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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 567 / 16.12.2011

Eisige Kälte, trottende Nazis

Rechte Der Aufmarsch in Magdeburg könnte zum Dresden-Ersatz werden

Von Maike Zimmermann

Schwarze Fahnen, hängende Köpfe, eisige Kälte, trottende Nazis, Elbe im Hintergrund. Nein, die Rede ist nicht von Dresden. »Für die Neonaziszene stellt der Aufmarsch in Magdeburg eine Art Warm up für Dresden dar«, sagt David Begrich vom Verein Miteinander e.V. aus Magdeburg. Seit 2001 marschieren Nazis jedes Jahr im Januar durch die Stadt, die Teilnehmerzahl liegt zwischen 700 und 1.000 Personen. »Dabei fällt auf, dass das Durchschnittsalter mit den Jahren geringer wurde«, so Begrich. Ansonsten ist die Story, die die Nazis erzählen, ziemlich identisch mit dem Mythos Dresden: die »kulturhistorische und einzigartige Barockstadt Magdeburg« als eine der »am schwersten zerstörten deutsche Städte«, deren »kultureller Glanz« von den »alliierten Luftmördern« vernichtet wurde. Feuersturm, Höllenfeuer, Völkermord - an großen Worten wird nicht gespart.

So ist es ist kaum verwunderlich, dass Nazis aus beiden Städten miteinander kooperieren. Die Verbindung läuft hier über neonazistische Kameradschaftsstrukturen. In Dresden gab es in den letzten Jahren zwei Aufmärsche: einen am 13. Februar, dem Jahrestag der Bombardierung, und einen an dem darauf folgenden Samstag. Zu letzterem mobilisierten NPD und die Junge Landsmannschaft Ostdeutschland (JLO) überregional. Der Aufmarsch am 13. Februar wird hingegen hauptsächlich getragen von sogenannten Freien Nationalisten vom Aktionsbündnis gegen das Vergessen (AgV). In Abgrenzung zum Marsch von NPD und JLO wird Wert darauf gelegt, dass es sich um »wahres«, um »traditionelles« Gedenken handelt - Naziaufmarsch in Reinkultur sozusagen, im Dunkeln, mit Fackeln und allem drum und dran.

Mit den KameradInnen aus Magdeburg hat man sich vor zwei Jahren unter anderem per Website zusammengeschlossen. Eine gemeinsame Startseite führt entweder zum AgV nach Dresden oder zur Initiative gegen das Vergessen, dem Pendant aus Magdeburg. Diese Initiative ist dabei verwoben mit der NPD. Andy Kape beispielsweise ist nicht nur wiederholt Redner der Initiative, sondern auch Landesvorsitzender der NPD-Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten (JN) sowie stellvertretender JN-Bundesvorsitzender.

Hinter der neonazistischen Gruselveranstaltung am 14. Januar steht ein nicht weniger krudes Geschichtsbild: »Was am 3. September 1939 mit dem ersten Flugblattabwurf der Royal Air Force begann, mit Magdeburg, Berlin und Dresden endete und im Angriff auf die vor Kiel-Feuerschiff liegenden Flüchtlingsdampfer und Rotkreuzschiffe seinen sadistischen Höhepunkt erlebte, trägt die Fratze eines teuflischen Krieges gegen die Menschheit, ließ einen aus Phosphorgranaten und Napalm auflodernden Feuerbrand entstehen, der alles bisher Dagewesene übertraf.« Nicht nur, dass nach dieser Logik die Alliierten den Zweiten Krieg begonnen haben, ihr Handeln habe »alles bisher Dagewesene« übertroffen. Angesichts der Shoah, des industriellen Massenmordes durch den Nationalsozialismus fehlen einem bei solchen Aussagen fast die Worte.

Das Bild des neonazistischen Trauermarschs dürfte mittlerweile leider vielen mehr oder weniger geläufig sein: schwarze gesenkte Fahnen, klassische Musik, Schweigen, Aufstellung in Formation. Nicht anders sieht es in Magdeburg aus. Das Ganze wird hier zusätzlich kombiniert mit einer »Totenehrung«. Beim Thema Bombardierung wird der Bezug auf den Nationalsozialismus von den Teilnehmenden zwar verstanden, er bleibt aber relativ diffus und läuft hauptsächlich über die mitgedachte Gleichsetzung des »wahren Deutschlands« mit dem NS. Bei den »Totenehrungen« wird dieser Bezug hingegen im Ritual offensichtlich. Ob bei kleineren NS-Feiern oder Massenkundgebungen wie dem Reichsparteitag in Nürnberg: eine Opferzeremonie in Form der Totenehrung war fester Bestandteil des NS-Kults. Wagner-Overtüren, Fahneneinzüge, Fackeln, Schreiten durch eine Gasse, Anrufung der Toten waren da nur einige Elemente.

