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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 568 / 20.1.2012

Krisenproteste im Frühjahr

Diskussion Die Bewegungslinke ist noch auf der Suche nach der richtigen Aktion

Zusammengestellt von der ak-Redaktion

Auf den 12. Mai 2012 hat die Occupy-Bewegung ihren nächsten globalen Aktionstag gelegt. Zu Aktionen soll es diesmal auch in Deutschland kommen, wo es bislang eher ruhig blieb. Konsens aller Spektren der aktivistischen Linken hierzulande ist es deshalb, diesen Rückstand nach Möglichkeit aufzuholen.

Die ausdrückliche Bezugnahme auf mögliche Resonanzen im transnationalen, im engeren Sinn europäischen Bewegungsraum ist Ausgangspunkt der Vorschläge aus dem Netzwerk ...umsGanze! und dem der Interventionistischen Linken (IL), die mittlerweile auch in Antira-Kreisen und bei attac, mit Vorbehalten im bundesweiten Krisenbündnis, vor allem aber in der Frankfurter Bewegungslinken aufgegriffen wurden. Die breite Zustimmung in der Mainmetropole hat damit zu tun, dass die Stadt Austragungsort der Maifestspiele werden soll.

Unten stehende Diskussionsbeiträge aus IL und ...umsGanze! erläutern die auf die »internationalistische« Dimension des Widerstands ausgerichtete Initiative der beiden Netzwerke, ein dritter Beitrag aus Berlin kritisiert daran die Tendenz auf einen symbolischen Aktionismus und verweist auf die Notwendigkeit, auch vor Ort und auf Dauer aktiv zu werden: »Occupy the hood.«

Noch ist keine definitive Entscheidung gefallen. Vor allem die genauen Termine sind noch zu bestimmen. Hier hat es erste Verwerfungen vor allem mit der Bundeskoordination Internationalismus (BUKO) gegeben, die in dieser Zeit ihren alljährlichen Kongress veranstaltet. Zur Klärung dieser und anderer offener Fragen treffen sich alle Spektren schon in nächster Zeit: am 22. Januar 2012 zu einem strategischen Ratschlag, am 25./26. Februar 2012 zur breiter angelegten Aktionskonferenz, beide Male in Frankfurt.

In Frankfurt Impulse setzen

Auch wenn die Bedeutung der aktuellen Krise erst zaghaft im politischen Bewusstsein der radikalen Linken Deutschlands ankommt, so ist sie doch für die allermeisten in Europa bereits zu einer ähnlich einschneidenden Zäsur geworden, wie für die Älteren unter uns vielleicht der Fall der Mauer.

Deutschland betreibt eine aggressive ökonomische Kolonisierung der europäischen Peripherie, die die komplette Verarmung und die Zerschlagung des Gesellschaftlichen in diesen Ländern zur Folge hat - in Griechenland, in großen Teilen Osteuropas längst geschehen, beginnend in Spanien und Italien, mit der angestrebten Bildung einer stabilen und unstabilen Eurozone abgesichert. Politisch kann man eine dramatische Tendenz zu autoritären Herrschaftsformen beobachten. Regierungen werden nicht mehr gewählt oder legitimiert, sondern nur noch eingesetzt. Dass dies nicht für mehr Aufschrei sorgt, hat wohl mit der Verselbstständigung der Expertendiskurse zu tun, die das Gefühl nährt, ohnehin schon lange abgehängt zu sein.

Aber es regt sich Widerstand. Der arabische Frühling hat die Ohnmacht zu Hoffnung werden lassen, weit über die Region hinaus wie die Bewegung der Plätze zeigt. Gleichzeitig fragen sich unsere GenossInnen aus Griechenland, Spanien, Italien zu Recht, wann auch wir endlich anfangen zu handeln. Darauf sollten wir eine Antwort geben mit einer konzentrierten, radikalen und ungehorsamen Aktion im Herzen der Bestie, am Ort der EZB, der Troika, in Frankfurt, die notwendig internationalistisch sein muss und dadurch sein wird, indem sie exemplarisch diese Politik angreift, um unseren GenossInnen im Ausland den Rücken zu stärken.

