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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 566 / 18.11.2011

Trutzburgen des Rechthabens

40 Jahre ak Der Streit um die »wahreren« Informationen und die Ware Information

Von Gottfried Oy

Die ak-Redaktion hat mit ihrem Aufruf »Wir müssen reden« eine Debatte über den Zustand und die Zukunft nicht nur des eigenen Mediums angestoßen. (ak 562) Damit nimmt die Redaktion eine Diskussion auf, die sich allzu lange auf der Stelle bewegt hat und dringend neuer Impulse bedarf. Ein kleiner historischer Exkurs soll dazu ein paar Hintergrundinformationen liefern. Der Sammelbegriff Gegenöffentlichkeit bedeutete einmal, die Kritik praktisch werden zu lassen, den medialen Produkten eigene Gegenprodukte entgegenzusetzen, wie das Oskar Negt und Alexander Kluge Anfang der 1970er Jahre in ihrem Buch »Öffentlichkeit und Erfahrung« formulierten. Nischen der Aufklärung, die es auch innerhalb der Massenmedien immer gab, sind keineswegs von selbst entstanden, sondern mussten durch eben diese praktische Medienkritik erkämpft werden. Die Politik einer Gegenmanipulation mit den eigenen »wahreren« Informationen, wie sie während der Revolte 1968 etwa Johannes Agnoli einforderte, hatte allerdings den unangenehmen Beigeschmack, die EmpfängerInnen von Nachrichten einmal mehr zum Ziel von Manipulation zu degradieren - nur dieses Mal mit guten, weil fortschrittlichen Absichten.

Die Umwälzung der bestehenden Verhältnisse, die man sich von der Verbreitung unterbliebener Nachrichten versprach und heute zum Teil noch verspricht, blieb jedoch aus. (1) Stattdessen zeigte sich ein anderer (Neben-)Effekt: Durch die Beschäftigung mit Medien und Öffentlichkeit steigerte sich die Medienkompetenz der Beteiligten immens, ein anderer Umgang, eine andere Rezeption der durch die Massenmedien vermittelten Inhalte wurde möglich.

Diese Art der Medienpolitik befindet sich nicht erst seit heute in der Krise. »Alte« soziale Bewegungen sind weggebrochen, ihre Medien laufen Gefahr, zu bloßen Vereinsmitteilungsblättern oder publizistischen Trutzburgen des Recht-Habens zu werden. Neuere soziale Bewegungen sind noch im Findungsprozess oder viel zu kurzlebig, um eigene Publikationslandschaften zu initiieren. Zudem orientieren sie sich kaum an den »alten« Medien der Linken. Insofern ist der von ak vollzogene Überleitungsprozess vom KB-Organ zur linken Debattenzeitung nahezu einmalig in der Geschichte der deutschsprachigen Gegenöffentlichkeit.

Nach einem Internet-Boom im Zuge der aufkommenden globalisierungskritischen Bewegung im letzten Jahrzehnt existiert heute eine bunte Mischung aus alten und neuen Projekten einer kritischen Publizistik in den Bereichen Print- und Onlinemedien, Rundfunk, Video, Fernsehen und Medienwerkstätten. Im Handbuch der Alternativmedien 2011/2012 konnten etwa 650 deutschsprachige Print-Alternativmedien nachgewiesen werden. Etwa ein Fünftel der Zeitschriften, die im letzten Verzeichnis vor fünf Jahren aufgeführt waren, gibt es entweder nur noch im Netz, oder sie wurden eingestellt. Insgesamt muss von einer hohen Fluktuation bei relativ konstant hoher Gesamtzahl ausgegangen werden.

Ein Großteil der Projekte fühlt sich weiterhin den Basics einer oppositionellen Gegenöffentlichkeit - selbst verwaltet, unabhängig und nicht-kommerziell - verpflichtet, akzentuiert diese aber anders. Statt eines emanzipatorischen, rein auf Aufklärung bedachten Mediengebrauchs ist seit den 1990er Jahren von taktischen Medien oder taktischem Mediengebrauch die Rede. Je nach Kommunikationsziel werden heute unterschiedliche, vernetzte Medien - Print, Internet, Video oder Radio - mittels differierender Kommunikationsstrategien - Ironie, Fake oder »Klartext«-Information - bespielt, um Agenda Setting zu betreiben.

Verschiedene Medien in verschiedenen Krisen

Die politische Gegenöffentlichkeit thematisiert ihre Krise in Abgrenzung zu der der klassischen Printmedien - die etwa seit der Jahrtausendwende unter einem massiven ökonomischen Einbruch im Werbe- und Anzeigengeschäft leiden - unter einem anderen Fokus. Neben dem ökonomischen Druck ist oft von einer Wagenburgmentalität der verbliebenen gegenöffentlichen Zeitschriftenprojekte die Rede. Es gebe innerhalb der Linken, die sich maßgeblich um ihre Medien gruppiere, kaum noch das Interesse an szenen- und spektrenübergreifenden Debatten.

