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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 563 / 19.8.2011

Schlampen aller Länder, vereinigt euch!

In gesellschaftlichen Diskursen über Vergewaltigung dominieren uralte Geschlechternormen

Manchmal reicht ein einziger Satz, um einen Stein ins Rollen zu bringen. Der Satz, der gemeint ist, lautet: Women should avoid dressing like sluts, der rollende Stein sind tausende wütende Menschen, die auf die Straße gingen. Auf einer Veranstaltung zur Prävention von Gewalt auf einem Uni-Campus in Toronto hatte ein Polizist Studierende darauf hingewiesen, dass die richtige (d.h. züchtige) Kleidung Frauen am besten vor sexualisierten Übergriffen oder gar Vergewaltigungen schütze. Auch in den Gerichtsprozessen der letzten Monate, bei denen prominente Männer sich wegen Vergewaltigung verantworten mussten, überwog eine ähnliche Täter-Opfer-Umkehr.

Kleidung als Präventionsmittel gegen und/oder Legitimation von sexualisierter Gewalt darzustellen, ist einer der vielen Mythen, die in den Diskussionen um Vergewaltigung immer wieder auftauchen. Nach dem Motto Den Schuh ziehen wir uns nicht an kramten Tausende ihre High-Heels und Korsetts aus dem Schrank und machten sich auf zum Slutwalk, einer Demonstration gegen sexualisierte Gewalt. Zuerst in Toronto, dann in Melbourne, London, Rio de Janeiro, Chicago und Johannesburg und vielen anderen Städten auf der ganzen Welt. Am vergangenen Wochenende fand auch in Berlin und anderen Städten in Deutschland ein Slutwalk, ein Marsch der Schlampen statt, der tausende Menschen auf die Straße zog.

Die katholische Kirche, Julian Assange, Jörg Kachelmann und Dominique Strauss-Kahn die Missbrauchs- und Vergewaltigungsvorwürfe an mächtige Männer (bzw. Institutionen) wollen kein Ende nehmen. Eine Errungenschaft der feministischen Bewegung!, jubelten viele, endlich müssen sich Männer für sexualisierte Gewalttaten verantworten! Doch sieht man sich den Verlauf der Gerichtsprozesse und die Debatten hier am Beispiel der Vergewaltigungsvorwürfe an Jörg Kachelmann und Dominique Strauss-Kahn (DSK) genauer an, hat es sich aus feministischer Perspektive schnell ausgejubelt.

Mächtige Männer und mächtige Bilder

Kachelmann, den seine Ex-Partnerin der Vergewaltigung bezichtigt und angeklagt hatte, wurde nach einem langen und spektakulären Gerichtsprozess aus Mangel an Beweisen frei gesprochen. Auch Dominique Strauss-Kahn, angeklagt wegen versuchter Vergewaltigung einer Hotelangestellten in den USA, kam nach wenigen Wochen aufgrund mangelnder Glaubwürdigkeit der Klägerin wieder auf freien Fuß. Im Kachelmann-Prozess war schnell von einem Missverständnis die Rede sowie von frei erfundenen Vorwürfen der Ex-Geliebten. Bei DSK stellten die Medien den Vergewaltigungsvorwurf in den Kontext seines allgemein ausschweifenden Sex-Lebens und verharmlosten diesen als Sex-Affäre. Die Darstellung einer Vergewaltigung als Sex-Affäre ist nicht unüblich dabei haben Vergewaltigungen aus der Perspektive der Opfer rein gar nichts mit Sex zu tun.

Wie die Geschlechterforscherin Ilse Lenz treffend analysiert, dominieren zwei Bildpaare die Mediendebatten um Kachelmann und Strauss-Kahn (taz, 30.6.2011). Im Fall Strauss-Kahn sind es der Sex-Rowdy und die Schlampe, die sich gegenüber stehen. Sex-Rowdy Strauss-Kahn erhält von Beginn an viel Rückendeckung. Nicht nur seine Ehefrau hält ungebrochen zu ihm, auch KollegInnen und MedienvertreterInnen scheinen von der Vorstellung eines ausschweifenden Sexlebens eher beeindruckt. Neben der erwähnten systematischen Verharmlosung von sexualisierter Gewalt entmündigt der Mythos des triebhaften Mannes, der nicht anders kann als sich seiner Schwäche hinzugeben, alle verantwortlich handelnden Männer und entschuldigt Vergewaltiger. Strauss-Kahn gegenüber steht die Hotelangestellte Nafissatou Diallo, die die Medien in infantilisierender Weise von Beginn an zum Zimmermädchen machen. Die Anklägerin befindet sich dabei als woman of color und Angehörige einer anderen sozialen Klasse als der Ex-IWF-Chef strukturell in einer schwächeren Position. Im Verlauf des Prozesses wird sie vom Zimmermädchen weiter zur Bekannten eines Drogendealers und zur Schlampe degradiert und erscheint zunehmend als unglaubwürdig.

