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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 563 / 19.8.2011

Aufgeblättert

Antikapitalismus

Der Kapitalismus droht uns zu erdrücken, die Menschen dieser Welt sitzen in einem Raum, und die Wände rücken immer näher; wir müssen sie zum Bersten bringen. John Holloway drischt wie andere AntikapitalistInnen auf diese Wände ein, um Brüche und Risse hervorzurufen; dann tritt er einen Schritt zurück, um Bruch- oder Schwachstellen zu entdecken – und schreibt: John Holloway, Professor für Politikwissenschaft in Puebla, Mexiko, ein Meister bildhaften Reflektierens. Ausgehend von der frühen Marxschen Unterscheidung abstrakter Arbeit und lebendiger Tätigkeit und in der Tradition der älteren Kritischen Theorie fokussiert er auf die Brüche in der Dominanz der abstrakten Arbeit. Alle menschlichen Tätigkeiten werden im Kapitalismus tendenziell in die Kapitalverwertung einbezogen, sie werden abstrahiert, um sie tauschbar zu machen – und wir machen mit: „Wir selbst bauen das Gefängnis. Es ist das Produkt der abstrakten Arbeit.“ Der antikapitalistische Schlüssel: Konkretes Tätigsein lässt sich nie ganz in die Form abstrakter Arbeit pressen, sie geht (potenziell) immer darüber hinaus. Dieser unser Überschuss ist die Grundlage, auf der Brüche und Risse herbeigeführt werden, aus der eine andere Welt geboren werden kann. Holloway moduliert immer wieder seine Kernideen, erweitert, illustriert sie. So entsteht ein origineller, theoretisch tiefgehender und praktisch nutzbarer Essay: ein Aufruf zur alltäglich-lokalen individuellen und kollektiven Rebellion. Der Kapitalismus wird weder zusammenbrechen noch im Kampf von Kapital und Arbeit revolutioniert. Die Revolution mit Holloway denken, heißt, sie als einen „Durchbruch denken, als dem Drängen des Tätigseins gegen-und-über-die-Arbeit-hinaus“, als die nicht-steuerbare Verbindung der Bruchlinien der unzählbaren Kämpfe. „Hört auf, Kapitalismus zu machen“, ruft Holloway, verweigert euch hier und jetzt. Eine Herausforderung.

Stefan Kerber-Clasen

John Holloway: Kapitalismus aufbrechen. Westfälisches Dampfboot, Münster 2010. 276 Seiten, 24,90 EUR

Repression in Österreich

2008 werden zehn Personen über drei Monate in Untersuchungshaft genommen: Sie werden verdächtigt, eine „kriminelle Organisation“ (§278a, vergleichbar mit den deutschen §129ff) gegründet zu haben. Der Prozess dauert über ein Jahr und endet am 2. Mai 2011 mit noch nicht rechtskräftigen Freisprüchen. (vgl. ak 562) In einem Buch der neuen Reihe „Kritik und Utopie“ des Mandelbaum Verlages werden die Maßnahmen gegen die österreichischen TierbefreierInnen und der Prozess aufgearbeitet. Ausgehend von der Beschreibung der Kampagnen der letzten Jahre wird die polizeiliche Verfolgung vom „großem Lauschangriff“ bis hin zu verdeckten ErmittlerInnen beschrieben; vieles wurde erst durch Einblick in die Prozessakten bekannt. So konnte im Verfahren die Arbeit einer eineinhalb Jahre aktiven verdeckten Ermittlerin aufgedeckt werden. Auch die Erfahrungen in der Haft und die Solidaritätsaktionen werden beschrieben. Ergänzt werden die Berichte durch die Geschichte der Anwendung der Organisationsparagraphen in Österreich und der Repression in der EU, Großbritannien und den USA. Das Buch ist nicht nur spannend zu lesen, weil über die Aktivitäten der Repressionsorgane und die Maßnahmen der Tierindustrie und den Widerstand dagegen berichtet wird; manche Berichte über das Agieren der Repressionsorgane während der Überwachung und vor dem Richter würden sogar zum Lachen reizen, wenn die Konsequenzen für die Angeklagten nicht so einschneidend wären. Außerdem stehen in Österreich weitere Verfahren wegen §278ff an.