Zudem ist die politische Rolle gegenöffentlicher Medien oft ungeklärt: Versteht man sich als kollektiver Organisator, als Organ einer Bewegung, als Ort des Überwinterns in bewegungslosen Zeiten? Oder entspricht das Selbstverständnis eher dem einer Plattform für die verschiedensten Positionen? Ebenso offen ist das Selbstverständnis der RedakteurInnen und freien MitarbeiterInnen, die zwischen der Selbstwahrnehmung als Lohnschreibende, Meinungsmachende oder MittlerInnen zwischen Medien und sozialen Bewegungen schwanken.

So wie in den Massenmedien hat sich auch innerhalb der gegenöffentlichen Medien der Diskurs über die Krise der Medien etabliert. Während allerdings innerhalb der Massenmedien ökonomische Fragen im Vordergrund stehen, nutzen die Organe der Gegenöffentlichkeit die Krise zum Rundumschlag. Ist das Konzept Gegenöffentlichkeit endgültig überholt? Macht es - provokativ formuliert - noch weiterhin Sinn, in der Regel journalistisch handwerklich schlechte Produkte herzustellen - nur wegen eines, zudem noch permanent infrage gestellten, politischen Mehrwerts?

Krisenphänomene der alternativen Medien werden allerdings schon Ende der 1970er Jahre ausgemacht. In dieser Zeit zählt das Magazin Der Spiegel eine monatliche Gesamtauflage aller alternativen deutschsprachigen Publikationen von 1,6 Millionen. In den 1970er und 1980er Jahren tauchen alternative Medien als fester Bestandteil der Mediengeschichte der Bundesrepublik auf. Danach habe sich die Alternativpresse überlebt, so die akademische Forschung. Nur über Inhalte, zudem noch unprofessionell dargeboten, lasse sich das Stammpublikum aus den Anfangstagen nicht mehr halten, Anpassungsprozesse veränderten die alternative Medienlandschaft. Überlebende dieser Krise seien lediglich die Stadtmagazine - und hier auch nur als Format - und die taz als überregionale Publikation. Für die Publizistik verschwindet die Alternativpresse also schon vor zwanzig Jahren aus dem Fokus des Forschungsinteresses.

Gerade da, wo es interessant wird, hört eine solche Art der Analyse auf: Wieso haben sich die alternativen Medien überlebt? Weil ihre Ziele Eingang in die Massenmedien gefunden haben? Weil sich oppositionelle Medien inzwischen an anderen als den Modelllen von Gegenöffentlichkeit orientieren? Statt sich mit Fakten wie Auflage, Verbreitungsgrad oder Leserbindung herumzuschlagen, ginge es darum, die verschiedenen politischen Konzepte, die im Sammelbegriff Gegenöffentlichkeit zusammenlaufen, herauszuarbeiten und zu verfolgen und zu fragen, wo sich diese in der heutigen Medienlandschaft wiederfinden - in welch verdrehter Form auch immer.

Drei idealtypische Formen kritischer Theoremen von Öffentlichkeit, Medien und Demokratie und den mit ihnen korrespondierenden Praxisformen der letzten 40 Jahre lassen sich in diesem Kontext bestimmen: Gegenöffentlichkeit als Sorge um die Demokratie, Berichterstattung aus Sicht Betroffener als Kritik an der Massendemokratie und Kommunikation als emanzipative Strategie. Inwieweit dies Eingang in Inhalt und Konzept moderner Medien gefunden hat, soll an deren Grundlagen überprüft werden. Diese sind: Politik in erster Person, Betroffenheit und Authentizität, Verbreitung zurückgehaltener Nachrichten, Verwirklichung des Rückkanal-Theorems (2), nichthierarchische Arbeitsteilung und schließlich parteipolitische und ökonomische Unabhängigkeit.

Der Einzug von Politik in erster Person, Betroffenheit und Authentizität in die Massenmedien ist sicherlich am deutlichsten zu beobachten. Losgelöst von politischen Inhalten, werden Betroffenheit und authentische Meinungsäußerung selbst zum Inhalt und verleihen den Medien ein kritisches Image. Hier zeigt sich die Vereinbarkeit von Betroffenheit und Personalisierung - eine der Grundlagen des Journalismus. Was auf den ersten Blick wie eine Öffnung einer ehemals monokulturellen Hegemonie hin zu nichthegemonialen Lebensläufen oder einfach nur abseitigen Themen wirkt, stellt lediglich eine neue Form der erweiterten Selbstdisziplinierung in der geforderten permanenten Rede über sich selbst dar. Inwieweit die Normierung massenmedialer Lese-, Seh- und Hörgewohnheiten das in erster Linie alltagskulturelle Rezeptionsverhalten bestimmt, kann allerdings nicht allein über die Analyse der Medieninhalte, sondern nur über die Beschäftigung mit der kulturellen Hegemonie selbst geklärt werden.

