Nicht nur von der Revolution träumen
Diskussion Eine Antwort auf die IG-Metall-Kritik von Malte Meyer und Rainer Berger
Von Eric Leiderer
Wenn der Feind dich bekämpft, ist das gut und nicht schlecht, denn es zeigt dir, dass du auf dem richtigen Weg bist.« So hatte einst Mao seine revolutionären Truppen instruiert, und in der Tat: Da ist was dran. Deshalb überrascht es in der IG-Metall-Jugend auch niemanden, dass Martin Kannegiesser, Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, auf unsere Kampagnenarbeit in einer impulsiven Tonart einschlägt, die man vom größten »Sozialpartner« der größten Gewerkschaft der Welt schon lange nicht mehr gehört hat.
Von einer »Gefährdung der Tarifautonomie durch neue Strategien der Mitgliederwerbung« ist in diesen Kreisen neuerdings die Rede - gemeint ist die gewerkschaftliche Organizing-Strategie. Und unmittelbar nach dem Jugend-Aktionstag der IG Metall mit 20.000 TeilnehmerInnen am 1. Oktober in Köln verkündet der Arbeitgeberpräsident in der Wirtschaftswoche, er befürchte »Unruhe in den Betrieben«. Gemeint ist Operation Übernahme, die stärkste gewerkschaftliche Jugendkampagne seit Jahrzehnten.
So neu diese aggressiven Töne außerhalb der Friedenspflicht sind (die Tarifrunde in der Metall- und Elektroindustrie mit ihrer Leitforderung nach der unbefristeten Übernahme von Auszubildenden beginnt erst im kommenden Frühjahr), so altbekannt ist uns der Geist, der sie trägt. Deshalb halten wir uns in diesem Punkt gerne an Mao und nehmen die Sorgen von Herrn Kannegiesser als Lob für den Erfolg unserer Arbeit.
Doch Kannegiesser steht nicht allein. Für seine Behauptung, »Mobilisierung zwecks Mitgliederwerbung« sei für die IG Metall »zur alles überwuchernden Motivation geworden«, bekommt er Schützenhilfe von ganz anderer Seite: So verkündet etwa das trotzkistische Internationale Komitee der Vierten Internationale, der Aktionstag der IG-Metall-Jugend sei ein »Alibi für die Gewerkschaft«.
Kritik von Arbeitgeberseite ist Lob für die Gewerkschaft
Ganz ähnlich klingt der Tenor eines Artikels, der pünktlich zum Aktionstag in der Kölner Stadtrevue erschien. »In Zeiten rückläufiger Mitgliederzahlen und nachlassender Anerkennung«, heißt es dort, nutze die IG Metall verstärkt eine neue »Machtressource«, nämlich »kommunikative Macht«. Und weiter: »Ähnlich wie Anzeigen- oder Wahlkampagnen haben auch gewerkschaftliche Kampagnen eine Hauptbotschaft, für die mit möglichst geeigneten Mitteln nicht nur Aufmerksamkeit, sondern auch Zustimmung erzeugt werden soll.«
Als ob das ein Verbrechen wäre. Denn dass die »Zeiten rückläufiger Mitgliederzahlen und nachlassender Anerkennung« nachweislich vorbei sind, liegt vor allem daran, dass wir genau so arbeiten, wie die Stadtrevue es uns vorwirft: nämlich mit gut gemachten Kampagnen. Doch in ak 565 stößt derselbe Autor, Malte Meyer, zusammen mit Rainer Berger, einem ehemaligen Angestellten der IG BAU, ins gleiche Horn. (Siehe Kasten)
Die IG Metall Jugend hat im Dezember 2010 unter dem Titel »Call me a Radical« zentrale Schriften des US-Bürgerrechtlers und Organizing-Strategen Saul David Alinsky neu herausgebracht. (Der Titel ist ein wörtliches Zitat von Alinsky, nicht von Thomas Paine, wie Meyer/Berger mutmaßen.) Der gesamte Text der Neuauflage beruht auf der 1984 von Karl-Klaus Rabe übersetzten und unter dem Titel »Anleitung zum Mächtigsein« vom Lamuv-Verlag herausgegebenen Ausgabe. Diesen Text haben wir um keinen Satz und kein Wort gekürzt. Dennoch wird der Vorwurf, wir hätten »gewerkschaftskritische Stellen« zensiert, in besagtem ak-Beitrag fünffach wiederholt. Warum auch immer.
