Laber Rhabarber
Die Ausstiegsphrasen kennen wir doch!
Nach der Atomkatastrophe waren sich fast alle einig: Der Bundespräsident forderte zum "Innehalten" auf, der saarländische CDU-Chef regte einen Ausstieg an, und der baden-württembergische Ministerpräsident unterstrich: "Dass die Kernenergie eine Übergangs-Energie ist, darüber können wir uns schnell verständigen." Der Unions-Fraktionsvorsitzende stellte klar: "Die Zukunft gehört nicht der Kernkraft, weil kein Mensch mit so großen Risiken leben will, wenn es risikoärmere, gefahrlosere Arten der Energieerzeugung gibt." Auch die FDP sprach sich für einen "mittelfristigen" Ausstieg aus der Kernenergie aus. Auf ihrem Bundesparteitag übernahm sie die Formulierung von der "Übergangstechnik". Und aus dem Bundeskanzleramt war zu vernehmen: "Wir wollen keineswegs bei der Energieerzeugung durch Kernspaltung stehen bleiben, sondern unterstützen vielfältige Forschungsanstrengungen für andere Energiequellen, auch neue."
Kommen diese Sätze bekannt vor? So hörte sich 1986 die deutsche Debatte nach der Atomkatastrophe in Tschernobyl an - vor 25 Jahren. Die Phrasendrescher Richard von Weizsäcker, Lothar Späth, Erwin Teufel und Helmut Kohl sind Geschichte. Die Phrasen sind geblieben - wie die deutschen AKWs. Vor 25 Jahren sollte auch dem Letzten klar geworden sein, dass Atomkraft eine nicht zu verantwortende Zeitbombe ist. Selbst die Atomindustrie knickte damals ein - zumindest rhetorisch: "Ich habe ja selbst schon vor Tschernobyl davon gesprochen, dass Kernenergie nur eine Übergangsenergie ist ... Ich habe die Übergangszeit damals auf etwa 50 Jahre geschätzt", so der Veba-Chef Rudolf von Bennigsen-Foerder 1989. Veba war ein Vorgänger von E.ON. Es kam anders - auch dank Rot-Grün.
Der Atomstaat antwortete 1986 einerseits gegenüber der radikaleren Anti-Atom-Bewegung vor allem mit Repression. Und andererseits wurden unter Rot-Grün große Teile der Anti-AKW-Bewegung in einen neuen Atomkonsens eingebunden - ein schneller Ausstieg rückte in weite Ferne.
Dieser Rückblick zeigt: Atomausstieg bleibt Handarbeit. Das Aus für die Atomkraft muss auf der Straße sowie in vielfältiger Weise gesellschaftlich erzwungen werden. Dass sich angesichts des schwarz-gelben Herumeierns die Grünen als die legitimen Erben der Bewegung stilisieren können, ist ein deutlicher Beleg dafür, wie schlecht das politische Gedächtnis in der Gesellschaft ist. Im Jahr 2001 hatte sich Jürgen Trittin angemaßt, dem Widerstand gegen die Castortransporte die Legitimation abzusprechen. Mit dem rot-grünen "Ausstieg" wurden die Atommülltransporte plötzlich wichtig und notwendig, auch für die Grünen.
1986 wetterten viele noch gegen die veraltete und unzureichende sowjetische Technik. Die Katastrophe in Japan zeigt, dass auch in einem der reichsten und am meisten industrialisierten Länder der Welt "Restrisiko" gleichbedeutend mit atomarer Katastrophe ist. Japan zeigt aber auch: Der Widerstand gegen die Atomkraft muss antikapitalistisch sein. Es ist vor allem die Logik des Profits, die den unermesslichen Hunger der Industrie nach Energie begründet. Auch bei den Energieunternehmen: Der RWE-Konzern klagt deshalb gegen das dreimonatige Moratorium der Bundesregierung, weil ihm dadurch ein Gewinn von einer Million Euro täglich entgeht.
Wie überkommen das Leitbild einer atomar betriebenen Wirtschaft ist, zeigt sich daran, dass ein grün-bürgerlicher Block inzwischen auf ein ganz anderes Projekt setzt: die grüne Modernisierung des Kapitalismus. Ein florierender Kapitalismus, neue Arbeitsplätze und ein gestärkter Wirtschaftsstandort Deutschland sind für Gewerkschaften, Sozialdemokratie und Grüne die gewichtigen Gründe, sich für eine Energiewende einzusetzen.
Die radikale Linke steht deshalb vor einer doppelten Aufgabe. Sie muss mit einem möglichst breiten gesellschaftlichen Bündnis dem Atomstaat den Rest geben. Gleichzeitig muss sie die Energiewende mit einem Weg aus dem auf Ausbeutung von Mensch und Natur gründenden Kapitalismus verbinden - eine Brücke in eine befreite Gesellschaft.
25 Jahre Tschernobyl, Seite 13-16