Die Nazis von heute versuchen dies nachzuspielen. Andreas Biere aus Magdeburg übernimmt hierfür die »Totenehrung«. Nach »einem Ruf der Gefallenen der Heimatfront ertönte als Antwort der 800 Teilnehmer ein klares und deutliches Hier«, heißt z.B. für das Jahr 2008. Die Folgejahre zeigen ähnliche Bilder: Gassen mit Fackelträgern werden gebildet, die Toten » in unsere Reihen zurück« gerufen - Horst Wessel lässt grüßen.

So hoch zeremoniell und formvollendet wie das die Nazis gern hätten, sind diese »Totenehrungen« freilich nicht - dafür fehlen zum Glück die Mittel. Ihre emotionale Wirkung verfehlen die »Zeremonien« bei den Teilnehmenden jedoch sicher nicht. Aber wieso sind solche Rituale für die vornehmlich jungen TeilnehmerInnen eigentlich anziehend? So langweilig diese Veranstaltungen anmuten, artikuliert sich hier doch der Wunsch, Teil eines größeren Ganzen zu sein. Aufmärsche wie in Magdeburg, Dresden oder auch Bad Nenndorf triefen nicht nur vor Pathos, sie bieten den Nazis die Möglichkeit, der Alltäglichkeit zu entfliehen. In einem großen Opferkollektiv von gestern bis heute wägt man sich auf der moralisch »guten« Seite. Dass der Tod vermeintlicher deutscher Heldinnen und Helden nicht umsonst sein dürfe, wird zum Motor des eigenen politischen Kampfs.

Die Großaufmärsche in Dresden wurden in den letzten zwei Jahren erfolgreich blockiert. Umso häufiger die AntifaschistInnen in Dresden erfolgreich sind, desto interessanter wird für die Nazis der Aufmarsch in Magdeburg. Schließlich konnte dieser bislang - wenn auch im letzten Jahr mit Einschränkungen - immer stattfinden. Verschiedene antifaschistische Gruppen rufen daher dieses Mal zu Massenblockaden auf. »Die Erfahrungen aus Städten wir Dresden und Leipzig zeigen, dass es mit mehr Menschen durchaus machbar ist, Naziaufmärsche erfolgreich zu verhindern«, heißt es in deren Aufruf.

Allerdings, gibt David Begrich vom Miteinander e.V. zu bedenken, gibt es in Magdeburg anders als in Dresden keine gewachsene Protestkultur. Jene, die in Magdeburg protestieren, seien weitgehend auf sich gestellt. Schon seit einigen Jahren veranstaltet das Bündnis gegen Rechts Magdeburg an dem Tag des Aufmarsches eine Meile der Demokratie. Diese wiederum sei ein Versuch, den Protest jenseits der Formen Demonstration und Kundgebung attraktiv zu machen, so Begrich. »Ob sie der Weisheit letzter Schluss ist, muss sich jedes Jahr neu erweisen.«

Anmerkung:

Zu den historischen Vorbildern des ritualisierten Gedenkens heutiger Neonazis siehe Sabine Behrenbeck: Der Kult um die toten Helden. Nationalsozialistische Mythen, Riten und Symbole 1923-1945. SH-Verlag, Köln 2011.

Langsam reicht's mit Naziaufmarsch

In Magdeburg wird man auf vielfältige Weise gegen den Naziaufmarsch aktiv. Es gibt die Meile der Demokratie, organisiert vom Bündnis gegen Rechts und der Stadtverwaltung (bgrmagdeburg.wordpress.com). Antifaschistische Gruppen rufen auf zu Blockaden mit einem Aktionskonsens, der besagt: »Von unseren Blockaden soll keine Eskalation ausgehen« (blockierenmd.tk). Und auch eine antifaschistische Demonstration ist geplant (www.entschlossen-handeln.tk).

Next stop: Dresden

Auch in Dresden wollen Nazis wie in den vergangenen Jahren anlässlich des Jahrestages der Bombardierung durch die Alliierten aufmarschieren - trotz der erfolgreichen Blockaden der vergangenen Jahre. Das Aktionsbündnis gegen das Vergessen ruft bereits auf zu einem »traditionellen Gedenkmarsch« in den Abendstunden des 13. Februar. NPD und JLO halten sich bislang bedeckt. Was die Nazis auch immer vorhaben mögen: Dresden Nazifrei, ein breites Bündnis aus Gewerkschaften, zivilgesellschaftlichen Initiativen und antifaschistischen Gruppen, wird das nicht stillschweigend hinnehmen. Blockieren bis der Naziaufmarsch Geschichte ist, lautet die Devise. Informationen unter www.dresden-nazifrei.com.