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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 569 / 17.2.2012

Bizarre Debatten

Diskussion Die Revolution in Syrien, der Bundestag und die deutsche Linke

Zusammengestellt von der ak-Redaktion

Während die syrische Opposition den Sturz des Assad-Regimes vorantreibt und dieses mit einer Eskalation der Gewalt reagiert, ist in der deutschen Linken die Haupttendenz Resolution. In einem Anfang des Jahres veröffentlichen Aufruf »Kriegsvorbereitungen stoppen! Embargos beenden! Solidarität mit den Völkern Irans und Syriens!« (siehe Dokumentation) wird die »eigenständige Politik« Syriens und des Irans verteidigt, die dortigen Regime aber werden ebenso wenig erwähnt wie die Oppositionsbewegungen. Zu den UnterzeichnerInnen des Aufrufs gehören auch die Bundestagsabgeordneten der Linkspartei Eva Bulling-Schröter, Sevim Dagdelen, Diether Dehm, Annette Groth, Heike Hänsel und Ulla Jelpke.

Kaum war der Aufruf veröffentlicht, da meldete sich der Bundesarbeitskreis (BAK) Shalom der Linksjugend Solid mit dem Gegenaufruf »Gegen linke Solidarität mit den Schlächtern von Syrien und Iran!« Der BAK Shalom »fordert alle UnterzeichnerInnen aus der Linkspartei auf, ihre Unterschrift sofort zurückzuziehen. Die Souveränität Syriens und Irans liegt nicht bei den Regimen von Assad und den Ayatollahs, sondern bei den Menschen. Sie sind es, die ihre Rechte einfordern. Entgegen der Einschätzung des Appells sind es nicht die NATO, die USA oder Israel, die einen Bürgerkrieg in Syrien anfachen, sondern das syrische und iranische Regime, die auf diese Weise mit aller Brutalität versuchen, einen Keil zwischen die Aufständischen zu treiben. Beide Regime gehen dabei mit unglaublicher Brutalität gegen die eigene Zivilbevölkerung vor ... Die LINKE muss Schluss machen mit ihrem Antiamerikanismus! Es ist das gleiche Ressentiment, das auch Assad und die Ayatollahs nutzen, um ihre Herrschaft nach innen auf Kosten aller Freiheitsliebenden abzusichern. Mit plumpem Hass auf Amerika und Israel versuchen die Regime vom Terror gegen die eigene Bevölkerung abzulenken.«

»Die Kim-Il-Sungisierung der Linkspartei«

Am 19. Januar befasste sich der Bundestag mit der Angelegenheit. CDU/CSU und FDP hatten eine Aktuelle Stunde beantragt zum Thema »Solidarität von LINKEN-Abgeordneten mit dem syrischen Präsidenten Assad«. Vor allem Abgeordnete der Regierungsfraktionen zogen alle Register: Sie warfen den UnterzeichnerInnen des Aufrufs »Solidarität mit dem Mörder-Regime« vor, »abstruse Verschwörungstheorien«, eine »antisemitische Geisteshaltung«, »Zynismus« und »Geschichtsklitterung«, »unverhohlene Sympathie mit Diktatoren«, ja sogar die »Kim-Il-Sungisierung der Linkspartei«. Mehrfach variiert wurde der Vorwurf an die Linkspartei, aus ihrer SED-Vergangenheit nichts gelernt zu haben: »Wie lange will die Linkspartei eigentlich noch Schießbefehle verteidigen?« fragte der Abgeordnete Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU). Hoffnung auf eine Wende zum Besseren hat er nicht, denn »hier sitzt nicht die Nachfolgepartei der SED, sondern das ist ein und dieselbe Partei geblieben, die sich nur mehrmals umbenannt hat.«

Götzers Fraktionskollege Dr. Thomas Feist warf Ulrich Maurer von der Linksfraktion »Rhetorik des Kalten Krieges« vor. Maurer hatte die schwierige Aufgabe, die »vielen Lügen und vielen Verleumdungen« seiner Kontrahenten zurückzuweisen. Die Kritik aus dem Regierungslager sei »verlogen und heuchlerisch«. Maurer kritisierte die »lange Tradition der Kollaboration (deutscher Regierungen; Anm. ak) mit dem Regime Assad«, die Abschiebung syrischer Flüchtlinge, darunter Deserteure, aus Deutschland nach Ungarn und von dort nach Syrien. Anträge der Linksfraktion, Exporte von Kriegswaffen nach Syrien zu stoppen, seien von den Regierungsfraktionen abgelehnt worden, während sich SPD und Grüne enthalten hätten.