Männer als Opfer, Frauen als Täterinnen

Unglaubwürdigkeit ist auch im Kachelmann-Prozess der zentrale Vorwurf an die Klägerin. Nicht die Schuld des angeklagten TV-Moderators muss bewiesen werden, sondern die Glaubwürdigkeit der Anklägerin, die plötzlich als rachsüchtige (Ex-)Partnerin oder Arbeitskollegin und nicht mehr als Betroffene einer sexualisierten Gewalttat erscheint. Das Bildpaar, das hier die Wahrnehmung bestimmt, ist das des männlichen Opfers (Kachelmann) und der weiblichen Täterin (Ex-Partnerin). Hinter dieser Verdrehung steckt der Mythos, Männer seien permanent und überall in Gefahr, Opfer falscher Vergewaltigungsvorwürfe ihrer Kolleginnen oder (Ex-)Freundinnen zu werden. Das perfide Ziel dieser Behauptung ist es, Ängste zu schüren und über die Homogenisierung von Männern als Opfer die Neuauflage altbewährter Männerbündelei zu suchen. Wie wirkmächtig dieses Bild ist, spiegeln die Medienberichterstattungen zum Kachelmann- und DSK-Prozess wider.

Die Angst, dass Männer plötzlich massenhaft der falschen Anschuldigung ihrer (Ex-)Partnerinnen oder Kolleginnen zum Opfer fallen, ist sehr abwegig, betrachtet man die tatsächliche Zahl der zur Anzeige gebrachten Vergewaltigungsvorwürfe. Viele Betroffene schämen sich und behalten die Gewalttat für sich. Auch liegen in vielen Fällen Vergewaltigungen Jahre zurück, wenn sich Betroffene damit an die Öffentlichkeit trauen bzw. sich in der Lage fühlen, vor Gericht erneut mit dem Erlebten konfrontiert zu werden. Dies macht die gerichtliche Beweisführung, die zumeist an sogenannten objektiven Tatsachen wie Verletzungen oder Spermaspuren an Körper oder Kleidung orientiert ist, äußerst schwierig. In Deutschland werden pro Jahr ca. 8.000 Vergewaltigungen angezeigt, was lediglich fünf Prozent der tatsächlichen Taten ausmacht. (taz, 1.6.2011) Die geringe Zahl der Anzeigen verweist darauf, dass die Unterstützungsstrukturen für Betroffene sexualisierter Gewalt vor und besonders während eines Gerichtsprozesses eher schlecht sind. Verfahren, die KlägerInnen in Vergewaltigungsfällen besser schützen würden, z.B. durch Videovernehmungen, sind in Deutschland noch nicht üblich anders als in Schweden, wo viermal so viele Vergewaltigungen wie in Deutschland zur Anzeige gebracht werden. (Ebd.) Anstatt also ein neues Bedrohungsszenario heraufzubeschwören, könnten Männer sofern sie ein tatsächliches Interesse an konsensualer Sexualität haben es sich längst zur Selbstverständlichkeit machen, in Erfahrung zu bringen, ob ihr Gegenüber Lust auf Sex hat. Schweigen, Wegdrehen oder Unentschlossenheit sind als Nein zu verstehen.

Die Signalwirkung, die von Prozessen wie denen gegen Kachelmann oder DSK für Betroffene sexualisierter Gewalt ausgeht, ist verheerend. Der Fall Kachelmann ist ein Beispiel dafür, dass die Omnipräsenz der Medien im Zweifelsfall den stützt, der im Umgang damit geübt ist. Aber nicht nur Opfer prominenter Vergewaltiger, sondern alle Betroffenen sexualisierter Gewalt werden zukünftig noch genauer überlegen, ob sie Vergewaltigungen zur Anzeige bringen. Die Aussicht, sich dem enormen moralischen Druck, der von Medien und Gesellschaft ausgeht, aussetzen zu müssen, ist abschreckend. Die Maßregelung bezüglich des eigenen Kleidungsstils (zu kurzer Rock), Sexuallebens (zuviel Sex), Verhaltens (trinken/nachts um drei auf der Straße sein) und des eigenen sozialen Umfeldes (der falsche Umgang) bedeutet für die Betroffenen sexualisierter Gewalttaten nichts anderes, als die Vergewaltigung selbst verantworten zu müssen.

