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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 560 / 15.4.2011

Der Anti-Zuckermann

Wie die konkret-Redaktion einen ehemaligen Weggefährten niedermacht

Moshe Zuckermann hat Recht behalten: Der Antisemitismus-Vorwurf ist in der deutschen Linken zum inflationär gebrauchten "Herrschaftsinstrument" geworden. (1) Antideutschen "enthusiasmierten Israelanhängern" dient er dazu, jede Kritik an der israelischen Politik als "antisemitisch" abzuwehren. Nun ist Zuckermann selbst als "Antisemit" gebrandmarkt worden - ausgerechnet von der Hamburger Monatszeitschrift konkret. Deren Herausgeber Hermann L. Gremliza diskutierte vor nicht allzu langer Zeit noch mehrere Tage lang mit Zuckermann einigermaßen ernsthaft über das reale Israel und dessen antideutsch verzerrte Wahrnehmung. (2)

Man ahnt Böses bei der Betrachtung der März-Ausgabe von konkret, aber es kommt schlimmer, wenn man das Heft aufschlägt. "Kotzen. Linke Antisemiten" steht auf dem Titelblatt, im Heft geht es dann nur noch um den einen "linken Antisemiten": Moshe Zuckermann. Ihm sind sage und schreibe sechs Seiten gewidmet, wenn man die Hausmitteilung "von konkret" auf Seite 4 mitrechnet. Hier veröffentlicht Gremliza Auszüge aus seinem Jahre zurückliegenden Briefwechsel mit Zuckermann. Darin warnt er seinen "Freund" vor dem Umgang mit linken deutschen "Hardcore-Antisemiten" und "Nationalsozis", erkennt Zuckermanns Motive aber ausdrücklich an: "Du bist über die Politik der israelischen Regierung verzweifelt, fühlst Dich verlassen." Seine Teilnahme an der israelkritischen Konferenz "Stop the Wall" (2004 in Köln) werde Zuckermann "eher früher als später bereuen".

Dem Widerruf dieses "allzu freundlichen Irrtums" (konkret) dient nun der sechsseitige Anti-Zuckermann. Einziges Beweismittel gegen Zuckermann ist sein Interview in Radio Dreyeckland vom 28. Dezember 2010, aus dem einige Auszüge dokumentiert und mit mehr oder weniger zynischen Kommentaren versehen werden, z.B.: "Zuckermann über ein Naturereignis: Der Holocaust war eine welthistorische Katastrophe." Worauf noch zurückzukommen sein wird.

Besonders eine Aussage versetzt die konkret-Autoren in Rage. In dem Radio-Interview hätte Zuckermann behauptet, "was dort (in Israel) geschehe, stehe ,in nichts dem nach, was in Deutschland 1933 gang und gäbe gewesen ist`". So fasst es Alex Feuerherdt in seinem Artikel "Totalausfall" zusammen - eine glatte Fälschung. Denn Zuckermanns Vergleich mit Deutschland 1933 bezieht sich auf das, "was Rabbiner mittlerweile an Rhetorik von sich geben, was für Demonstrationen es gegen Araber und gegen Gastarbeiter hier gegeben hat in den letzten Wochen", so Zuckermann wörtlich. Es werde "mittlerweile einem blanken theologischen Rassismus das Wort geredet, und keiner im Establishment stellt sich dagegen." An anderer Stelle spricht Zuckermann von "Faschisierung". Als Indiz dafür nennt er vor allem den in der israelischen Gesellschaft verbreiteten anti-arabischen Rassismus.

Feuerherdt weist Zuckermanns Kritik pauschal zurück, nicht nur den Begriff Faschisierung, sondern auch Formulierungen wie "Rechtskurs" oder "Alltagsrassismus". Über die Forderung des rechtsextremen israelischen Außenministers Avigdor Liebermann, auch die arabischen StaatsbürgerInnen sollten einen Schwur auf den jüdischen Staat Israel ablegen, schreibt Feuerherdt: "Man kann Liebermanns Idee für abwegig halten; das Problem, auf das er reagierte, lässt sich dennoch nicht leugnen." Gemeint ist das "Problem" mangelnder Loyalität israelischer AraberInnen gegenüber dem Staat, in dem sie leben und der ihnen gleiche Rechte verweigert.

Auf Feuerherdts Artikel folgt ein Interview mit dem israelischen Historiker Yaacov Lozowick, Autor des gänzlich unkritischen Buches "Israels Existenzkampf. Eine moralische Rechtfertigung seiner Kriege", erschienen 2005 im Konkret Literatur Verlag. (siehe Rezension in ak 519) Lozowick antwortet wie gewünscht: Israel ist eine "funktionierende Demokratie", zwar werden auch mal "populistische Gesetze" vorgeschlagen, dann aber nicht verabschiedet; Zugeständnisse an die PalästinenserInnen dagegen gefährden den Frieden - siehe Israels Abzug aus Gaza 2006: "Zum Dank wählten die Palästinenser die Hamas an die Regierung ..."

