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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 568 / 20.1.2012

Recht auf Straße für Sexarbeit

Diskussion Ein Workshop über Vertreibungspolitik und Widersetzungspraxen

Von Stella Gaertner, Tina Habermann und Iris Nowak

Der Verkauf sexueller Dienste hat eine lange Geschichte. In ihm hat stets ein Ringen um ökonomische, rassifizierende Verhältnisse und Geschlechterverhältnisse, um Vorstellungen von Ordnung und Moral stattgefunden. Diese Konflikte fanden ihren Ausdruck in gesellschaftlichen Regulierungen und stadträumlichen Ordnungen. Seit den selbstorganisierten Kämpfen der Hurenbewegung in den 1980ern und aktuellen Positionsbestimmungen politischer Akteure zeigen sich in Europa unterschiedliche Umgangsweisen mit Sexarbeit.

Die - potenziell solidarische - Linke in Deutschland jedoch schweigt bis heute weitgehend zu dem Thema. Das Prostitutionsgesetz besteht seit 2002, bietet aber nur für wenige Sexarbeiter_innen (1) eine Absicherung und hat kaum Auswirkungen auf eine gesellschaftliche Anerkennung der Arbeit. Zudem führt es zu neuen Differenzierungen unter den Sexarbeiter_innen. Im Rahmen von städtischen Aufwertungs- und Gentrifizierungsprozessen wird der Straßenstrich nach wie vor als »Schmuddel-Ecke« betrachtet.

Die lokalen Bestandsaufnahmen zu Situationen und Strategien der Sexarbeiter_innen und ihren Unterstützer_innen, die Anfang Dezember im Rahmen des Workshops »Stadt, Prostitution, Vertreibung« (2) in Hamburg diskutiert wurden, zeigen, dass die Perspektive gesicherter Arbeitsverhältnisse für Sexarbeiter_innen derzeit europaweit durch einen Trend zu repressiver staatlicher Politik und medienträchtiger Skandalisierung konterkariert wird.

Vertreibung aus dem »Gefahrengebiet« St. Georg

Ort der Veranstaltung war Hamburg St. Georg, ein Viertel, das seit Jahren mit einem städtischen Aufwertungsdruck konfrontiert ist und in dem im letzten Jahr die Repression gegen Sexarbeit massiv verstärkt wurde. Sexarbeit wird in St. Georg seit 1980 über eine Sperrgebietsverordnung reguliert, welche Prostitution untersagt. Seit Anfang 2011 wird diese nach einer neuen internen Anordnung der Polizei in Kombination mit der Festsetzung als Gefahrengebiet (3) schärfer umgesetzt. Letztlich ist das Ziel die Verdrängung des Straßenstrichs; die Mittel hierfür sind Aufenthaltsverbote und Bußgelder über mehrere hundert Euro.

Effekt dieser Politik ist eine Potenzierung der Prekarität von Sexarbeit in vielerlei Hinsicht: Durch den Druck, klandestiner zu arbeiten, werden weniger Kunden erreicht und somit weniger Einkommen erzielt. Gleichzeitig müssen die durch Aufwertung und Repression gestiegenen Ausgaben ausgeglichen werden. Auf diese Weise verschwindet nicht die Sexarbeit, aber die Möglichkeit, selbstbestimmt über Arbeitsorte und -zeiten, Kunden und Praktiken zu entscheiden. Auf dem Rücken prekärer Arbeiter_innen wird hier eine Stadtpolitik durchgesetzt, die Gewerbe, Tourismus und Wohnen nach bürgerlichen Ansprüchen bereitstellen will. Politische Durchsetzungsmacht wird ebenso repressiv wie diskursiv bewiesen.

Dabei spiegeln sich differente soziale Positionen und Lebensalltage in den unterschiedlichen Formen der Prekarisierung wider. Die rassifizierte (Trans-)Sexarbeiterin muss sich teils anderen Zumutungen widersetzen als die weiße Drogengebraucherin. Wie Kathrin Schrader am Beispiel St. Georg erläuterte, setzt die Regulierung von Sexarbeit auf diese Differenzierungen; darin ergeben sich widersprüchliche Disziplinierungsanforderungen zwischen Hilfesystem und Kriminalisierung und eine erneute Schwächung der Machtposition der Sexarbeiterinnen.

