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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 569 / 17.2.2012

Ein Film über Neonazis, nicht über deutsche Zustände

Kultur »Kriegerin«: Anmerkungen zu dem »wichtigsten deutschen Film des Jahres«

Von Karo Kalmbach und Julia Stegmann

Ein trostloses kleines Kaff, Plattenbausiedlungen und Flüchtlingsheim, Supermarkt und Asia-Imbiss, kein Jugendklub, keine Kneipe, nur ein Badesee ganz in der Nähe. Die Kinokritiken schreiben »Ostdeutschland«, wenn sie das Setting des Films »Kriegerin« versuchen zu verorten. Es passt so schön ins Klischee. Gerade jetzt, wo die sogenannte Zwickauer Terrorzelle in aller Munde ist, denkt bei Neonazis sowieso niemand an Kleinstädte in Baden-Württemberg oder Niedersachsen.

David Wnendts »Kriegerin« ist der richtige Film zur richtigen Zeit. Bereits vor dem Kinostart hat er diverse Preise gewonnen. Die deutsche Film- und Medienbewertung zeichnete den Streifen mit dem Prädikat »besonders wertvoll« aus. Viele Kritiken rezipieren das Erstlingswerk des Absolventen der Hochschule für Film und Fernsehen Potsdam vor allem als dokumentarischen Einblick in die Subkultur der Neonazis. Die ausgiebigen Recherchen des Regisseurs tragen ebenso wie die verwackelten, mit der Handykamera aufgenommenen Sequenzen zu dieser problematischen Lesart bei.

Einige Klischees werden gebrochen, andere bestätigt

»Kriegerin« widmet sich dem Thema Frauen in der rechten Szene. Erzählt wird die Geschichte von Marisa, Svenja und Rasul. Eine Geschichte von Einstieg in und Distanzierung von der Neonaziszene, eine Geschichte voll alltäglicher Gewalt, ein Versuch, ambivalente Charaktere zu zeichnen, die sich nicht trennscharf in Kategorien wie gut und böse, Opfer und Täter, stark und schwach einordnen lassen.

Hauptfigur ist die Neonazi-Frau Marisa (Alina Levshin). Man sieht sie als rassistische Schlägerin, die ganz vorne mit dabei ist, wenn in der Bahn missliebige Mitreisende verprügelt werden. Der nächste Schnitt zeigt sie als fürsorgliche Enkelin am Sterbebett ihres Großvaters. Sie ist die zurückgestoßene Tochter einer verbitterten, alleinerziehenden Mutter und ranghohe »Kameradin«, die trotz des wiederholt in Szene gesetzten Sexismus der männlich dominierten Neonaziszene eine gewisse Machtposition innehat. Eine weibliche Hauptrolle in einem Film über Neonazis ist eine begrüßenswerte Innovation, die mit dem Klischee von Neonazismus als männlichem Phänomen aufräumt.

Marisa arbeitet im Supermarkt ihrer Mutter. Frisur und Tattoos lassen keine Zweifel an ihrer politischen Einstellung. Auf ihren T-Shirts steht »Skingirl« und »Nazibraut«. Ihrem Freund, den Obermacker Sandro, steht sie in Sachen Aggressivität und Brutalität in nichts nach.

»Zähne zusammen beißen!« Eine kurze Rückblende am Anfang des Films zeigt Marisa als kleines Mädchen mit ihrem Nazi-Opa am Ostseestrand. Von seinen Durchhalteparolen angetrieben, kämpft sie sich mit einem schweren Rucksack durch den Sand. Endlich am Ziel nimmt er seine kleine »Kriegerin« in die Arme und leert den mit Sand gefüllten Rucksack. Doch leider bleibt diese Darstellung einer nazistischen Erziehung skizzenhaft. Als ob eine intergenerationelle Tradierung nationalsozialistischer Ideologie nicht auch in - damit als Gegenpol implizierten - intakten Kleinfamilien funktionieren würde, wird die emotionale Kälte ihrer alleinerziehenden Mutter immer wieder penetrant in Szene gesetzt. Miese Arbeitsverhältnisse und Perspektivlosigkeit runden die im Genre des deutschen Neonazifilms tradierten Klischees ab.

Über die Figur Svenja (Jella Haase) wird eine weitere Variante des Einstiegs in die Neonaziszene erzählt. Der Teenager lebt im Haus seiner Mutter und seines Stiefvaters, der sein Leben kontrolliert und dem die 15-Jährige widerwillig gehorcht. Heimlich zu rauchen, ist ihre einzige kleine Rebellion. Über Markus, der bei Svenjas Eltern arbeitet, kommt sie erstmals in Kontakt mit der Neonaziclique. Doch der Film nimmt nur auf den ersten Blick die klassische Erzählweise ein, nach der Frauen als Beziehungsanhängsel Zugang zur Szene finden. Schnell wird klar, dass Svenja selbst Verantwortung für ihren Weg übernimmt, sich bewusst für die Zugehörigkeit zur rechten Szene entscheidet.

Als Markus auf einer Party kokst, wird er zusammengeschlagen und rausgeschmissen. Svenja jedoch bleibt. Nach einem gewalttätigen und alkoholintensiven Aufnahmeritual überredet Svenja Marisa, ihr als Code für »Heil Hitler« die Zahl 88 zu tätowieren. Der Einstieg in die Neonaziszene geht hier einher mit der Loslösung aus einem unerträglichen Elternhaus, wird inszeniert als Rebellion. »Nationaler Widerstand« sind die Worte, die Svenja ihren Eltern hinterlässt, als sie abhaut, geschrieben in roter Farbe, riesengroß an die Wand des Wohnzimmers.

