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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 564 / 16.9.2011

Paranoide Weltbilder

Anders B. Breivik und die Ablenkungsmanöver der "Islamkritiker"

Die "Islamkritiker" haben stets sich und anderen verboten, auf gesellschaftliche Hintergründe für Terrorakte hinzuweisen. Angesichts islamistisch motivierter Anschläge meinten sie einen Hang zur Gewalt in der muslimischen Religion und Kultur selbst ausmachen zu können, in dem der muslimischen Mentalität angeblich eingeschriebenem Totalitärem oder schlichtweg im Menschlich-Bösen. Kein Wunder also, dass sie für den rechtsradikal-antimuslimischen Terror in Norwegen keine Erklärung haben. Auch Selbstkritik sucht man bei Anders B. Breiviks StichwortgeberInnen vergebens.

Der Autor der antimuslimischen Website Politically Incorrect (PI), Michael Stürzenberger, behauptete gegenüber der neurechten Jungen Freiheit über den Attentäter: "Er kam aus dem Nichts". Wirklich aus dem Nichts? Nicht ganz unbegründet fand sich kurz nach Bekanntwerden des Massakers ein Blog-Eintrag auf PI mit den Worten: "Was er schreibt sind großenteils Dinge, die auch in diesem Forum stehen könnten (...) es (ist) wichtig zu bemerken, dass die ,Bösen nicht immer nur andere sind. Wir dürfen uns vor lauter Auf-andere-mit-dem-Finger-Zeigen nicht unserer Eigenverantwortung entziehen. Wir stehen in der Verantwortung für unser Handeln und Denken."

Tatsächlich weist die Feindbildkonstruktion von PI und in dem Manifest des Attentäters Anders B. Breivik große Ähnlichkeit auf. An die Stelle von Selbstkritik oder zumindest betretenem Schweigen trat jedoch schnell eine Offensivtaktik der diversen "Islamkritiker"; auch auf PI herrschte schnell wieder ein anderer Ton vor. Andere "Islamkritiker" drehten einige diskursive Pirouetten, um den klar rassistisch-antimuslimischen Gehalt des Attentats zu leugnen, die Nähe der eigenen Ideologie zu der paranoiden Verschwörungstheorie des Anders B. Breivik zu kaschieren und sich in der typisch deutschen Logik der "verfolgenden Unschuld" (Karl Kraus) selbst als Opfer zu stilisieren.

Henryk M. Broder sorgt sich um Ersatzteile für sein Auto

Tatsächlich haben islamkritische Intellektuelle wie Necla Kelek oder Henryk M. Broder in ihren Pauschalverurteilungen "des Islams" und mit ihren Bekundungen, in der muslimischen Welt überhaupt keine geistigen oder praktischen Verbündeten finden zu können, die "Frontlinie eines Weltbürgerkrieges gezogen", wie der ehemalige FAZ-Feuilleton-Chef Patrick Bahners treffend kritisierte.

Besonders Broder hatte mit seiner bellizistischen Logik, die nichts anderes als Krieg und Kampf im Verhältnis zu gläubigen Muslimen geltend macht und alles andere als "Appeasement"-Politik verspottet, einer permanenten Mobilisierung und einer Transzendenz bürgerlicher Normen und Werte das Wort gesprochen. "Die Idee, man könnte dem Terror nur mit rechtsstaatlichen Mitteln beikommen, übersteigt die Grenze zum Irrealen. Es ist, als ob man die Feuerwehr auffordern würde, sich bei ihren Einsätzen an die Straßenverkehrsordnung zu halten", so Broder in seinem Buch "Hurra, wir kapitulieren!". (vgl. ak 510)

Vor diesem Hintergrund ist es kaum verwunderlich, dass sich der Polemikspezialist Broder wenig irritiert zeigt, dass einige seiner "islamkritischen" Thesen in Breiviks "Manifest" zitiert werden. Auf die Frage des Tagesspiegel, ob er sich Sorgen darüber mache, dass er von Anders B. Breivik zitiert wurde, antwortet er: "Das Einzige, worüber ich mir Sorgen mache, ist, woher ich Ersatzteile für meinen Morris Traveller aus dem Jahre 1971 bekomme. Sogar in England werden die Teile knapp." Der Blogger "Ofenschlot" hat diese diskursive Taktik als Selbstproklamation eines "Rechts auf Kaltschnäuzigkeit" bezeichnet, eines Rechts, das selbstverständlich exklusiv bleiben muss und Muslimen niemals zugestanden wird. Denn in der Logik der "Islamkritiker" wird bekanntlich allen Muslimen abverlangt, sich beständig von Anschlägen islamistischer Terroristen zu distanzieren.

