen, sondern aus inhaltlich richtigen Gründen weitergeführt werden muss. Wir sehen, dass es eine Vielzahl von antifaschistischen Aktionformen gibt. Wir entscheiden uns für eine davon, die erfolgsversprechend ist, entwickeln ein Bündnis und handeln in diesem einen Aktionskonsens aus. Wir akzeptieren gleichzeitig, dass es auch andere Aktionsformen gibt, wir distanzieren uns nicht. Wir lassen andere Leute an anderen Stellen ihre Aktionen machen und werben dafür, dass da, wo wir unsere Aktionen konkret durchführen, dieser Aktionskonsens eingehalten wird. In dem Rahmen akzeptieren wir die gesamte Breite antifaschistischer Aktivitäten.
Hat denn dieser Aktionskonsens gehalten? Also wenn man sich z.B. die Sächsische Zeitung ansieht, da ist die Rede von Gewaltexzessen am Rande genehmigter Neonaziaufmärsche ...
W.: Also das ist schon richtig. Der Aktionskonsens hat nicht an allen Stellen gehalten. Es ist aber auch eine gewisse Eigendynamik entstanden an dem Tag selbst. Es hat sich alles immer in der Nähe voneinander abgespielt - Massenblockaden und Materialblockaden.
S.: Ja, das muss man fairerweise auch den Bündnispartnern sagen, die mit uns zusammengearbeitet haben. Dieser Aktionskonsens wurde nicht an allen Stellen an den Blockaden durchgehend eingehalten. Es gibt dafür verschiedene Gründe. Am Vormittag wurde der Aktionskonsens bei den Blockaden überwiegend eingehalten. Natürlich gab es auch das, was es immer gibt, wenn sich mehr als 20.000 Leute an Aktionen beteiligen: Leute verhalten sich auch mal anders in der Dynamik des Handelns und im Überschwang der Gefühle, sei es aus Angst oder als Reaktion auf Polizeigewalt. Gleichzeitig ist man auf eine Polizei gestoßen, die wirklich mit sehr großer Härte und Brutalität versucht hat, jegliche Blockaden zu verhindern. Das war eine sehr schwierige Situation. Und damit sind wir meiner Ansicht nach an manchen Stellen auch tatsächlich an die Grenzen unserer Aktionsform gekommen. Zum Nachmittag hat sich die Situation verändert. Spätestens ab dem Moment, an dem die Blockaden standen und dort auch Ruhe war, geisterten auf einmal Nazigruppen durch die Stadt. Da gab es viele Aktionen, die keine Blockaden waren und ihre eigenen Regeln gehabt haben. Und noch später, als dann die Meldung kam, dass ca. 1.000 Nazis von Plauen aus einen Marsch durchführen können und eigentlich - uns jedenfalls - völlig unklar war, ob die Polizei sie daran hindert, ob die Polizei sie begleitet oder ob jetzt einfach 1.000 Nazis in die Innenstadt gelaufen kommen - da hat es wirklich eine enorme Dynamik gegeben. Viele Leute erwarteten eine offene Auseinandersetzung. In dieser Situation waren sehr viele Leute überhaupt nicht in der Lage, ihr Handeln nach einem Aktionskonsens auszurichten. Viele hatten sich allerdings im Vorfeld gar nicht mit unserem Aktionskonzept auseinandergesetzt. Ich glaube aber, dass man anhand dieser Ausnahmesituation nicht die gesamte Blockadeaktion bewerten darf. Ich denke aber auch, dass man in den nächsten Jahren in der Vorbereitung von solchen Aktionen den Aktionskonsens noch stärker, klarer und deutlicher erklären und in den Mittelpunkt der Werbung für die Teilnahme an den antifaschistischen Aktionen stellen muss.
Ist das nicht ein ganz schön hoher Preis, den man da bezahlt, um Massenblockaden zu machen?
