Her mit der Schrumpfwirtschaft
Hand in Hand: Postwachstum und Ausstieg aus der Atomkraft
Die explodierten Reaktoren in Fukushima stellen zweifelsohne einen Wendepunkt für das Weltenergiesystem dar. Die Katastrophe heizt die Debatte um die Zukunft der Energieversorgung und die Grenzen des Wachstums an. Diese hatte seit dem Kollaps der UN-Klimaverhandlungen in Kopenhagen (2009) und dem Zusammenbruch von Lehman Brothers (2008) an Tempo gewonnen hat. Während zahlreiche Konzepte eines grünen Kapitalismus international Karriere machen, beginnen sich auch Konturen einer solidarischen Postwachstumsökonomie abzuzeichnen.
An ein sofortiges Abschalten aller Atomanlagen ist nicht zu denken. Zumindest nicht in der EU, in der die Atomenergie 27 Prozent (2008) der Stromerzeugung ausmacht. Zudem geht die EU-Kommission davon aus, dass der Strombedarf bis 2030 um ein Drittel zunehmen wird. Wenn gleichzeitig der Anteil fossiler Brennstoffe zurückgedrängt werden soll, um auf die Klimakrise zu reagieren und Importabhängigkeiten zu reduzieren, dann stehen Wirtschafts- und Energieministerien vor einem Problem. Zudem droht beim wichtigsten Energieträger, dem Erdöl, tatsächlich ein physischer Mangel. Seit 2007 hat selbst die Internationale Energie Agentur (IEA) mit verblüffender Geschwindigkeit ihre scharfe Kritik an der These eines nahenden Peak Oil, eines Fördermaximums, aufgegeben. Selbst der IEA-Chef Ökonom Fathi Birol geht mit einer ungewöhnlichen Parole hausieren: "Wir müssen das Öl verlassen, bevor es uns verlässt".
Grüner Kapitalismus bricht nicht mit Neoliberalismus
Es ist somit eine Doppelkrise zu konstatieren: Die Krise des Energiesystems und eine ökologische Krise. Beide Krisen treffen auf die Kernschmelze der Finanzmärkte. Diese ist zwar in eine Art Schwelbrand überführt worden, die Banken und das gegenwärtig niedrige Wachstum hängen weiterhin an den Beatmungssystemen von immensen und spottbilligen Kreditlinien von Regierungen und Zentralbanken. Die Flucht aus der ökonomischen Stagnation der 1970er Jahre in den "schuldengetriebenen Finanzmarktkapitalismus" (Gopal Balakrishan) setzt sich jedoch mittels dieser neuen Kreditlinien weiter fort. Wie krisenhaft die weltwirtschaftliche Wachstumsblase weiterhin ist, zeigt, dass der globale Rohstoffindex seit April 2010 um ein Drittel gestiegen ist. Es liegt somit noch einmal deutlich höher, als bei seinem vorherigen Allzeithoch im Jahr 2008.
Diese multiplen Krisendynamiken haben eine Auseinandersetzung um neue und nachhaltige Formen des Wirtschaftens, keynesianische makro-ökonomische Strategien und sektorale grüne Modernisierungsoffensiven entfacht. Auf europäischer Ebene und in Deutschland punkteten vor allem die Grünen. Der öko-keynesianische sogenannte Green New Deal erscheint für die breite Öffentlichkeit als die einzige einigermaßen kohärente Antwort auf die genannten Krisen.
Auf internationaler Ebene ist die Diskussion inzwischen unter dem Slogan Green Economy angekommen. Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) hat als Vorlage für den Umweltgipfel RIO+20, der 2012 in Brasilien stattfindet, ihren Green-Economy-Bericht veröffentlicht, der sich wie ein Business-Plan für einen grünen Kapitalismus liest. Die wichtigsten Schlagworte sind "Technologie" und "neue Märkte". Kein Wunder: Der Koordinator des Reports, Pavan Sukhedev, arbeitet für die Deutsche Bank und hat sich für den Report ein Sabbatjahr genommen. Die uruguayanische NGO-Mitarbeiterin Silvia Ribeiro kommentiert: "Trotz des großen Finanzcrashs glauben die selben Banker, die ihr eigenes Haus nicht in Ordnung halten können, dass sie nun die Natur managen können. Entschuldigung dafür, dass wir Ihnen das nicht glauben können."