Robert Foltin

Christof Mackinger/Birgit Pack (Hg.): §278a. Gemeint sind wir alle. Der Prozess gegen die Tierbefreiungs-Bewegung und seine Hintergründe. Mandelbaum Verlag, Wien 2011. 408 Seiten, 16,90 EUR

Fußball, Bild, Nation

Es ist ein immer noch weitverbreitetes Vorurteil, der Sportteil der Bild-Zeitung sei weniger schlimm als der Rest. Mesut Özil z.B. sieht das so – in seinem Werbeauftritt für Bild empfiehlt er, diesen Rest doch einfach wegzulassen und sich ganz auf Sport zu konzentrieren. Wozu Bild in Sachen vermeintlicher „Sport-Berichterstattung“ fähig ist, zeigt sich besonders drastisch bei dem Groß-Ereignis Fußballweltmeisterschaft (der Männer), wenn Sportbegeisterung zum Vehikel für mehr oder weniger hemmungslosen Nationalismus wird. Katja Schmitz-Dräger untersucht das in ihrem Buch mit dem vielsagenden Titel „Vom ,Wunder von Bern’ bis ,Schwarz-Rot-Geil’“ anhand der WM-Turniere 1954, 1974 und 2006. Dass sie die WM 1990 überspringt, ist schade: Schließlich wurden „wir“ in Italien Weltmeister, während sich daheim, kurz vor der deutschen „Wiedervereinigung“, das schwarz-rot-goldene Delirium Bahn brach. Gleichwohl liefern Schmitz-Drägers Analysen der drei anderen Turniere wichtige Erkenntnisse über das Agieren von Bild, ausführliche Zitate eingeschlossen. Dass die Autorin beim Sortieren dieses Mülls sachlich bleibt, ist bewundernswert. So wird auch die Entwicklung der Sportpolitik von Bild deutlich – von relativer Zurückhaltung 1954 bis zur aggressiven Ausgrenzung derjenigen, die sich 2006 vom „Sommermärchen“-Rausch nicht anstecken lassen wollten.

Js.

Katja Schmitz-Dräger: Vom „Wunder von Bern“ bis „Schwarz-Rot-Geil“. Die Berichterstattung der BILD-Zeitung zu den Fußballweltmeisterschaften 1954, 1974 und 2006. Peter Lang Verlag, Frankfurt am Main 2011. 122 Seiten, 19,80 EUR

Naxalitenbewegung

In mehreren indischen Bundesstaaten hat sich in der letzten Zeit die Situation enorm verschärft. Die Zahl der ermordeten Bäuerinnen und Bauern wächst. Die indischen Behörden erklären offiziell, dass es sich um Naxaliten handele, eine bewaffnete kommunistische Bewegung mit maoistischen Wurzeln. Jetzt hat der Frankfurter Politologe Lutz Getzschmann eine umfangreiche Untersuchung über Geschichte und Praxis der Naxaliten vorgelegt. Ihr Name stammt von der indischen Provinz Naxalbari, wo 1967 ein Bauernaufstand ausbrach, der zu einem Weckruf für die indische Linke jenseits der damals schon sozialdemokratisierten kommunistischen Parteien wurde. Auch viele junge Linke aus den indischen Metropolen begannen sich für die Kämpfe auf dem Land zu interessieren. Die studentischen Linken und die bäuerlichen KämpferInnen sind noch heute die beiden Säulen, die die Naxalitenbewegung tragen. Dabei musste die Bewegung auch wegen gravierender politischer Fehler schmerzhafte Niederlagen verkraften. Das Buch zeichnet sich dadurch aus, dass es die Naxaliten weder verdammt noch heroisiert. Getzschmann skizziert den politischen Kontext, in dem sich die Bewegung entwickelte, und zeigt ihre Grenzen auf. So gelang es ihr nicht, sich auch in den Metropolen festzusetzen. In mehreren Provinzen, wo die Naxaliten stark sind, finden sich wichtige Bodenschätze, die sich profitabel verwerten lassen. Bei diesen Plänen stören BewohnerInnen und soziale Bewegungen, die sich gegen die kapitalistische Durchdringung dieser Provinzen wehren, weil die ihnen ihre Existenzgrundlagen raubt. Unter dem Deckmantel der Naxalitenverfolgung könnte die indische Aufstandsbekämpfung gegen die gesamte soziale Bewegung weiter zunehmen. Getzschmann hat damit zur richtigen Zeit die Naxalitenbewegung in den Fokus der deutschsprachigen Linken gerückt.

Peter Nowak

Lutz Getzschmann: Naxaliten – Agrarrevolution und kapitalistische Modernisierung. Neuer ISP-Verlag, Köln 2011. 415 Seiten, 32 EUR