Der Dollar braucht einen Vorschuss
Die Krise lässt das Vertrauen in die Weltleitwährung wackeln
Es knirscht im Weltwährungssystem. In der Euro-Zone schreitet die Krise voran. Im Land des Yen treiben die Folgekosten des Erdbebens die Verschuldung weiter in die Höhe. Angesichts steigender Defizite wird nun sogar die Kreditwürdigkeit der USA offiziell angezweifelt. Eine neue Runde in der globalen Konkurrenz um Kredit - also um das "Vertrauen der Finanzmärkte" - ist eingeläutet. In dieser Konkurrenz bringen die Regierungen ihre schärfste Waffe in Anschlag: die Rentabilität ihrer Bevölkerung. Sie zahlt den Preis für stabile Staatsfinanzen: weniger Lohn, weniger Sozialleistungen, mehr Arbeit.
Mitte April gerieten die Finanzmärkte in Aufruhr. Die US-Ratingagentur Standard & Poor's (S&P) senkte den Ausblick für die Kreditwürdigkeit der USA auf "negativ". "Ein Tabubruch!", kommentierte die Bank Unicredit. Zwar erhalten die Vereinigten Staaten noch immer die beste Bonitätsnote "AAA". Doch sieht S&P eine 33-prozentige Chance, dass die USA in den nächsten zwei Jahren herabgestuft werden. Grund: Die Staatsschulden Amerikas steigen dieses Jahr auf 100 Prozent der Wirtschaftsleistung - erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg. Gleichzeitig unternehme Washington keinerlei Sparanstrengungen, rügt S&P. Im Gegenteil: Während andere Staaten sparen, steigt das US-Haushaltsdefizit dieses Jahr und nächstes Jahr nochmals um jeweils eine Billion Dollar.
Die S&P-Entscheidung sei ein "Warnschuss für die US-Politik", urteilte die Börsen-Zeitung. Denn das Wort der Rating-Agenturen hat Gewicht. Im Auftrag der GeldanlegerInnen bewerten diese Agenturen die Kreditwürdigkeit von Unternehmen und Staaten. Sie zählen die Einnahmen, die Schulden, erstellen Prognosen für die Verschuldung und vergeben am Ende eine Note. Wird ein Land herabgestuft, so kann dies in die Pleite führen. Denn verschlechtert sich die Kreditwürdigkeit, so steigt damit die so genannte Risikoprämie, die AnlegerInnen für ihre Kredite verlangen. Folge: Will eine Regierung sich verschulden, muss sie höhere Zinsen zahlen.
Jeder Staat will ein 1a-Schuldner sein
Die Fälle Griechenland, Portugal und Irland haben gezeigt: Unter Umständen steigen die Zinsen so hoch, dass eine Regierung keinen Zugang mehr zu neuen Krediten hat. Und so etwas führt heutzutage in den Bankrott. Denn jede Regierung der Welt hängt vom Zugang zu frischem Geld ab. Da alle kapitalistischen Länder auf Wirtschaftswachstum aus sind, nutzen sie den Kredit als Hebel: Auf Pump werden Straßen und Schulen gebaut, Elektrizitäts- und Telekommunikationsnetze modernisiert, Standortbedingungen verbessert, die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes erhöht, um InvestorInnen anzuziehen, deren Geschäften das Wirtschaftswachstum besorgen.
Ihre Kredite behandelt eine Regierung also als Vorschuss auf künftiges Wirtschaftswachstum. Umgekehrt soll das verstärkte Wirtschaftswachstum den Schuldenberg haltbar machen, quasi rechtfertigen. Keine Regierung verfolgt das Ziel, die Kredite vollständig zurückzuzahlen und irgendwann schuldenfrei zu sein. Alte Schulden zahlen Regierungen vielmehr zurück, indem sie neue Schulden aufnehmen - "roll over" nennt sich diese Technik.
Für jede Regierung ist daher der Zugang zu Krediten - das "Vertrauen der Finanzmärkte" - ein zentrales Staatsziel. Die jüngste Krise jedoch hat die Kreditwürdigkeit aller Industriestaaten beschädigt. In der Rezession sind ihre Einnahmen geschrumpft. Gleichzeitig gaben Regierungen Milliarden aus, um die Banken zu retten und die Konjunktur zu stützen. Folge: wachsende Defizite, die die Akteure an den Finanzmärkten beunruhigen. Für sie werden nun die Standorte rentabel gemacht: Die Staaten "sparen". Das bedeutet nicht, dass sie weniger ausgeben oder dass sie nur noch so viel ausgeben, wie sie einnehmen. Um das "Vertrauen der Finanzmärkte" wiederzuerlangen, wird der Standort vielmehr auf Wachstum getrimmt.