Daneben spielt auch die Beschaffenheit des Rechtssystems eine zentrale Rolle in der erfolgreichen Bekämpfung sexualisierter Gewalt. Besonders der Fall Strauss-Kahn hat gezeigt, dass der Ausgang einer Gerichtsverhandlung nicht losgelöst von dem jeweiligen Status von Klägerin und Angeklagtem verläuft. Der Angriff auf den Wahrheitsgehalt der Zeuginnenaussage basierte auf der systematischen Abwertung der Position der Klägerin. Dies macht deutlich, dass Gerichtsprozesse nicht außerhalb der gesellschaftlichen Machtverhältnisse zu verorten sind, sondern Teil dieser Verhältnisse sind. Dabei kann es nicht darum gehen, liberale Prinzipien wie Rechtsstaatlichkeit und Unschuldsvermutung prinzipiell zu hinterfragen. (1) Wenn aber die Rechtsprechung als letzte

Dont rape, instead of: Dont get raped!

Wahrheitsfinderin betrachtet wird, stellt sich die Frage, für wen die Prinzipien unserer Rechtsprechung die auf die formale Gleichheit aller Menschen zielt in einer von sozialer Ungleichheit und Machtverhältnissen geprägten sexistischen und kapitalistischen Gesellschaft überhaupt gelten. Damit Betroffene sexualisierter Gewalt überhaupt eine Chance haben, ihr Recht einzuklagen, müssen Gerichte die soziale Positionierung, die ökonomische und kulturelle Ausstattung ihrer KlägerInnen und Angeklagten mit berücksichtigen. Im Fall Strauss-Kahn hätte dies bedeutet, den durch die Verteidigung hergestellten Zusammenhang zwischen dem sozialen Status der Klägerin und ihrem Vorwurf an DSK zu hinterfragen. Auch muss es Betroffenen von sexualisierter Gewalt möglich sein, für ihr Recht zu kämpfen ohne die mediale Ausleuchtung des eigenen Privatlebens befürchten zu müssen. Die Verbesserung entsprechender Schutzmaßnahmen, wie Videovernehmungen oder der Ausschluss der Medien während der Vernehmung, wären ein Anfang.

Neben der konkreten Verbesserung der Situation von Opfern sexualisierter Gewalt vor, während und nach einem Gerichtsprozess, gilt es sich gegen die einseitigen Schuldzuweisungen an die Opfer sexualisierter Gewalttaten und die Neuauflage rückschrittlicher Vergewaltigungsmythen zu wehren. Die Bilder, die die Mediendebatte zu den oben skizzierten Vergewaltigungsvorwürfen dominierten, sind ein schwerer Rückfall in uralte Geschlechternormen. Die Veränderung der gesamtgesellschaftlichen Haltung von Pass auf, lass dich nicht vergewaltigen! hin zu Vergewaltige nicht! ist längst überfällig. Was die feministische Linke mindestens seit den 1970er Jahren versucht in die Öffentlichkeit zu tragen, findet jetzt eine Stimme im Slutwalk, der via Facebook in Windeseile Massen erreicht hat. Die Strategie des Slutwalk, sich als Schlampe zu bezeichnen, ist vor dem Hintergrund der medialen Bilder von Betroffenen sexualisierter Gewalt mehr als nur eine Provokation. Es geht um eine positive Neubesetzung des Begriffs, der ursprünglich darauf zielt, weibliche und nicht-heteronormative Sexualität zu maßregeln und zu kontrollieren. Das Recht auf Selbstbestimmung des eigenen Körpers, des Geschlechts, der Sexualität und des Begehrens egal ob es um Selbstbestimmung in privaten Beziehungen oder um Selbstbestimmung in Berufen geht, in denen Sex zum Arbeitsalltag gehört steht im Zentrum der Forderungen. Der Ansatz des Slutwalk, alle Geschlechter auf der Parade zuzulassen und somit das Feld der feministischen Kämpfe gegen sexualisierte Gewalt für alle Geschlechter und Menschen mit verschiedensten sexuellen Begehren zu öffnen, ist neu. Was in Toronto begann und mittlerweile um die halbe Welt ging, stellt sich als eine öffentliche und selten dagewesene gemeinsame politische Stellungnahme zum Thema sexualisierte Gewalt dar. Die breite Resonanz der Slutwalks könnte jetzt und in Zukunft für eine linke, queerfeministische Perspektive als Motivation dienen, Themen wie Sexismus, Transphobie oder Bodyismus auf der einen Seite in eine ökonomiekritische und linke Politik zu integrieren und gleichzeitig in Debatten wie jene um die Vergewaltigungsvorwürfe an DSK und Kachelmann von links zu intervenieren.

Johanna Hess, Lena Steinert

Anmerkung:

1) Vgl. Nadine Lantzsch auf dem feministischen Blog Mädchenmannschaft.