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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 568 / 20.1.2012

Flachlandreisen: Von Heiligendamm ins Wendland ...

Ziviler Ungehorsam Nicht nur im Bereich der Energiekämpfe ein Mittel zur Radikalisierung des Protests und zur Selbstermächtigung der Akteure

Von Susanne Falk und Jonas Balieni

Castor Schottern lies 2010 noch Staatsanwaltschaft und Innenministerien schäumen. Ein Jahr später konnte das Bündnis weitgehend unbestritten als legitimer Teil der Anti-Atom-Bewegung öffentlich zu Sachbeschädigung aufrufen und das Schottern kollektiv organisieren. Darin drückt sich eine Verschiebung dessen aus, was in Deutschland unter zivilem Ungehorsam verstanden werden darf. Diese Entwicklung ist einen Blick wert. Dieser Blick ist der von zwei AktivistInnen der Interventionistischen Linken (IL) mit den damit verbundenen blinden Flecken und rosaroten Brillen.

Für den postautonomen Teil der radikalen Linken, und das heißt für uns, war der Ausgangspunkt in Sachen ziviler Ungehorsam der G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm. Die Kampagne Block G8 als Bündnis gewaltfreier und militanter Aktionstraditionen stellte mit der Blockade der Zufahrtsstraßen zum Tagungsort die größte Aktion zivilen Ungehorsams in der Geschichte der BRD auf die Beine. Weit über 10.000 Menschen beteiligten sich an den dreitägigen Blockaden.

Wir setzten damals auf Massenblockaden, weil wir uns in einer strategischen Defensive sahen: Zur Beteiligung einladende und in ihrer gesellschaftlichen Wirkung politisch erfolgreiche Massenmilitanz war immer weniger möglich. Das Gefühl, handlungsfähig zu sein, war aus der praktischen Erfahrung linker AktivistInnen weitgehend verschwunden.

Vor allem die globalisierungskritische Bewegung war an ihre praktischen Grenzen gestoßen. Auf das Trauma von Genua 2001, also trotz guter Mobilisierung und erfolgreicher Aktionen, der staatlichen Gewalt schutzlos ausgeliefert zu sein, folgte das Scheitern der Gipfelproteste 2005 in Gleneagels. Die radikale Linke bekam im schottischen Hochland erneut ihre eigene Marginalisierung und Bedeutungslosigkeit vor Augen geführt.

Ausbruch aus der Erfahrung des Scheiterns

Zu Anfang der Vorbereitung von Block G8 stand das (in der gesamten radikalen Linken) weitverbreitete Gefühl, einer hochgerüsteten Polizeiübermacht auf dem platten Land nicht gewachsen zu sein. Vor diesem Hintergrund diskutieren wir die Aneignung von Konzepten des zivilen Ungehorsams mit dem Ziel, die Handlungsspielräume für radikale Linke zu vergrößern.

Die Beschränkung der eigenen Aktionsform auf das Mittel der Massenblockade ermöglichte ein Ausbrechen aus den Erfahrungen des Scheiterns und eine Radikalisierung der Gesamtbewegung. Diese Beschränkung war aber niemals unumstritten. Zu tief saß die Befürchtung, dass die Selbstbeschränkung unter der Fahne des zivilen Ungehorsams gegen den radikalen Teil der Bewegung in Stellung gebracht werden würde.

Doch die Erfahrungen von Heiligendamm haben uns als Einzelne und als Bewegung verändert. Sie haben uns Mut gegeben und uns mit dem Mittel des Aktionstrainings eine Methode hinterlassen, ihn zu vervielfachen und Handlungsfähigkeit zurückzugewinnen. Auch die Möglichkeit durch eine offensive Öffentlichkeits- und Pressearbeit den eigenen Aktionen eine wesentlich weiterreichendere Legitimität zu erkämpfen, hat unsere politischen Spiel- und praktischen Kampfräume erweitert.

Nach dem G8 verbreitete und verbreiterte sich die Aktionsform Massenblockaden. Wir nahmen das Projekt mit in unsere Städte. Gegen Naziaufmärsche hatten wir sie - eher vereinzelt - bereits vor dem G8-Gipfel angewandt. Mit den Blockaden des Nazi-»Fests der Völker« im September 2007 in Jena und des Pro-Köln-Kongresses in Köln im September 2008 wurden die neuen Erfahrungen endgültig auf unsere Aktionsformen in den Städten übertragen.

Mit dem Versuch, im Sommer 2008 die Baustelle des Moorburger Kohlekraftwerks bei Hamburg zu besetzen und der Aktion »Zum Zug kommen« beim Castortransport im Herbst 2009, wurden die neuen Aktionsskills im Feld der Klima- und Antiatomkämpfe ausprobiert. Mit den erfolgreichen Blockaden des Naziaufmarsches in Dresden ab Februar 2010 ging eine qualitative Verbreiterung der organisierenden Spektren einher: Von Gewerkschaften bis zur SPD waren alle dabei - und das nicht wegen, sondern trotz der regionalen Besonderheiten vor Ort.

Vom Land in die Stadt und wieder aufs Land

Im September 2010 wurde der rot-grüne Atomkonsens von der Regierungskoalition aufgekündigt. Damit begann ein neuer Zyklus der Anti-AKW-Bewegung. Atomkraft wird von großen Teilen der Bevölkerung abgelehnt. Die Ignoranz der Regierenden gegenüber der mehrheitlichen Absage an die Atomenergie befeuerte den Konflikt. Gleichzeitig ermöglichten es die breite getragene Empörung und die widerständigen Strukturen und Traditionen im Wendland, beim folgenden Castortransport im Herbst 2010 mit und in einer Massenaktion den Protest zu radikalisieren. Die schon vorher im Wendland weitverbreitete Praxis zu schottern, wurde massenhaft vorbereitet, öffentlich angekündigt und legitimiert. Gegen die brachiale Polizeigewalt setzten erstmals seit Langem wieder viele AktivistInnen körperschützende Materialien ein. Obwohl die praktischen Auswirkungen des Schotterns recht überschaubar blieben, fühlten sich viele Beteiligte durch die Erfahrungen ermutigt und gestärkt.

