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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 570 / 16.3.2012

Aufgeblättert

Berliner Nacht

Devrim lebt schon immer in Berlin, er hat finanziell ausgesorgt, ist Waise und wohnt allein: Sein Kopf ist frei, und deshalb muss er gefüllt werden. Drogen werden in ihn reingesogen, Musik füllt ihn aus, im Nachtradio bei »Radio Tolerance«, als dessen Moderator Devrim arbeitet, im eigenen Diskozimmer, in Kneipen und Clubs, in denen sich sein Leben abspielt. Mit dem Taxi geht es von Mitte nach Kreuzberg und zurück. Zwischen »103« und »Bateau Ivre« kommen dem Ich-Erzähler sogar manch überraschende Gedanken, wenn er nicht gerade Frauen anglotzt oder beim Backgammon verliert. Seine Gespräche mit Onkel Ahmet liefern hübsche bis spannende Anekdoten aus der Kulturgeschichte türkischer »GastarbeiterInnen« in Berlin. Ein wenig Schwung nimmt die Handlung auf, als Devrim durch die Begegnung mit der perfekten Rüya die Beschäftigung mit seiner Herkunft zum ersten Mal spannend erscheint. Gibt es in Dersim am Grab seiner Eltern etwa Heimat zu entdecken? Also reist Devrim mit Onkel Ahmet in das Dorf seiner Eltern. Doch der Umweg zur Erkenntnis führt nur wieder nach Berlin zurück. So erzählt Imran Ayatas erster Roman ein wenig von der türkischen kommunistischen Bewegung, der die Eltern des Ich-Erzählers angehörten, ein bisschen mehr vom Spektrum heutiger deutsch-türkischer Lebensentwürfe, vor allem aber vom Berliner Nachtleben und vom fröhlichen bis zwanghaften Konsumieren am Rande des Kollaps.

Marie Goldt

Imran Ayata: Mein Name ist Revolution. Blumenbar Verlag, Berlin 2011. 318 Seiten, 16,95 EUR.

Ökonomische Bildung

Der Bedarf an kritischer Auseinandersetzung mit wirtschaftlichen Zusammenhängen ist ebenso offensichtlich wie zeitlos. Viel zu selten beschäftigt sich linke Bildungsarbeit mit wirtschaftlichen Strukturen und der Frage, wie diese trotz ihrer Komplexität, ihrer ideologischen Überfrachtung und ihres ständigen Wandels einem breiten Publikum zugänglich gemacht werden können. Die Broschüre »Bildung zu Kapitalismus und Kapitalismuskritik« der Arbeitsgruppe Politische Ökonomie (PolÖk AG) richtet sich an MultiplikatorInnen in der Bildungsarbeit. Sie will ihnen zunächst Mut zu diesem schwierigen Thema machen: Verschiedene Hintergrundtexte führen allgemein an Wirtschaftsthemen in der Bildungsarbeit heran, reflektieren das Verhältnis von Komplexität und Reduktion oder thematisieren mögliche Fallstricke, wie z.B. antisemitische Tendenzen in der Kapitalismuskritik. Der größere zweite Teil bietet konkrete Methodenvorschläge in Form bereits praktizierter Konzepte. Die Bandbreite ist groß: von kurzen Spielen zum Einstieg bis zu Vertiefungsmethoden, von Material für Gruppenarbeit bis zum ausgefeilten Planspiel, von der Funktionslogik des Markts bis zu Arbeitsbedingungen migrantischer ArbeiterInnen. Natürlich bleibt eine solche Sammlung fragmentarisch. Anregend, ideenreich und ein guter Anfang für weitere Vernetzung und Austausch zu kritischer ökonomischer Bildung ist die Broschüre aber in jedem Fall.

Susanne Brehm

AG PolÖk - bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung (Hg.): Bildung zu Kapitalismus und Kapitalismuskritik. Methoden, Fallstricke, Rezensionen, Texte. 2. Auflage 2012. 100 Seiten. Bestellung überbb@arranca.de, 3 EUR (inkl. Versand).

