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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 563 / 19.8.2011

Reden wie der Mainstream

Für eine feministische Kritik an queerer Politik

Frauen werden von Männern unterdrückt und ausgebeutet. In der Queer-Szene gelte eine solche Aussage als unpassend, meint Detlef Georgia Schulze. Der queere Wunsch nach Repräsentation habe die Kritik an gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnissen ersetzt. Daran ändere auch eine queerfeministische Ökonomiekritik nichts, die sich der seichten Forderungen nach Gerechtigkeit und Gleichheit bediene. Ein Beitrag zur Debatte über das Verhältnis von feministischer und dekonstruktiver Politik. (Siehe Kasten)

Tove Soiland hatte mit ihrem Text in ak 558 ihren nachfolgenden KritikerInnen eine gute Vorlage geliefert, um sie als fade und altbacken (Tim Stüttgen in ak 559) abzukanzeln. Aber so richtig ist den KritikerInnen diese Vorlage gar nicht aufgefallen. Tove Soiland kritisierte die Abwendung der Cultural Studies von ihren marxistischen Ursprüngen und schrieb unmittelbar daran anschließend: Nicht die Analyse kapitalistischer Ausbeutungsverhältnisse und die spezifische Position von Frauen darin standen nun im Zentrum der Aufmerksamkeit, sondern die Befragung dieser Kategorien selbst. Vom Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnis zwischen Männern und Frauen war also auch bei Tove Soiland nicht die Rede, sondern von kapitalistischen Ausbeutungsverhältnissen. Und mehr noch, die These von der heterosexuellen Matrix (Judith Butler) lasse sich kaum mehr aufrechterhalten; auch Geschlechternormen seien flexibilisiert worden.

Queer ist aufregend und bunt, aber nicht feministisch

Die Überschrift des Artikels lautete zwar Haben dekonstruktive Ansätze den Feminismus entwaffnet? An den zitierten Stellen entsteht aber der Eindruck, dass Tove Soilands Antwort gar nicht Ja ist (so haben es aber die nachfolgenden KritikerInnen verstanden), sondern als habe der Neoliberalismus mit seiner Flexibilisierung der Geschlechternormen den Feminismus tatsächlich überflüssig gemacht und als sei das Problem nicht die Entwaffnung des Feminismus, sondern vielmehr die Entwaffnung des Marxismus. In genderpolitikonline schrieb sie allerdings 2009, dass trotz weitreichendem sozialem Wandel in den Geschlechterleitbildern spätkapitalistischer Gesellschaften das einzig Stabile ihre nach wie vor bestehende Hierarchisierung ist.

Angesichts eines gegenwärtig zu beobachtenden Trends zurück zur marxistischen These vom Klassenwiderspruch als Hauptwiderspruch, wie er sich zum Beispiel in einer Broschüre linker Gruppen zum 8. März 2011 zeigt (1), scheint es mir aber zentral zu sein, die in der Tat notwendige feministische Kritik daran, was Queer in der Bundesrepublik bedeutet, scharf von jedem Klassenreduktionismus abzugrenzen.

Da sich Queer vor allem um sex, gender und sexuality dreht, scheint mir das vorrangige Problem zu sein, dass Queer nicht feministisch ist. Denn nichts gilt heute in der queer-feministischen Szene als unpassender, als zu sagen, dass Frauen von Männern beherrscht und ausgebeutet werden. Dagegen wird kein Anlass ausgelassen, um die Lage von Trans-Wesen, die angeblich von Massen separatistischer Feministinnen ausgegrenzt und schikaniert werden, zu beklagen.

Damit ist eine bemerkenswerte Bedeutungsverschiebung von Queer eingetreten: Ging es anfangs auch um lesbische Sichtbarkeit in bzw. gegenüber einer heterosexuell dominierten Frauenbewegung, so wurde Queer bald zu einem Euphemismus, der das politisch aufgeladene Wort Lesbe (und entsprechend Schwuler) vermeidet. Wer sagt, er/sie gehe zu einer queer-Party, outet sich nicht als nicht-heterosexuell, sondern macht sich auf zu einem Event, das als schrill oder aufregend oder kunterbunt gilt.

Angesichts dieser Entwicklung hilft es auch nichts, sich auf die Ursprünge von Queer in den USA zu berufen, wie dies Lea Steinert und Kristin Ideler in ak 560 taten. Ja, die gab es wohl. Aber diese funktionierten auf der Grundlage der englisch-amerikanischen Wortgeschichte von Queer, die diesseits des Atlantiks nur SpezialistInnen bekannt ist. Queer ist genauso ein angeeignetes und umgedeutetes Schimpfwort wie schwul als Begriff der Politisierung männlich-homosexueller Identitäten, Nigger im Rap oder Kanake in der Sprache von Teilen der hiesigen MigrantInnen-Kinder und -Enkel. So konnte queer aber in Deutschland nicht funktionieren. Wer kennt hier schon die englisch-amerikanische Wortgeschichte?