Parallel fand eine Entwicklung weitgehend ohne Beteiligung postautonomer Zusammenhänge statt: Aktionen zivilen Ungehorsams gegen Gentechnik. Unter der Überschrift Feldbefreiungen wurden hektarweise Anbauflächen mit genmanipulierten Pflanzen zertrampelt. Was zunächst als heimliche Felderzerstörung begann, wurde zunehmend ergänzt durch öffentlich angekündigte Aktionen, die wiederum zu vielen heimlichen Feldbefreiungen führten. Das Nebeneinander stieß auf viel Akzeptanz. Diese Verbreiterung von Sabotage und Sachbeschädigung, mit ihrer beachtenswerten Wirkung auf Konzerne und Politik, blieb z.B. in der IL weitgehend unbeachtet. Dabei wären hier jede Menge Antworten für die Fragen zu finden, wie sich angekündigte und klandestine Aktionen ergänzen und wir auch dort, wo nicht mit Massen zu rechnen ist, offensivere Ansätze entwickeln können.

Das Label ziviler Ungehorsam als Konzept, die öffentliche Legitimität der eigenen Aktion offensiv zu erkämpfen, ist in alle Richtungen erweiterbar. Das eröffnet die Chance, als radikale Minderheit die gesellschaftliche Debatte mit potenziellen AktivistInnen außerhalb unseres eigenen Dunstkreises zu führen. Ein taktisches und strategisches Verständnis von Aktionsformen bedeutet, sich von identitätsbildenden Ritualen zu verabschieden und in der Analyse der Bedingungen unserer Kämpfe zu entscheiden, wie die Ziele Selbstermächtigung und Radikalisierung am besten erreicht werden können.

Nichts Reaktionäres stürzt, das nicht zu Fall gebracht wird

Bei allen Schwierigkeiten bleibt für Schottern 2011 festzuhalten: Schottern hat stattgefunden und sich als Aktionsform verstetigt. Dadurch konnten wir den Diskurs um zivilen Ungehorsam mit dem Ziel der gesellschaftlichen Legitimierung weitergehender Aktionsformen weiter verschieben. Aber nicht allein darin liegt die Bedeutung von Castor Schottern: Der Kampf gegen Atomkraft und andere Energiekämpfe ist einer der wichtigsten gesellschaftlichen Großkonflikte.

Auch wenn die Anti-Atom- und die Klimabewegung sich kaum aufeinander zu bewegen und die systemüberwindende Dynamik von Energiekämpfen sich noch nicht so recht aus den Strategiepapieren heraustraut - die Energiekonzerne und ihre Regierungen sind in einer Legitimitätskrise. Die Rücknahme der Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke hat daran nichts geändert.

Aber nichts Reaktionäres stürzt, wenn es nicht zu Fall gebracht wird. Weltweit gibt es Kämpfe gegen Kohle- und Uranabbau. Auch in der BRD regt sich Widerstand: Neben der Anti-Atom-Bewegung gibt es an vielen Orten Proteste gegen Kohlekraftwerksneubauten, Kohleabbau und CCS. Kohlezüge werden blockiert. Nach der gescheiterten Baustellenbesetzung in Moorburg konnte vor allem durch Baumbesetzungen der Bau einer Fernwärmetrasse gestoppt werden, die das Kohlekraftwerk mit der Hamburger Innenstadt verbinden sollte. Gewisse Ähnlichkeiten zu Stuttgart 21 sind nicht zufällig.

Auch sind zahlreiche Initiativen entstanden, die sich gegen die Privatisierung von städtischen Energieunternehmen bzw. für deren Rekommunalisierung einsetzen. Hier können wir intervenieren, indem z.B. der Kampf gegen Energiearmut (also der unzureichende Zugang zu Energiedienstleitungen) als Aufgabe der wieder eingesetzten städtischen Energieversorger festgeschrieben wird. Damit bringen wir unsere Utopie zurück in die Diskussion, dass jedem Menschen unabhängig von Pass und Bildungsstand ein gutes Leben zusteht. Der Kampf gegen Energiearmut, und damit ist praktisch vor allem das Abklemmen der Stromversorgung wegen nichtbezahlter Rechnungen gemeint, kratzt die weithin akzeptierte Alternativlosigkeit des Kapitalismus an und bricht mit der Ideologie, dass man für Bedürfnisbefriedigung und ein schönes Leben bezahlen muss.

Möglichkeiten zur Intervention gibt es an vielen Orten. Es sind Kämpfe, die das Potenzial haben, sich zu radikalisieren, und die ein sinnvoller Ansatzpunkt für eine lokal verankerte interventionistische Energiepolitik sind. Inhaltlich liegt die Verbindung zwischen Alltagskämpfen und revolutionärer Perspektive auf dem Silbertablett vor uns. Ansatzpunkte für eine praktische Radikalisierung der Kämpfe gibt es genug. Damit verbunden ist die Notwendigkeit, Ungehorsam und Selbstermächtigung vielfältiger zu denken.

Susanne Falk und Jonas Balieni sind organisiert in der Interventionistischen Linken (IL), AktionstrainerInnen im Netzwerk »skills for action« und waren seit 2007 in einigen Kampagnen des zivilen Ungehorsams aktiv.