Wo die Zeit Urlaub macht
Neonazis und SS-Gedenkfeiern - für Bad Reichenhall kein Problem
Am 28. März wurde der Antifaschist Werner P. vom Vorwurf der Versammlungsstörung freigesprochen. Gemeinsam mit mehreren Hundert Menschen aus einem breiten Bündnis hatte er am 8. Mai 2010 den Naziaufmarsch in München-Fürstenried erfolgreich blockiert. Die Neonazis erlitten eine empfindliche Niederlage und mussten wieder umkehren. Ganz anders der 8. Mai 2010 in Bad Reichenhall: Hier konnten Alt- und Neonazis ohne Proteste eine SS-Gedenkfeier durchführen. "Wo die Zeit Urlaub macht", so wirbt die Kleinstadt im Landkreis Berchtesgadener Land um Gäste. Dieser Werbespruch passt wie kaum ein anderer auf den örtlichen Umgang mit rechten Aktivitäten in der Kurstadt.
Seit Jahrzehnten findet am Kugelbach im Bad Reichenhaller Ortsteil Karlstein eine geschichtsrevisionistische Gedenkveranstaltung zu Ehren der SS-Division Charlemagne statt. Welche Gefahr von dieser Nazi-Gedenkveranstaltung ausgeht, wurde 2006 deutlich: Bei Polizeikontrollen wurden neben Hakenkreuzfahnen auch Sprengmittel, Pistolen, Rauchbomben und andere Waffenteile bei den ca. 130 Anwesenden beschlagnahmt. Diese kamen u.a. aus Deutschland, Frankreich, Italien und Dänemark. Zivilgesellschaftliche Proteste gegen das neonazistische Treiben gibt es jedoch bis heute nicht. Bei der 2010 von Uwe Brunke, NPD-Kreisvorsitzender Traustein-Berchtesgaden, angemeldeten Veranstaltung trat unter anderem Edda Schmidt auf, Bundesvorsitzende des Ring Nationaler Frauen und Landesvorstandsmitglied der NPD Baden Württemberg.
Horst-Wessel-Feiern und NPD-Stammtisch
"Erst seit der Rede des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker zum 8. Mai 1985 wird uns vorgelogen, es sei ein Tag der Befreiung", beginnt die NPD-Frontfrau ihre Hassrede in Bad Reichenhall. In der Vergangenheit war sie in den inzwischen verbotenen Organisationen Wiking Jugend und Heimattreue Vereinigung Deutschlands aktiv. Den oberbayerischen NPD-Aktivisten wie Mathias Häuslmann aus Freilassing oder Markus Fridgen aus Mühldorf dürfte es gefallen haben, als die Grande Dame der Naziszene im Bezug auf westliche Alliierte von "Friedensverbrechen" sprach.
"Die 45 Veranstaltungsteilnehmer der Rechten Szene, auch aus dem benachbarten Österreich, verhielten sich ruhig. Es kam zu keinerlei Störungen." So lautete das Resümee des Polizeipräsidiums Oberbayern Süd im letzten Jahr (Sicherheitsbericht 2010). Auch zum diesjährigen 8. Mai wird in extrem rechten Kreisen die "Gedenkveranstaltung (...) für die französischen Waffen-SS Angehörigen der Division Charlemagne" beworben. Ob das Fazit in diesem Jahr anders aussieht, wird sich zeigen.
Die Selbsthilfegruppe für Kriegsverbrecher
Bisher scheinen Neonazis in Bad Reichenhall jedenfalls nicht auf Ablehnung zu stoßen. Egal ob sie Aufkleber verkleben, Kundgebungen und Horst-Wessel-Feiern organisieren, die Ordensgemeinschaft der Ritterkreuzträger ihr Bundestreffen abhält oder sich die NPD zum monatlichen Stammtisch (z.T. mit NPD-Größen wie Holger Apfel) im lokalen Gasthaus trifft - Protest gibt es keinen. Im Gegenteil, unter dem Punkt "Vereine und Verbände" verlinkt die Stadt Bad Reichenhall sogar die rassistischen und rechtspopulistischen Republikaner und untersagte 2006 Vorträge zum Thema Antisemitismus im örtlichen Haus der Jugend. Aber nicht nur im Umgang mit der extremen Rechten scheint in Bad Reichenhall die Zeit Urlaub zu machen, sondern auch im Umgang mit Geschichtspolitik.
Die "Selbsthilfegruppe für Kriegsverbrecher" - wie der Arbeitskreis Angreifbare Traditionspflege den Kameradenkreis der Gebirgstruppe e.V bezeichnet - organisiert jedes Jahr im Mai eine Gedenkfeier. Gedacht wird hier der beim Kampf um Kreta gefallenen "Reichenhaller Gebirgsjäger" und des Bombenangriffs auf die Stadt Reichenhall im Zweiten Weltkrieg. Verdrängt werden dabei die Kriegsverbrechen, welche die "Reichenhaller Gebirgsjäger" auf der griechischen Insel begingen.
Während der deutschen Besatzung wurden damals über 3.500 ZivilistInnen hingerichtet und über 30 Dörfer komplett zerstört. Wie im Buch "Mörder unterm Edelweiß" nachzulesen, sind die Bad Reichenhaller "Gebirgsjäger" der 5. Division u.a. verantwortlich für die Zerstörung der Ortschaft Skines und die Erschießung von 148 kretischen ZivilistInnen am 1. August 1941. (1)
Nicht nur die Beteiligung der Bundeswehr am "Kreta-Gedenken" zeugt von der zweifelhaften Traditionspflege in Bad Reichenhall. Die örtliche Kaserne ist nach dem Nazigeneral Rudolf Konrad benannt, welcher wegen seiner "schmutzigen Kriegsführung" bekannt ist. Noch heute dekoriert ein großes nationalsozialistisches Wandgemälde den Kaserneneingang. Daneben hängt ein Reichsadler, nur hält er statt des Hakenkreuzes ein Edelweiß in den Klauen.
Für AntifaschistInnen ist "Bad Reichenhall ein Ort, der symbolisch für die widerliche geschichtsrevisionistische, militaristische Gedenkpolitik in der oberbayerischen Provinz steht", wie das Rabatz Bündnis schreibt. Anlässlich des 70. Jahrestages der deutschen Invasion auf Kreta ruft das Bündnis deshalb für Samstag, den 21. Mai 2011 zu einer Demonstration "gegen rechte Traditionspflege, Nazis und den militaristischen, nationalistischen deutschen Normalzustand" auf - damit die Zeit eben keinen Urlaub mehr macht.
Johannes Müller
Anmerkung:
1) Ralph Klein, Regina Mentner, Stephan Stracke (Hg.): Mörder unterm Edelweiß. Dokumentation des Hearings zu den Kriegsverbrechen der Gebirgsjäger. Papyrossa Verlag, Köln 2004
Weitere Informationen unter: www.badreichenhall.org