S: Man muss mal eines klarstellen und da auch den öffentlichen Meldungen widersprechen: Im Gegensatz zu anderen Aktionen mit 20-30.000 aktiven Teilnehmerinnen und Teilnehmern gab es nach meiner Wahrnehmung in Dresden gar keine besonders schlimmen Ausschreitungen. Es war eine enorm angespannte Situation. Aber wenn man die Dynamik der Nazidemonstrationen in Dresden der letzten zehn Jahre sieht, wenn man sieht, dass die Befürchtung lange Zeit im Raum stand, dass sich hier ein Marsch entwickelt, der nicht nur der größte in Deutschland und Europa war, sondern noch Steigerungspotenzial hat auf 8.000, 9.000, 10.000 Naziteilnehmer - dann kann man schon einen relativ hohen Maßstab anlegen, um diese Dynamik zu stoppen. Natürlich ist das für jeden bitter, der hier verletzt oder festgenommen worden ist. Aber die Festnahmezahlen bei anderen antifaschistischen Aktionen in der Vergangenheit waren ja deutlich höher. Ich glaube schon, dass unser Konzept im Wesentlichen hingehauen hat und dass das eine erfolgreiche Aktion war. Auch über die Verhinderung des Aufmarsches hinaus ist es ein großer Erfolg, dass sich Tausende Menschen gemeinsam über Gesetze und ein riesiges Polizeiaufgebot hinwegsetzen und im Sinne einer kollektiven Selbstermächtigung ihren Protest in aktiven Widerstand umwandeln.
Aber es scheint ja einiges an Repression nach sich zu ziehen ...
S.: Der Versuch, die Aktionen von Dresden Nazifrei zu kriminalisieren, basiert auf der Behauptung, aus demokratischen Gründen müsste man die Nazis marschieren lassen und dürfte keine Blockaden machen. Dabei sind mir zwei Sachen sehr wichtig. Das eine ist, dass das Engagement von Antifaschistinnen und Antifaschisten nicht gleichzusetzen ist mit der Gefährdung von Demokratie wie sie beispielsweise durch neue Sicherheitsgesetze vorgenommen wird. Die Leute, die jetzt am lautesten schreien, haben die geringsten Hemmungen, demokratische Rechte ständig weiter einzuschränken. Wenn wir aber aufstehen und sagen, wir wollen uns das nicht bieten lassen, dass die Nazis hier in dieser Form durch die Stadt marschieren können, dann wird uns auf einmal die Demokratie entgegen gehalten. Das zweite ist, wenn eine Ordnungsbehörde eine inhaltlich ziemlich schlechte Verbotsverfügung macht und irgendeine Kammer am Verwaltungsgericht dann einen entsprechenden Beschluss fällt, hat das noch nicht viel zu sagen. Wir müssen viel mehr Selbstbewusstsein für unser Handeln entwickeln, als es in letzter Zeit manchmal zu spüren war, und dürfen uns nicht ins Bockshorn jagen lassen, wenn von der Gegenseite so getan wird, als würden wir mit unserem Handeln die Demokratie gefährden. Wir verteidigen demokratische Rechte - nicht nur gegen die Nazis, sondern auch gegen ihre Abschaffung durch bürgerliche Parteien. Das müssen wir denen auch ganz selbstbewusst entgegen halten. Und wenn wir das richtig machen, dann wird sich auch solch ein Angriff mit einem drohenden Strafverfahren in Luft auflösen.
Massenblockaden gegen Nazis - reicht das denn? Kann man dabei stehen bleiben?
W.: Nein, dabei allein kann man nicht stehen bleiben. Massenblockaden gegen Nazigroßaufmärsche sind die Option, die man am Tag selber durchführen kann und das bedarf einer großen Vorbereitung. Aber man muss auch viel inhaltliche Arbeit, viel gesellschaftliche Aufklärungsarbeit machen und inhaltliche Auseinandersetzungen fördern. Die Nazis docken an den Mythos Dresden an. Daher müssen wir diesen Mythos thematisieren - und am Besten insgesamt abschaffen, um damit den Nazis eine Grundlage zu entziehen. Da ist schon eine Menge passiert, man merkt durchaus Veränderungen in der Stadt. Es wird breiter diskutiert und es hat bereits Konsequenzen. Beispielsweise nimmt die sächsische Linksfraktion explizit nicht mehr an den Feierlichkeiten auf dem Heidefriedhof teil.
