Israels Spiel mit dem Feuer
International Die Folgen eines Angriffs auf Iran interessieren die Generäle nicht
Von Achim Rohde
Säbelrasseln gehört seit eh und je zum geo-strategischen »großen Spiel« im Nahen und Mittleren Osten, in dem Iran und Israel Hauptrollen einnehmen. Die einen wollen ihre auf einem Bündnis mit Washington basierende Vormachtstellung in der Region um jeden Preis erhalten. Die anderen sind eine aufstrebende Mittelmacht und seit über 30 Jahren der einzige ernstzunehmende Akteur in der Region, der sich US-amerikanischen Hegemoniebestrebungen erfolgreich widersetzt und seine Position nun nachhaltig zu festigen versucht. Das iranische Atomprogramm steht im Zentrum dieses Machtkampfes.
In Jerusalem wird dabei unentwegt auf die existentielle Bedrohung hingewiesen, die ein atomar bewaffneter Iran für das Überleben Israels darstelle, werde das Land doch von Wahnsinnigen regiert, welche die Zerstörung Israels zu ihrem Hauptziel erklärt haben. Daraus leitet die israelische Regierung das Recht auf einen Angriffskrieg gegen Iran ab, sollte sich dieser nicht von seinem Atomprogramm verabschieden. Notfalls gedenkt Netanjahu offenbar, diese Linie auch gegen den Widerstand der Obama-Administration durchzusetzen, die sich für einen weiteren riskanten Krieg nicht recht begeistern kann. Man muss kein Fan der Mullahs sein, um die iranische Regierung als rationalen Akteur mit einem intakten Selbsterhaltungstrieb zu erkennen: Angesichts eines israelischen Arsenals von vermuteten 100 bis 250 Atomwaffen samt modernsten Trägersystemen sowie in Anbetracht von zig amerikanischen Militärbasen rund um Irans Grenzen wäre ein iranisches Bedürfnis nach nuklearer Abschreckungsfähigkeit plausibel.
Bisher scheint die iranische Regierung eine Politik der nuklearen Zweideutigkeit zu verfolgen, indem sie die Fähigkeit zur Herstellung von Nuklearwaffen andeutet, ohne diese selbst zu produzieren. Ein iranischer Atomschlag gegen Israel wäre angesichts des israelischen Zerstörungspotentials garantierter Selbstmord und ist deswegen auszuschließen. Netanjahus Rede von einem aus Teheran drohenden zweiten Holocaust missbraucht daher die Erinnerung an die Vernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden in zynischer Weise für Propagandazwecke, um GegnerInnen eines Militärschlags zu diskreditieren. Derweil tut Teheran mit seinen idiotischen Verbalradikalismen den westlichen Kriegstreibern selbst den denkbar größten Gefallen, etwa mit den permanenten leeren Drohgebärden, in Kürze das Ende des »zionistischen Gebildes« herbeizuführen und dem nicht minder abstoßenden Drang des iranischen Präsidenten Ahmadinedschad, die Shoah in Frage zu stellen.
Angesichts der dröhnenden Kriegstrommeln gerät leicht aus dem Blick, dass ein israelischer Angriff auf Iran schlimme Folgen für beide Länder hätte. Aus einer Bombardierung iranischer Atomanlagen resultierende Opfer unter der Zivilbevölkerung als Folge nuklearen Fallouts werden von Netanjahu, Barak & Co. schulterzuckend mit einkalkuliert. Genauso irrelevant scheinen zivile israelische Opfer infolge eines iranischen Gegenangriffs für das Kalkül der Regierung zu sein. Die Öffentlichkeit reagiert dennoch seltsam teilnahmslos auf solch düstere Aussichten. Von der rebellischen Aufbruchsstimmung im letzten Jahr ist nichts mehr übrig.
Keine Debatte über mögliche Kriegsfolgen
Dabei wäre eine breite öffentliche Debatte über Risiken und Nebenwirkungen einer militärischen Konfrontation mit Iran dringend geboten. Denn das strategische Denken in Jerusalem ist hauptsächlich auf die technische Machbarkeit eines Angriffs beschränkt. Die zu erwartende Gegenreaktion Teherans und seiner Vasallen in Form von Raketenangriffen auf israelische Bevölkerungszentren wird im Vertrauen auf die eigenen Abwehrfähigkeiten gering geschätzt. Diese Überheblichkeit erinnert an den zweiten Libanonkrieg von 2006, als man die Fähigkeit der Hizbollah unterschätzte, israelischer Feuerkraft standzuhalten und das Land mit Tausenden von Raketen zu überziehen. Bis heute ist die israelische Infrastruktur trotz der Erfahrung im zweiten Libanonkrieg, als sich zeitweise eine halbe Million Menschen auf der Flucht befanden, nicht für die Folgen eines Raketenkrieges ausgelegt, der um einiges heftiger ausfallen dürfte als der Vorgeschmack von 2006.
Mittel- und langfristige Folgeszenarien eines Angriffs gegen Iran werden in Israel nicht ernsthaft diskutiert. Wer denkt schon noch an die Erfahrung des ersten Libanonkrieges von 1982, als eine auf mehrere Wochen konzipierte Invasion zu einer 22jährigen Besatzung libanesischen Territoriums und einem verlustreichen Konflikt führte, der erst auf massiven Druck der israelischen Öffentlichkeit beendet wurde? Auch im Falle Irans gibt es keine israelische Exit-Strategie. Sollte Iran sein Atomprogramm nach dessen Zerstörung wieder aufbauen, müsse man halt erneut bombardieren, argumentieren die Generäle. Politische, wirtschaftliche und diplomatische Folgen eines israelischen Angriffs für das Standing des Landes in der Welt interessieren diese Herren nicht. Doch wie lange werden die USA treu zu ihrem Vasallen stehen, wenn die Weltwirtschaft infolge eines Krieges am Golf erneut in schwere Turbulenzen gerät? Was ist mit den Beziehungen Israels zu Europa und anderen Großmächten?
Ein israelischer Angriff auf iranische Atomanlagen und ein entsprechender Gegenschlag würden eine hohe Zahl ziviler Opfer auf beiden Seiten verursachen. Wird sich ohne eine solche kriegerische Eskalation das Bewusstsein in der israelischen Öffentlichkeit verankern lassen, dass die politische Klasse des Landes bankrott ist und grundlegende Veränderungen in Israels Beziehungen zu seinen Nachbarn unerlässlich sind? Man kann es nur hoffen.
Achim Rohde analysiert und kommentiert seit Jahren für ak die Ereignisse in und um Israel.