Handreichungen zum Klassenkampf
Rating-Agenturen: Guter Rat ist teuer
„Europa darf sich den Euro nicht von drei US-Privatunternehmen kaputtmachen lassen“, wetterte die EU-Justizkommissarin Viviane Reding Mitte Juli gegen die Rating-Agenturen (RA) Standard & Poor’s, Moody’s und Fitch. Immer wieder schienen „die großen Drei“ alle Versuche von EU/IWF und den betroffenen Staaten zunichte zu machen, die Schuldenkrise zu überwinden und den Euro zu stabilisieren.
RA geben anhand eines abgestuften Benotungssystems eine Bewertung, ein Rating ab. Sie benoten damit die Kreditwürdigkeit von Schuldnern, die Anleihen auf den Finanzmärkten platzieren wollen. Dazu gehören vor allem Staaten und große Unternehmen. Grundlage für die Bewertung sind Analysen entlang Kriterien wie Marktposition, Finanz- und Ertragslage, Eigenkapital, Zahlungsverhalten etc.
Mit dem Neoliberalismus gewannen die RA zusammen mit den Finanzmärkten an Bedeutung. Aber nicht einfach so, sondern weil die staatliche Politik das wollte. Ratings wurden ein zentraler Bestandteil des institutionellen Rahmens. Schon seit 1933 sollen RA für Investoren zwischen sicheren („investment grade“) und spekulativen („non investment grade“) unterscheiden. Die damals neu gegründete US-Börsenaufsicht SEC verband damit die Hoffnung, eine Weltwirtschaftskrise wie die von 1929 zu verhindern.
Diese Vorstellung verallgemeinerte sich in den letzten 40 Jahren: RA sollten darüber entscheiden, was eine sichere Anlage ist, und die staatliche Politik richtete ihre Bankenregulierung, die Geldpolitik und sogar die Rentenpolitik danach aus.
Bankenregulierung: Der Basler Ausschuss für Bankenaufsicht, dem die Bankenaufsichten und Zentralbanken der G-10 angehören, hat beschlossen, dass nur Wertpapiere mit Bestnoten zum Eigenkapital zählen (Vermögen nach Abzug aller Schulden). Das Eigenkapital bestimmt den Umfang an Kredit, den eine Bank vergeben darf.
Geldpolitik: Die Zentralbanken regulieren die Geldmenge u.a. durch den Leitzins, d.h. den Zinssatz, zu dem Geschäftsbanken Geld bei der Bank der Banken leihen können. Geld bekommen sie aber nur, wenn sie im Gegenzug Wertpapiere mit Bestnoten als Sicherheit hinterlegen. Die Geldversorgung der Wirtschaft ist somit abhängig von den Bewertungen der RA. Die Herabstufungen griechischer Anleihen bedeutet deshalb nicht nur, dass Banken hohe Verluste drohen, sondern auch, dass ihnen Sicherheiten für die Geschäfte mit der EZB wegschmelzen. Die EZB machte in den letzten Monaten zwar Ausnahmen, löste ihre Geldpolitik jedoch nicht völlig von den Ratings.
Rentenpolitik: Mit der Privatisierung der Rente wurde auch die Rente in vielen Ländern von der Praxis der RA abhängig. Pensionsfonds und Versicherungen dürfen nur Papiere mit Bestnoten halten.
Was wird den RA nun vorgeworfen? Erstens wird kritisiert, dass RA Gefälligkeitsgutachten erstellen, da seit den 1970er Jahren nicht mehr die Investoren für eine Prüfung bezahlen, d.h. diejenigen, die ihr Geld profitabel anlegen wollen, sondern diejenigen, die die Wertpapiere ausgeben, d.h. verkaufen wollen. Ratings würden somit zu bezahlten Gefälligkeiten, Korruption hätte System. Anrüchig seien zweitens die intransparenten Methoden. Ein klassisch liberales Argument kritisiert drittens die Marktmacht „der großen Drei“. Das Oligopol würde keine korrigierende Konkurrenz ermöglichen. Viertens wird in diesem Zusammenhang meist auch kritisiert, dass dieses Oligopol US-amerikanisch sei.
Was ist davon zu halten? Richtig ist, dass ohne die RA die strukturierten Finanzprodukte, d.h. die mit Immobilienkrediten unterlegten Wertpapiere, die u.a. zur Krise 2008 ff. führten, nicht derart zum Kassenschlager geworden wären. Die Banken vertrauten den Ratings. Dennoch ist die Kritik völlig überzogen, die RA würden nur Gefälligkeitsgutachten abliefern – schließlich gibt es noch die Investoren, die ihr Kapital rentabel und sicher anlegen wollen. RA können also keine unglaubwürdigen oder realitätsfernen Gutachten produzieren, sonst machen sie sich unglaubwürdig und damit überflüssig. Was gerne vergessen wird: Für die Staatsanleihen greift dieses Argument überhaupt nicht, da die Staaten nicht für die Ratings bezahlen. Und vor allem bei der Herabstufung der Bonität von Staaten wie Griechenland gerieten die RA in Verruf.
Auch der Ruf nach transparenteren Methoden läuft ins Leere. Zwar könnte man damit die Ratings überprüfen, aber realistischer würden die Ratings damit trotzdem nicht – Krisen können nicht vorhergesagt werden. Das zeigt sich u.a. daran, dass auch IWF oder die OECD, also staatliche Organisationen, die Krise von 2008 ff. nicht prognostizierten. Ganz im Gegenteil. Der „Global Financial Stability Report“ des IWF ging 2007 sogar noch explizit von einer Stabilisierung der globalen Finanzmärkte aus. Und die OECD warnte Anfang August vor der wirtschaftlichen Entwicklung Griechenlands, was bei einer RA einer Herabstufung gleichkäme. Aus den bisher genannten Gründen würde sich grundsätzlich auch nichts ändern, wenn es mehr oder europäische RA gebe. Letztere gibt sogar bereits. So etwa die 1987 gegründete RA Feri EuroRating. Diese stufte sogar lange vor den „großen Drei“ Griechenland, Portugal, Irland und auch Spanien herab.
Alle genannten Argumente, so richtig und wichtig sie auch sind, verlieren einen zentralen Punkt aus dem Blick: den grundsätzlich krisenhaften und spekulativen Charakter des Kapitalismus. Gerade deshalb sind im Kapitalismus vertrauenswürde Informationen (im Gegensatz zu Gerüchten) so bedeutsam. Genau diese versprechen die RA. Sie machen aus Gerüchten eine autorisierte Nachricht – in Warenform. An der Funktionsweise des Kapitalismus ändern sie nichts – wie dieser sich auch nicht ändert, wenn es mehr, keine oder europäische RA gäbe.
Ingo Stützle