Titelseite ak
Linksnet.de
ak und Fantômas sind Partner von Linksnet.de
ak bei facebook

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 566 / 18.11.2011

Kein Frühling in Angola

International Das autokratische Regime setzt auf Repression

Von Nicola Eschen

Die sozialen Bewegungen in Nordafrika hatten einige AngolanerInnen Hoffnung schöpfen lassen. Unter dem Motto »Es reicht: 32 Jahre Tyrannei und schlechte Regierungsführung« sollte am 7. März in Angola eine Massendemonstration gegen den Präsidenten José Eduardo Dos Santos stattfinden. Doch die Erwartungen wurden enttäuscht. Schon am Vorabend des Termins verhafteten die angolanischen Behörden vier Redakteure der Zeitung Novo Jornal. Am Tag der Demonstration selbst rezitierten 17 Rap-MusikerInnen in der Hauptstadt Luanda Gedichte und verteilten Flugblätter. Viel mehr Menschen wagten sich nicht auf die Straße. Alle wurden sofort verhaftet.

Am 3. September fanden sich immerhin einige hundert Menschen zusammen, um den Rücktritt von Dos Santos zu fordern. Wieder kam es zu Verhaftungen; AugenzeugInnen werfen der Polizei und Zivilpolizei vor, Gewalt provoziert zu haben. Unerkannte Männer griffen JournalistInnen am Rand der Demonstration an und zerstörten ihre Kameras und andere Datenträger, mit denen sie die Gewalt dokumentiert hatten. Es sind noch mindestens 17 Menschen in Haft. Kein Zweifel: die angolanische Regierung setzt auf Zwangsmittel, um ihre Herrschaft zu sichern. Seit zwei Jahren hat die angolanische Regierung die meisten regierungskritischen Demonstrationen zu verhindern gewusst.

Die Kluft zwischen der angolanischen Bevölkerung und ihrer Regierung ist groß. Besonders augenscheinlich ist die soziale Kluft. 70 Prozent der rund 18 Millionen AngolanerInnen leben von weniger als zwei Dollar am Tag, ebenso viele sind AnalphabetInnen. Einige sind auf Lebensmittelhilfen angewiesen, ein Drittel der Kinder ist unterernährt. Während des Bürgerkrieges sind Millionen Menschen zu Flüchtlingen geworden. Jetzt werden wieder Menschen aus ihren Häusern vertrieben. 30.000 sind es laut SOS Habitat: im angolanisch-kongolesischen Grenzgebiet, um der staatlich kontrollierten Diamantenfirma Ediama nicht in die Quere zu kommen; in Luanda, um Platz für teure Neubauten zu schaffen.

Die Neubauten werden in den boomenden Geschäftsvierteln Luandas gebraucht. Hier lebt eine kleine Oberschicht vorwiegend von den Einnahmen aus dem Diamanten- und Erdölexport. Neben einem Niedrigsteuersystem führen illegale Finanzströme und die systematische Korruption zu komfortablen Gewinnspannen. Eine Tochter des Präsidenten, Isabel Dos Santos, ist die reichste Frau Afrikas. Der florierende Außenhandel führt zu hohen Preisen, die noch über denen in Deutschland liegen: In diesem Jahr wurde Luanda die teuerste Hauptstadt der Welt. Eine Zweiraumwohnung kostet monatlich 5.000 Euro Miete.

Wahlen, um die Diktatur zu stabilisieren

Das bestehende politische System in Angola ist von der kolonialen Staatsordnung und dem fast 40-jährigen Bürgerkrieg geprägt. (vgl. Kasten) Nach der Übernahme des kolonialen Staatsapparates durch die MPLA (Movimento Popular de Libertação de Angola) bildete sich eine Staatsklasse heraus, die sich über Förderlizenzen für Erdöl finanzierte. Durch die anhaltende Konkurrenz der Bürgerkriegsparteien wurde das zentralistische Prinzip des alten Kolonialstaates noch ausgebaut. Die Machtbasis der Staatsklasse übertrug sich bald von der Partei MPLA auf die Person des Präsidenten. Das ist seit 1979 José Eduardo Dos Santos.

Gegen Ende des Kalten Krieges rückte die MPLA symbolisch und praktisch von sozialistischen Bekenntnissen und Bündnispartnern ab. Die Überreste des Sozialsystems wurden aufgelöst, staatliche Unternehmen privatisiert. Darunter befand sich auch das wichtige Ölunternehmen SONANGOL. Tatsächlich übertrug die Privatisierung alte, klientelistisch organisierte staatliche Verfügungsrechte auf ebenso organisierte Privatpersonen und Familien.