Drogen und Nazis

Das ohnehin schon brisante Buch »Mutterkorn« habe durch die Erkenntnisse über die Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund eine ganz neue Aktualität bekommen, schreibt Radio Z über den Roman von Leonard F. Seidl. Was an dem Buch - ob nun vorher oder nachher - besonders brisant sein soll, bleibt jedoch schleierhaft. Dass Punks, Drogen und Nazis darin vorkommen? Das allein macht ja nun wirklich noch lange keine packende Story aus. Es sei bewusst episodenhaft geschrieben. Das stimmt wohl. Allerdings eher deshalb, weil der Autor ein paar für ihn wichtige Ereignisse - die Pogrome von Rostock-Lichtenhagen, die Chaostage in Hannover, eine Fahrt zur Hausbesetzerszene in Amsterdam - zu einer Geschichte verknotet hat, durchzogen von adoleszenten Drogenerfahrungen, Depressionen und Selbstzweifeln. Und weil in so einer Geschichte Nazis nicht fehlen dürfen, wird der geplante Bombenanschlag auf die Synagoge in München 2003 auch gleich noch mit verwurstet - als Spannungsmoment, wie der Autor selbst sagt. Hauptfigur Albin O., Punk und Altenpfleger, wirft alles an Drogen in sich hinein, was er so finden kann. Das führt zu ein oder zwei ganz amüsanten Passagen in dem Buch. Es bleibt damit aber in erster Linie eine Drogenerzählung und eben kein Politroman. Diese »Geschichte über Gewalt und Abhängigkeit« ist dabei weder besonders tiefgründig noch sonderlich innovativ. Gut, dass das Buch nur 170 Seiten hat.

Maike Zimmermann

Leonard F. Seidl: Mutterkorn. Kulturmaschinen Verlag, Berlin 2011. 170 Seiten, 14,90 EUR.

Faschismus

Das in der Reihe »Basiswissen« des PapyRossa-Verlags erschienene Büchlein über Faschismus umfasst gerade mal 127 Seiten. Seinen Autoren, Guido Speckmann und Gerd Wiegel, ist es gelungen, den begrenzten Platz sehr gut zu nutzen. In drei Kapiteln - Theorie, Geschichte, Faschismus heute - geben sie einen umfassenden Überblick. So referieren sie im Abschnitt »Neuere Definitionen des Faschismus« gut nachvollziehbar den Stand der wissenschaftlichen Debatte. Auch Vorgebildete kommen auf ihre Kosten, und weniger Belesene werden - hoffentlich! - zu weiterer Lektüre motiviert. Das gilt auch für das Kapitel Geschichte, in dem es vor allem um den italienischen und den deutschen Faschismus geht. Hier allerdings rächt sich der Zwang zur Verkürzung: Auf fünf Seiten lassen sich »Antisemitismus, Rassismus und Holocaust« nicht überzeugend abhandeln. Es mag sein, dass es für die »Endlösung der Judenfrage« keines »Führerbefehls« bedurfte, wie Speckmann/Wiegel schreiben; dennoch bleibt in der Wissenschaft umstritten, ob es einen solchen Befehl gab. Während die Autoren sich hier unnötig (und möglicherweise falsch) festlegen, lassen sie anderes zu Recht offen: etwa die Frage, »ob der Krieg (Italiens) in Abessinien als erster faschistischer Vernichtungskrieg zu bezeichnen ist«. Auch das abschließende Kapitel »Faschismus heute« bietet Diskussionsstoff, etwa über die Frage, warum es falsch ist, von »Islamfaschismus« zu sprechen.

Jens Renner

Guido Speckmann und Gerd Wiegel: Faschismus. Reihe Basiswissen Politik/Geschichte/Ökonomie im PapyRossa Verlag, Köln 2012. 127 Seiten, 10 EUR.