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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 568 / 20.1.2012

»From victims to victors«

International Interview mit Zwelikude Mkhize über Erinnerungspolitik in Südafrika

Interview und Übersetzung: Nina Schulz

Mitten im Stadtzentrum von Johannesburg ragt das Khotso-Haus mit zwölf Stockwerken zwischen banalen Firmengebäuden empor. Als Sitz des Südafrikanischen Kirchenrates und verschiedener Anti-Apartheid-Gruppen wurde es im August 1988 zerbombt. Heute beherbergt der Bau wieder progressive Menschenrechtsorganisationen, darunter die Khulumani-Unterstützungsgruppe. Zwelikude Mkhize ist seit Beginn Aktivist bei Khulumani.

Khulumani ist 1995 als Antwort auf die Wahrheits- und Versöhnungskommission (Truth and Reconciliation Commission, TRC) gegründet worden. Wofür stehen euer Name und eure Gruppe?

Zwelikude Mkhize: Khulumani bedeutet »die Stimme erheben« in isiZulu. Familien der Verschwundenen, Angehörige der Opfer politischer Morde und Überlebende willkürlicher Verhaftungen aus der Apartheid-Zeit haben die Gruppe ins Leben gerufen, als das Parlament 1995 das Gesetz zur Förderung der Nationalen Einheit und Versöhnung debattierte. Damit sollten vorherige Gewalttaten ausdrücklich aus der Perspektive der Opfer benannt werden. Khulumani wählten wir als Namen, um Opfer und Überlebende sprechen zu lassen und die Grausamkeiten der Apartheid als Verbrechen gegen die Menschheit bekannt zu machen und anzuerkennen, wie es die Vereinten Nationen und die internationale Gemeinschaft erklärt hatten. Schwerpunkt war es, Opfern und Überlebenden Zugang zum TRC-Prozess zu ermöglichen sowie ihnen zu helfen, mit den Verletzungen, dem Trauma und der Depression umzugehen. Die meisten der Opfer hatten und haben immer noch medizinischen Bedarf, weil auf sie mit scharfer Munition geschossen wurde. Während der Apartheid mussten Opfer staatliche Krankenhäuser meiden, weil sie dort von der Sicherheitspolizei festgenommen wurden. Als Resultat sind die meisten nicht mehr in der Lage, ein würdevolles Leben zu führen.

Was seht ihr als eure Hauptaufgabe an?

Die Bedürfnisse der Opfer zu benennen. Diese unterscheiden sich - einige sind medizinisch, andere psycho-sozial, wieder andere sozio-ökonomisch. Das sind große Herausforderungen für Khulumani. Der TRC-Prozess konnte nicht einmal einen Bruchteil dieses Bedarfs angemessen ansprechen. Was die Frage der Reparationen angeht, gab es keine fundierte Entscheidung darüber, wie viele Reparationen den Opfern zugestanden hätten - als Entschädigung und um Apartheid zum Verbrechen zu erklären. Zwar hat die TRC individuelle Reparationen vorgeschlagen, nur ist der Staat der Empfehlung nicht gefolgt. Entlang dieser Auseinandersetzungen werden Opfer die Bedeutung und den Stellenwert von Reparationen ausgestalten und verhandeln, um angemessene Reparationen zu realisieren. Es bleibt eine offene Frage, womit sich Opfer und Überlebende aussöhnen sollen. Mit dem, was wirklich geschehen ist, während ein Großteil des Landes dieses Bewusstsein einfach unter den Teppich kehren will?

13 Jahre, nachdem der erste Bericht der TRC an den damaligen Präsidenten Mandela übergeben wurde, verlangt Khulumani weiterhin Reparationen für die Opfer von Menschenrechtsverletzungen zur Apartheid-Zeit. Ende Oktober 2011 habt ihr die zweite Phase der »Kampagne Rote Karte« gestartet. Worum geht es dabei?

Die Kampagne zeigt Präsident Zuma die Rote Karte. Er ignoriert Überlebende, die im Kampf für Freiheit und Demokratie gelitten haben, und stellt kein Geld aus dem Präsidentenfonds für Reparationen an Communities zur Verfügung. Außerdem wird Parlamentsmitgliedern die Rote Karte gezeigt, die für sich Sonderrenten beanspruchen, während ihre Kameraden komplett verarmt sind.

