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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 563 / 19.8.2011

Homegrown Terrorist

Das politische Umfeld für den Massenmord von Oslo

Der Attentäter von Oslo – ein geisteskranker Außenseiter? So hätten es die skandinavischen RechtspopulistInnen gern. Indem sie den 32jährigen Anders Behring Breivik für verrückt erklären, bemühen sie sich um Distanz zur Tat. Doch das Szenario von der „schleichenden Übernahme des Islam“, gegen das Breivik seinen Massenmord richtete, ist eine zentrale Argumentationsfigur auch der norwegischen Rechten – und ein Garant ihres politischen Erfolgs. Ein Überblick über die rethorischen Rezepte der skandinavischen RechtspopulistInnen.

Am 22. Juli explodiert eine Bombe in der Innenstadt von Oslo. Acht Menschen sterben. Einige Stunden später erschießt ein in Polizeiuniform gekleideter Mann mindestens 69 junge Leute, die an einem Camp der sozialdemokratischen Jugendorganisation AUF auf der Insel Utøya teilnehmen. In den Stunden zwischen den Ereignissen sichert die norwegische Polizei die Landesgrenzen, „ExpertInnen“ vermuten einen islamistischen Hintergrund, und in Oslos Innenstadt werden Menschen gejagt, die migrantisch aussehen. Die Übergriffe enden erst, als sich herausstellt, dass ein Verdächtiger verhaftet wurde, der von 1999 bis 2007 Mitglied und zeitweise leitender Lokalfunktionär der rechtspopulistischen Fortschrittspartei (FrP) war.

Der Massenmord von Oslo und Utøya ist mit einem politischen Programm verbunden. Der Mann, der sich zu seiner Tat wie zu einer gelungenen PR-Aktion bekennt, nahm jenen „Bürgerkrieg“ vorweg, von dem skandinavische RechtspopulistInnen wie der Däne Søren Krarup seit vielen Jahren immer wieder sprechen. Der Täter bekennt sich zur Parole von der „schleichenden Machtübernahme des Islam“, die auch Teil der Rhetorik der norwegischen RechtspopulistInnen ist. Der Mörder war ein erfolgreicher Unternehmer, stolzes Mitglied der Freimaurerloge und eines etablierten Schützenvereins in Oslo, eifriger Blogger auf mehreren „kulturkonservativen“ Webseiten, kurz, ein anerkanntes Mitglied der norwegischen Gesellschaft (oder zumindest eines relevanten Teils derselben). In der zweiten Hälfte der 2000er Jahre distanzierte er sich von der „mangelnden Konsequenz“ der RechtspopulistInnen, weil er die parlamentarische Strategie der FrP nicht teilte. Aber er geriet nie in den Fokus der Polizei.

Massenmord gegen die „Invasion des Islam“

Die norwegische Fortschrittspartei (FrP) gehört nicht nur zu den ältesten, sondern auch zu den erfolgreichsten rechtspopulistischen Parteien in Europa. Bei der letzten Parlamentswahl, bei der die amtierende Koalition aus Sozialdemokratie, Bauernpartei und Sozialistischer Linkspartei 2009 sehr knapp im Amt bestätigt wurde, erhielten die RechtspopulistInnen fast ein Viertel der Stimmen. In der konservativen Vorgängerregierung war die FrP in vielen Fragen Zünglein an der Waage. Die Partei stellt etliche BürgermeisterInnen, auch in größeren Städten. Für die im September stattfindende Kommunalwahl wurden ihr nicht zum ersten Mal große Erfolge vorausgesagt, bei Meinungsumfragen stand sie schon in der Vergangenheit nicht selten bei über 30 Prozent. Wie die Dänische Volkspartei (DVP) trug die FrP in Norwegen erheblich dazu bei, dass anti-islamische und rassistische Parolen in der Öffentlichkeit als „stubenrein“ gelten konnten. Kritik an ihren Positionen diffamierte sie als „Angriffe auf die Meinungsfreiheit“.

In den drei großen westskandinavischen Ländern – auch in Schweden, wo die „Schwedendemokraten“ bei der letzten Parlamentswahl einen spektakulären Erfolg vermelden konnten und erstmals in den Riksdag einzogen – war zugleich der Ausschluss von allzu offen an die Nazi-Rhetorik anschließenden SprecherInnen seit den 1970er Jahren Teil einer Praxis, die dazu beitrug, den Rechtspopulismus hoffähig zu machen. Der Täter von Oslo und Utøya war von solchen Maßnahmen allerdings nie selbst betroffen: Nachdem er seinen Beitrag länger nicht gezahlt hatte, verschwand er 2007 unauffällig aus der Mitgliederkartei.