Nachhaltiges Wachstum als hegemoniale Strategie soll Konzernen hohe Profite ermöglichen, Arbeitsplätze schaffen und gleichzeitig die Ökonomie von C02-Emissionen befreien. Historisch gesehen ist Wirtschaftswachstum außergewöhnlich. Vor 250 Jahren betrugen die Wachstumsraten lediglich ca. 0,05 Prozent pro Jahr. Weit entfernt von den ein, zwei, drei Prozent, wie sie heute erreicht werden - an die bis zu 12 Prozentpunkte in China nicht zu denken. Derart hohe Wachstumsraten entstanden erst mit dem Beginn der industriellen Revolution, als die kapitalistische Logik dominant wurde und Investitionen zum Zweck der Kapitalakkumulation eingesetzt wurden. Der Profitmechanismus wurde zum Motor der Ökonomie. Die Konkurrenz der Unternehmen tut ihr übriges. Denn wer über längere Frist keine Gewinne erzielt und somit kein Wachstum vorweisen kann, verschwindet vom Markt, geht Pleite. Der Profitzwang der vielen einzelnen Kapitale führt zu einem Wachstumsdruck für die Wirtschaft insgesamt.
Dass ausgerechnet ein Wirtschaftsboom nun geeignet sein könnte, die Umweltkrise einzudämmen, beruht auf der These einer Entkopplung von Steigerung des Bruttoinlandprodukts (BIP) und Ressourcenverbrauch - das gilt auch unter Voraussetzung von Steigerung von Energieeffizienz und Einsatz von erneuerbaren Energien. Dieser Möglichkeit der Entkopplung widerspricht jedoch der britische Wirtschaftswissenschaftler Tim Jackson in seiner Studie "Prosperity without Growth". Wenn es das Ziel sei, die Klimaerwärmung bis zum Jahr 2050 auf die viel zitierten zwei Grad zu begrenzen und in jenem Jahr möglicherweise neun Milliarden Menschen auf dem Planeten leben, die alle über das EU-Durchschnittseinkommen verfügen sollen und von einem jährlichen Wachstum von zwei Prozent ausgegangen wird, dann wäre ein Energieeffizienzsteigerung bis um den Faktor 130 notwendig. Auch wenn dies nur ein Szenario ist, sprengt diese Größenordnung das, was beispielsweise der deutsche Effizient-Papst Ernst Ulrich von Weizsäcker in seinen Büchern "Faktor 4" und "Faktor 5" als möglich verspricht.
Wachstumskritik kann auch die Gesellschaft spalten
Das konzeptionelle Gebäude eines wachsenden grünen Kapitalismus hängt deshalb in der Luft und nimmt den Metabolismus von Mensch und Natur trotz gegenteiliger Behauptung nur schemenhaft wahr. Auch die in vielen Aspekten richtige Idee einer nachholenden Entwicklung, u.a. die Konzepte des Sozialismus des 21. Jahrhunderts in einigen lateinamerikanischen Staaten, hat keine mittelfristige Perspektive jenseits der extraktivistischen und wachstumsbasierten Wirtschaft.
Ausgehend von indigenen Kämpfen seit Ende der 1990er für ein buen vivir (gutes Leben) und Vorstellung einer Wirtschaftsweise jenseits von Naturausbeutung und postkolonialem Staatswesen entstand in Südeuropa ab ca. 2005 eine Bewegung, die sich mit dem Begriff Déscroissance (Ent-Wachstum) eine programmatische Basis gibt. In Frankreich, Spanien und Italien ist sie zum einen eine philosophische Strömung, zum anderen ein Netzwerk von Gruppen, deren Praxis in etwa dem nahe kommt, was man in der Bundesrepublik unter Solidarische Ökonomie versteht. Diverse Hausprojekte in Katalonien und daran angeschlossenen Projekte haben sich Decreixement zum Ziel gesetzt. Zumindest in Frankreich ist die Idee der Décroissance - in harter Auseinandersetzung mit der Wachstumsbegeisterung der Grünen - in einer breiten Öffentlichkeit bekannt - die Monatszeitschrift La Décroissance erreicht eine Auflage von 40.000 Exemplaren.