Die »Kampagne Rote Karte« ist auch das Herzstück eures Apartheid-Rechtsstreits, in dem ihr 2002 wegen Menschenrechtsverletzungen gegen 23 multinationale Konzerne in den USA Klage eingereicht habt. (1)

Die Kampagne benennt und diskreditiert multinationale Konzerne, die der Apartheid Beihilfe geleistet haben. Als einige dieser Unternehmen während der letzten WM Fußballteams sponserten, haben wir 2010 die Kampagne gestartet. Diese Firmen haben immens davon profitiert, Geschäfte mit der Apartheidregierung zu machen - auf Kosten der Menschen, die unterdrückt und geschunden wurden. Die Konzerne sind immer davongekommen. Sie haben bei der Verletzung von Menschenrechten mitgespielt und so staatlich gesponserte Gewalt gefördert - im Verstoß gegen das Waffenembargo der UN. Mit korrupten, unterdrückerischen und tyrannischen Regierungen zusammenzuarbeiten, ist nie fair. Die Konzerne zerstören noch immer das Leben unschuldiger Menschen und ganze Communities.

Das hört sich so an, als ob die TRC die Rolle von multinationalen Konzernen während der Apartheid nicht vollständig aufgeklärt hat. Hat die TRC ihren Auftrag erfüllt?

Sie hat ihr ursprüngliches Mandat nicht einmal annähernd erfüllt. Das größte Defizit war es, den südafrikanischen TRC-Prozess opferunfreundlich und damit täterfreundlich werden zu lassen. Opfern wurde weder das Recht auf eine bedeutende Entschädigung noch auf eine gerechte Versöhnung zugestanden. Weder mussten Täter sich mit Opfern treffen, noch gab es Pläne, das Leid wiedergutzumachen, das den Opfern angetan wurde. Es gab dubiose Deals und Verhandlungen zu Lasten der Opfer. Die Rechte von Opfern sind wieder verletzt worden. Der südafrikanische TRC-Prozess ist in dieser Hinsicht bitter gescheitert.

Wie definiert Khulumani Erinnerungspolitiken, im Gegensatz zu den staatlich definierten Erinnerungspolitiken?

Unser Leitspruch besagt: Eine gerechte Gesellschaft der Inklusion aufzubauen, in der die Würde der Menschen wiederhergestellt wird, die von der Apartheid geschädigt wurden, »through the process of transforming victims into victors.« Antworten, die Opfern etwas bedeuten, können nur aus der Perspektive der Opfer abgeleitet werden. Das politische Spektrum muss redefiniert werden, um anzuerkennen, was in der Vergangenheit geschehen ist, damit diese schreckliche Vergangenheit ein Teil des Bewusstseins jetziger Generationen wird. Opfer und Überlebende dürfen niemals als AußenseiterInnen der Gesellschaft definiert werden. Indem wir uns dafür einsetzen, definieren wir die Geschichte von uns hier in Südafrika neu. Um das Argument zu etablieren, »that victims are transformed from this victimhood into victory«.

Kannst du ein aktuelles Beispiel dafür geben, wie ihr die staatliche Erinnerungspolitik herausfordert?

Wir haben den vom Justizministerium geänderten Gesetzesentwurf zur strafrechtlichen Verfolgung in Bezug auf Amnestien kritisiert. Das Ministerium hat das Gesetz in der Verfassung verändert, ohne die Perspektive der Opfer mit einzubeziehen. Es gab keine Rücksprache. Also haben wir Klage gegen den Staat eingereicht und vor Gericht gewonnen. Das bedeutet, die Regierung kann nicht komplett willkürlich handeln. In Bezug auf Opferfragen müssen Opfer gehört und informiert werden. Für uns war das ein Riesenerfolg.

Ihr habt die Regierung auch in Bezug auf einen anderen Vorschlag hinterfragt ...