Die Beispiele in der Euro-Zone zeigen, wie das geht: Griechenland, Portugal, Irland und Spanien kürzen die Gehälter der Staatsbediensteten, um das gesamte Lohnniveau zu senken. Demselben Ziel dient die Erhöhung des Rentenalters, die Absenkung des Mindestlohns und die Aufweichung von Tarifverträgen. Daneben werden Sozialleistungen gesenkt und die Steuern erhöht - aber nur für die KonsumentInnen. Die Mehrwertsteuer steigt; die Unternehmensteuern hingegen bleiben unten, um das Kapital nicht zu verschrecken. Dieses praktische Werben um das "Vertrauen der Anleger" zeigt: Die Macht der Finanzmärkte ist intakt. Hieß es zu Beginn der Krise noch, man müsse die "Macht der Spekulanten" bändigen, so versucht inzwischen jeder Staat, ihr Vertrauen zu erlangen. Und zwar das Vertrauen darin, dass sein Standort eine rentable Anlagesphäre ist und er damit ein 1a-Schuldner, der jeden Kredit verdient.
In dieser globalen Konkurrenz um Kredite haben die USA nun einen Rückschlag erlitten: S&P droht damit, deren Kreditwürdigkeit herabzustufen. Doch führte dies nicht zu einer Flucht aus dem Dollar. Nach der S&P-Entscheidung fiel der Dollar nicht, US-Staatsanleihen stürzten nicht ab, und auch die Zinsen, die die Geldgeber von den USA verlangen, stiegen nicht an. Denn die USA sind nicht Griechenland oder Portugal, sondern die Heimat der Weltleitwährung Dollar. Das heißt: Rund um den Globus gilt der Dollar als Geld, Staaten horten ihn als ihren Staatsschatz, große Teile des Welthandels werden in Dollar abgerechnet. Kurz: "Alle Teilnehmer an der Weltwirtschaft müssen Dollarbestände halten", so Jörg Zeuner, Chefvolkswirt der VP Bank. "Die Nachfrage nach US-Anleihen ist daher entsprechend hoch."
Die Sonderstellung des Dollar gründet in dem, was hinter ihm steht: die größte Wirtschaftsmacht der Welt, die ein Viertel der globalen Produktion ausmacht, der größte Finanzmarkt der Welt und die stärkste Militärmacht, die jedes Jahr 550 Milliarden Dollar für ihre Bewaffnung ausgibt, das sind 40 Prozent der gesamten globalen Rüstungsausgaben. All dies ist die materielle Basis für das Versprechen der USA, ihre Schulden stets bedienen zu können.
Dieses Versprechen ist so machtvoll, dass die globale Geldwelt ihm Glauben schenkt. Für die USA bedeutet dies: Für jede geplante Ausgabe, für jedes Konjunkturprogramm geben die Finanzmärkte den USA - vorerst - den Kredit, den Amerika braucht. Darauf basiert auch die militärische Macht Amerikas. "Ein Land mit der dominierenden Reservewährung kann in Kriegszeiten auf umfangreichere Ressourcen zurückgreifen", so Peter Garber von der Deutschen Bank.
Ohne Alternative sind die USA unsinkbar
Die USA führen den KonkurrentInnen um die Weltmacht derzeit vor, was für eine Waffe das Monopol auf die Weltleitwährung ist. Unabhängig von der Verschuldungssituation Washingtons, sind die Nachfrage nach Dollar ungebrochen und sein Status als "sicherer Hafen" für GeldanlegerInnen unangetastet. Der Dollar ist alternativlos. Euro, Yen oder Chinas Renmimbi können ihn nicht ersetzen. Die Euro-Zone ist ihrerseits hoch verschuldet und steht permanent vor dem Auseinanderbrechen. Japan hat seinerseits die höchsten Staatsschulden aller Industriestaaten und steht nach dem Erdbeben vor Aufbaukosten zwischen 250 und 600 Milliarden Dollar. Bereits Ende März hatte S&P den Ausblick für die Kreditwürdigkeit Japans daher auf "negativ" gesetzt.
China wiederum prosperiert und hat geringe Schulden. Gleichzeitig jedoch ist die Landeswährung Renmimbi international gar nicht handelbar, stellt also außerhalb Chinas kein Geld dar. Zudem beruht die ökonomische Macht Chinas - wie auch die Japans - stark auf den angehäuften Dollar-Reserven. Japan verfügt über rund 800 Milliarden Dollar als Staatsschatz, China etwa über eine Billion. Ihre Kreditwürdigkeit hängt daher zumindest teilweise am Geld der USA.
Die Sonderstellung des Dollar hat so manchen Beobachter zu der Erkenntnis verleitet, die Drohung der Ratingagentur S&P, die USA in ihrer Kreditwürdigkeit herabzustufen, sei "lächerlich". "Wo bitte schön sollen die Anleger denn ihr Geld anlegen, wenn die Leitwährung nicht mehr sicher ist?", schrieb zum Beispiel die Frankfurter Rundschau. Die USA "sind so lange unsinkbar, solange es keine Alternative gibt. Die ganze Welt braucht Dollar, und nur die USA können ihn drucken."