Etwas weiter als Broder mit seiner kaltschnäuzigen Ablenkung gehen die mittlerweile sich selbst als "Ideologiekritiker" titulierenden Ex-"Antideutschen" der Zeitung Bahamas, die keineswegs so isoliert sind, wie sie sich gerne selbst sehen bzw. VerharmloserInnen der antideutschen Durchwirkung des linken Milieus immer behaupten. Schließlich schreiben Bahamas-Autoren wie Gerhard Scheit und Magnus Klaue, zwei besonders exponierte, anti-links positionierte und habituell auf dem neo-elitären Ticket reisende Autoren, regelmäßig in der Jungle World und der Monatszeitung konkret.

Liest man die letzten Ausgaben der Bahamas, dann ist hier ebenfalls eine Bürgerkriegsfront markiert, die früher oder später - und höchstwahrscheinlich auch entgegen dem Selbstbild des einen oder anderen Bahamas-Autoren, der sich gerne als großbürgerlicher Intellektueller imaginiert - handgreiflich umgesetzt zu werden droht: AntirassistInnen und VertreterInnen des Multikulturalismus bereiteten einem "Karneval der Kulturen" den Weg, an dessen Ende der multikulturelle Pogrom gegen die Juden zu erwarten sei. Vor dem Hintergrund einer rassistisch grundierten, neo-malthusianischen Überbevölkerungstheorie wird behauptet, dass in den muslimischen Ländern ein "Youth Bulge" (Babyboom) eine stetig anwachsende Masse von Israel und dem Westen angeblich feindselig gesonnenen Jugendlichen hervorbringt.

Hauptfeind, weil angeblich Schrittmacher dieser auch auf den Westen übergreifenden unaufhaltbaren historisch-gesellschaftlichen Tendenz, sind in Bahamas-Logik die Linken, die mit ihrem Antirassismus, ihrem Multikulturalismus und ihrem Wunsch nach einer "Völkerfamilie" eine neue Barbarei vorbereiten würden. Dabei wird versucht, den eigenen Rassismus unter Bezugnahme auf die größten Fehler der Kritischen Theorie intellektuell zu adeln; Fehler wie zum Beispiel der Elitarismus Adornos, der wenig Sympathien für schwarze Musik und die US-amerikanische Massenkultur zeigte.

Seitdem aus Antifa-Gruppen einige Nachwuchsantideutsche rekrutiert wurden, die die "antideutsche" Kritik auf Schlagworte verkürzt nur noch auf der Ebene des Gang-Jargons pflegen, hat sich das "antideutsche" Milieu zu einem Bündnis aus Mob und Pseudo-Elite entwickelt, das sich vereint sieht in der doppelten Feindbildkonstruktion: die (antirassistische) Linke und die Muslime.

Bahamas liefert die "Theorie", Jungle World verbreitet sie

Der Wiener Bahamas-Publizist Gerhard Scheit behauptet in der Jungle World schlichtweg, der Anschlag weise keinesfalls Züge einer "Islamophobie" auf, vielmehr entspringe er der Logik des Antisemitismus, das Motiv sei "purer Neid auf den Islam". Die weitergehende Begründung ist kurios genug und soll ausführlich zitiert werden:

"So ist aber der als Hass hervortretende Neid auf den Islam letztlich nur von dessen eigenem antisemitischen Potential aus zu verstehen. Die Muslime stellen für den Antisemiten des Abendlands nämlich eine einzige große narzisstische Kränkung dar, wie sie keine andere der von ihm sonst noch verachteten und physisch bedrohten Gruppen von Immigranten bereithält: Er sieht sich durch sie herausgefordert, das Abendland als das 'konkrete', das 'schaffende Kapital' nicht vor 'fremden Rassen' als der einbrechenden Natur oder was auch immer zu verteidigen (darum ist der oft als Alternative zur 'Islamophobie' vorgeschlagene Begriff 'antimuslimischer Rassismus' irreführend), sondern vor der wachsenden Macht einer religiösen Gemeinschaft, die gleichermaßen beargwöhnt wie beneidet wird, weil sie ganz ohne eigenes 'schaffendes Kapital', oder anders gesagt: ohne europäische Werte triumphieren kann - und der man, wegen ihres ausgeprägt judenfeindlichen Charakters, beim besten Willen nicht zu unterstellen vermag, dass sie ein Instrument des 'raffenden Kapitals', der Weltverschwörung des Judentums, sei." (Jungle World 32/2011)

Man kann über diesen Bandwurmsatz lange meditieren, er stellt jedoch - und das sei an dieser Stelle deutlich gesagt - nichts anderes dar als entweder wohlkalkuliertes Bluffen mit Nonsens-Theorie, oder er ist selbst wahnhaft-unverständlich. Gegen Ende seiner Ausführungen wird Scheit erstaunlich parolenhaft: "Es gibt keine Islamophobie. Es gibt Antisemiten, die entweder links oder rechts stehen, die für oder gegen den Islam sind. Und was bleibt, ist der Kampf gegen den Antisemitismus." Damit ist die alte Ordnung also wieder hergestellt; die Irritation, die ein pro-israelischer, antiislamischer Rechtsradikaler voller eliminatorischer und verschwörungstheoretischer Energie im "antideutschen Lager" auslösen müsste, wird scheinbar geschickt theoretisch verdrängt.

