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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 561 / 20.5.2011

My Home Is My Castle

In der Krise hat das gediegene Wohnen Konjunktur

Kann das Zufall sein? Sowohl das Zeit Magazin als auch das Magazin der Süddeutschen Zeitung haben Anfang April ihre Ausgaben dem Thema "Wohnen" gewidmet. Während die Süddeutsche den LeserInnen in mehreren Fotoessays zeigte, wie Berlin so wohnt, stellte das Zeit Magazin 100 Designklassiker vor, die jeder haben oder - wenn es der Geldbeutel nicht zulässt - zumindest kennen und begehren sollte. Man fragt sich, wie es zu diesem doppelten kongenialen Akt der Huldigung des Wohnens kommen konnte. Springen beide Medien etwa auf einen sich ausbreitenden Trend auf?

Ob auf Transparenten bei Demonstrationen, in Leitartikelüberschriften und Kommentaren oder Veranstaltungsankündigungen aller Art, überall wurde der Werbespruch des schwedischen Flach-Pakete-Herstellers IKEA "Wohnst du noch, oder lebst du schon?" verwurstet, verwendet, verdreht, mit neuen Verben bestückt und neuem Sinn versehen. Um die aktuellen Entwicklungen zu beschreiben, reicht es völlig aus, die beiden Verben zu vertauschen: "Lebst du noch, oder wohnst du schon?" - so lautet der Wahlspruch der beginnenden 2010er Jahre.

Denn Wohnen hat Konjunktur. In Berlin hat inzwischen das vierte IKEA Einrichtungshaus aufgemacht. Die Schöner Wohnen konnte in den letzten Jahren ihre Auflage erheblich steigern. Wohnen ist in, Leben ist out. Hielten die IKEA-Marketing-ExpertInnen das aufregende Leben noch dem piefigen Wohnen entgegen, so hat sich das Blatt inzwischen gewendet. Leben? Nein danke, ich mach es mir lieber drinnen gemütlich!

Leben? Ich mach's mir lieber drinnen gemütlich!

Passend zur neuen Bürgerlichkeit - oder auch der Verteidigung der alten Bürgerlichkeit - wird wieder richtig gewohnt, frei nach dem Motto "Zuhause ist's am Schönsten." Und bloß keine Experimente. WG war gestern, Einraum- bzw. Eigentumswohnung ist heute. Blättert man Ausgabe Nummer 14 des Magazins der Süddeutsche Zeitung durch, bekommt man einen ziemlich merkwürdigen Eindruck davon, wie BerlinerInnen wohnen. Bis auf zwei Ausnahmen, die die Wohnungen zweier Paare zeigen, werden ausschließlich Einpersonenhaushalte vorgestellt. Glaubt man den Bildern des SZ Magazins, wohnen in Berlin nur Design-affine Menschen und zwar allein in den hellen Räumen ihrer riesigen Altbauwohnungen, wo sie sich mit wenigen ausgesuchten Möbelstücken und Kunstobjekten umgeben. Familien? Wohngemeinschaften? Fehlanzeige - diese Menschen haben keine zeigenswerten Wohnungen, denn womöglich leben sie noch und wohnen nicht schon.

Wohnen meint inhärent immer das Private. Die Wohnung ist der Rückzugsort des vergesellschafteten menschlichen Wesens. Hier muss es keine repräsentative Rolle einnehmen, muss keine Haltung beziehen, keinen Standpunkt vertreten und sich - im Idealfall - nicht mit seinen Mitmenschen auseinandersetzen. Nimmt man den IKEA-Slogan ernst und versteht Wohnen und Leben als ein Gegensatzpaar, dann steht Wohnen für das Private und Leben für das Öffentliche. Und so kann der Trend zum Wohnen wohl als Abkehr vom öffentlichen Leben interpretiert werden. Das Private wird wieder privat und soll eben nicht mehr politisch sein. Was man früher an den Spießern kritisiert hat - das bedächtige Schützen der eigenen vier Wände, die liebevolle Pflege des Heims, die Abkehr vom Öffentlichen - ist inzwischen unter anderen design-ästhetischen Gesichtspunkten wieder mehrheitsfähig.

Wenn das SZ Magazin ein ganzes Heft den Privatwohnungen einiger BerlinerInnen widmet, so meint dass eben nicht, dass sich private Räume einer Öffentlichkeit öffnen. Im Gegenteil: Dass das Magazin einer Zeitung einen privaten Raum wie das Badezimmer zum Thema macht, bedeutet vielmehr einen Einfall des Privaten ins Öffentliche. Doch sollten hier nicht andere Themen diskutiert werden?

Je größer die Krise, umso heftiger wird gewohnt

Aber nicht nur in den Medien breitet sich das Wohnen aus. Selbst an öffentlichen Orten wird inzwischen gewohnt. Vor allem Cafés treiben die Ausbreitung des privaten Flairs im Öffentlichen voran. Jeder Kiez in Berlin, Hamburg, Köln oder München hat mittlerweile mindestens zwei "schöne" Cafés vorzuweisen, von denen mindestens eins auch "Das schöne Café" heißt. Wurde in den 1990ern die private Küche gerne als Industrieküche verkleidet, ist der Trend jetzt genau umgekehrt. Im schönen Café gibt es Omas Küchenschrank mit dem aus ähnlicher Epoche stammenden Sofa, Pastellwände und Blümchengeschirr. Das Café als zweites Wohnzimmer, als kleine private Enklave in der großen bösen Welt.