Am Ende des Bürgerkrieges 2002 bestand bereits ein stabiles System aus vielfach miteinander verbundenen Familien, die wichtige staatliche und private Stellen sowie große Erlöse aus dem Ölverkauf unter sich aufteilten. Internationale Rankings charakterisieren die angolanische Wirtschaft und Politik als eine der korruptesten der Welt. Allein die angolanische Regierung unterschlägt jährlich eine Milliarde US-Dollar.

Nach dem Ende des Bürgerkriegs 2002 hat die Staatsklasse um Präsident Dos Santos ihre Macht konsolidiert. Ein Mittel dabei waren paradoxerweise die Wahlen. Seit 2001 kündigte der niemals gewählte Präsident Dos Santos fast jährlich Präsidentschafts- und Parlamentswahlen an. Tatsächlich fanden nur Parlamentswahlen statt - im Jahr 2008. Seit dieser Wahl besteht die parlamentarische Opposition aus neun ParlamentarierInnen von insgesamt 220.

Ausgerechnet der Leiter des Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung für Namibia und Angola widerspricht der Einschätzung der deutschen Bundesregierung, diese Wahl sei frei und fair verlaufen. Weder bestanden gleiche Ausgangsbedingungen für Wahlwerbung, noch Presse- und Meinungsfreiheit, noch Schutz vor staatlicher Einflussnahme und Schikanen. Angeblich wegen praktischer Schwierigkeiten durften AngolanerInnen, die sich nicht in Angola aufhielten, nicht an der Wahl teilnehmen. Davon waren zum Beispiel politische ExilantInnen betroffen. Paula Christina Roque von der Universität Oxford beurteilt die Wahlen darum als Schritt auf dem Weg des ehemals fragilen Staats hin zu einer stabilen und belastbaren Autokratie. (1)

Die bisher wichtigste Handlung des Parlaments war die Annahme einer neuen Verfassung. Sie trat im Januar 2010 in Kraft und spricht dem Präsidenten weitere Rechte zu. Außerdem fällt die ursprünglich für 2009 angesetzte direkte Präsidentschaftswahl weg. Denn Präsident wird nun automatisch der Parteichef der stärksten Partei im Parlament, das ist José Eduardo Dos Santos. Auch seine Wiederwahl ist nun möglich.

Die Herrschaft von Dos Santos beruht auf Zwang, nicht auf Zustimmung. Der Bürgerkrieg erleichterte den Einsatz von Gewalt zur Herrschaftssicherung. Informell dient Gewalt auch heute der Lösung politischer Probleme. Im Vorfeld der geplatzten Demonstration am 7. März bekamen JournalistInnen elektronische Kurznachrichten. Die anonymen SMS warnten vor der Demonstration, da diese Angola in Krieg und Anarchie verwickeln würde. Ein Rechtsanwalt sowie Führer der Oppositionsparteien entschieden sich nach Morddrohungen gegen die Teilnahme. Angesichts der jüngsten angolanischen Geschichte wiegt eine solche Drohung schwer.

Das Spiel mit den Freiheiten

Im Laufe ihrer Regierungszeit stand die MPLA mehrfach unter sozialem, ökonomischem und internationalem Druck. In der Folge wurden zwischenzeitlich mehrere Friedensprozesse angestoßen, Wahlen anvisiert oder durchgeführt. Zweimal, darunter von 2002 bis 2008, bildete die MPLA eine gemeinsame Regierung mit der gegnerischen Bürgerkriegspartei UNITA. Seit dem Ende der 1980er Jahre ermöglicht Angola auch die Arbeit von NROs und internationalen NROs im Land. Besonders Kirchen haben als Sozial- und teilweise Menschenrechtsorganisationen immer wieder eine Rolle gespielt. Aus dieser Zeit stammen auch real zugesicherte Freiheiten. Einige private Medien sind bis heute zugelassen. Auch die Wahl von 2008 lässt sich als Zugeständnis an gesellschaftliche oder internationale Anforderungen deuten.

Teilweise aber wurden die so eingeräumten Freiheiten genutzt, um die Netzwerke der Staatsklasse zu schützen. Das zeigt sich an der FESA, der Eduardo Dos Santos Foundation. Als Teil einer freieren Zivilgesellschaft gründete sich die Wohltätigkeitsorganisation FESA, die ein hohes Finanzvolumen verwaltet. Dieses stammt aus Spenden von Eduardo Dos Santos und seinem Umfeld. Die FESA vergibt im Namen des Staatsoberhauptes staatliche Fürsorgeaufgaben als persönliche Wohltätigkeit und pflegt dabei den Personenkult um Dos Santos.