Wir tun das auch in Bezugnahme auf die von Platz zu Platz wechselseitig aufgegriffenen Impulse und in der Hoffnung, damit selbst etwas zu ihnen beitragen zu können. So wie Occupy Oakland den eigenen und viele weitere Häfen an der Westküste dicht gemacht hat, so werden wir im Mai dieses Jahres das Finanzzentrum Frankfurt dicht machen. Die Metropole bestreiken, den Alltag stören.

Es geht um nicht weniger als darum, einen Ausnahmezustand im Finanzzentrum zu schaffen, in dem die vielen Ansätze, Herangehensweisen und Protestformen Platz haben und ihren Ausdruck finden. So könnte es aussehen: Während S- und U-Bahnhöfe blockiert werden, fallen die Homepages und Server wichtiger Finanzinstitutionen unter Onlineblockaden aus, Gruppen auf der Straße demonstrieren, während verschieden Flashmobaktionen in unterschiedlichen Bankgebäuden stattfinden und sich von Zwangsumzügen Betroffene einige der zwei Millionen Quadratmeter leer stehenden Wohnraums aneignen. Das Ganze gerahmt von einem ständigen Trubel um den Anlagenring, den die vielen angereisten AktivistInnen kurzerhand als Aktionscamp umfunktioniert haben.

Wir sind so verschieden wie unsere Herangehensweisen und Protestformen, aber einig darin, diesen Raum schaffen zu wollen, die Impulse der bisherigen Kämpfe aufgreifend und selbst in Frankfurt einen Impuls setzend. Jetzt ist es an uns!

Gerda Maler, organisiert in der Interventionistischen Linken

So transnational wie das Kapital

Linke Gruppen und Basisgewerkschaften aus Griechenland, Deutschland, Spanien, Polen und Österreich haben auf einem internationalen Treffen im Dezember in Frankfurt beschlossen: Für den 31. März 2012 wird unter dem Motto »M31 - European Day of Action against Capitalism« zu einem europaweiten Aktionstag gegen die autoritäre Krisenpolitik der Troika aus EU-Kommission, IWF und EZB aufgerufen. Damit soll ein Zeichen gegen den maßgeblich von Deutschland betriebenen Versuch gesetzt werden, die Wettbewerbsfähigkeit Europas auf dem kapitalistischen Weltmarkt auf dem Rücken von Lohnabhängigen und MigrantInnen zu sanieren.

Denn während Politik und Kapital ihre Maßnahmen längst transnational organisieren, denkt die Linke zu häufig noch in nationalstaatlichen Kategorien. Dies ist auch ein Grund dafür, dass sich in Deutschland keine sozialen Kämpfe entfalten und sie anderswo, wie in Griechenland, trotz ihrer Vehemenz erfolglos bleiben. Jenseits der weit verbreiteten Fixierung auf die Banken und Spekulanten als allgemeinem Sündenbock soll daher gerade die, wesentlich durch staatliche Politiken forcierte, Produktivitätskonkurrenz in der EU in den Fokus der Kritik gestellt werden.

Der international koordinierte Protest richtet sich auch gegen die nationalistische Stimmungsmache gegenüber den Lohnabhängigen in den südeuropäischen Ländern und die militärische Abschottung der EU-Außengrenzen. Die OrganisatorInnen des M31 setzen dagegen die Perspektive einer grenzübergreifenden Selbstorganisation der von Sparpolitik und kapitalistischer Ausbeutung betroffenen Menschen. Deshalb werden in ganz Europa am 31. März 2012 zeitgleich verschiedene Aktionen stattfinden. In Deutschland soll als zentrale Aktion die Baustelle der EZB im - dank dieser baulichen »Aufwertung« - von massiver Gentrifizierung betroffenen Frankfurter Ostend »besucht« werden.

Die Aktion in Frankfurt wird bisher vor allem von Gruppen aus dem linksradikalen ...umsGanze!-Bündnis, Basisgewerkschaften wie der FAU und unabhängigen Antifa-Gruppen getragen. Sie verstehen die Aktion als Auftakt für eine weitergehende Vernetzung. Insofern stellt der Aufruf zum Aktionstag auch eine explizite Aufforderung zur Beteiligung an weitere antiautoritäre Gewerkschaften, Gruppen und Organisationen dar. Es geht darum, jenseits der Symbolpolitik eine tragfähige Vernetzung in Europa aufzubauen: Denn mit einer einzelnen Eventmobilisierung werden wir der Krisenpolitik nicht wirklich etwas entgegensetzen. Antikapitalismus muss heute so transnational wie das Kapital organisiert sein, wenn er ernsthaft etwas erreichen will. Das Besondere an M31 ist insofern, dass die beteiligten Gruppen auch über den Aktionstag hinaus als europaweites Netzwerk der antiautoritären Linken aktiv sein wollen. Ansatzpunkt für eine Vernetzung praktischer Kämpfe gibt es genug, wie z.B. die deutschen Rüstungsgeschäfte mit Griechenland.