So gesehen könnte man die Wohn-Konjunktur auch als Krise des Öffentlichen beschreiben. Natürlich wird auf der einen Seite von "Wutbürgern" berichtet, die gegen Atomkraft und Stuttgart 21 protestieren und die sich von den PolitikerInnen nicht mehr bevormunden lassen möchten. Doch sowohl bei AKW-Laufzeitverlängerungen wie auch bei Stuttgart 21 handelt es sich um außergewöhnliche Großprojekte. Die alltägliche Krise des Öffentlichen wird dagegen viel weniger bewusst wahrgenommen. Der Rückbau des Sozialstaats, Leiharbeit, Kurzarbeit, Teilzeitarbeit, Minijobs, Jobverlust, Scheinselbstständigkeit, Diskriminierung von Frauen, Fremden, Alten, Kindern, die Krise im Neoliberalismus ist allgegenwärtig, doch die Frage "Wie wollen wir miteinander leben?" leider ganz weit weg.

Je größer die Krise desto stärker scheint der Wunsch nach Rückzug ins Private, desto heftiger wird gewohnt. Und umso mehr sehnen sich die BürgerInnen nach Richtlinien, wie denn gutes Wohnen aussieht.

Wie gut ist es doch, wenn man sich da auf Altbewährtes verlassen kann. So wie es auch die Redaktion des Zeit Magazins getan hat. Was den LeserInnen hier präsentiert wird, ist das Who-is-Who des internationalen Designs der letzten 60 Jahre. Wirklich mutig waren die RedakteurInnen in ihrer Auswahl nicht: Kochtöpfe von Creuset sind dort zu finden, Bürostühle von Ray und Charles Eames. Möbel also, die schon in unzähligen Publikationen als Style-Icons bezeichnet und für ihr gutes Design prämiert wurden.

Auch auf Floh- und Antikmärkten zeigt sich, dass Nachkriegsklassiker Konjunktur haben. Hier lässt sich auch beobachten, dass Mobiliar, das früher in öffentlichen Gebäuden zuhause war, gnadenlos ins Private verkauft wird. Wer saß in der städtischen Musikschule in den 1970er und 1980er Jahren nicht auf dem Stahlrohrstuhl SE 68 von Egon-Eiermann? Inzwischen werden diese Stühle bei Geschäften wie dem "Schönhauser" in Berlin für mehrere Hundert Euro verkauft.

Doch woher dieser Hunger nach Design und vor allem Design, das sich als solches schon ausgezeichnet hat? Die Antwort steht im Zeit Magazin zwischen den Zeilen: Hundert Produkte sollt ihr kaufen, dann seid ihr gegen jede Kritik eurer Wohnungseinrichtung gewappnet. Hundert Produkte, die euch und euren Besuchern zeigen, dass ihr Geschmack habt.

Denn der eigene Geschmack, dass hat Pierre Bourdieu in "Die feinen Unterschiede" herausgearbeitet, dient der Distinktion innerhalb einer sozialen Gruppe. Geschmack ist immer klassenspezifisch und ist durch Konventionen und Gate-Keeper gesichert. Geschmacksentscheidungen sind deshalb so einflussreich im sozialen Beziehungsgeflecht, weil sie so gar nicht kämpferisch oder aggressiv daherkommen. Dabei sind sie einer der wirksamsten Mechanismen in sozialen Abgrenzungs- und Ausschlussprozessen. Wie und wo jemand wohnt, verrät seiner Umwelt noch viel mehr als seine Kleidung. Bei den Anziehsachen lässt sich je nach Anlass ja noch tricksen, beim privaten Rückzugsraum der Wohnung ist das meistens nicht möglich.

"Geschmack" und "Stil" markieren Klassengrenzen

Ob man seine Möbel bei Höffner oder Ligne Roset kauft, wird nicht zur Glaubens- sondern zur Distinktionsfrage. "Zeige mir, wie du wohnst, und ich sage dir, wer du bist." Schrankwand und Sitzlandschaft sind hier gleichbedeutend mit "bildungsfernen Schichten". Ein Biedermeiersekretär von der Oma zeigt dagegen den Akademiker, oder einen Sprössling derselben an. Wer bei der neuen Bürgerlichkeit mitmachen will, muss sich schon auskennen mit Kaiser-Lampe, Missoni-Streifen, Stelton-Thermoskanne und Arne-Jacobsen-Stühlen. Der Wohntrend könnte so nicht nur als Rückzug ins Private gedeutet werden, sondern auch als Abgrenzungsmechanismus gegenüber anderen sozialen Schichten.

Oder wie viele Freunde hast du mit schwarzer Vitrinenschrankwand?

Stina Hoffmann