Auch die ursprüngliche amerikanische Radikalität von Queer muss sich kritisch befragen lassen. Lea Steinert und Kristin Ideler schreiben: Auch die homogenisierte Darstellung nicht-heterosexueller Lebensformen, die stillschweigend ihre weißen, mittelständischen und männlichen Vertreter zur Norm machte, rief Widerspruch hervor. Parallel entwickelten sich in organisierten feministischen Zusammenhängen heftige Auseinandersetzungen um Pornografie, Bisexualität, Promiskuität, Penetration, Sadomasochismus, Transphobie und normierte Verhaltenscodices.

Der zweite Satz ist nicht mehr als eine Reihe von teils positiv, teils negativ bewerteten Schlagwörtern; wobei die beiden Autorinnen die Argumente für ihre Wertungen schuldig bleiben. So bleibt denn als Kernargument für die queere Radikalität: die Ablehnung normierter Verhaltenscodices, ohne jede weitere Bestimmung, was damit gemeint ist. Die Aussagekraft dieser Definition löst sich angesichts ihrer Allgemeinheit in Luft auf. Denn auch die Sätze Vergewaltige nicht oder Drücke dich nicht um deinen Anteil an der Hausarbeit sind Verhaltensnormen. Aber sind es Normen, gegen die sich die queere Kritik richtet?

Von politischem Bewusstsein ist nicht viel übrig

Von politischem Bewusstsein ist nichts übrig geblieben als philosophische Phrasen über Gerechtigkeit der Verteilung, Anerkennung und Teilhabe (Steinert/Ideler). Queer redet heute genauso, wie es Queer einmal dem schwul-lesbischen Mainstream vorwarf.

Wenn es dagegen mal eine radikale Botschaft von Queer gab, dann hat sie in etwa so geklungen: Nein, wir wollen kein Stück von eurem Kuchen abhaben. Wir pfeifen auf eure Anerkennung, denn wir bekämpfen Heterosexismus und Patriarchat dafür könnt ihr uns nicht anerkennen. Und gerecht ist, wie Karl Marx, ein Queer avant la lettre, sagte, das, was den jeweils herrschenden Standards von Gerechtigkeit entspricht. Es ist das, was wir umstürzen wollen, nicht das, was wir fordern.

Heutige queere Praxis in der Bundesrepublik ersetzt die frühe queere Kritik an der Forderung nach Anerkennung durch die Forderung nach eben dieser Anerkennung. Sie ersetzt, mit Cornelia Klinger gesprochen, De-Konstruktion durch Multikulturalismus. Letzterem geht es in erster Linie um den Anspruch auf Hörbarkeit und Sichtbarkeit, also darum, eine adäquate Repräsentation der Marginalisierten bzw. die Anerkennung ihrer eigenen Identität einzuklagen. Demgegenüber formuliert der Dekonstruktivismus prinzipielle Zweifel an der Einlösbarkeit ebendieser Ansprüche, wie Cornelia Klinger bereits 1995 schrieb. Und weiter: Aus einer feministischen Perspektive wird nicht nur beargwöhnt, dass Identitäten festgeschrieben werden, sondern darüber hinaus, welche Identitäten damit zu Ehren kommen. Denn aus einer feministischen Perspektive sind keineswegs alle Kulturen gleichwertig und ihre Gleichrangigkeit gleich anerkennenswert. (2)

Auch Kritik an (sexueller) Unterdrückung ist nicht dasselbe wie Foucaults Kritik der Repressionshypothese, sondern erinnert eher an Schriften aus dem Hause Wilhelm Reich/Herbert Marcuse. Reich und Marcuse meinten, die herrschenden Verhältnisse bedeuteten sexuelle Unterdrückung (was Foucault spöttisch Repressionshypothese nannte), sie unterdrückten Sex, es gäbe ein Sex-Tabu. Foucault zeigte demgegenüber, dass die Artikulation bestimmter Praktiken als Sexualität und damit die Herausbildung sexueller Identitäten (z.B. heterosexuell, homosexuell) gerade ein Produkt der von ihm kritisierten modernen Verhältnisse ist.