Richtig ist, dass wir bei der Neuauflage des Alinsky-Buchs redaktionelle Verbesserungen vorgenommen haben. Aus »Community Organizing« hat die sozialbewegte Kultur der 1970er Jahre »Gemeinwesenarbeit« gemacht. Auch Meyer/Berger übersetzen »Community« noch heute mit »Stadtteil« oder »Gemeinde« - während der Text aus einem Land kommt, in dem »Black Community«,»Gay Community« oder eben auch »Worker's Community« seit Jahrzehnten als kulturelle Gemeinschaften begriffen werden, nicht als lokale.
»Operation Übernahme« kämpft für die Jugend
Der Jugend-Aktionstag der IG Metall am 1. Oktober in Köln hat 20.000 Jugendliche mobilisiert, die ihre unbefristete Übernahme nach der Ausbildung einfordern. So viele organisierte Jugendliche waren in Deutschland seit Jahrzehnten nicht mehr gemeinsam auf der Straße. Alle trugen das gleiche T-Shirt. Alle reckten ihre Boxhandschuhe in die Luft - jeweils persönlich beschriftet - als Symbol für ihre Kampfbereitschaft.
Sie taten das als Teil einer IG Metall, die durch die ganze Organisation hindurch praktisch beweist, dass sie die Anliegen der jungen Generation sehr ernst nimmt. Zwei Beispiele: Auf der 21. Jugendkonferenz der IG Metall von März 2011 wurde die Verlängerung der Kampagne Operation Übernahme um ein weiteres Jahr beschlossen. Und zwar einstimmig - so viel Einigkeit gibt es auch in der IG-MetallJugend selten. Auch auf dem 22. Gewerkschaftstag der IG Metall Mitte Oktober 2011 in Karlsruhe war das Ergebnis einstimmig: Die IG Metall will die Übernahme nach der Ausbildung bei der im Frühjahr anstehenden Metall-Tarifrunde durchsetzen.
Dabei ist die Kampagne Operation Übernahme schon im Vorlauf ein sehr mutiges Projekt gewesen. Am Anfang stand ein Konflikt: Die vorletzte Jugendkonferenz der IG Metall im Jahr 2007 endete in einer Kampfabstimmung um den Leitantrag A23, der eine große, bundesweite und gesellschaftlich relevante Kampagne einforderte. Die KritikerInnen des Antrags befürchteten die Vereinnahmung der Gewerkschaftsjugend durch inhaltsleere Werbe-Maßnahmen, die UnterstützerInnen hofften auf eine offensivere politische Linie, die auch in der Öffentlichkeit ankommt. Letztere setzten sich durch, A23 wurde mit einer knappen Mehrheit angenommen.
Danach war die IG-Metall-Jugend gespalten. Deshalb hat sie damals die Entscheidung getroffen, eine Arbeitsgruppe ins Leben zu rufen, die sich über anderthalb Jahre mit den Fragen beschäftigte: Was heißt »Kampagne« für die IG-Metall-Jugend? Und welchem Thema sollte sie sich widmen? Das Ergebnis dieses Prozesses war die von allen Bezirken gemeinsam getragene Entscheidung, eine bundesweite Kampagne zum Thema Übernahme durchzuführen - ein seit Jahrzehnten drängendes Anliegen, das von unseren Aktiven in den Betrieben überzeugt getragen wird.
Das ist gelebte Beteiligungsorientierung ganz im Sinne Alinskys: »Die demokratische Mitbestimmung aller Gewerkschaftsmitglieder in allen Bereichen des Gewerkschaftslebens muss konstant erweitert werden. Darüber hinaus muss der Radikale Erziehungsprogramme auf allen Stufen der Gewerkschaft vorantreiben.« Auch letzteres tun wir im Rahmen der Operation Übernahme, indem wir unsere Aktiven systematisch für erfolgreiche Kampagnenarbeit ausbilden. Vor diesem Hintergrund erscheint die Behauptung, dass wir es nötig hätten, ausgerechnet dieses Zitat zu zensieren, umso abstruser.