Schrader zeigte dabei auf, dass die - oft verneinte - Handlungsmacht von Sexarbeiterinnen als Moment von Konflikten berücksichtigt werden muss. Diese besteht beispielsweise in Widersetzungen gegen Regulierungen und Zuschreibungen, in der Inanspruchnahme juristischer Mittel und in der Suche von Schlupflöchern sowie gemeinschaftlichen Ansätzen der Arbeitsorganisierung. Um den Spaltungsversuchen entgegenzuwirken, ist für Schrader eine Zurückweisung von rassistischen Zuschreibungen, wie Anwohner_innen und Presse, aber auch einige Sexarbeiter_innen sie bedienen, notwendig. Soziale Einrichtungen vermögen ihr zufolge innerhalb rassistischer Verhältnisse wenig Unterstützung zu leisten, solange sich weiße Hegemonien in ihnen widerspiegeln.

Egal, ob sie aus Amsterdam, Linz oder Berlin kamen: Die Verknüpfung der Themen Migration, Sexarbeit und Rassismus ist für die Teilnehmenden des Workshops zentrales Thema ihrer lokalen Arbeit. Gergana Schrenk vom Linzer Projekt Maiz legte dar, dass ein gesellschaftlicher Rassismus in der Umkämpfung der Sexarbeit ebenso stark wirkt wie die fehlende Auseinandersetzung innerhalb von sozialen Berufen mit Zusammenhängen von globaler Migration und unterschiedlichen prekären Arbeitsfeldern. Damit verbleibe der Diskurs um Sexarbeit und Migration oft in der Rede über »fremde Opfer«. Ein Beispiel hierfür ist die nach wie vor häufig selbstverständliche Gleichsetzung von Sexarbeit und Frauenhandel. Die Folge seien dann nicht eine Ermächtigung der Position der migrierten Sexarbeiterinnen, sondern eine (west-)europäische Abschottungspolitik und die Entmündigung der arbeitenden und bisweilen subversiven Subjekte.

Dass Sexarbeit in einem Feld der globalen Städtekonkurrenz durchaus widersprüchlich sein kann, verdeutlichte Jenny Künkel. Ein Teil dieser Politik bestehe in einem »Aufräumen« der Städte; eine andere Strategie sei die der Umarmung, der Einbettung in Form eines Zelebrierens von verwertbarer Vielfalt. Innerhalb einzelner Städte können sich beide Strategien gleichzeitig finden: So sei Hamburg St. Georg durch eine die Sexarbeit vertreibende Quartiersplanung bestimmt, während in Hamburg St. Pauli eine Vereinnahmung bestimmter Formen der Sexarbeit für Vermarktungszwecke stattgefunden habe. In Madrid dagegen haben langfristig angelegte widerständige Politiken zwar letztlich nicht das Bleiben aller Sexarbeiter_innen durchsetzen können, aber ein breites Bündnis der Prekären geschaffen.

Christiane Howe präsentierte Ergebnisse einer Studie zu Konflikten um den Berliner Straßenstrich, in der Problemwahrnehmungen von Anwohner_innen, Gewerbetreibenden, Sexarbeiterinnen und sozialen Einrichtungen untersucht wurden. Während in der Presse Themen wie »Schmutz«, »aggressives Ansprechen der Männer« und die »Angst der Kinder« im Vordergrund stünden, stellte Howe fest, dass die Sexarbeit selbst nur einen kleinen Teil der Befragten störe. Stattdessen gebe es bei vielen ein Interesse daran, für konkrete problematische Begleiterscheinungen von Sexarbeit (z.B. häufiges lautes Türenschlagen in der Nacht) praktische Lösungen zu finden. Nach Howe gibt es derzeit aber keinen politischen Willen für grundsätzliche Lösungen, die über eine räumliche Verlagerung der Probleme hinausgehen.

Anerkennung von Sexarbeit als gleichwertige Arbeit

In Kämpfen für gute Arbeits- und Lebensbedingungen für Sexarbeiter_innen muss es als erstes, da waren sich alle Anwesenden einig, um die Anerkennung von Sexarbeit als einer Arbeit gehen, die anderen Formen von Erwerbstätigkeit gleichwertig ist. Eine solidarische Haltung gegenüber den Handlungsstrategien und der Selbstermächtigung von Sexarbeiter_innen setzt voraus, dass alle beteiligten ihre Positionen überprüfen. Grundsätzlich stellt sich immer die Frage, wer für wen spricht.