Nur vereinzelt wagen Oppositionelle, öffentlich die Regierung zu kritisieren. Zu ihnen zählt der Rapper MC Kapa, der in seiner Musik angolanische Alltagsszenen festhält. MC Kapa ist selbst in einer Elendssiedlung aufgewachsen und nutzt seine Texte für die Forderung nach sozialem Ausgleich und Lebensqualität, die geistige Entfaltung zulässt. Er unterstützt die Familie eines Autowäschers, der von der Leibgarde des Präsidenten ermordet wurde, nachdem der einen Song von MC Kapa gesungen hatte.

Kürzlich wurde ein bescheidener Erfolg erzielt. Für diesen Sommer war eine Zwangsräumung der Häuser von etwa 750 Familien angekündigt. In kurzen Briefen forderte die Stadtverwaltung von Lubango die BewohnerInnen auf, ihre Wohnungen innerhalb von 30 Tagen zu verlassen, um Platz für den Bau einer Straße zu schaffen. Angemessenen Ersatz bot sie nicht. Die lokale NRO Associação Construindo Comunidades und Amnesty International setzten sich international gegen die Räumung ein. Sie fand bisher nicht statt.

Die deutsche Bundesregierung hatte 2002 hohe Erwartungen an das Ende des Bürgerkrieges formuliert: Angola entwickele sich nun zu einer demokratischen, marktwirtschaftlichen und friedlichen Gesellschaft. Diese Entwicklung wolle die rot-grüne Regierung unterstützen. Angola war aber auf Unterstützung nicht angewiesen. Auch Verhandlungen mit dem IWF scheitern regelmäßig an den soliden Einnahmen der angolanischen Regierung aus Rohstoffexporten an die Industrieländer. Nach neun Jahren ist bei der Bundesregierung von Demokratie keine Rede mehr. Stattdessen wird der angolanischen Regierung nun »Stabilität« attestiert. Auf angolanisches Erdöl und -gas will man nicht verzichten. Im Juli dieses Jahres krönte Bundeskanzlerin Angela Merkel die guten Beziehungen zu Angola mit einem Besuch in Begleitung einer Wirtschaftsdelegation. Auch Marineschiffe sollten verkauft werden, der Deal platzte jedoch. Staatssekretär Homann rief dazu aus: »Es liegt wirklich nicht an uns, dass hier nichts unterschrieben wird!« (2)

Nicola Eschen studiert in Leipzig Politikwissenschaft und Soziologie und hat ihre Magisterarbeit über die Organisation von Herrschaft in Angola geschrieben.

Anmerkungen:

1) Vgl. Paula Christina Roque: Angola's façade democracy. In: Journal of Democracy 4/2009, S. 149.

2) Vgl. Welt Online, 14.7.2011.

Oppositionelle AngolanerInnen in Deutschland versuchen, in die Außenpolitik der Bundesregierung Menschenrechtsfragen einfließen zu lassen: www.iaadh.de; www.bewegungsstiftung.de/matondo.html.

Unabhängigkeit, Kalter Krieg und Bürgerkrieg

Angola wurde 1975 von der Kolonialmacht Portugal unabhängig. Drei, später zwei Unabhängigkeitsgruppen kämpften anschließend gegeneinander um die Staatsgewalt. Der bis heute amtierende Präsident Eduardo Dos Santos übernahm 1979 die Macht von seinem verstorbenen Vorgänger. Bis heute hat ihn keine freie und faire Wahl bestätigt. Während des Kalten Krieges unterstützten Kuba und die Sowjetunion das Land. Aber auch US-amerikanische Firmen kauften Ölförderlizenzen von der angolanischen Regierung. Die heutige Regierungspartei MPLA (Movimento Popular de Libertação de Angola) errang 2002 einen militärischen Sieg gegen die UNITA (União Nacional para a Independência Total de Angola). Damit wurde der Jahrzehnte andauernde Bürgerkrieg ohne einen politischen Wechsel beendet. Die weitläufigen Privatisierungsmaßnahmen nach dem Ende des Kalten Krieges kamen der Staatsklasse um den Präsidenten Dos Santos zugute. In den letzten Jahren hat Angola dank neuer Ölfunde mehrmals ein zweistelliges Wirtschaftswachstum erreicht. Die Mehrheit der Bevölkerung profitiert nicht von diesem Wachstum.