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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 567 / 16.12.2011

Wenn aus Fiktion Wirklichkeit spricht

Rechte Krimiautor Wolfgang Schorlau über rechten Terror und Geheimdienste

Interview: Ingo Stützle

Ende September 1980 explodiert auf dem Münchner Oktoberfest eine Bombe, die 13 Menschen in den Tod reißt. Erst wird die RAF verdächtigt, dann ist für die Ermittlungsbehörden nur die These vom Einzeltäter handlungsleitend, obwohl vieles dagegen spricht. Zum 30. Jahrestag publizierte Wolfgang Schorlau einen Krimi, der den Fall nochmals aufrollte.

Hat Sie die plötzliche Aktualität Ihres Romans »Das München-Komplott« erschreckt?

Ja, das Buch ist aktueller als mir lieb ist. Andererseits ist es auch nicht verwunderlich. Zumindest für alle, die die extreme Rechte seit Jahren beobachten und davor gewarnt haben, dass ein rechtsterroristisches Milieu existiert.

In Ihrem Roman ist der Privatermittler Dengler 30 Jahren nach dem Attentat in München mit Interessen und Strukturen konfrontiert, die das Attentat nicht aufklären wollen oder Ermittlungen sabotierten. Das lässt für den »Fall NSU« nichts Gutes ahnen ...

Das stimmt. Unabhängig von der konkreten Verstrickung der Geheimdienste muss aufgeklärt werden, was sie in der rechten Szene überhaupt treiben. Sie mischen munter mit, aber wir wissen nicht einmal, welche Politik, Strategie oder Linie verfolgt wird.

Ich hoffe, dass die Geheimdienste innerhalb der organisierten Rechten keine größere Rolle spielen, dass sie sich keine Privatarmee halten, die für Schmutzarbeit jeglicher Art zuständig ist. So wie wir es historisch aus der Türkei, Italien oder anderen Ländern kennen. Aber wir wissen es nicht, welche Rolle derzeit Inlandgeheimdienste in Deutschland spielen und das ist das eigentlich Beunruhigende.

Dringend erforderlich ist, gerade vor dem Hintergrund der Anschläge in München, dass die Geheimdienste aufgelöst und die Archive geöffnet werden. Ich verstehe auch nicht, was der Einsatz von V-Leuten soll. Was könnten sie, was polizeiliche Ermittler nicht herausbekommen sollten? Hier zeigt sich ein starkes Misstrauen gegenüber der normalen Polizei.

Welche Rolle spielen Konflikte zwischen den Staatsapparaten? Zwischen BKA, Staatsanwaltschaft und Verfassungsschutz?

Es gibt eine starke Konkurrenz zwischen den Staatsapparaten. Die Verfassungsschützer verachten die armen Trottel von der Polizei, die sich an Recht und Gesetz halten müssen. Und die Polizei misstraut dem Verfassungsschutz. Vor diesem Hintergrund ist es auch erstaunlich, wie wenig eigentlich öffentlich wird. Man müsste das rechtsterroristische Umfeld insgesamt ausleuchten. Das BKA sucht zwar in der Vergangenheit der NSU, aber es steht ja im Raum, dass es noch weitere Kommandos gibt. Vielleicht ist das eine ja nur aus dem Ruder gelaufen ... Aber ich bin ja auch Krimiautor und schreibe keine Sachbücher. Ich erzähle Geschichten.

Ihr Roman lebt von gesammelten Fakten einerseits und der fiktiven Konstruktion von Zusammenhängen andererseits ...

Für mich sind die Fakten Stoff für den Krimi gewesen. Dafür habe ich mich natürlich schlau gemacht. Und es ist relativ klar, dass in München die Ermittlungen absichtlich falsch geführt wurden. Ich habe die Fakten zusammentragen, mir einen Reim daraus gemacht und dazu eine Geschichte erfunden - Ermittlungen kann ich natürlich keine führen.

Aber so viel ist klar: Es wäre unabdingbar, dass die Gesellschaft weiß, was die Geheimdienste eigentlich machen. Nicht jede technische Einzelheit einer der Operationen ist relevant, aber was der Zweck des Ganzen ist. Was mich beunruhigt ist, dass wir so wenig wissen. Aus Stasiunterlagen wissen wir z.B. dass beim Attentat auf dem Oktoberfest der Verfassungsschutz am Tatort war. Wir wissen aber nicht, was er dort getrieben hat. Man kann fast etwas allgemeiner behaupten: Überall wo Bomben geworfen wurden, war der Verfassungsschutz nicht weit. Das finde ich ausgesprochen beunruhigend. Laut Stasi war beim Mord am Verleger Shlomo Levin in Erlangen 1980 durch ein Mitglied der Wehrsportgruppe Hoffmann auch jemand vom VS in unmittelbarer Nähe des Tatorts. Warum?

Mit meinem Roman will ich den Finger in die Wunde legen. Die Fiktion greift da, wo das Staatsgeheimnis herrscht. Die von mir zu einer Geschichte arrangierten Fakten sind beunruhigend und legen den Schluss nahe, dass mein fiktiver Krimi näher an der Wahrheit dran ist als das, was manche sich so als Realität zurechtlegen. Traurig, aber wahr.

Wolfgang Schorlau: Das München-Komplott: Denglers fünfter Fall. Kiepenheuer 'amp; Witsch, Köln 2009. 334 Seiten, 8,99 EUR.

Der Terroranschlag auf das Oktoberfest 1980

Wolfgang Schorlau geht in seinem fünften, 2009 erschienen Krimi »Das München-Komplott« dem rechten Terroranschlag auf das Münchner Oktoberfest nach. Kurz vor der Bundestagswahl starben damals 13 Menschen und 211 wurden zum Teil schwer verletzt. Es ist bisher das schwerste Attentat von rechts und reihte sich 1980 in eine ganze Serie von rechten Anschlägen ein. Ohne jeden Anhaltspunkt machte der damalige bayrische Ministerpräsident die RAF verantwortlich. An der offiziell vertretenen These, dass der bei dem Anschlag ums Leben gekommene Gundolf Köhler ein Einzeltäter gewesen sei, gab es viel Kritik und Zweifel. Zahlreiche Zeugenaussagen, die auf eine Beteiligung Dritter hinwiesen, wurden nicht berücksichtigt. Immer wieder wurde vergeblich darauf gedrängt, die Ermittlungen nochmals aufzunehmen - u.a. von der ehemaligen SPD-Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin, Attentatsopfern oder deren Anwälte und dem Journalist Ulrich Chaussy. Obwohl die Umstände des Anschlags nach wie vor ungeklärt sind, wurden die letzten Asservate 1997 vernichtet, was eine Aufklärung noch schwieriger macht. Weitere Informationen zum Krimi und den Hintergründen unter www.schorlau.de.