Nadine Lantzsch schreibt in ak 561: Es geht bei Dekonstruktivismus nicht um die Abschaffung begrifflicher Grundlagen. Recht hat sie! Nadine Lantzsch spricht halbwegs deutlich aus, dass wir es nicht mit der Einschränkung von Individuen bei der freien Entfaltung ihrer sexuellen usw. Persönlichkeit zu tun haben, sondern mit Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnissen zwischen gesellschaftlichen Gruppen. Sie schreibt: Die gegenwärtigen Produktionsverhältnisse affirmieren also nicht nur Geschlecht auf unterschiedliche Weise, sie schreiben zudem ein hierarchisch gegliedertes Geschlechterverhältnis fort. Somit muss Geschlecht eine zentrale Analysekategorie feministischer Gesellschafts- und Ökonomiekritik bleiben. Und: Er (der neoliberale Kapitalismus) kann sich auf ein postkoloniales Machtgefälle zwischen Metropole und Peripherie verlassen und daraus schöpfen.

Wunsch nach Anerkennung ersetzt politische Kritik

Aber auch Nadine Lantzsch macht sich die lose Rede über Menschenrechte, Ungleichheit und Ökonomiekritik zu eigen. Es geht aber nicht um Menschenrechte, denn die kapitalistische Produktionsweise, die freie und gleiche Rechtssubjekte und WarenbesitzerInnen, die freiwillig Verträge abschließen, voraussetzt, ist ein wahrer Garten Eden der Menschenrechte, wie Karl Marx sagte.

Und es geht auch nicht um Gleichheit und Ungleichheit. Auch Äpfel und Birnen sind ungleich und trotzdem besteht zwischen ihnen kein gesellschaftliches Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnis. Des weiteren: Eine herrschende und ausbeutende Klasse, ein herrschendes und ausbeutendes Geschlecht und eine herrschende und ausbeutende Rasse können dem jeweiligen beherrschten und ausgebeuteten Gegenstück nicht gleich werden; die Differenz zwischen ihnen konstituiert diese gesellschaftlichen Gruppen. Es gilt daher nicht deren illusorische Gleichheit, Gleichberechtigung oder Gleichstellung, sondern deren Überwindung zu fordern und zu erkämpfen. Dazu gehört aber zu allererst, deren gegenwärtiges Fortbestehen zur Kenntnis zu nehmen und uns nicht der Begriffe, die es ermöglichen, dieses Fortbestehen zu denken, zu berauben.

Genau dies tut leider auch die lose Rede über Ökonomiekritik. Karl Marx schrieb eine Kritik der Politischen Ökonomie; er kritisierte damit eine wenn auch in sich differenzierte bestimmte ökonomische Doktrin, die Politische Ökonomie, und eröffnete damit zugleich die Möglichkeit, sein Untersuchungsobjekt, die kapitalistische Produktionsweise zu analysieren. Damit stellte er Wissen bereit, das notwendig ist, um sie effektiv zu bekämpfen.

Ökonomiekritik scheint dagegen keine spezifische ökonomische Schule zu kritisieren, sondern eher faktische ökonomische Phänomene. Aber wieso, weshalb, warum wir diese kritisieren sollen, weiß Ökonomiekritik nicht zu sagen. Vielmehr warnt Ökonomiekritik überhaupt, anderes zu sagen als heiße Luft: Wir wollten weder begrifflich noch analytisch vorlegen / ist ganz stark offen / in den Raum werfen und einladen / Fragen sind beliebte Formulierungen ihrer VertreterInnen. (3)

Wer derart fragend auf der Stelle tritt und keine These wagt, nimmt in der Tat Abschied Abschied vom Marxismus und vom Feminismus.

Detlef Georgia Schulze

Anmerkungen:

1) Die Broschüre Zusammen kämpfen gegen Patriarchat, Ausbeutung und Unterdrückung erschien anlässlich des hundertsten Jubiläums des Frauentags und kann von der Webseite 8maerz.blogsport.de heruntergeladen werden.

2) Cornelia Klinger, Über neuere Tendenzen in der Theorie der Geschlechterdifferenz, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 5/1995, 801-813.

3) http://maedchenblog.blogsport.de.

Queer vs. Feminismus? Die Debatte bisher:

In ak 558 kritisierte Tove Soiland, dekonstruktive Ansätze hätten sich auf die Kritik geschlechtlicher Identitäten zurückgezogen, statt die Stellung der Frau in der kapitalistischen Ausbeutung zu analysieren. Tim Stüttgen widersprach in ak 559: Statt nach falscher Einheit zu streben, sollten feministische Kämpfe die vielfältigen Gender-Identitäten zum Ausgangspunkt nehmen. Lea Steinert und Kristin Ideler verlangten in ak 560, sich den Auseinandersetzungen um Reproduktions- und Sorge-Arbeit zuzuwenden. Feministische Gesellschaftskritik braucht queere, postkoloniale und rassismuskritische Perspektiven, um der Komplexität gesellschaftlicher Probleme gerecht zu werden, meinte Nadine Lantzsch in ak 561. Und in ak 562 forderte Katharina Volk eine neue feministische Debatte über politische Utopien.