Zurück in die Zukunft
Die Linkspartei streitet auf der Bühne des Vergangenheitsdiskurses
Mauerbau, Realsozialismus, Kuba-Bild - es war nicht gerade die Zukunft, mit der die Linkspartei in diesem Sommer Schlagzeilen machte. Da wurden Thesenpapiere zum 13. August 1961 veröffentlicht, Glückwunschschreiben an Fidel Castro im SED-Sound versandt und aus den Medien echote es zurück: Wie hält es die Partei DIE LINKE mit der DDR? Mitunter wurde in den vergangenen Wochen behauptet, die fusionierte Partei sei wegen der Debatte um die Vergangenheit in der Krise. Dabei ist es umgekehrt.
Schon in der früheren PDS war Streit über die eigene Vorgeschichte ein Ausdruck von Richtungskonflikten, die aufkamen, wenn die Partei bereits die Krise hatte. Die fusionierte Partei DIE LINKE ist schon vor zwei Jahren an die Grenzen ihres Gründungswachstums gestoßen. Seither verschärfen sich die Konflikte, die unter dem Eindruck der anfänglichen Wahlerfolge aufgeschoben worden waren. Und wieder findet ein zentraler Teil dieser Auseinandersetzung auf der Bühne des Vergangenheitsdiskurses statt.
DIE LINKE steckt dabei in einem Dilemma: Die Selbstverständigung in der Partei funktioniert nach anderen Regeln als der öffentliche geschichtspolitische Diskurs - beides findet aber im selben Raum statt. Wenn der "linke" Flügel "überzogene" Kritik an der DDR zurückweist, weil man im Realsozialismus das Symbol für eine gesellschaftliche Alternative sehen will, wird das von der Reform-Strömung als Abrücken vom demokratisch-sozialistischen Selbstverständnis interpretiert und kommt in den Medien als Beschönigung des "Unrechtsstaates" an. Umgekehrt wähnt der "linke" Flügel in jeder Kritik der Realos am SED-Regime gern eine bloße Anpassungsleistung der Regierungswilligen in der Partei an den geschichtspolitischen Mainstream.
Die Linkspartei entkommt der DDR-Geschichte nicht
Ausgangspunkt der jüngsten Debatte ist ein Sammelband mit Zeitungstexten zur DDR-Geschichte - herausgegeben von der Vorsitzenden der Linkspartei, Gesine Lötzsch, und rezensiert von Oskar Lafontaine. In dem Streit, den die im Neuen Deutschland veröffentlichte Besprechung auslöste, waren alle Elemente einer für die Linkspartei typischen Geschichtsdebatte versammelt: das Symbolische, die Tradition, das Theoretische, ein bisschen Taktik, der Strömungskonflikt. Die Linkspartei könne einen "Entwurf für eine demokratische und sozialistische Gesellschaft im 21. Jahrhundert" nur vorlegen, hatte der Saarländer geschrieben, "wenn sie die Geschichte und vor allem die Irrtümer des Sozialismus" aufarbeite. Dabei dürfe die Partei jedoch "den aufrechten Gang nicht verlieren" und zudem sei die Notwendigkeit einer Aufarbeitung des Stalinismus "den aus dem Westen kommenden Mitgliedern der Partei nur noch schwer zur vermitteln".
Lafontaine wandte dann den Begriff früheren PDS-Philosophen Michael Schumann vom "Stalinismus als System" in holzschnittartiger Weise auf den Kapitalismus an und brachte ihn zudem noch gegen jene in Stellung, die sich damit in der gegenwärtigen Diskussion um Satzungsfragen und Programm in angeblich unklarer und missverständlicher Weise "zu Wort melden".
Das musste vom Reform-Flügel als mehrfache Zurückweisung verstanden werden: Nicht nur entwertete der Ex-Sozialdemokrat aus dem Westen hier ein Gründungsdokument der PDS, den Gral des Bruchs mit der SED-Vorgeschichte, als der die Rede Schumanns auf dem außerordentlichen SED-Parteitag im Dezember 1989 seither verstanden wurde. Lafontaine erklärte auch eine bestimmte Form der Auseinandersetzung für überflüssig und banalisierte damit, ein taktischer Zug in der Programmdebatte, das theoretische Selbstverständnis der ReformerInnen. Hier werde, empörten sich diese, "wenige Tage nach Vorlage des Programmentwurfs an einer zentralen Stelle der Richtungskampf wieder aufgemacht".