Sahra Brechtel, autonome antifa [f]

Organize! Krisenproteste verbreitern

Im Windschatten der Krise und ihrer Bearbeitung vollziehen sich die größten Angriffe auf das Verhältnis von Kapital und Arbeit, den »sozialen Lohn«, also öffentliche Dienstleistungen und Infrastruktur, die den Alltag der Menschen, ihre Lebensqualität und ihre Teilhabe am gesellschaftlichen Leben bestimmen. Der Kapitalismus wird neu justiert.

Die Bundesregierung treibt den Prozess in Europa voran und baut dabei auf die von Rot-Grün durchgesetzte Niedriglohnpolitik. Dass die Lohnstückkosten in Deutschland die niedrigsten in Europa sind, ist das ganze Exportwunder. Die »stabile Wirtschaft« beruht auf Stress und Erschöpfung. Und die linken Akteure, Organisationen und Bewegungen tun sich schwer, das in Politik umzusetzen.

Schon die Krisenproteste 2009 und 2010 hatten Schwierigkeiten, mit den verlorenen Kämpfen der Vergangenheit - die Agenda 2010 lastet auf allen Versuchen, Bündnisse zwischen Erwerbslosen und Gewerkschaften zu schaffen - und mit aktuellen Einbindungsstrategien in Exportstrategien und Absicherung der Metall-Arbeitsplätze. Dass alle Welt plötzlich die Transaktionssteuer fordert, davon hat sich attac nur schwer erholt. Weite Teile der radikalen Linken taten sich schwer, auf die Mobilisierungen einzusteigen - das Jahr war schon ziemlich voll mit Dresden, 1. Mai, Gorleben - und war der Kapitalismus nicht an sich die Krise?

Occupy hat auch die blockierte Situation in Deutschland in Bewegung gebracht. Formen des Zivilen Ungehorsams haben in den unwahrscheinlichsten Ländern zu Massenprotesten geführt. Jetzt mobilisieren unterschiedliche Teile der radikalen Linken (und attac und möglicherweise weitere Bündnisse, die LINKE und linke Gewerkschaften) am 31. März 2012 und für Mai dieses Jahres nach Frankfurt. Schließlich sind da die Banken.

Die Aufrufe, Einladungen, Zielsetzungen, sofern sie schon bekannt sind, sagen nichts Falsches: der Kapitalismus, die Krisenbearbeitung, die deutsche Regierung, der Imperialismus des Schuldendienstes (vielleicht in anderen Worten) - they suck. Klar, es wird Zeit, dass auch aus Deutschland ein Zeichen der Solidarität mit den internationalen Bewegungen kommt, wenn diese nach dem Winter wieder Schwung aufnehmen. Eine symbolische Aktion in Frankfurt kann die Stimmung verbessern und man weiß nie, was dann passiert, auch wenn die Konzentration auf Frankfurt gerade nicht die Regierungspolitik, sondern das Kapital in den Fokus rückt.

Nur: Wie finden wir den Weg von symbolischen Aktionen zu langfristiger Politik? Wie verbinden wir - wie zum Teil in den USA, Spanien - symbolische Besetzungen mit einer eingreifenden Politik im Nahbereich - »Occupy the hood«? Wie buchstabieren wir aus, dass Gentrifizierung und Verdrängung mit der Krise zu tun haben (»Sie suchen sichere Anlagemöglichkeiten? - Sanieren sie doch eine Wohnung»)? Wie schaffen wir Bündnisse, die uns erlauben, kapitalistische Hardware zu blockieren, wie den Hafen in Oakland? Dafür müssen wir neu sprechen lernen und mit fremden Menschen sprechen. Nur dann kann es gelingen, Stress und Erschöpfung, Regierungspolitik und Kapitalismus und die Notwendigkeit von Veränderung zusammen zu bringen.

Christina Kaindl, aktiv im bundesweiten Krisenbündnis