Maurer räumte aber auch Defizite des Aufrufs »Kriegsvorbereitungen stoppen ...« ein: »Es war nicht gut, dass in diesem Aufruf, den sechs von uns unterzeichnet haben, die Brutalität des Regimes nicht angesprochen wurde.« Um Zwischentöne bemühte sich auch der Grüne Volker Beck: »Der Vorwurf der Solidarität (mit Assad; Anm. ak) ist Quatsch.« Zugleich verurteilte er das in dem Aufruf verteidigte Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten als überholt.

»Linker Flankenschutz für Interventionismus«

Am Tag nach der denkwürdigen Debatte berichtete die Berliner Tageszeitung junge Welt (jW) auf ihrer Titelseite über das »Linken-Bashing« im Bundestag. In einem Kommentar vom selben Tag geißelte Werner Pirker die »Shalom-Denunzianten als Stichwortgeber« und enthüllte den antilinken »Mechanismus«: »Die Dreigroschenjungen des Bundesarbeitskreises (BAK) Shalom starten quasi aus den Parteireihen heraus eine Skandalisierungskampagne gegen Die Linke, die von den bürgerlichen Medien und Parteien umgehend aufgegriffen wird und ihren Höhepunkt in einer aktuellen Stunde des Bundestags findet.« (jW, 20.1.12)

Derselbe Autor brandmarkte in der jW-Wochenendbeilage vom 21./22. Januar erneut die »Kriegshetzer« vom BAK Shalom: »Dieser Bundesarbeitskreis der Linksjugend bringt in zugespitzter Form zum Ausdruck, worauf die Parteirechte letztendlich hinauswill: die Linke kriegstauglich zu machen.« Dank Pirker durchschauen wir nun auch die Rolle solcher Linker wie der Bundestagsabgeordneten Christine Buchholz (zugleich Mitglied von marx21, vormals Linksruck). Diese, so Pirker, »unterstützt den Volksaufstand in Syrien. Gleichzeitig will sie aber auch gegen westliche Interventionen sein.« Illusionen von »Trotzkisten« und »Posttrotzkisten«: »Die von Buchholz und Genossen bekundete Solidarität ist hingegen nichts anderes als der linke Flankenschutz für den westlichen Interventionismus.« (jW, 21./22.2.2012)

In ihrer Replik stellte Christine Buchholz klar, »dass Assad in einer Reihe mit anderen Staatschefs steht, mit Ben Ali, Mubarak, Gaddafi, König Khalifa und Saleh. Und er reagiert auch genauso brutal wie alle anderen.« Werner Pirker stelle die Realität auf den Kopf, wenn er behaupte, der syrische Aufstand sei »nicht die Fortsetzung der arabischen Revolution, sondern ihre Eindämmung«. Das, so Buchholz weiter, »hieße im Umkehrschluss: Das Assad-Regime, gegen das sich diese Bewegung richtet, sei die Bewahrerin der arabischen Revolution.« Zu lesen ist das auf marx21.de; die Redaktion der jungen Welt, der Buchholz ihren Text zuschickte, verweigerte dessen Abdruck.

Statt dessen legten die Propagandisten von Syriens und Irans »eigenständiger Politik« nach. Das russisch-chinesische Veto gegen die UN-Resolution zum Regimewechsel in Syrien feierte die junge Welt auf ihrer Titelseite mit der Headline »Kriegstreiber gestoppt«. Deren schändliche Machenschaften seien die wahren Ursachen der syrischen (Konter-)Revolution, enthüllt Werner Pirker in einem weiteren Kommentar: »Die vom Hegemonialkartell angewandte Strategie ist nicht neu. Man rüstet paramilitärische Einheiten aus, lässt sie auf Truppen der Regierung, die man stürzen will, los, die Anwendung terroristischer Gewalt, eingeschlossen, und schreit Massen- oder gar Völkermord, wenn das Regime zurückschlägt. So schafft man eine Atmosphäre, in der eine ausländische Intervention als einzige Möglichkeit zur Abwendung einer humanitären Katastrophe erscheint.« (jW, 6.2.2012)