Außerhalb der Linkspartei ist die Diskussion um die Formel "Stalinismus als System" kaum nachzuvollziehen. Im ersten Entwurf des neuen Programms der Partei DIE LINKE, den Lafontaine noch selbst vorgestellt hatte, tauchte zwar "der unwiderrufliche Bruch mit dem Stalinismus" auf - der Bruch mit ihm als System wurde jedoch erst nach langer Debatte in den Leitantrag des Vorstandes aufgenommen. Es muss Gründe gehabt haben, dass die Formulierung in den vorherigen Fassungen nicht auftauchte. Mit Lafontaines Rezension (die in gar keine war), verlagert sich der Streit auf die Ebene der Interpretation. In den Medienberichten blieb davon allenfalls die Information übrig, dass sich die Linkspartei uneins über die Distanzierung vom Stalinismus sei.
Lafontaine wird entgegengehalten, einen "rein taktischen, agitatorischen Zugang zu einem Kernproblem des 20. Jahrhunderts und der Geschichte der linken Bewegung" zu haben. Mehr noch aber geht es seinen KritikerInnen um das Verhältnis demokratischer SozialistInnen zur politischen Macht, um das es in der Absage an den "Stalinismus als System" geht - eine Absage an "die Illusion, mit Hilfe zentralisierter Herrschaftsapparate die Gesellschaft nicht nur kontrollieren, sondern ihre Entwicklung auch jederzeit korrigieren zu können. Politik wurde primär als Instrument administrativen Machtgebrauchs verstanden" (Schumann).
Zwei weitere Fragen verbindet der Reformer-Flügel mit dem "Stalinismus als System": die der innerparteilichen Kultur, wobei es vor allem um die - aus dem Saarland kommenden - Versuche geht, den Instrumentenkasten der Parteistrafen zu erweitern. Und schließlich die Absage an eine "Ideologie der totalen historischen Diskontinuität hinsichtlich der Organisationsprinzipien der Macht, namentlich der Staats- und Rechtsentwicklung, beim Übergang zu einer sozialistischen Neuordnung der Dinge".
Hierin sehen die "Realos" das Fundament, vom dem aus sie in der aktuellen Diskussion um Strategie und Programm gegen Verstaatlichungs-Optimismus und Mitregierungs-Pessimismus des "linken" Flügels argumentieren. Der Stand der Debatte hat sich dabei in den vergangenen 20 Jahren nicht groß verändert. Das Verhältnis der SpielerInnen auf dem Rasen hat sich jedoch verändert.
Die Bewertung der DDR war immer auch eine Frage von Biografien, des Bewahrens von Lebensleistungen vor einer antikommunistisch konditionierten Generalkritik, auch der historiografischen Differenzierung. Mit der Fusion von PDS und Wahlalternative (WASG) geriet dieses Moment zunächst jedoch ein wenig in den Hintergrund. Ein Großteil der aus dem Westen dazukommenden Linken konnte die - oft von außen an die Partei herangetragene - Pflicht zur selbstkritischen Aufarbeitung zurückweisen: Was haben wir damit zu tun?
Medien haben nur ein diskreditierendes Interesse
Debatten über die DDR fanden VertreterInnen der WASG "nicht hilfreich", als es darum ging, einer ohnehin recht skeptischen Basis das Zusammengehen mit der PDS schmackhaft zu machen. Auch jene Minderheit in der Wahlalternative, die aus der bundesrepublikanischen Linken kamen, hatten in der Regel ein sehr kritisches Verhältnis zum Realsozialismus - entweder, weil sie aus Gruppen kamen, die den roten Stern vor 1989 ohnehin nicht in Moskau leuchten sahen, oder weil sie die kritische Auseinandersetzung schon hinter sich hatten.
Doch die fusionierte Partei konnte der DDR nicht entkommen. Draußen hat die veröffentlichte Meinung ein diskreditierendes Interesse daran, sie nicht aus der Haftung zu entlassen. Und im Inneren geht ein Streit um die Vergangenheit weiter, der vor allem einer um die Zukunft war. "Dieses Stück Geschichte", rief Petra Pau kurz nach der Vereinigung 2007 den neuen PartnerInnen entgegen, "ist jetzt die Geschichte der gesamten Partei". Sie wird es noch lange bleiben.
Tom Strohschneider