Titelseite ak
Linksnet.de
ak und Fantômas sind Partner von Linksnet.de
ak bei facebook

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 568 / 20.1.2012

aufgeblättert

Opium des Volkes?

Ein neuer Sammelband des UrbanistInnen- und SoziologInnen-Kolektivs metroZones aus Berlin zeigt: Neue religiöse Bewegungen sind besonders in der Stadt aktiv, hier wirken sie community-bildend. Eine in dem Buch unterschiedlich diskutierte Leitthese stammt von dem linken Stadtsoziologen Mike Davis: Gott sei in den alten Städten der industriellen Revolution gestorben und in den Städten der Dritten Welt wiederauferstanden; in den Armutsquartieren der Megastädte habe Marx die Bühne verlassen, und Mohammed und der Heilige Geist würden Regie führen. Anhand von Beobachtungen aus Kairo und Teheran kratzt Asef Bayr an dem Mythos der »islamistischen Armen«. Der Islamismus habe als Mittelschichtsbewegung nur ein instrumentelles Verhältnis zu Armut und sozialer Gerechtigkeit. Der Philosoph und Theologe Enrique Dussel macht deutlich, welches Programm sich die katholische Befreiungstheologie gab: sozialrevolutionär zu wirken und dennoch an vorhandene Traditionen anzuknüpfen. Dussel sieht gute Chancen für eine Erneuerung der Befreiungstheologie vornehmlich in Lateinamerika. Im Gespräch über religiöse Gemeinschaften in Berlin bleibt leider offen, ob diese »Communities« lediglich das Elend abfedern oder dagegen vorgehen und für wen sie als Bündnispartner fungieren könnten. Um den Sammelband kommt jedoch niemand herum, der vermeiden will, den Stellenwert der Religion für soziale Konflikte zu unterschätzen.

Gerhard Hanloser

metroZones (Hg.): Urban Prayers. Neue religiöse Bewegungen in der globalen Stadt. MetroZones 10. Assoziation A, Berlin/Hamburg 2011. 277 Seiten, 20 EUR.

Novemberrevolution

Dass »Eine Geschichte der Novemberrevolution« von Richard Müller nach über 36 Jahren im dem kleinen Berliner Verlag Die Buchmacherei neu aufgelegt worden ist, hat eine Vorgeschichte. Der Berliner Historiker und ak-Autor Ralf Hoffrogge holte mit seinem 2008 erschienenen Buch »Richard Müller, der Mann hinter der Novemberrevolution« die Revolutionären Obleute von Berlin und ihren Sprecher Richard Müller aus dem Vergessen hervor. Eine wesentliche Grundlage für Hoffrogges Buch waren die drei Bände von Richard Müller, die dieser Anfang der 1920er Jahre verfasst hatte. Müllers Werk ist spannend und authentisch, weil von einem der Hauptprotagonisten der Revolution geschrieben. Es inspirierte Historiker wie Sebastian Haffner und Literaten wie Theodor Plievier und ist Standardwerk und Geheimtipp zugleich. So war es kein Wunder, dass Ende der 1960er Jahre, zur Zeit der Jugend- und Studentenbewegung, Raubdrucke und Anfang der 1970er dann mehrere Auflagen im Berliner Verlag Olle und Wolter erschienen. Wer sich die Geschichte des ersten Weltkrieges, der Novemberrevolution und der ersten Nachkriegsjahre mittels Müllers Werk aneignen wollte, musste sich die drei Bände bislang mühsam antiquarisch besorgen. Die KollegInnen der Buchmacherei setzen mit der Neuauflage auf das Interesse einer neuen Generation von AktivistInnen an diesem noch immer spannenden Stück Geschichte.

Dieter Wegner

Richard Müller: Eine Geschichte der Novemberrevolution. Vom Kaiserreich zur Republik/Die Novemberrevolution/Der Bürgerkrieg in Deutschland. Die Buchmacherei, Berlin 2011. 756 Seiten, 19,95 EUR.

Arbeitskampf

Peter Renneberg trägt in seinem »Handbuch Tarifpolitik und Arbeitskampf« relevante Argumente zusammen aus Geschichte, Recht, Statistik und Ökonomie, Arbeitssoziologie und vergleichender europäischer Gewerkschaftsforschung. Er möchte »aus individueller Betroffenheit kollektive Prozesse« anstoßen und gewerkschaftliches Handlungswissen für die kämpferische Arbeit an der Basis bereitstellen. Stärken und Schwächen des Buches sind untrennbar verbunden: Acht theoretische Zugänge zu Gewerkschaften auf zehn Seiten verdeutlichen beispielhaft, dass es in diesem Format unmöglich ist, Theorie und Praxis darzustellen, zu diskutieren und an eine eigene Position rückzukoppeln. So zerfällt das anschaulich und gut verständlich geschriebene Buch in zwei Teile: eine umfassend gedachte und trotzdem zu kurze Vorgeschichte, die hinführt zu der brisanten Frage, wie zeitgemäße Arbeitskampfführung aussehen kann. Da plädiert Renneberg für die Verbetrieblichung der Arbeitskämpfe, für »Kontrollverlust mit Ankündigung«, um die Hierarchie zu untergraben und die Autorität der Geschäftsführung zu narren; schreibt er von den Potenzialen kollektiv durchgeführter alternativer Widerstandsformen als Ergänzung zu Streiks. Mit der Arbeitsfrage: »Welche Schlüsse lassen sich für die gewerkschaftliche Arbeit ziehen?« endet das Handbuch. Es vermittelt Wissen und formuliert offene Fragen für eine weiterführende Debatte.

Stefan Kerber-Clasen

Peter Renneberg: Handbuch Tarifpolitik und Arbeitskampf. VSA-Verlag, Hamburg, 2011. 240 Seiten, 18,80 EUR.

Die »Weisen von Zion«

Der auf die Herausgabe antideutscher Kampfschriften spezialisierte Freiburger ça-ira-Verlag hat sein Programm unlängst um ein absolut lesenswertes Buch ergänzt: »Adolf Hitler, Schüler der Weisen von Zion«, geschrieben von dem linken Sozialdemokraten Alexander Stein (1881-1948) in seinem Exil in der Tschechoslowakei und dort erstmals 1935 veröffentlicht. Stein vergleicht die »Protokolle der Weisen von Zion«, die eine angebliche jüdische Weltverschwörung belegen sollten, mit programmatischen Erklärungen Hitlers wie auch der Wirklichkeit der NS-Diktatur und sieht erstaunliche Parallelen: Offensichtlich ließ sich Hitler von dem antisemitischen Machwerk in Theorie und Praxis inspirieren. Zugleich glaubte er fest an die Authentizität der »Protokolle« - obwohl seit 1921 bewiesen war, dass es sich dabei um eine Fälschung handelte. Stein referiert in diesem Zusammenhang auch den Berner Prozess um die »Protokolle«, der 1935 mit einem eindeutigen Urteil endete: Ein Gutachter konnte nachweisen, dass die wichtigsten Passagen der »Protokolle« aus einem Roman des deutschen Schriftsteller Hermann Goedsche und einer politischen Satire des französischen Rechtsanwalts Maurice Joly übernommen waren. Den »Schüler aus Braunau« focht das nicht an. Steins Buch blieb weitgehend wirkungslos - obwohl er seine wissenschaftliche Untersuchung mit einem Appell zum Kampf gegen die Weltherrschaftspläne der Nazis verband.

Jens Renner

Alexander Stein: Adolf Hitler, Schüler der »Weisen von Zion«. ça-ira-Verlag, Freiburg 2011. 315 Seiten, 20 EUR.