Der Agenturpartner der IG-Metall-Jugend heißt kp works - Kornberger und Partner Kommunikationsberatung. Die radikale Ästhetik unserer Kampagne Operation Übernahme, ihre offensive politische Kommunikation und ihre konsequente Beteiligungsorientierung bei allen Aktionen - bis hin zu den Aktionsmitteln, die von unseren Aktiven selbst beschriftet werden - zeugt von den Potenzialen dieser Zusammenarbeit.
Dass wir uns in solchen Fragen von Fachleuten aus Agenturen beraten lassen, ist so selbstverständlich wie die Tatsache, dass BetriebsrätInnen JuristInnen brauchen, wenn ihnen an »Waffengleichheit« mit der Arbeitgeberseite gelegen ist. Man kann von unserem Rechtssystem und unserem Mediensystem halten, was man will - aber wer würde auf eineN AnwältIn verzichten, wenn ihn einE ArbeitgeberIn über den Tisch ziehen will? Deshalb greifen wir auch dort auf die Unterstützung von Fachleuten zurück, wo es um unsere öffentliche Wahrnehmung geht - denn wir wollen »Waffengleichheit« auch im medialen Diskurs. Zudem besteht das Team von kp aus überzeugten KollegInnen mit gewerkschaftlichem Hintergrund; seine Arbeit ist auf demokratische Strukturen und beteiligungsorientierte Prozesse ausgerichtet. Das ist eine günstige Konstellation - wenn man Gewerkschaften mag.
Überkommene Vorurteile, realitätsferne Standpunkte
Wenn man Gewerkschaften aber nicht über den Weg traut, weil man ihre Rolle als Tarifpartner der Arbeitgeberseite zweischneidig findet, weil einem ihre gelegentliche Nähe zur Politik suspekt ist oder weil man etwa die Abwrackprämie ablehnt, kann man weiter von Graswurzelrevolutionen träumen und undifferenziert draufhauen. Dabei läuft man allerdings Gefahr, sich in überkommenen Vorurteilen zu verrennen und einen Standpunkt weitab der Realität zu zementieren.
Denn die IG-Metall-Jugend hat sich in den letzten Jahren enorm entwickelt. Es ist in unseren Strukturen heute tief verankert, dass Mobilisierung ohne Beteiligung der Mitglieder nicht zu haben ist. Und dass Beteiligung ohne die Bereitschaft zum Konflikt nichts wert sind. Die Erfolge der Operation Übernahme in der Organisation (Lernprozess), in den Betrieben (solidarische, offensive Aktionen), in der Öffentlichkeit (Aufmerksamkeit, Interesse, Berichterstattung) und in den tarifpolitischen Ergebnissen (unbefristete Übernahme in der Stahlindustrie) sind der Beleg dafür.
Unsere strategische Linie heißt »Mitglieder - Beteiligung - Konflikt«. Diesen Kurs werden wir weiter verfolgen, und wir werden unsere Arbeit in Zukunft noch konsequenter darauf ausrichten. Wir haben den Beteiligungs-Strategen Alinsky auch deshalb neu herausgebracht, weil er kein Ideologe ist. Weil es ihm um reale Ergebnisse geht, im Interesse der Menschen. Weil wir an die Idee von Empowerment glauben, nicht an die Macht linker GroßsprecherInnen. Und weil wir die große, weltweite Bewegung, die sich gegen diesen Kapitalismus richtet, auch in Deutschland anständig munitionieren wollen.
Eric Leiderer ist Bundesjugendsekretär der IG Metall.
Malte Meyer und Rainer Berger in ak 565
In ihrem Beitrag »Auf der Suche nach dem Rebel-Image« kritisierten Malte Meyer und Rainer Berger, die Gewerkschaften bzw. ihre Jugendorganisationen gäben sich zwar konfliktbereit und bewegungsnah, doch in der Praxis dominierten korporatistische Strategien. In diesen Zusammengang ordnen sie die Neuauflage des Buches »Call me a Radical« des US-Community-Organizers Saul Alinsky durch die IG-Metall-Jugend ein. Durch die Veröffentlichung solcher Schriften und mit Hilfe von Werbeagenturen wie kp works arbeite die Gewerkschaftsjugend an einem radikalen Image. Doch trotz aller Rhetorik sei ein Bruch mit Stellvertreterlogik und Standortpolitik nicht zu erkennen. Organizing hin, Campaigning her - in der gewerkschaftlichen Arbeit seien »anders als erhofft nicht etwa inklusivere, sondern exklusivere Solidaritätsmodelle auf dem Vormarsch«.