S.: Wir haben in unserer diesjährigen Mobilisierung versucht, das Thema Gedenkpolitik stärker in den Mittelpunkt zu rücken. Wir haben bundesweit inhaltliche Veranstaltungen gemacht und versucht, dieses Thema breiter zu diskutieren. Es ist aber wichtig, den Mythos überhaupt anzugreifen und nicht nur bis zu dem Punkt, an dem sich die Nazis darauf beziehen können. Bislang ist es uns nicht wirklich gelungen, unsere inhaltlichen Positionen gesellschaftlich deutlich zu verbreitern.
Gibt es denn nach der zweiten Runde Dresden-Nazifrei-Mobilisierung mehr Leute, die sich für das Thema interessieren?
W.: Auf jeden Fall. Vor den Massenblockaden haben wir schon sehr viel positives Feedback aus der Bevölkerung Dresdens bekommen. Die Leute engagieren sich mehr, sind interessierter und haben sich angeboten. Da kamen Sachen wie: "Ich hab hier Plakatflächen an meinem Haus, die könnt ihr gern nutzen. Gib mir mal ein paar Plakate mit." Oder auch: "Wo kann ich mithelfen? Ich möchte am Tag selbst nicht einfach nur rumsitzen, sondern aktiv was gegen die Nazis tun." Die erfolgreiche Blockade hat dann massive Diskussionen ausgelöst. Überall hat man in den drei, vier Tagen nach dem 19. Februar die Leute über Dresden sprechen hören, über die Blockaden, über den Erfolg und darüber, wie man sich im nächsten Jahr engagieren kann - ob das jetzt im Supermarkt an der Kasse war oder in der Kneipe. Das fand ich schon sehr interessant. Das war ein sehr breites Spektrum an Leuten - ältere, jüngere, organisierte und auch unorganisierte ... Ich schätze, dass dieses Jahr etwa 5.000 Dresdner und Dresdnerinnen zu den Aktionen gekommen sind. Dieser Erfolg wird sich vermutlich auch noch positiv auf das nächste Jahr auswirken.
S.: Das merkt man auch an der bundesweiten Mobilisierung. Aus der Linkspartei, sogar aus Teilen der Sozialdemokraten, nämlich die Jusos, und von den Gewerkschaften sind Leute mit Bussen nach Dresden gefahren. Das sind Leute, die sich nicht nur dem Thema nähern, sondern auch einer Aktionsform, die ja ursprünglich nicht aus diesen politischen Kreisen kommt. Wenn diese Leute erkennen, dass es wichtig ist, hier aktiven Widerstand zu leisten und ein großes Bündnis zu machen, dann spricht das für ein inhaltliches Verständnis, dass gewachsen ist und sich weiterentwickelt - das ist Teil der Breite der inhaltlichen Intervention.
Was glaubt ihr, wie geht es weiter in Dresden mit Menschenkette, Naziaufmarsch, Dresden Nazifrei?
S.: Das ist sehr schwer zu prognostizieren. Zum jetzigen Zeitpunkt ist es fast nicht möglich, wirklich einzuschätzen, wie tief diese zweite Verhinderung des Aufmarsches die Naziszene getroffen hat. Manche tun ja so, als wäre es trotzdem eine Heldentat gewesen, obwohl sie komplett gescheitert sind. Vielleicht verliert Dresden schneller als wir glauben die Bedeutung, die es die letzten Jahre für die Naziszene hatte. Das kann man aber noch nicht sicher sagen. Und deswegen werden wir die Mobilisierung auch für das nächste Jahr fortsetzen müssen. Das lohnt sich aber auch aus doppelten Gründen: Wir müssen die inhaltliche Arbeit - jetzt mal losgelöst von dem reinem Naziaufmarsch - fortführen. Auch diese Angriffe, die jetzt von der Polizei und der Politik gemacht werden, mit der Drohung eines §129-Verfahrens müssen beantwortet werden. Wir müssen weiter kämpfen um die Legitimität antifaschistischen Widerstandes. Wir sind auf einem guten Weg, diese Aktionsform zu verteidigen und mit einer weiteren Mobilisierung diesen Marsch endgültig zu beenden.
Interview: Maike Zimmermann