Breivik attackiert in seinem Manifest den linken "Mainstream" und den "Kulturmarxismus". Die Einleitung mit der Definition des "Kulturmarxismus" ist wörtlich aus dem 2005 von William Sturgiss Lind herausgegebenen Text "Political Correctness: A Short History of an Ideology" der konservativen Denkfabrik Free Congress Foundation übernommen. Mit dem "Kulturmarxismus" ist dabei ein Denken gemeint, das vor allem die Hautfarbe und Herkunft überwindende Klassensolidarität in den Mittelpunkt der Politik stellt, die den Marxismus um kulturelle und antirassistische Praxis erweitert hat und auch Fragen der Genderpolitics nicht kategorisch abwehrt. Im Kern attackiert das neurechte Denken eine Haltung, die von Bahamas und Broder als Politik der lächerlichen "Political Correctness" mit Spott überzogen und als "Gutmenschentum" abgekanzelt wird.

"Islamkritik" hat mit Marx Religionskritik nichts zu tun

Jeder Marxismus, der auch Gender- und Class-Fragen wie koloniale und imperialistische Unterdrückungsverhältnisse mitberücksichtigt, wird von Autoren der Bahamas des postmodernen Denkens und der Zerstörung der Vernunft geziehen. In einem langatmigen Beitrag in der Jungle World (33/2011) stellt Magnus Klaue nun die Behauptung auf, mit "Kulturmarxismus" wäre ausschließlich die Frankfurter Schule und die Kritische Theorie gemeint (in deren Tradition sich ungerechtfertigt Magnus Klaue wähnt, denn schließlich will er auch selbst betroffen und getroffen sein). Und in einer beispiellos unverfrorenen, weil durch nichts gerechtfertigten Schlussattacke wird den "postmodernen 'Cultural Marxists'" vorgehalten, sie seien "längst selbst die Apologie einer Welt, die nur noch Cliquen und keine Individuen, nur noch nebeneinander vor sich hinvegetierende Kulturen statt die Sehnsucht nach der einen freien Welt kennt".

In einem zweiten Schritt werden diese TheoretikerInnen (und man könnte so unterschiedliche Namen einsetzen wie Immanuel Wallerstein, Stuart Hall, Edward Said oder Paul Gilroy) in die Nähe des Attentäters gerückt: "Gegen diese Sehnsucht richtet sich auch Breivik, dessen Fimmel für imaginäre Uniformen ihn als antizivilisatorischen Zivilisten ausweist, der in einer Gesellschaft, in der bald nur noch Banden gegen Bürgerwehren kämpfen, als selbsternannter radikaler Staatsbürger notfalls auch den bürgerlichen Staat zu vernichten bereit ist." Die Ablenkungsstrategie mag leicht durchschaubar sein, in der Jungle World wird das wohl als "Theorie" wahrgenommen.

"Islamkritik" hat mit emanzipatorischer Theorie und Praxis nichts zu tun. "Islamkritik" ist gerade nicht Religionskritik in der Tradition von Feuerbach-Marx-Freud. Sie reflektiert auch nicht den Zusammenhang von islamischer Gesellschaft und globaler kapitalistischer Entwicklung wie die Studien von Maxime Rodinson oder die frühen Schriften von Bassam Tibi. "Islamkritik" negiert die Möglichkeit der Selbstveränderung und Autoemanzipation und sie ist vor allem ein Aufruf zur Unterwerfung: unter eine Gesellschaftsordnung, die von den "Islamkritikern" absolut gesetzt wird.

Es bleibt eine dringliche Aufgabe einer universalistischen und emanzipatorischen Linken, den dezisionistischen, exklusiven und im Kern reaktionären Anspruch der "Islamkritiker" zurückzuweisen. Gegen die Logik des religiösen Bürgerkrieges und des Ausnahmezustands von oben setzt eine emanzipatorische Kritik auf Begegnungen und Schnittstellen der Bewegungen von unten, hält an eine universalistischen, aber Differenz achtenden Perspektive fest und ist sich der Brüchigkeit identitärer Bewegungen bewusst.

Gerhard Hanloser