Zu Beginn ist Marisa fest in Szenestrukturen eingebunden. Doch im Verlauf des Films bricht ihre Welt in sich zusammen. Auslöser ist ein von ihr unternommener rassistischer Mordversuch. An einem Badesee treffen die afghanischen Flüchtlinge Rasul (Sayed Ahmad Wasil Mrowat) und sein großer Bruder Jamil auf die Neonaziclique um Marisa. Das laute Knattern ihres alten Mopeds und ihre ausgelassene Rufe fordern auch akustisch die Raumhoheit der Neonazis heraus. Gewaltsam werden die Brüder unter rassistischen Beschimpfungen von der Badestelle vertrieben. Leider versäumt der Film nicht nur an dieser Stelle, den Alltagsrassismus der Mehrheitsgesellschaft herauszuarbeiten. Kein Kameraschwenk zeigt die (Nicht-)Reaktionen der anderen Badegäste.

Um sich für die rassistische Demütigung zu rächen, tritt Rasul Marisas Autospiegel ab. In ihrer Wut rammt Marisa die beiden mit ihrem Auto. Am nächsten Morgen kehrt sie zum Tatort zurück, betrachtet das Blut ihrer Opfer und flüchtet sich ans Sterbebett ihres Großvaters, der sie zwar in den Arm nimmt, sie aber auffordert, »den Dreck hinter sich wegzuräumen«.

Als Rasul, der zu Verwandten nach Schweden möchte, vor seiner Verlegung in ein anderes Heim flüchtet - eine der wenigen Stelle übrigens, an der mit dem menschenverachtenden System der Flüchtlingsverwaltung Rassismus außerhalb der Neonaziszene thematisiert wird - ertrotzt er sich ausgerechnet von Marisa Hilfe. Warum gerade von ihr, bleibt offen. Getrieben von Schuldgefühlen beginnt sie, ihn zu unterstützen. Dass sein Bruder infolge des »Unfalls« nicht starb, sondern abgeschoben wurde, erfahren die Zuschauenden und mit ihnen Marisa erst an späterer Stelle. Sie lässt ihn im Supermarkt Lebensmittel klauen. Mit der Zeit entwickelt sich sogar so etwas wie Sympathie zwischen den beiden. Immer mehr riskiert sie, um Rasul zu helfen.

Nazis sind nicht nur an ihren Accessoires zu erkennen

Der partielle Rückzug aus der Clique geht jedoch weniger mit einer Auseinandersetzung mit neonazistischer Ideologie einher, sondern entwickelt sich aus der kausalen Dynamik der sich überschlagenden Ereignisse und Zufälle. So etwa, wenn sie Rasul ausgerechnet in ihrem Gartenschuppen und damit in unmittelbarer Nähe der Naziclique einquartiert. Erwartungsgemäß wird er entdeckt und verprügelt, was Marisa dazu bringt, endlich mit ihrem brutalen Nazifreund abzurechnen. Obwohl die Logik der Handlung mitunter auf der Strecke bleibt, wird mit der Figur Rasul ein Betroffener rechter Gewalt als aktiv Handelnder gezeigt. Er bekommt, gemessen an anderen deutschen Filmen über Neonazis, sogar relativ viel Screentime.

Auch in diesem Film werden rechte Inhalte hauptsächlich über Zeichen und Symbole verhandelt. Von ihnen gibt es eine Menge zu sehen. Marisa erscheint als Oldschool-Neonazi-Skingirl mit Feathercut, zugehackt mit einschlägigen Tätowierungen. Unter dem Schlüsselbein prangt ein Hakenkreuz. Für alle, die immer noch nicht verstanden haben, wo Marisa sich politisch verortet, steht auf ihrem T-Shirt, dass sie eine »Nazibraut« ist. Dass Nazis nicht nur an ihren Accessoires zu erkennen sind, sondern auch, wenn sie den Mund aufmachen, scheint Regisseur Wnendt bei seinen Recherchen übersehen zu haben.

Auch wenn mit Marisa Frauen als aktive Mitglieder der rechten Szene und mit Rasul Betroffene rassistischer Gewalt als aktiv Handelnde gezeigt werden, überwiegen die Kritikpunkte: Rechte Ideologie wird wieder einmal psychologisiert und an subkulturelle Spektren delegiert. Alltagsstrukturen, ob auf der Arbeit, in der Schule oder im Verein, die sich in irgendeiner Weise zu der Naziclique positionieren, scheinen nicht zu existieren.

Der Film endet mit einer Verherrlichung der bestehenden Verhältnisse. Der Schlusssatz »Demokratie ist das Beste, was wir je auf deutschem Boden hatten. Alle sind gleich, es gibt kein oben und kein unten« macht alle Ansätze, über die Darstellung der Lebenssituation von Flüchtlingen die rassistische Verfasstheit dieser Gesellschaft zu thematisieren, wieder zunichte.

Auch das eilig zusammengeschustert wirkende Filmheft verpasst es, diese Leerstellen zu füllen. Anstatt SchülerInnen zu einer Auseinandersetzung mit eigenen Rassismen und Antisemitismus anzuregen, liegt der Fokus auf einer allgemeinen Ächtung von Gewalt. Dass an einer Stelle sogar der rechte Kampfbegriff »Asylanten« unkommentiert verwendet wird, spricht Bände.

Karo Kalmbach ist Politikwissenschaftlerin. Die Kulturwissenschaftlerin Julia Stegmann schrieb in ak 552 über die Thematisierung der Finanzkrise im Mainstreamfilm.