Rein quantitativ kann man davon ausgehen, dass mittels zunehmender Anzahl von Printmedien, Fernsehkanälen, Hörfunksendern und Onlineangeboten die Zahl der veröffentlichten und auch relativ breit zugänglichen Informationen zunimmt. Allerdings zeigt sich, dass auch die vermehrte Anzahl an Publikationsmöglichkeiten kein Verlassen des vorher festgesteckten hegemonialen Terrains ermöglicht. Insbesondere im globalen Kontext zeigt sich doch allzu oft eine erschreckende Fixierung auf eine bornierte nationale Perspektive. Darüber hinaus lässt sich eine zunehmende Passivierung der Öffentlichkeit und eine Zusammenhangs- und Folgenlosigkeit kritischer Äußerungen beobachten.

Ging es bei Brechts Rückkanal-Theorem noch darum, anhand der nicht genutzten technischen Möglichkeiten des Radios aufzuzeigen, inwiefern die Vermachtung eines neuen Massenmediums zur machtförmigen Verknappung der demokratisierenden Potenziale führt, so ist diese Argumentationsweise angesichts der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien in gewisser Weise obsolet geworden. Zwar gibt es auch heute Vermachtungsprozesse neuer Medientechnologien, welche die Spielräume für emanzipative Möglichkeiten verkleinern - wie die Massenmedialisierung des Internets zeigt. Aber der »Rückkanal« als technische Möglichkeit ist längst eingeführt. Eine tatsächliche Umwälzung der Verhältnisse in der Medienwelt lässt jedoch weiter auf sich warten.

Alleinstellungsmerkmal Selbstausbeutung

Auch die Aspekte der angestrebten nichthierarchischen Arbeitsteilung und der damit zusammenhängenden ökonomischen und parteipolitischen Unabhängigkeit innerhalb der Projekte der alternativen Medien fungierten - neben ihrer utopischen Rolle, die sie sicherlich auch spielten - als Innovationspotenzial für die Umstrukturierung der Produktion. Selbstausbeutung und ein hoher Identifikationsgrad mit Arbeit und Betrieb waren die betriebswirtschaftlichen Vorteile der alternativen Medien. So konnten handwerkliche und materielle Schwächen durch große Innovativkraft ausgeglichen werden. Indem nun die Massenmedien diese ehemaligen alternativen Konzepte - und auch die dazugehörigen, entsprechend hoch motivierten Seiteneinsteiger - übernehmen, wird das gesamte Konzept überarbeitungsbedürftig.

Ist diese Auseinandersetzung mit Medientheorie und -praxis nun als ein Plädoyer für die Überflüssigkeit linker Gegenöffentlichkeit und alternativer Medien zu verstehen? Mit Sicherheit nicht, denn die Notwendigkeit der Auseinandersetzung um Realitätsdeutungen und deren informationelle Grundlagen - einer Arbeit am Diskurs - besteht in jeder gesellschaftlichen Situation. Es geht dabei um eine Rückbesinnung auf die Stärken der alternativen Medien: Sie unterscheiden nicht zwischen den Aspekten der Information, Kontextualisierung und Vernetzung. Es gelingt ihnen somit, zumindest für einen begrenzten Zeitraum, Elemente eines kritischen Gegendiskurses zu etablieren. Das Modell der alternativen Öffentlichkeit als gesellschaftskritisches Konzept kann seine Wirkung nur entfalten, indem es nicht als isolierte Medientheorie, sondern als umfassende Gesellschaftstheorie begriffen wird. Eine Theorie, die sich immer wieder praktisch umsetzen lässt, zeitlich und örtlich begrenzt, ohne Hoffnung auf großen politischen oder ökonomischen Mehrwert - aber dennoch Erfolg versprechend, so paradox das klingen mag.

Gottfried Oy publiziert zu den Themen Gegenöffentlichkeit und Alternative Medien und ist Mitherausgeber des »Handbuch Alternativmedien 2011/2012«.

Anmerkungen:

1) Ein Begriff, den auch eines der einflussreichsten Periodika der westdeutschen Linken in den 1970er Jahren im Titel führte: Informationsdienst zur Verbreitung unterbliebener Nachrichten (ID).

2) Beim interaktiven Rückkanal geht es um die Brechtsche Überlegung, die einseitige Distribution des Rundfunks in eine zweiseitige Kommunikation zu verwandeln.