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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 570 / 16.3.2012

Weniger Tausch, mehr Börse

Aktion In Europa regt sich Widerstand gegen das ACTA-Abkommen

Von Moritz Wedel

»Deutschland unterzeichnet ACTA vorerst nicht«, meldet die Presse am 10. Februar 2012. Einen Tag später gehen in Deutschland trotzdem mehr als 70.000 Menschen auf die Straße. Einige Wochen zuvor waren es in Polen und Tschechien schon Zehntausende. Gesetzesvorhaben werden vorerst gekippt, neu verhandelt, ACTA-Ratifizierungen verschoben. Regt sich da Angst vor dem Aus eines internationalen Handelsabkommens?

Aber der Reihe nach. ACTA (Anti-Counterfeiting Trade Agreement) ist das neuste internationale Handelsabkommen zugunsten der multinationalen Pharma-, Musik-, Film- und Verlagsindustrie (vgl. Kasten). Es geht um Musik, Literatur und Filme, die sich kostenlos aus dem Internet herunterladen lassen, Arzneimittel, die kopiert preiswerter verkauft werden, und um gefälschte Markenkleidung. Aufbauend auf dem TRIPS-Abkommen aus den 1990er Jahren soll ACTA offiziell die Bekämpfung von Produktfälschungen und Piraterie vereinheitlichen. TRIPS (Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights) setzte seinerzeit international Kriterien für das Urheber-, Patent- und Markenrecht und förderte damit die globale Monopolbildung multinationaler Unternehmen bezüglich der Verwendung von Erfindungen und Ideen.

Geheimer Großangriff

Schon seit 2006 laufen die ACTA-Verhandlungen zwischen der EU, den USA, Japan, Neuseeland und sieben weiteren Staaten - immer hinter verschlossenen Türen. Keine internationale Organisation wie die WIPO (1) ist beteiligt, VertreterInnen der Pharmabranche, der Unterhaltungs- und Softwareindustrie sitzen hingegen mit am Tisch. Sie wurden über den Stand der Verhandlungen stets informiert und bekamen Zugang zu allen Dokumenten, ganz im Gegensatz zur Öffentlichkeit und den Parlamenten.

2010 dann schwirrten die ersten ACTA-Entwürfe geleakt durchs Netz. Auf Druck einiger EU-Abgeordneter wurde eine offizielle Version veröffentlicht. Die Dokumente enthalten eine Unmenge schwammiger Begriffe, für die genaueren Definitionen sowie die geplante Umsetzung der Forderungen wird auf Zusatzprotokolle verwiesen. Doch genau diese sind immer noch nicht zugänglich - auch nicht für diejenigen, die über das Vertragswerk abstimmen sollen. Die Industrieverbände hofften auf eine schnelle Ratifizierung und möglichst wenig Aufmerksamkeit - dieser Plan ist nun trotz der vielen Unklarheiten zunächst nicht aufgegangen.

Widerstand formiert sich aber nicht nur wegen oder trotz der undurchsichtigen Informationsbasis, sondern auch aufgrund der weitreichenden Folgen, die das Abkommen haben könnte. ACTA stellt einen Großangriff auf die Informationsfreiheit dar, so steht zu befürchten. Beispielsweise sollen Mitgliedsstaaten eine »freiwillige« Kooperation zwischen RechteinhaberInnen und Internetprovidern fördern. Letztere könnten so dazu bewegt werden, den Internetverkehr und dessen Inhalte ständig und in Echtzeit zu überwachen, um jeden vermeintlichen Verstoß gegen das Urheberrecht zu melden. Anbieter von Internetdienstleistungen könnten Filter einbauen, um geschützte Inhalte schon vor der Verbreitung im Netz ausfindig zu machen. Filter geben wiederum immer auch die Möglichkeit zu einer kompletten Analyse der Inhalte. Fundamentale Rechte des Datenschutzes und der Meinungsfreiheit werden damit den Interessen der RechteinhaberInnen untergeordnet. Dies öffnet der Zensur kritischer Inhalte Tür und Tor; die Infrastruktur steht schon bereit.

Zwar bezieht sich die Kritik an ACTA meist auf das Internet, doch auch außerhalb der virtuellen Welt greift das Abkommen. So könnten zum Beispiel Warenlieferungen, die auf dem Weg zum Ziel ACTA-Vertragspartnerstaaten überqueren, bei Verdacht auf Verletzung eines Patents oder des Urheberrechts zerstört werden. Die Produktion preisgünstiger Nachahmungen von Medikamenten, sogenannter Generika, wird damit weiter eingedämmt. Die Nutzung und Entwicklung von Saatgut durch BäuerInnen könnte noch stärker als bisher beschränkt werden.