Am 8. Juni 2011 hat die Regierung verkündet, die restlichen Gelder aus dem Präsidentschaftsfonds seien nur für die Opfer bestimmt, die von der TRC anerkannt wurden. Die TRC ist immer noch ein unerledigtes Geschäft. Es ist allseits bekannt, dass die TRC für viele SüdafrikanerInnen und südafrikanische Opfer nie zugänglich war. Wenn der Staatspräsident den Prozess als einen der Inklusion gestalten möchte, dann müssen die berücksichtigt werden, die beim TRC-Prozess außen vor gelassen wurden und durch das Raster gefallen sind. Es gibt nicht ein besseres und ein schlechteres Opfer. Opfer sind alle gleich.

Die TRC hat 22.000 Opfer anerkannt.

Wir sagen, es gibt noch viel mehr Opfer. Aus der heutigen Bevölkerung Südafrikas, 49 Millionen Menschen, können nur 22.000 als Opfer identifiziert werden, was sagt dir das? Wenn die Rechte von Menschen über Jahrzehnte grausam verletzt worden sind, zurückdatiert auf die 1940er Jahre, als die Nationale Partei die Apartheid gutgeheißen hat - aus der politischen Gewalt, aus diesen Massakern sind wie viele Opfer identifiziert worden? Und jetzt erwähnen sie nur 22.000, was eine absolute Schande ist und jegliches Feingefühl von Seiten des Staates vermissen lässt.

Das Konzept der Übergangsjustiz (»transitional justice«) ist ein Hauptbestandteil eurer Arbeit. Was beinhaltet es?

Die Übergangsjustiz will Justiz effektiv gestalten. Gerechtigkeit und Rechte müssen den marginalisiertesten Communities und den Menschen eingeräumt werden, die ökonomisch nicht überlebensfähig sind. Wenn ein Recht nur als ein Privileg der Besitzenden erklärt werden sollte und für die Nicht-Besitzenden zur Schicksalsfrage wird, kann der Übergang in eine gerechte Gesellschaft nicht von Bedeutung sein. Also sollte es in einer Gesellschaft der Inklusion von Bedeutung sein, weil Opfer immer noch deklassiert und entrechtet sind.

Was ist die wichtigste Grundvoraussetzung, um den Übergang zu einer gerechteren Gesellschaft in Südafrika zu garantieren?

Erstens, es niemals zu erlauben, dass sich die Gewalttaten der Vergangenheit wiederholen, und zweitens die absolute Straflosigkeit abzuschaffen. In dem Rahmen könnte es eine gerechte Gesellschaft geben. Eine gerechte Gesellschaft sollte nicht nur ideal für die Wohlhabenden und weniger praktisch für die Armen sein. Wenn die Gesellschaft weiter aufgespalten und nie als Kollektiv gesehen wird, dann würde eine bestimmte Klasse von Menschen, und zwar die Nicht-Habenden, immer ärmer. Das mündet in eine andere Art von politischem Konflikt, und der kann endlos sein. Und wenn sich der Konflikt gegen die Nicht-Habenden fortsetzt und die Habenden die Täter in diesem Konflikt sind, dann kann es niemals eine gerechte Gesellschaft geben. Es wäre nur eine utopische, gerechte Gesellschaft für die Habenden und bedeutungslos für die Nicht-Habenden.

Nina Schulz ist freie Journalistin und lebt in Hamburg. Sie arbeitet schwerpunktmäßig zu Erinnerungspolitiken.

Anmerkung:

1) Die Klage ist 2009 gegen fünf Konzerne zugelassen worden: IBM, Daimler AG, General Motors, Ford, Rheinmetall AG. Vgl. ak 549.

Lobbyarbeit für Apartheid-Opfer

Überlebende und Familien der Opfer von Südafrikas Apartheid haben 1995 die Khulumani Support Group gegründet. Khulumani betreibt Lobbyarbeit und ist Fürsprecherin für ungelöste und unerledigte Themen der TRC (Truth and Reconciliation Commission/Wahrheits- und Versöhnungskommission), wie etwa Reparationsprogramme für Communities, die Verfolgung von TäterInnen, die keinen Amnestieantrag gestellt haben, die Suche nach verschwundenen Personen. Mit all dem fordert Khulumani beständig die staatliche Erinnerungspolitik heraus. Weitere Bestandteile ihrer Arbeit sind Capacity Building, Heilungs-, Bildungs- und Erinnerungsprogramme, und die Dokumentation von Erfolgsgeschichten. Khulumani hat heute 65.000 Mitglieder.