Titelseite ak
Linksnet.de
ak und Fantômas sind Partner von Linksnet.de
ak bei facebook

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 570 / 16.3.2012

Die schrecklich nette Familie

Gender Überlegungen zu einer queerfeministischen Familienpolitik

Von Johanna Hess

Bei den diesjährigen Berliner Protesten zum internationalen Frauenkampftag spielt das Familienministerium eine zentrale Rolle. Die FrauenLesbenTrans*-Demonstration (1) hat ihre Auftaktkundgebung am 8. März 2012 vor das Familienministerium gelegt, die Interventionistische Linke (IL) Berlin bezieht sich auf ihren 8. März-Plakaten explizit auf Kristina Schröder. Die Ministerin erscheint dort als Herzkönigin aus Alice im Wunderland, die nach dem Spiel mit ihren Untergebenen gern deren Köpfe rollen lässt. Ein Symbol für die unsoziale Politik, die die Familienministerin seit ihrem Amtsantritt vertritt. (2)

In den queeren und feministischen Bewegungen war das Thema Familie immer wieder Gegenstand von Auseinandersetzungen. Die Bewegungen kritisierten vor allem die ökonomische Abhängigkeit vieler »Frauen« (3) von ihren Ehepartnern, die Naturalisierung der geschlechtlichen Arbeitsteilung, häusliche Gewalt und die Konstruktion der Familie als vorsozialer Ort und die damit verbundene Trennung zwischen öffentlicher und privater Sphäre, zwischen produktiver und reproduktiver Arbeit. In den feministischen Bewegungen wurde Familie lange Zeit innerhalb eines heteronormativen Bezugsrahmens thematisiert, d.h. unter der stillschweigenden Voraussetzung, dass Familien aus »Frauen« und »Männern« bestehen, die in einer sexuellen Beziehung leben. Der Kampf um rechtliche Gleichstellung und die Öffnung der Ehe für lesbische und schwule Paare stellte demnach einen zentralen Fokus queerer Bewegungen dar.

Anlässlich der aktuellen Sichtbarkeit »der Familie« in queerfeministischen Kämpfen möchte ich einige grundlegende Gedanken zu einer queerfeministischen Familienpolitik zusammenfassen. Wichtige Anregungen für meine Überlegungen erhielt ich aus Diskussionen mit dem Vorbereitungskreis der Interventionistischen Linken Berlin zum 8. März. Eine zentrale Quelle meiner Ausführungen ist die im letzten Jahr erschienene Untersuchung von Sushila_Mesquita, die sich mit den Ambivalenzen der »Normalisierung« queerer Lebensformen auseinandersetzt.

Die Grenzen der Gleichstellung

Am Beispiel des 2010 eingeführten Schweizer Partnerschaftsgesetzes diskutiert Sushila_Mesquita die Möglichkeiten und Grenzen einer Gleichstellung queerer Lebensformen. Für die Gleichstellung durch das Partnerschaftsgesetz spricht, dass Beziehungen eine zuvor nicht vorhandene Rechtssicherheit erhalten, der Handlungsspielraum dieser Paare, z.B. in erb- oder sozialversicherungsrechtlichen Fragen, wird erhöht. Auch entstigmatisiert die rechtliche Anerkennung lesbische und schwule Paare und erhöht ihre Bewegungsfreiheit im öffentlichen Raum. Gegen das Partnerschaftsgesetz spricht, dass dieses keine Gleichstellung mit der Ehe bedeutet und viele Diskriminierungen weiter bestehen. Dies gilt zum Beispiel bei der Adoption von Kindern oder beim Zugang zu fortpflanzungsmedizinischen Technologien.

Für eine queerfeministische Familienformenpolitik

Vor allem die Öffnung der Ehe erscheint daher vielen als Möglichkeit, die tatsächliche Anerkennung queerer Beziehungen zu erreichen. Dies ist beispielsweise in Kanada bereits seit 2005 üblich. Doch trotz gleichstellungspolitischer Absichten schreibt auch dieser Schritt die Privilegierung der Ehe und die Ungleichbehandlung anderer Beziehungsformen fort. Dies erklärt sich dadurch, dass der Einschluss zuvor ausgeschlossener Subjektpositionen in die bestehende Norm bestimmte Anpassungen erfordert, die nicht alle erbringen können oder möchten. Daher wirkt er erneut ausschließend und normierend, zum Beispiel für Personen, die sich für eine Elternschaft entscheiden, aber keine sexuelle Beziehung miteinander eingehen. Weder die schrittweise Gleichstellung durch Sondergesetze noch die Öffnung der Ehe reichen daher aus, um eine tatsächliche Gleichstellung unterschiedlicher Familien- und Lebensformen zu bewirken.