Manche JuristInnen, aber auch Bundesregierung und EU-Kommission, stellen die Kritik an ACTA als unberechtigt dar, unterscheidet sich doch die aktuelle deutsche Gesetzgebung zum Urheberrecht angeblich nur marginal von den in ACTA aufgestellten Forderungen. Dabei zeigt ein Blick nach Großbritannien, dass ACTA durchaus die bestehende Gesetzgebung verschärfen kann: Die »freiwillige« Kooperation zwischen RechteinhaberInnen und Providern, wie sie von ACTA gefordert wird, führte dort letztlich zu einer Privatisierung der Rechtsdurchsetzung. Diese Praxis ist in Deutschland noch nicht angekommen. Viel entscheidender ist, dass das internationale Handelsabkommen zur Vereinheitlichung führen wird: Die Interessen der westlichen Industrie werden exportiert, das deutsche Urheberrecht zumindest zementiert.

Proteste in ganz Europa

Trotz - oder gerade aufgrund? - der unklaren Informationslage ließen sich in den letzten Wochen Tausende Menschen mobilisieren, um kreativ und wütend gegen das Abkommen zu protestieren. 2010 gab es in einigen Städten Europas schon vereinzelte Proteste. Ende 2011 stand dann in den USA ein ganz ähnliches Gesetz in der Kritik: SOPA (Stop Online Piracy Act) sollte den InhaberInnen von Urheberrechten ermöglichen, in Kooperation mit den Internetprovidern Webangebote zu schließen oder zu blockieren. Der Rechtsweg würde damit umgangen. Manche Unternehmen zeigten sich besorgt, da auch sie an der Umsetzung beteiligt wären, was für sie mit hohen Kosten verbunden wäre. Beispielsweise sollen Suchmaschinen Verweise auf Inhalte mit Urheberrechtsverstößen löschen.

Aus Protest gegen SOPA schaltete die englischsprachige Wikipedia am 18. Januar 2012 ihre Seiten für einen Tag ab, Firmen wie Google schmückten ihre Seiten mit Zensurbalken. Auch die internationale Netzgemeinde protestierte mit, Tausende Blogs waren schwarz »gekleidet«, es wurde viel diskutiert und informiert. Der Protest zeigte Wirkung, das Vorhaben wurde vorerst auf Eis gelegt. Im Zuge dessen erhielt auch ACTA immer mehr Aufmerksamkeit, sind doch die Zielsetzungen in vielen Punkten deckungsgleich.

Nun also, kurz vor der Ratifizierung von ACTA in der EU, kommt der Protest in Europa so richtig in Schwung. Vor allem getragen aus dem Netz verbreitet sich auf Facebook, Twitter, in YouTube-Videos, Blogs, Wikis und Foren die Botschaft: Stoppt ACTA! Anfang Februar setzte Polen die Ratifizierung bis auf Weiteres aus; Ministerpräsident Tusk forderte gar das EU-Parlament auf, ACTA nicht zu unterzeichnen. Dieser Vorlage folgten Tschechien, die Slowakei, Lettland, Bulgarien, die Niederlande, Österreich und Deutschland.

Ein europäischer Protesttag am 11. Februar war trotz eisiger Kälte ein Erfolg - in 200 Städten gingen bis zu 200.000 Menschen auf die Straße. Zwei Wochen später demonstrierten immerhin noch 20.000 in 50 Städten gegen ACTA. Sorge haben viele vor der kommenden Fußball-EM im Juni: Diese könnte genutzt werden, um weitgehend unbemerkt das Vertragswerk durch die Parlamente zu boxen. Doch derzeit hat das Abkommen keine Mehrheit im EU-Parlament. Wenn die Aufmerksamkeit nicht schwindet, die Bewegung im Netz sowie auf der Straße sichtbar bleibt, wird es schwierig, das Abkommen in der EU durchzusetzen.

Doch welche Motive bewegen die überwiegend jungen Menschen zum Widerstand gegen ACTA? Ist es das Interesse am Tauschen, Sammeln und Kopieren? Betreibt die »digitale Generation« den »digitalen Diebstahl«? (2) Hat sie vergessen, dass KünstlerInnen auch von ihrer Kunst leben müssen?