Wer die syrische Opposition unterstützt, betreibt aus Sicht der jungen Welt das Geschäft der Kriegstreiber. »Die undogmatische Linke interveniert an der Seite von Guido Westerwelle in Syrien« lautete die Unterzeile zu einem Artikel mit der hämischen Überschrift »Revolutionsabend im Kreuzberger Festsaal«, in dem eine Veranstaltung der Gruppe Avanti zum arabischen Frühling niedergemacht wird. Der Aufruf, »Adopt a revolution« mit Geld zu unterstützen, ist für den jW-Redakteur Rüdiger Göbel de facto ein Aufruf zur Unterstützung einer militärischen Intervention des Westens. Das Motto »Aktivisten helfen Aktivisten« sagt für Göbel alles: »Wichtigster Pate auf politischem Parkett dürfte übrigens Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) sein.« (jW, 1.2.2012)

Hätte man sich zwischen CDU und junger Welt zu entscheiden, dann fiele die Wahl schwer. Eine Zwischenposition versucht Arno Klönne in seinem Kommentar »Verwirrung links: Solidarität mit wem?« (SoZ 2/2012) Klönne hält es für unzureichend, einseitig die »Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten« zu fordern: »Die Linke ist keine staatliche Institution. Sie ist gesellschaftliche Opposition. Ihre Sache ist es, beides zugleich öffentlich zum Ausdruck zu bringen: Widerstand gegen die globale, von ökonomischen und geopolitischen Machtinteressen gesteuerte, die Sorge um Menschenrechte nur vorschiebende Kriegmacherei - und Solidarität mit all denjenigen, die in ihrem eigenen Lande den mühsamen Weg politischer und sozialer Emanzipation gehen wollen, im Konflikt mit dem herrschenden Regime.« Dem kann man nur zustimmen.

Der umstrittene Aufruf (Dokumentation)

Kriegsvorbereitungen stoppen! Embargos beenden! Solidarität mit den Völkern Irans und Syriens!

Zehntausende Tote, eine traumatisierte Bevölkerung, eine weitgehend zerstörte Infrastruktur und ein zerfallener Staat: Das ist das Ergebnis des Krieges, den USA und Nato geführt haben, um den Reichtum Libyens plündern und das Land wieder kolonialisieren zu können. Jetzt bereiten sie offen den Krieg gegen die strategisch wichtigen bzw. rohstoffreichen Länder Syrien und Iran vor, die eine eigenständige Politik verfolgen und sich ihrem Diktat nicht unterordnen. Ein Angriff der Nato auf Syrien oder Iran kann zur direkten Konfrontation mit Russland und China führen - mit unvorstellbaren Konsequenzen.

Mit ständigen Kriegsdrohungen, dem Aufmarsch militärischer Kräfte an den Grenzen zu Iran und Syrien sowie mit Sabotage- und Terroraktionen von eingeschleusten »Spezialeinheiten« halten die USA gemeinsam mit weiteren Nato-Staaten und Israel die beiden Länder in einem Ausnahmezustand, der sie zermürben soll. Zynisch und menschenverachtend versuchen USA und EU, mit Embargos ihren Außenhandel und Zahlungsverkehr planmäßig lahm zu legen. Die Wirtschaft des Iran und Syriens soll bewusst in eine tiefe Krise gestürzt, ihre Arbeitslosenzahlen erhöht und die Versorgungslage ihrer Bevölkerung drastisch verschlechtert werden. Die inneren sozialen Konflikte sollen ethnisiert und zugespitzt, ein Bürgerkrieg entfacht werden, um einen Vorwand für die längst geplante militärische Intervention zu schaffen. (...)

Das iranische und syrische Volk haben das Recht, über die Gestaltung ihrer politischen und gesellschaftlichen Ordnung allein und souverän zu entscheiden. Die Erhaltung des Friedens verlangt es, dass das Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten konsequent eingehalten wird.