In Großbritannien findet man eine wirtschaftswissenschaftliche Debatte über Degrowth an Universitäten und in Think-Tanks. (1) Zudem gibt es auf der Insel die recht populäre Transition-Town-Gruppen, die einem ökologischen Lokalismus anhängen - allerdings ohne soziale Perspektive. In der französischen Bewegung hingegen gehört es zum akzeptierten Forderungskanon, neben einem Grundeinkommen auch ein Maximaleinkommen zu fordern. Dem Projekt einer solidarischen Postwachstumsökonomie liegt dementsprechend die Idee eines radikalen universalistischen Egalitarismus zugrunde. Dies wird unter anderem von einem global gleichen Recht auf den Pro-Kopf-Verbrauch von Ressourcen zugrunde, welcher in der Summe unterhalb der Regenerationsfähigkeit der Biosphäre bleiben muss.
Die Alternative zum Wachstumswahn sind gleiche soziale und ökologische Rechte - in Nord und Süd. Oder wie es Edgardo Lander von der Zentraluniversität Caracas beim Weltsozialforum in Dakar auf den Punkt brachte: "Wir kämpfen für ein neues Projekt der Gleichheit, denn Wirtschaftswachstum ist Selbstmord für die Zivilisation".
Ein alleiniger Fokus auf einen Schrumpfungsimperativ führt allerdings in politische Untiefen. Dies zeigen nicht zuletzt neoliberale und konservativ-neofeudalistische Spielarten von Wachstumskritik a la Meinhard Miegel (CDU) und seines Kompagnons Kurt Biedenkopf. Beide weben ökologisch begründete wachstumskritische Argumente in den reaktionären Chor ein: "Wir haben über unsere Verhältnisse gelebt" oder "Wir müssen den Gürtel enger schnallen".
Um dieser Logik zu begegnen war bei den französischen Krisenprotesten 2009 der Slogan zu hören: "Leur recession n'est pas notre décroissance!" (Ihre Rezession ist nicht unser Niedergang). Statt nämlich die Akkumulation von Kapital als Ursache der Wachstumsdynamik zu betrachten, werden in der rechten Variante der Wachstumskritik sozialstaatliche Transfers, die den Konsum der Vielen ermöglichen, als ökologisches Problem ausgemacht. Entsprechend liegt für sie die Lösung der Umweltkrise darin, den Sozialstaat abzuschaffen und den Familien alle Fürsorgeleistungen aufzubürden.
Mit der imperialen Lebensweise brechen
Auch die Idee einer Postwachstumsgesellschaft wie sie im Umfeld der Umweltverbände formuliert wird (z.B. von Angelika Zahrnt vom BUND), bricht nur unvollständig mit neoliberalen Dogmen. Wachstumskritik wird auf diesem Wege zum Rechtfertigungsinstrument und Hebel einer weiteren Spaltung der Gesellschaft.
Eine solidarische Postwachstumsökonomie, welche auf ein Schrumpfen des Ressourcenverbrauch und des BIP zielt, setzt eine neue Konfiguration von Investitionen, Konsum, Arbeit und Produktivität voraus. Dies bedeutet einen Wechsel von privaten Investitionen und privatem Konsum hin zu öffentlichen Investitionen und kollektivem Konsum - z.B. öffentlicher Nahverkehr statt privaten Konsums von Automobilität. Generell geht es um einen strukturellen Übergang von hochproduktiven Sektoren hin zu sozialen und ökologischen Dienstleistungen, die nur auf sehr lange Frist oder gar keine Profite erzeugen. Ein Schlüssel für eine solche ökonomische Struktur ist die demokratische gesellschaftliche Kontrolle von Investitionen. Hinzu kommt eine massive Reduktion und Umverteilung von Arbeitszeit. Letzteres böte auch die Basis mit der auf immer größeren Naturverbrauch basierenden "imperialen Lebensweise" (Brand/Wissen) zu brechen.
Auch wenn die Kräfteverhältnisse für ein solches postkapitalistisches Projekt alles andere als günstig sind, mit Einstiegsprojekten wie "ÖPNV umsonst", Aneignung und demokratischer Kontrolle von Energieversorgung oder Projekten Solidarischer Landwirtschaft ließen sich erste Schritte gehen.
Alexis J. Passadakis
Vom 20. bis 22. Mai findet in Berlin der Kongress "Jenseits des Wachstums?!" unter dem Motto "Ökologische Gerechtigkeit. Soziale Rechte. Gutes Leben." statt. Infos auf der Kongresswebseite unter www.jenseits-des-wachstums.de
Zum Weiterlesen:
Matthias Schmelzer, Alexis Passadakis: Postwachstum - Krise, ökologische Grenzen & soziale Rechte. VSA-Verlag, Hamburg 2011. www.postwachstum.net
Anmerkung:
1) Vgl. New Economics Foundation: www.neweconomics.org