Die bürgerliche Presse in Skandinavien hat in den Tagen nach dem Anschlag mehrfach darauf hingewiesen, dass es in den bevorstehenden Wahlen in Norwegen und Dänemark weniger als in den vergangenen Jahren um das Migrationsthema ginge. Das ist falsch. In Dänemark, wo leider schon seit 2001 unter der Duldung der DVP eine Rechtsregierung im Amt ist, versucht diese angesichts der für sie verheerenden Meinungsumfragen schon seit Monaten, das Thema zum Leben zu erwecken.

Die unlängst eingeführten Kontrollen an der deutsch-dänischen Grenze sind mitten in diesem Diskurs verortet, in dem in unveränderter Lautstärke die Invasion des Islam an die Wand gemalt wird. Was an der Einschätzung skandinavischer Medien richtig ist, ist allerdings, dass es insbesondere die DVP in den letzten Jahren geschafft hat, eine fremdenfeindliche staatliche Politik durchzusetzen, die von jeder denkbaren Regierungskonstellation weitgehend geteilt wird. Sie reicht von der eher unauffälligen Kürzung der Sozialleistungen für Flüchtlinge bis hin zum europaweit beachteten brutalen Polizeieinsatz gegen Hungerstreikende im Kopenhagener Kirchenasyl. Die vermutlich kommende dänische Linksregierung hat sich bereits dazu bekannt, die wesentlichen Elemente der Migrationspolitik, die die Bürgerlichen in den vergangenen Jahren institutionalisiert haben, in Kraft zu lassen.

Ähnliches gilt leider auch für die sonst in vielerlei Hinsicht linksorientierte Regierung Norwegens: Hier steht eine egalitäre Sozial-, Bildungs- und Steuerpolitik der drakonischen Verschärfung der Lebensbedingungen von Flüchtlingen und einer rigiden Abschiebepolitik entgegen, die die sozialdemokratische Arbeiterpartei (AP) 2009 und 2010 teils im Konsens mit der FrP und gegen die allzu leise Kritik der Sozialistischen Linkspartei – und zwar mit dem völlig sachfremden Argument der „islamistischen“ Gefahr – durchsetzte.

Die Erfolgsstrategie der skandinavischen Rechten

Das Terrain, auf dem die öffentliche Reflexion über das Massaker in Skandinavien stattfindet, verschiebt sich auf Grundlage dieser Politik, die in der aktuellen Trauerrhetorik ausgeklammert wird, in eine merkwürdige Richtung. In Norwegen nimmt die rechtspopulistische Partei an den Trauerfeiern für die Opfer des Massakers teil. Die Vorsitzende Siv Jensen ist „schockiert“, weil der Täter über Jahre ein Parteifreund war. Ein Lokalbürgermeister der FrP erklärt in der Tageszeitung Aftensposten, dass der Mann jedoch „nie auffiel“. Man könnte das für Ironie halten, aber hier will niemand witzig sein. Es kennzeichnet den Diskurs. Die FrP bleibt im doppelten Sinne auf Linie: sie argumentiert in der Logik, in der sie sich selbst (und selbst gegenüber einer weitestgehend linken Regierungskoalition) zum machtvollen Faktor in der norwegischen Politik gemacht hat. Weil der Täter einige ihrer Lieblingsparolen wortwörtlich in seine Begründung des Massenmordes einsickern ließ, will die FrP „ihren Sprachgebrauch mäßigen“. Inhaltlich bleibt dagegen alles beim Alten. Man erklärt sogar offen, dass man nach wie vor und trotz aller Zugeständnisse, die die aktuelle Regierung dem Rechtspopulismus in der Tat gemacht hat, eine härtere Politik gegen MigrantInnen anstrebt.

