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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 570 / 16.3.2012

Die Häuser denen, die bezahlen

Deutschland Bankenrettung führt zu größter Immobilienprivatisierung in der Geschichte von Baden-Württemberg

Von Marc Amann

Vor drei Jahren nahm ein Bewohner eines Tübinger Hauses, das der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) gehörte, Kontakt mit der regionalen Koordination des bundesweiten Mietshäusersyndikats auf. Er befürchtete den Verkauf des Hauses. Seine Idee, das Haus nach dem Modell des Syndikats zu kaufen, damit vom Immobilienmarkt zu nehmen und in die Selbstverwaltung der BewohnerInnen zu überführen, fand bei BewohnerInnen des Hauses sowie bei anderen Wohnungssuchenden in Tübingen schnell Interesse. Dabei stelle sich heraus, dass die LBBW drei weitere, baugleiche Häuser und noch mehr Immobilien verkaufen wollte. Innerhalb weniger Monate wurde eine funktionierende Projektstruktur auf die Beine gestellt und ein erstes Kaufangebot abgegeben, das von der LBBW abgelehnt wurde.

Die kaufinteressierte Gruppe, inzwischen auf 60 Erwachsene und 40 Kinder angewachsen, sorgte mit dem Gedanken einer Besetzung und durch das Anbringen von großen Transparenten an den inzwischen leer stehenden Häusern sowohl in der Tübinger Stadtverwaltung als auch bei der LBBW in Stuttgart für Aufsehen und Besorgnis. Der Kauf der Häuser wurde nicht zuletzt durch diesen Druck und die offizielle Unterstützung der Stadtverwaltung und des Gemeinderats im Frühjahr 2011 möglich.

Schaffen und Häusle kaufen

Den Projektbeteiligten war durchaus bewusst, dass es sich beim Verkauf an das 4-Häuser-Projekt um einen eigentlich nicht vorgesehenen Deal handelte, der auch eingegangen wurde, um größeren Ärger zu verhindern. Schließlich wurde öffentlich, dass der gesamte Immobilienbestand der LBBW mit ca. 21.500 Wohnungen und rund 60.000 MieterInnen zum Verkauf stand. Als Gründe bzw. »Sachzwänge« wurden die Bankenkrise und Auflagen der EU, sich »auf das Kerngeschäft zu konzentrieren«, genannt. Im Zuge der Finanzkrise hatte die in Schwierigkeiten geratene LBBW, an der das Land Baden-Württemberg und die Stadt Stuttgart die Mehrheitsanteile besitzen, Finanzhilfen erhalten. Daraufhin wollte die Landesbank ihre Immobiliensparte verkaufen, und die EU-Kommission genehmigte die eigentlich unzulässigen Staatshilfen zur Rettung der LBBW bzw. leitete kein Verfahren wie im Falle der West LB ein.

In einem Bieterverfahren sollte der gesamte Wohnungsbestand an eineN KäuferIn veräußert werden. Der Verkaufsprozess war intransparent und die mediale Berichterstattung gering. Lediglich vom Deutschen Mieterbund wurde der bevorstehende Verkauf kritisch kommentiert. Ende 2011 waren noch zwei BieterInnen im Rennen: Zum einen die Patrizia Immobilien AG mit einer Investorengruppe aus Versicherungen, Banken und Pensionsfonds und einem Manager, der schon am umstrittenen Verkauf des gesamten Wohnungsbesitzes der Stadt Dresden 2006 beteiligt war. Zum anderen interessierte sich ein Konsortium unter Beteiligung der Stadt Stuttgart und anderer kommunaler Wohnungsbaugesellschaften für die Immobilien. Mitte Februar erhielt Patrizia den Zuschlag. Inzwischen berichteten viele Medien, und vor allem die kommunalen WohnungsträgerInnen reagierten entsetzt bis verärgert. Angeheizt wurde die Kritik an der Vergabe dadurch, dass die Differenz der Angebote mit 30 Millionen Euro bei einer Verkaufssumme von 1,4 Milliarden eher gering war. Sogar die EU-Wettbewerbskommission hatte darauf hingewiesen, dass der Zuschlag nicht an den Höchstbietenden erfolgen müsse. Zudem hatte sich das kommunale Konsortium stärker als in einer von der LBBW geforderten Sozialcharta zu Mieterschutz und Instandhaltung verpflichtet.

Bereits vor der Finanzkrise wurden Zehntausende Wohnungen unter anderem in Dresden, Berlin, und Hamburg an Finanzinvestoren verkauft. Inzwischen sind bis zu 1,2 Millionen Mietwohnungen in Besitz von Fonds (Spiegel Online, 14.2.2012), und damit ist eine neue Runde der Privatisierung von öffentlichem Wohnraum eingeläutet. In diesem Jahr stehen unter anderem 48.000 Wohnungen der Bayern LB zum Verkauf.

Investoren auf Renditejagd

Für Investoren sind dabei die im internationalen Vergleich niedrigen Mieten interessant, die Platz nach oben lassen. Weitere Gründe für das Interesse sind, dass in Deutschland, wo es noch vergleichsweise viele Wohnungen in öffentlichem Besitz gibt, viele der BewohnerInnen ihre Mieten über Wohngeld oder Hartz-IV finanziert bekommen (und die Zahlung von Mieterhöhungen damit mittelfristig abgesichert ist), und sicherlich auch die Vermutung, dass das Sparen an Instandhaltung und Sanierung und der Weiterverkauf von Wohnungen bei sozial Benachteiligten wohl eher nicht zu starkem Protest führen werden.

Der Verkauf der LBBW-Wohnungen zeigt beispielhaft, wie der Prozess der Privatisierung, Umverteilung und Zerstörung öffentlicher Güter im Zusammenhang mit der kapitalistischen Krise seit 2008 neue Legitimation erhalten hat, wo sich doch zuvor endlich wahrnehmbare Proteste gegen Privatisierungen entwickelt hatten. Besonders perfide ist in diesem Fall, dass eine Bank in öffentlichem Besitz sich gegen die Interessen öffentlicher Träger entscheidet - und die grün-rote Landesregierung dies auch noch legitimiert.

Mindestens in Freiburg haben sich inzwischen BewohnerInnen von LBBW-Wohnungen das Tübinger 4-Häuser-Projekt zum Vorbild genommen und machen Druck, auch ihre ehemaligen LBBW-Häuser in den Verbund des Mietshäusersyndikats zu übernehmen und dadurch bezahlbaren Wohnraum langfristig zu erhalten und in ein solidarisches Modell zu überführen.

Marc Amann wurde zuletzt in ak 556 zu Aktionstrainings und Zivilem Ungehorsam interviewt. Er ist Bewohner des 4-Häuser-Projekts und aktiv in der Tübinger Koordination des Mietshäusersyndikats, www.syndikat.org.