Auch wenn minderheits- und identitätspolitische Kämpfe sinnvoll und notwendig sind, sollten queerfeministische Ansätze für Anerkennungsmöglichkeiten kämpfen, die die Selbstbestimmtheit von Personen in Beziehungen insgesamt erhöhen. Als einen Schritt dahin und um das Feld der Auseinandersetzung nicht den konservativen Kräften zu überlassen, schlägt Sushila_Mesquita vor, den Begriff der Familie anzueignen und queerfeministisch umzudeuten.

Längst gibt es ganz unterschiedliche Familienformen. Das Vorhandensein von Kindern kann - anders als in vielen Definitionen üblich - aus queerfeministischer Perspektive kein Kriterium dafür sein, ob eine Beziehung als Familie gilt oder nicht. Eine solche Definition grenzt all diejenigen aus, die keine Kinder haben können oder wollen. Um den Anspruch auf eine möglichst selbstbestimmte Ausgestaltung der Beziehung zu ermöglichen, müssen Rechte unabhängig von Kriterien wie der sexuellen Orientierung, der Anzahl der beteiligten Personen oder dem Bestehen einer sexuellen Beziehung vergeben werden. Die emotionale Bindung, die zwei oder mehr Menschen eingehen, sollte als Kriterium ausreichen.

Die Anerkennung nichtsexueller Beziehungen darf aber auch nicht mit einer Unsichtbarmachung marginalisierten sexuellen Begehrens einhergehen. Dies wäre der Fall, wenn die Ehe als einzige legitime und privilegierte Form der sexuellen Beziehung bestehen bleibt. Die Voraussetzung für die Anerkennung verschiedener sexueller und nichtsexueller Beziehungen liegt daher in der Entprivilegierung der Ehe. Ein Beispiel ist das in Deutschland gültige Ehegattensplitting, das verheirateten Paaren steuerliche Vorteile verschafft. Die Prekarisierung der Lebens- und Arbeitsbedingungen macht die Ehe heute sogar für diejenigen zur Option, die sie immer abgelehnt haben: Wieso auf 3.000 Euro im Jahr verzichten, wenn wir uns sonst keinen Urlaub leisten können, lautet die Rechnung. Die Abschaffung dieser Regelung ist, wie alle weiteren Regelungen des Eherechts, längst überfällig.

Die Abschaffung rechtlicher Privilegierungen in der Ehe bzw. der Ehe insgesamt darf allerdings nicht bedeuten, dass Menschen plötzlich mit weniger Geld auskommen müssen. Das gilt auch bezüglich der Anerkennung verschiedener Familienformen. Bereits 2007 wies Kathrin Ganz darauf hin, dass Familien in Zeiten neoliberaler Umstrukturierung verstärkt als Orte der sozialen Absicherung herhalten müssen. Absicherung wird privatisiert und (wieder) in die Familien verlagert.

Queerfeminismus heißt Umverteilung

Die rechtliche Anerkennung queerer und nichtsexueller Beziehungen läuft daher ohne die Umverteilung von Ressourcen Gefahr, dass die »Familialisierung sozialer Sicherheit« weiter voranschreitet. Aus queerfeministischer Perspektive reicht es daher nicht aus, sich allein für die Anerkennung unterschiedlicher Familienformen einzusetzen. Vielmehr gehören auch Forderungen nach einem Ausbau individueller Rechte, z.B. im Steuer- und Sozialrecht, und öffentlicher Ressourcen auf die Agenda. Nur so können Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Menschen abgebaut und eine größtmögliche Entscheidungsfreiheit gewährleistet werden. Eine queerfeministische Familienpolitik ist ohne die Umverteilung von Ressourcen nicht denkbar.

Auch auf dem Flugblatt der IL Berlin finden sich Forderungen, die auf eine radikale Veränderung der Verhältnisse abzielen. Die Abschaffung von Hartz IV und eine individuelle Existenzsicherung für alle sind Voraussetzungen dafür, ein schönes Leben zu verwirklichen! Bis dahin müssen bessere Bedingungen her, die unser Leben in Wahlfamilien zumindest erleichtern. Dazu gehört der Ausbau der öffentlichen Kinderbetreuungseinrichtungen, eine radikale Arbeitszeitverkürzung, bezahlbarer Wohnraum und ein unbefristetes Aufenthaltsrecht für alle.

Johanna Hess ist Soziologin und lebt in Berlin.

Sushila_Mesquita: Ban marriage! Ambivalenzen der Normalisierung aus queer-feministischer Perspektive. Verlag Zaglossus, Wien 2011, 304 Seiten, 17,95 EUR.

Anmerkungen:

1) Trans* steht als Abkürzung für Transidente, Transsexuelle und Transgender.

2) Etwa die Einführung der Extremismusklausel, die Streichung des Elterngeldes für ALG-II-EmpfängerInnen und Kristina Schröders Äußerungen zum Begriff der »Deutschenfeindlichkeit«.

3) Um deutlich zu machen, dass es sich bei den Begriffen »Frau« und »Mann« um gesellschaftliche Konstruktionen handelt, schreibe ich sie in Anführungsstrichen.