Die Grenze zur bürgerlichen Rechten ist flexibel

Die schwedische Bruderpartei schließt sich dieser Linie an. Sie lässt verlauten, dass sie „lokal von einigen Rechtsradikalen unterwandert wurde“, die sich einer „falschen Sprache bedienten“, von denen die Partei aber „gesäubert“ worden sei. Dabei stehen selbstverständlich auch „Sverigedemokraterna“ zu ihrer Forderung nach weiteren Verschärfungen in der Migrationspolitik. Nur in Dänemark, dem Land des anti-islamischen „Karikaturenstreits“, ist die Tonlage anders. In Kopenhagen beharrt Pia Kjærsgaard, die Chefin der Dänischen Volkspartei, im Gegensatz zur norwegischen Schwesterorganisation auf „Meinungsfreiheit“. Keine der öffentlichen rassistischen Äußerungen der letzten Jahre sei falsch gewesen. Dieses Argumentieren mit dem Grundrecht ist kein neuer Reflex. „Meinungsfreiheit“ wurde schon angesichts der Kritik am Vergleich von Einwanderern mit „Krebszellen“ bemüht, ein Bild, das die Jugendorganisation der DVP vor einigen Jahren gebrauchte. Vor allem aber ist der Rückgriff auf die Meinungsfreiheit prominent, um Kritik an der rassistischen Dimension der anti-islamischen Karikaturen abzuwehren, die die größte dänische Tageszeitung Jyllands Posten im September 2005 veröffentlichte.

Der erwähnte Pfarrer und Parlamentarier Krarup sekundiert seiner Parteichefin. Er schreibt, der Täter sei ein „Irrer“, der der Sache geschadet habe – eine Formulierung, die hinsichtlich der These von der Unzurechnungsfähigkeit auf der Linie vieler Erklärungsversuche liegt, die die bürgerliche Presse überall in Europa nach dem Anschlag verbreitet hat. Doch psychiatrische Gutachten widersprechen dieser Einschätzung. Andererseits deutet Krarup an, dass der Täter im Grunde eine „falsche Methode“ wählte. Andere bürgerliche PolitikerInnen, allen voran das zynisch als „Integrationsminister“ bezeichnete rechtsliberale Regierungsmitglied Søren Pind, setzen den Massenmord mit politischen Protesten wie der Ungdomshusbewegung von 2006/2007 oder einer Waldbesetzung gleich, mit der aktuell gegen eine Fabrikansiedlung in Nordjylland protestiert wird.

Pathologisierung, Distanzierung, Denunziation: Man könnte dies als defensive Versuche der „Diskursverschiebung“ bezeichnen. Dass die Grenze zwischen Bürgertum und Rechtspopulismus flexibel ist und dass dies den Kern der diskursiven Macht der Rechten ausmacht, zeigen jedoch vor allem die Äußerungen von Leuten wie Pind, die ihre Entsprechung in Kommentaren finden, die selbst in sonst als seriös geltenden Medien wie dem Deutschlandfunk nach dem Attentat zu hören waren. Hier wurde der Massenmord zwar nicht mit dem Protest in den nordjütländischen Wäldern, aber mit den Aktionen gegen Stuttgart 21 verglichen.

All diese Reflexe deuten bereits an, dass die Hoffnung der skandinavischen Linken, dass nach dem Massenmord „nichts sein wird wie zuvor“, leider fragwürdig bleiben muss. Die Rechte weiß sehr gut, was sie an ihren PopulistInnen hat. Und diese wissen aufgrund jahrelanger erfolgreicher Praxis auch sehr gut, dass Sprache einen performativen Aspekt hat, den sich sowohl FrP als auch DVP weiterhin zunutze machen werden. Pia Kjærsgaard trifft insofern den Nagel auf den Kopf: Auf die rassistische Propaganda, ob latent oder offen, zu verzichten, wäre für die skandinavische Rechte politischer Selbstmord.

Nichts wird sein wie zuvor. Das würde nur gelten, wenn dem, der in Oslos Fußgängerzone am 22. Juni in den Stunden nach dem Anschlag Jagd auf vermutete Einwanderer machte, heute vor Erschrecken die Hand erstarrt. Nichts wird sein wie zuvor, wenn endlich nach der Verantwortung der europäischen Politik für die über hundert Toten auf jenem Flüchtlingsschiff gefragt wird, das wenige Tage nach dem Massenmord, aber weit weniger öffentlich beachtet, im Mittelmeer gesunken ist. Und nichts wird sein wie zuvor, wenn der rassistisch strukturierte Alltag in den nordeuropäischen Gesellschaften nicht nur wegen seiner „schlimmen Tonlage“ kritisiert wird, sondern auch wegen seines Beitrags zur Festigung einer in Klassen, Geschlechter und Herkunft gespaltenen Gesellschaft. Solange sich daran nichts ändert, werden Worte nicht ausreichen, um das unteilbare Mitgefühl zu beschreiben, das wir für die Menschen empfinden, die in Oslo, Utøya und vor Lampedusa ihr Leben verloren haben.

Peter Birke