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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 570 / 16.3.2012

Wahlen in Zeiten der Kriegsgefahr

International Das iranische Regime verliert an Zustimmung

Von Bernhard Schmid

Politische Aussagekraft hatte vor allem die Wahlbeteiligung. Denn inhaltlich gab es bei den Wahlen zum Madjlis, dem iranischen Parlament, vom 2. März dieses Jahres für die WählerInnen schlichtweg nichts zu entscheiden: Unterschiedliche Fraktionen der Rechten innerhalb des Establishments der »Islamischen Republik« machten das Rennen von vornherein unter sich aus. Ein vorgeschalteter Filter in Gestalt der erforderlichen Bestätigung aller Kandidaturen durch den »Wächterrat« legt im Iran fest, wer zu Wahlen antreten kann und wer nicht. Der Wächterrat ist ein nicht gewähltes Gremium von sogenannten Schriftgelehrten, das über den gewählten Instanzen der Islamischen Republik thront. Anders als bei der Präsidentschaftswahl im Juni 2009, bei welcher sich eine Massenbewegung in die zwischen Fraktionen der Diktatur aufgerissene Bresche stürzte, durften dieses Mal selbst die »moderaten« Gruppierungen aus dem Inneren des Establishments nicht zur Wahl antreten.

Die Wahlbeteiligung wird vom Regime offiziell mit 64 Prozent angegeben. Doch zumindest diese Zahl wird aus Oppositionskreisen sehr stark bestritten. Die Aufteilung der Stimmen zwischen den Fraktionen des Regimes wird dagegen kaum angezweifelt - die AnhängerInnen des noch amtierenden Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad verloren massiv an Boden, was jedoch nur die Gefolgsleute des mit wesentlich größerer Machtfülle ausgestatten »religiösen Oberhaupts und Revolutionsführers« Ali Khamenei stärkte.

Das iranische Staatsfernsehen strahlte am Wahltag selbst keine Bilder aus der Hauptstadt Teheran aus, sondern nur Aufnahmen aus der Provinz und mutmaßliche Archivbilder - offenkundig, weil aus der 15-Millionen-Metropole Teheran vor allem Nachrichten über gähnend leere Wahllokale eintrafen. Am Abend wurde in Teheran die Öffnung der Wahllokale um fünf Stunden verlängert, »um allen Wählern die Teilnahme zu ermöglichen«, was aber offenkundig hauptsächlich das Ausbleiben der Stimmberechtigten überdecken sollte. Anlässlich der Wahl im Juni 2009, bei der tatsächlich ein nur schwer zu bewältigender Massenandrang zu verzeichnen war, hatte man die Öffnungszeit der Wahllokale nur um zwei Stunden ausgedehnt.

In den Wochen vor der Wahl hatte es zudem Flugblattaktionen gegeben, die dem Aufruf zum Stimmboykott gewidmet waren; Videoaufnahmen dazu existieren nicht nur aus Teheran, sondern auch aus mittleren Städten wie Yazd. Am 14. Februar kam es vor diesem Hintergrund zu einer Verhaftungswelle. Am 22. Februar vermeldeten die Medien erneut Festnahmen von BefürworterInnen eines Wahlboykotts aus mehreren Städten wie Sanandaj (Kurdistan) und Maschad im Nordosten des Iran.

Auch ein Krieg würde das Regime nicht antasten

Das Risiko eines militärischen Angriffs auf den Iran, von den USA und/oder Israel ausgehend, wurde in der letzten Phase aus Kreisen der Diktatur in den »Wahlkampf« eingebracht. In den letzten Februartagen versandten die iranischen Anbieter von Mobiltelefonen massiv SMS-Botschaften, in denen zu lesen stand, die USA könnten »nur dann an einen Angriff auf den Iran denken, wenn die Wahlbeteiligung unter 50 Prozent liegt«.

Laut den offiziellen Angaben jedenfalls liegt sie nun - angeblich - darüber, doch das Risiko einer militärischen Zuspitzung ist dadurch natürlich keineswegs ausgeschlossen. Die US-Administration schien in den letzten Wochen noch einen zögerlichen Zick-Zack-Kurs zu fahren. Während Präsident Barack Obama einerseits versicherte, »alle Optionen« lägen gegenüber dem Iran »auf dem Tisch«, bremste er andererseits den kriegerischen Elan des rechten israelischen Premierministers Benjamin Netanjahu. In Israel ist die regierende Rechte froh darüber, die Polarisierung mit dem Iran (statt mit der arabischen Welt) als außenpolitisches Topthema pushen zu können, um ihr Land dabei als Opfer zu profilieren und nicht vorrangig als Besatzungsmacht in den palästinensischen Gebieten wahrgenommen zu werden.

Zudem neigen einige sunnitische Mächte wie Saudi-Arabien aufgrund ihrer Rivalität zu den iranischen Regionalmachtsbestrebungen dazu, einem militärischen Vorgehen Israels in diesem besonderen Fall mindestens neutral (bis wohlwollend) gegenüber zu stehen. Das sind bislang ungeahnte Konstellationen aus Sicht der israelischen Politik. Im Establishment der USA dagegen wetteifern noch immer zwei Fraktionen miteinander, was sich auch in den Stellungnahmen der Nachrichtendienste sowie führender Militärs widerspiegelt - seit der NIE-Report vom Dezember 2007 Angriffspläne der USA für den Iran in der Schlussphase der Bush-Ära scharf ausbremste. Viele dieser ExpertInnen halten einen Angriff auf den von 75 Millionen Menschen bewohnten Iran nach wie vor für gefährliches Abenteurertum. Doch die AnhängerInnen einer aggressiveren Option haben inzwischen an Boden gewonnen.

Aber auch die im Iran herrschende Diktatur könnte einen begrenzten kriegerischen Konflikt eventuell gut gebrauchen. Sofern - was höchstwahrscheinlich ist - es sich um einen mit Flugzeugen und Raketen geführten Krieg handeln würde, ähnlich den Luftangriffen im Irak im Januar/Februar 1991 und in Serbien von Ende März bis Juni 1999, wäre nicht nur die Macht des Regimes als solche ungefährdet. Auch wenn mit hoher Wahrscheinlichkeit Zehntausende oder sogar - wie im Irak bei der Operation Desert Storm mit mutmaßlich 150.000 Toten - noch mehr Menschen ihr Leben lassen müssten, so würde doch die Macht der Diktatur dadurch nicht angetastet. Und selbst das iranische Nuklear- und das behauptete Atomwaffenprogramm würden dadurch keineswegs notwendig gestoppt. Denn die meisten Anlagen sind unterirdisch eingebunkert. Einmal erworbene Technologien können reproduziert, zerstörte Maschinen wiederhergestellt werden, sofern sich die politischen Verhältnisse nicht ändern. Auf die Dauer würde das Regime dadurch also politisch eher gestärkt, oder zumindest in seiner Paranoia und seiner Mentalität einer »belagerten Wagenburg« vermeintlich bestätigt.

Bernhard Schmid lebt in Paris und analysiert seit vielen Jahren für ak die internationale Politik.