Das Berliner Projekt Hydra beispielsweise hat sich im Rahmen der Hurenbewegung in den 1980er Jahren aus der Notwendigkeit zur Selbstorganisation gegründet. In den folgenden Jahren bildete sich innerhalb des Projekts eine widersprüchliche Beziehung zwischen den Sexarbeiter_innen und den Frauen heraus, die Sexarbeiter_innen professionell unterstützen sollen. Gegenwärtig übernehmen oft letztere allein die politische Arbeit, obwohl die Vereinsmitglieder vor allem Sexarbeiter_innen sind.

Jenny Künkel mahnte darüber hinaus an zu hinterfragen, welche Diskurse aufgegriffen werden. So dürfe es beispielsweise nicht einfach um eine Rückeroberung des öffentlichen Raums gehen, ohne dabei zu betrachten, dass diese Politik an konservative Verständnisse anzuschließen vermag. Eine solche Rede zielt in anderen Zusammenhängen darauf ab, dass sich das Bürgertum den vom »sozialen Abschaum entrissenen Raum« zurückerobert. Wer für Sexarbeit spreche, müsse sich daher immer über einen Abwehrkampf hinaus positionieren.

Rechtliche Rahmenbedingungen und beratende Unterstützung sind eine notwendige Handlungsbasis. Genauso wichtig ist kleinteilige, geduldige Informationsarbeit darüber, wie Alltage von Sexarbeiter_innen tatsächlich aussehen. Als zentral wurde dabei eine Mischung von lokalen Akteuren und linken Aktivist_innen, aber auch ein Hineinwirken in städtische Verwaltungs- und Polizeistrukturen sowie eine breite Lobbyarbeit diskutiert. Gleichwohl stellten die Referentinnen fest, dass die Zeiten für einen solidarischen gesellschaftlichen Austausch zum Thema Sexarbeit nicht besonders gut sind.

Am Beispiel St. Georg zeigten Aktivistinnen des Hamburger Bündnisses »Recht auf Straße« (4) auf, wie feministisch-linke Politik in diesem Feld praktisch aussehen kann. Um in den Konflikten um Sexarbeit zwischen Repression und Stadtentwicklung Unterstützung zu leisten, haben sie eine Kundgebung auf dem Hansaplatz - als Symbolort der Verdrängung - sowie Diskussionsveranstaltungen und Aktionen organisiert.

Eine feministische Perspektive bedeutet für das Bündnis zu verdeutlichen, dass nicht die Sexarbeiter_innen das Übel sind, sondern die gesellschaftlichen Umstände, die zu Sexarbeit und ihrer prekären Situation führen. Die gegensätzliche Politik um Sexarbeit, die die Stadt Hamburg verfolgt, kritisiert das Bündnis entsprechend auch aus antikapitalistischer und migrationspolitischer Sicht. Die Verdrängung der Sexarbeit in St. Georg sei demnach eine Verdrängung der besonders Prekarisierten (mit unsicherem Arbeits- und Aufenthaltsstatus, Drogengebrauch). Letztlich unterteile diese Politik ebenso in »ehrbare« und »ehrlose« Sexarbeiter_innen wie auch in entsprechend repräsentierte Räume.

Iris Nowak hat den Hamburger Workshop in Kooperation mit ragazza e.V. organisiert, Tina Habermann arbeitet aus feministischer Sicht u.a. zu stadtpolitischen Themen, Stella Gaertner zu Geschlechterverhältnissen und anderen Formen von Machtstrukturen.

Anmerkungen:

1) In diesem Text sprechen wir von Sexarbeiter_innen, wenn nicht explizit nur Frauen gemeint sind.

2) Vgl. für einen ausführlichen Bericht zum Workshop »Stadt, Prostitution, Vertreibung« am 2.12.2011www.rosalux.de.

3) Das Hamburger Polizeigesetz ermöglicht damit verdachtsunabhängige Personenkontrollen, Identitätsfeststellungen, Durchsuchungen, Aufenthaltsverbote oder Ingewahrsamnahmen. Für St. Georg liegt der Fokus auf Drogenkonsument_innen.

4) rechtaufstrasse.blogsport.de