Es wirft allerdings ein bezeichnendes Licht auf den Zustand des Weltwährungssystems, dass für den US-Dollar weniger die Solidität der US-Staatsfinanzen spricht, sondern die Tatsache, dass die anderen Weltwährungsmächte noch schlechter dastehen. Die Krise hat die globale Verschuldung in die Höhe getrieben und damit alle Währungen instabiler gemacht. In ihrem gegenseitigen Austauschverhältnis - dem Wechselkurs - spiegelt sich das nicht wider. Sichtbar wird dies jedoch im Verhältnis der Papiergelder zu den Edelmetallen. Gold ist auf ein Rekordhoch gestiegen, Silber immerhin auf ein 30-Jahres-Hoch. "Edelmetalle bleiben als Inflations- und Krisenabsicherung weiter gefragt", kommentiert die Commerzbank.
Solange die USA also über die Weltleitwährung verfügen, solange bleiben sie trotz Riesenschulden zahlungsfähig. An diesem Leitwährungsstatus sägen allerdings die KonkurrentInnen. "Zahlreiche Länder wollen eine wichtige Stütze für die geopolitische Bedeutung der USA schwächen, solange sich dafür die Gelegenheit bietet", so Deutsche-Bank-Ökonom Garber.
In Europa hielt sich lange die Hoffnung, aus der Krise könne "der Euro als neue zentrale Reservewährung hervorgehen", so die Friedrich-Ebert-Stiftung in der Analyse "Was kommt nach dem Dollar?". Diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt. Insbesondere China setzt nicht auf den Euro als Dollar-Konkurrenten. Die Regierung in Peking hat vielmehr den Vorschlag gemacht, die Sonderziehungsrechte (SZR) des Internationalen Währungsfonds (IWF) zum neuen Weltgeld und zur Alternative zum US-Dollar auszubauen. Auch die französische Regierung stellte sich hinter die Idee.
Die SZR werden den Dollar jedoch nicht ablösen. Denn sie sind gar kein Geld, sondern lediglich Anrechtsscheine, mit denen man an echtes Geld kommt - Euro, Yen, Pfund und vor allem Dollar. Zudem könnten die USA mit ihrer Veto-Macht im IWF jeden Versuch blockieren, aus den SZR eine wirkliche Währung und eine Alternative zum Dollar zu machen. Der IWF mag mächtig sein - so mächtig wie die USA ist er nicht. "Der IWF hat als Institution nicht das notwendige Durchsetzungsvermögen, das es für das Management einer Weltreservewährung braucht", urteilt die Bank Société Générale.
Die Dollar-Konkurrenten geben nicht auf
Dennoch geben die Dollar-KonkurrentInnen nicht auf. Frankreich hat auf G20-Ebene eine Arbeitsgruppe zur Reform des Weltwährungssystems eingerichtet. Die Euro-Zone macht sich daran, über eiserne Sparprogramme das Vertrauen der Finanzmärkte in den Euro zu festigen und über breit angelegte Lohnsenkungsprogramme seine Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Denn "nur ein wettbewerbsstarkes Europa hat Gewicht in der Welt", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer Regierungserklärung Ende März. China wiederum arbeitet daran, seinen Renmimbi als internationale Handels- und Anlagewährung zu etablieren, und kooperiert hierbei besonders mit Russland und Brasilien.
Die US-Regierung reagiert. Noch kann sie sich auf den Dollar verlassen. Doch sie will sich in den nächsten zehn Jahren weitere sieben Billionen Dollar von den Finanzmärkten leihen. Eine Aushöhlung des Dollar-Status als Weltreservewährung kann sie sich nicht leisten - genau so wenig wie den Aufstieg anderer Gelder zu Dollar-KonkurrentInnen. Denn "sobald der Dollar nur noch eine von mehreren konkurrierenden Reservewährungen ist, können Gelder rasch aus ihm abgezogen werden, wenn es in den USA zu finanziellem Missmanagement kommt oder wenn der Dollar wieder eingesetzt wird, um geopolitische Vorteile zu sichern", so Deutsche-Bank-Ökonom Garber. Der US-Generalstab hatte daher bereits im Jahr 2010 die hohen Schulden der USA als nationales Sicherheitsrisiko definiert.
Auch in den USA stehen daher Sparprogramme auf der politischen Agenda. Die Republikanische Partei will vor allem die Gesundheitsreform von Präsident Barack Obama teilweise kippen und massiv an den staatlichen Gesundheitsprogrammen Medicare und Medicaid sparen. Kürzungen im Militärhaushalt sind eher unwahrscheinlich. Denn die Macht des US-Dollar hängt an der globalen Durchsetzungsfähigkeit der US-Politik. Dies zeigte sich Anfang Mai: Als Obama die Tötung Osama bin Ladens verkündete, machte der Dollar einen Sprung nach oben.
Nick Sinakusch