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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 567 / 16.12.2011

Nichi Vendola

Er gilt als die einzige »charismatische« Persönlichkeit der italienischen Linken: Nichi Vendola, Präsident der Region Apulien seit 2005, offen schwuler Katholik und (Ex-)Kommunist, Schüler des langjährigen Sekretärs von Rifondazione Comunista (RC), Fausto Bertinotti. Seit seinem Austritt aus RC steht Vendola an der Spitze der Gruppierung Sinistra, Ecologia, Libertà (SEL). Falls ein noch zu gründendes Mitte-Links-Bündnis interne Vorwahlen veranstalten sollte, hat er gute Chancen, dessen Spitzenkandidat für die Parlamentswahlen 2013 zu werden. So muss denn Vendolas nun auch auf Deutsch erschienene Buch »Es gibt ein besseres Italien« vor allem als Bewerbungsschreiben gesehen werden. Als »Manifest für eine neue Politik« richtet es sich zugleich an die Linke in Europa, speziell im Mittelmeerraum, den Vendola wieder neu »im Mittelpunkt des Weltgeschehens« sieht. Linken LeserInnen, die sich auch mit den Besonderheiten der italienischen Politik ein wenig auskennen, wird das allermeiste bekannt vorkommen. Vendola analysiert die Zerstörungen durch den Kapitalismus des 21. Jahrhunderts - nicht nur in Italien. Dagegen setzt er einen radikalen Reformismus durch Demokratie von unten in allen Bereichen. Dieses mitunter recht pathetisch formulierte Programm für einen Politikwechsel hat einen entscheidenden Mangel: Das italienische Mitte-Links-Lager ist weder willens noch in der Lage, es durchzusetzen.

Jens Renner

Nichi Vendola und La Fabbrica di Nichi: Es gibt ein besseres Italien. Manifest für eine neue Politik. Verlag Antje Kunstmann, München 2011. 173 Seiten, 16,90 EUR.

Zehn Jahre ver.di

Nüchtern blickt Martin Kempe durch die leicht optimistisch gefärbte Brille zurück auf die genutzten und verpassten Chancen von ver.di - zehn Jahre Gewerkschaftsarbeit, die er als Chefredakteur der Mitgliederzeitung ver.di PUBLIK begleitet hat. Aus dem Zusammenschluss von fünf Gewerkschaften entstand eine komplexe Multibranchen-Gewerkschaft, in der räumliche Ebenen vom Bezirk bis zum Bund und 13 Fachbereiche koexistieren. Die angestrebte Beteiligung von Frauen sowie die größere kulturelle, politische und diskursive Offenheit gelangen. Auch deshalb ist ver.di sensibel für zunehmend prekäre Arbeits- und Lebenssituationen abhängig und selbstständig Beschäftigter und tritt öffentlich für diese ein. Vor allem zwei Chancen wurden aus Kempes Sicht nicht genutzt: Trotz aller Beteuerungen kümmern sich weder haupt- noch ehrenamtlich Aktive wirklich um neue Mitglieder. Außerdem kreist ver.di zu sehr um sich selbst: zu viel formale Demokratie und Bürokratie, zu wenig Diskussion und Bewegung an der Basis, zu viel Egoismus der Fachbereiche, zu wenig Umverteilung der Ressourcen zu Gunsten schwacher Bezirke und Fachbereiche. Mut für Investitionen, Umverteilung und die Entwicklung zu einer sozialen Bewegung seien dringender denn je. »Wende oder Ende« lautet Kempers abschließende Warnung. Trotz seiner Appelle scheint nach Lektüre des gut verständlichen und fundierten Essays das Ende näher.

Stefan Kerber-Clasen

Martin Kempe: 10 Jahre ver.di - Die Chancengewerkschaft. Westfälisches Dampfboot, Münster, 2011. 111 Seiten, 9,90 EUR.

Linker Antisemitismus

Wie antisemitisch ist die deutsche Linke? Wie hängen Antisemitismus und Antizionismus zusammen? Welche Faktoren erklären linken Antisemitismus? Maximilian Elias Imhoff widmet sich dem in einer quantitativen Studie. Die Ergebnisse überraschen nicht: 17% der Befragten seien (latente) AntisemitInnen, 21% hätten Abgrenzungsprobleme zum Antisemitismus. Zwischen den extremen antizionistischen und antideutschen Positionen besteht eine gewisse Ausgeglichenheit. Allerdings ist die Stichprobe nicht repräsentativ. Faktoren, die eine Neigung zu antisemitischer Israelkritik bedingen, sind: starke Palästinasolidarität, Denken in nationalen Kategorien, personifizierende Kapitalismuskritik, Lektüre von junge Welt oder UZ. Methodisch gibt es ein Tautologieproblem, denn Antisemitismus wird kaum in Items zur »Judenfeindschaft« gemessen, sondern in Einstellungen zu Israel, die antisemitischen Mustern folgen. Dabei wird (z.B. in der Charakterisierung Israels als »besonders stark«, d.h. als »jüdische Macht«) nicht zwischen Ressentiment- und Realitätsgehalt unterschieden. Sehr aufschlussreiches Material liefert das Milieu der Überidentifizierten, z.B.: selbsternannte PazifistInnen distanzieren sich im Falle Israels zu großen Teilen nicht von Terroranschlägen. Schwer lesbare Abschnitte und viel Statistik begrenzen die Zielgruppe - aber inhaltlich ist es ein neuer und interessanter Ansatz.

Peter Ullrich

Maximilian Elias Imhoff: Antisemitismus in der Linken. Ergebnisse einer quantitativen Befragung. Peter Lang Verlag, Frankfurt am Main 2011. 161 Seiten, 27,80 EUR.

Arabische Revolten

Bei manchen Leuten fragt man sich: Wie schaffen die das? Seit Jahresbeginn 2011 hat Bernhard Schmid die Zeitungen vollgeschrieben mit Artikeln über die Revolten in Nordafrika und zwei Bücher veröffentlicht; ganz nebenbei geht der Mann noch einer geregelten Arbeit nach. Sein Buch »Die arabische Revolution?« ist noch dazu ein wirklich gelungener Einstieg ins Thema geworden. In sieben Kapiteln bietet der Band einen Überblick über wichtige Aspekte der Revolten, stellt Verbindungen her und arbeitet Unterschiede heraus. Die Themen reichen von den oft vernachlässigten Arbeitskämpfen im Zuge der Aufstände über die Reaktionen der Regime bis zu den Auswirkungen auf den Israel-Palästina-Konflikt. Besonders positiv fällt auf, dass Schmid auch den Protesten in Saudi-Arabien, Kuwait, dem Irak und Bahrain Beachtung schenkt, die aus der Berichterstattung oft herausfallen. Während die Abschnitte über soziale Kämpfe in den Revolten oder die Rolle der IslamistInnen kompakt und hoch informativ sind, hätte man sich indes bei den neuen Medien einen genaueren Blick auf das Zusammenspiel zwischen Kommunikationsmitteln und den sozialen Trägern der Revolten gewünscht - statt der etwas pauschalen Facebook-Kritik. Aber das sind Kleinigkeiten, die den Gewinn der Lektüre nicht schmälern. Für alle, die noch kein Fachwissen über »die arabischen Länder« angehäuft haben, ist das vorliegende Bändchen der ideale Einstieg.

Jan Ole Arps

Bernhard Schmid: Die arabische Revolution? Soziale Elemente und Jugendprotest in den nordafrikanischen Revolten. edition assemblage, Münster 2011. 120 Seiten, 12,80 EUR.