"Zurichtung der Quellen" und "selektive Zitiertechnik"

Die von Zuckermann kritisierten Manifestationen von antiarabischem Alltagsrassismus nennt Lozowick "Anekdoten" - "in einer vernünftigen Welt würde von Zuckermann niemand Notiz nehmen oder gar seinen Meinungen Beachtung schenken." Die konkret-Redaktion nimmt von Zuckermann nur "Notiz", um ihn publizistisch niederzuknüppeln, und dass sie seinen Meinungen "Beachtung schenken" würde, kann man nun wirklich nicht sagen: Anstatt sich mit seinen systematisch entwickelten und argumentativ begründeten Positionen - etwa in seinem letzten Buch - auseinanderzusetzen, sucht sie "Stellen" in einem 45-minütigen Radio-Interview.

Zuckermann warnt vor anti-arabischem Rassismus

ak-Autor Gerhard Hanloser, der dieses Interview führte, weist in einem Leserbrief Feuerherdts "selektive Zitiertechnik" zum Zwecke der gewünschten "Zurichtung der Quellen" zurück. (konkret 4/11) In ihrer Antwort wirft die konkret-Redaktion Hanloser vor, auf jeden Beweis für seine Anschuldigung zu verzichten; insbesondere würde er den Satz, in dem Zuckermann von "Deutschland 1933" spricht, "so weiträumig wie möglich" umfahren. Dass diese "Stelle" von Feuerherdt tatsächlich für seine Zwecke "zugerichtet" wurde, habe ich oben gezeigt. Wer es nicht glaubt, möge sich das Interview anhören; eine schriftliche Fassung davon liegt leider nicht vor. (3)

Da Zuckermann nunmehr als "Antisemit" entlarvt ist, kann konkret auch noch einen Schritt weiter gehen und ihm die Relativierung von Auschwitz vorwerfen. Als Beweis muss die schon zitierte Formulierung von der "weltgeschichtlichen Katastrophe" herhalten. Eine nicht nur umgangssprachlich, sondern auch in der Wissenschaft gebräuchliche Wortwahl - siehe etwa die Arbeiten des bedeutenden israelischen Historikers Yehuda Bauer, der die Shoah als "präzedenzlose Katastrophe" bezeichnet. Dass die Shoah für ihn kein Naturereignis, sondern ein Verbrechen ist, hat auch Zuckermann unmissverständlich deutlich gemacht, u.a. mit der Formulierung, dass "die Juden eben doch die Hauptopfer der Katastrophe waren und die Deutschen die Haupttäter". (4) Als er das sagte, saßen Hermann L. Gremliza, Thomas Ebermann und Volker Weiß mit am Tisch - keiner von ihnen hat protestiert, damit würde "Auschwitz relativiert".

Seitdem sind einige Jahre vergangen, und mittlerweile ist kein Gedanke (?) mehr zu blöd und kein Niveau zu niedrig, wenn es gilt, einen gefährlichen Feind (un)kenntlich zu machen und zum "Antisemiten" zu stempeln. Für die Nachfahren der deutschen Tätergeneration, die sich hierüber die Definitionsmacht anmaßen, spielt es offensichtlich auch überhaupt keine Rolle, wen sie hier zur Unperson machen: Moshe Zuckermann ist ein Sohn jüdischer Holocaust-Überlebender und hat sich als marxistischer Wissenschaftler differenziert mit dem Holocaust und dessen Instrumentalisierung in Deutschland und Israel auseinandergesetzt. (5)

Dass Zuckermanns Positionen Kritik herausfordern, ist davon unbenommen. Das gilt insbesondere für seine Verharmlosung des islamisierten Antisemitismus und seine psychoanalytische Deutung der Motive der Antideutschen. In dem Radio-Dreyeckland-Interview bezeichnet er letztere als "latente Antisemiten". Erkenntnisgewinn wird durch solche Etikettierung eher erschwert. Auch Vergleiche der Zustände in Israel mit denen in Nazi-Deutschland begünstigen selbst dann - gewollte (siehe oben) wie ungewollte - Missverständnisse, wenn, wie im vorliegenden Fall, ihr Motiv nicht zu beanstanden ist.

Darüber in der deutschen Linken und ihren Publikationen offen zu streiten, auch Zuckermanns Faschisierungsthese kritisch zu überprüfen, würde zweierlei voraussetzen: erstens wirkliche Kenntnisse der israelischen Zustände (dass z.B. Gremliza daran überhaupt nicht interessiert ist, soll er Zuckermann gegenüber selbst zugegeben haben: Ihn interessiere nicht Israel, sondern Deutschland! Auch das berichtet Zuckermann in dem Radio-Dreyeckland-Interview); zweitens die Fähigkeit, abweichende Meinungen auszuhalten und ggf. scharf zu kritisieren, nicht aber deren TrägerInnen niederzumachen. Streitkultur nannte man das früher. Solidarität mit Moshe Zuckermann!

Jens Renner

Anmerkungen:

1) Moshe Zuckermann: "Antisemit!" Ein Vorwurf als Herrschaftsinstrument. ProMedia Verlag, Wien 2010. Rezension in ak 555

2) Moshe Zuckermann: Zweierlei Israel? Auskünfte eines marxistischen Juden an Thomas Ebermann, Hermann L. Gremliza und Volker Weiß. konkret Texte 34, Hamburg 2003. Rezension in ak 473

3) www.mediafire.com

4) siehe Anmerkung 2, Seite 31

5) siehe insbesondere sein Buch "Zweierlei Holocaust. Der Holocaust in den politischen Kulturen Israels und Deutschlands", Wallstein-Verlag, Göttingen 1998