Alternativen zum aktuellen Urheberrecht müssen her

Imitieren, Tauschen und Kopieren waren schon immer Grundlage von Kultur. Mit der Digitalisierung gibt es nun die Möglichkeit, diesen Grundpfeiler stark vereinfacht zu betreiben. Laden wir ein Bit aus dem Netz herunter, vermehrt es sich; es wird kopiert, nicht weggenommen. Das gibt uns die Möglichkeit, jegliche Informationen weiter zu verbreiten, sie der digitalen Welt anzubieten - schnell, einfach und fast kostenlos. Das alte Urheberrecht versagt hier. So sieht es beispielsweise überhaupt nicht die Möglichkeit vor, ein Werk der Allgemeinheit frei zur Verfügung zu stellen. Andererseits ist noch kein Alternativmodell zum aktuellen Urheberrecht so etabliert, dass es KünstlerInnen ihren Verdienst sichern könnte.

Dabei gibt es bereits eine Reihe von Ansätzen und alternativen Vorschlägen, z.B. Lizenzmodelle wie Creative Commons. Diese stellen dem altbekannten Copyright ein Modell entgegen, bei dem AutorInnen einzelne Nutzungsrechte einräumen oder beschränken können. So entstehen freie Kunst, freie Werke, freies Wissen. Gleichzeitig finden spendenbasierte Bezahldienste wie flattr immer mehr NutzerInnen. Alternative Verwertungsmodelle wie die Kulturwertmark oder das Konzept einer Kulturflatrate werden diskutiert.

Das Konzept einer Kulturwertmark etwa sieht vor, dass keine Instanz das Recht haben soll, den Wert eines Werkes zu bestimmen; dieser Wert wird vielmehr von den NutzerInnen selbst bestimmt. Diese zahlen einen festen Beitrag in das System ein und entscheiden, welche KünstlerInnen wie viel Geld daraus erhalten. Dazu braucht es weder Unternehmen noch Institutionen wie die GEMA, welche die ProduzentInnen nach undurchsichtigen Kriterien entlohnen.

Die neuen, meist digitalen Möglichkeiten eröffnen neue Räume für ein von Unternehmen nicht kommerziell verwertbares Verhalten. Wo AutorInnen selbstbestimmt entscheiden können, wie und zu welchen Kosten ihr Werk weiterzugeben ist, und NutzerInnen selbst entscheiden, wen und wie sie entlohnen wollen, haben Verwertungsunternehmen nicht viel Platz.

Allein schon die Möglichkeit eines solchen Modells lässt die Industrie zittern, weshalb sie um jeden Preis versucht, an dem für sie Altbewährten festzuhalten. Daher auch die Rhetorik des »rechtsfreien Raums«, daher der Versuch, das Internet zu einem Ort des Konsums und der vermehrten unternehmerischen und staatlichen Kontrolle zu machen. Doch gibt es immer wieder Schlupflöcher, in denen diese Logik noch nicht greift. ACTA ist ein weiterer Versuch, diese Löcher zu stopfen.

Moritz Wedel studiert Informatik in Berlin.

Anmerkungen:

1) Die World Intellectual Property Organization (WIPO) wäre eigentlich für solche Abkommen zuständig, wurde aber umgangen.

2) So spricht die Deutsche Content Allianz davon, dass viele junge Menschen heute »ohne jedes Unrechtsbewusstsein für digitalen Diebstahl ... in die große Welt des Internets entlassen worden seien« (www.netzwelt.de).

ACTA - Urheberrechtsschutz oder Zensurinstrument?

Das Anti-Counterfeiting Trade Agreement (Anti-Produktpiraterie-Handelsabkommen), kurz ACTA, ist ein geplantes, multilaterales Handelsabkommen auf völkerrechtlicher Ebene. Die teilnehmenden Nationen wollen mit ACTA internationale Standards im Kampf gegen Produktpiraterie und Urheberrechtsverletzungen etablieren. KritikerInnen befürchten weitreichende Folgen für den Datenschutz sowie die Einschränkung von Nutzungsrechten an Saatgut und Medikamenten. ACTA kann in Europa nur in Kraft treten, wenn alle EU-Mitgliedsstaaten und die EU-Kommission das Abkommen ratifizieren und das EU-Parlament den Vertrag billigt. Derzeit hat ACTA allerdings keine Mehrheit im EU-Parlament. Der Europäische Gerichtshof soll nun entscheiden, ob die ACTA-Texte mit den Europäischen Verträgen kompatibel sind. Teile der Protestbewegung werten das als Hinhaltetaktik. Aktuelle Informationen zu Aktionen finden sich unter stoppacta-protest.info.