Urbanes Panikorchester
Aktion Europäische Aktionskonferenz verabredet Massenproteste
Von Jan Ole Arps
Besetzung, Blockade, Demonstration - so lautet das Konzept, mit dem die europäischen Protestbewegungen im Mai der Politik der Troika zu Leibe rücken wollen. Das verabredeten Ende Februar knapp 400 TeilnehmerInnen einer Europäischen Aktionskonferenz in Frankfurt am Main. (Siehe Kasten) Direkt im Anschluss an die globalen Aktionstage vom 12. bis 15. Mai ruft sie zu europaweiten Massenprotesten in Frankfurt auf.
In einem Abschluss-Statement erklärte die Versammlung: »Wir werden am 17. Mai die Anlagen und zentrale Plätze der Stadt besetzen, um uns Raum für Diskussion und inhaltlichen Austausch zu schaffen. Wir werden am 18. Mai den Geschäftsbetrieb der Banken in Frankfurt blockieren (...). Wir werden uns dann am 19. Mai zu einer großen Demonstration versammeln und die Breite der Proteste sichtbar machen.« Und weiter: »Wir wehren uns gegen die Verwüstung Griechenlands und anderer Länder, gegen die Verarmung und Entrechtung von Millionen und die faktische Abschaffung demokratischer Verfahren in der Folge von Beschlüssen der Troika (EZB, EU und IWF).« Ein Aktivist des Frankfurter Occupy-Camps fasste seine Vision für die Tage so zusammen: »Ein Hubschrauber kreist über dem Bankenviertel, und von oben sieht man: Die ganze Stadt ist voller Zelte.«
Das Bankenviertel soll zum Zeltplatz werden
Ein Signal der Solidarität sollen die Maiproteste aussenden, vor allem nach Griechenland, Spanien und Portugal, wo die Bevölkerung seit Monaten gegen die Schocktherapie der Troika ankämpft. Die Bewegungen dieser Länder sind eingeladen, im Mai einen der symbolischen Orte dieser Politik zu blockieren: die Europäische Zentralbank (EZB). Aber auch in Deutschland sollen die Aktionstage Perspektiven für Protest und soziale Dissidenz gegen die wachsende Prekarität eröffnen. Wie groß der Wunsch nach solchen Perspektiven ist, zeigt sich an der Breite des Protestspektrums, das sich in Frankfurt versammelt hat.
Über das grundsätzliche Ziel und die »Choreographie« der Proteste herrschte breiter Konsens auf dem Treffen. Die Differenzen zeigten sich dann bei der Diskussion der Abschlussresolution, bei der es etwas lauter wurde.
Die Moderationsgruppe aus attac und der Interventionistischen Linken (IL) hatte einen Vorschlag vorgelegt, der auf ausführliche Analysen und konkrete Forderungen verzichtete und schlicht zu Protesten gegen das »Krisenregime der Europäischen Union« aufrief. Das rief Gruppen vor allem aus dem trotzkistischen und traditionsmarxistischen Spektrum auf den Plan. Ein Redner der Sozialistischen Initiative Berlin forderte, die Konferenz solle sich die Forderungen nach Schuldenstreichung und Überführung der Banken in öffentliches Eigentum zueigen machen. Eine Arbeitsgruppe aus SAVlerInnen (Sozialistische Alternative) und gewerkschaftlich Aktiven mahnte, den Text um die Forderungen nach Arbeitszeitverkürzung, einem Mindestlohn von zehn Euro und der Abschaffung prekärer Arbeitsverhältnisse zu ergänzen. Anders könne man »die Lohnabhängigen in den Betrieben« nicht mobilisieren. Die Gruppe Arbeitermacht wiederum verlangte, die Erklärung müsse dazu aufrufen, lokale Krisenbündnisse aufzubauen und den Protest vor Ort fortzusetzen.
RednerInnen der IL widersprachen, es gehe nicht darum, »den Leuten etwas klarzumachen«, sondern mit der Aktion einen Raum für Verständigung zu öffnen. Und ein Aktivist der Occupy-Bewegung ergänzte, man habe sich noch gar nicht auf gemeinsame Forderungen geeinigt, deshalb gehörten sie auch nicht in den Aufruf.
Am Ende wurde der Text angenommen, doch die Moderation verprellte die KritikerInnen, indem sie lediglich die Optionen »Text so lassen« oder »noch drei Stunden weiterdiskutieren« zur Abstimmung stellte. Die SAV beklagt seitdem auf ihrer Webseite den »pseudodemokratischen Ablauf« der Konferenz.
Auch wenn man den Knatsch um die Moderation beiseite lässt: Im Konflikt um die Abschlusserklärung zeigen sich grundlegende Differenzen im Herangehen der beteiligten Akteure. Die traditionsmarxistischen Gruppen scheinen zu glauben, wenn sie nur möglichst ausführlich die Krisenursachen benennen und ihre Forderungen propagieren, dann werden sich die Leute schon anschließen. Das Rezept dieser Gruppen ist wie eh und je: Vereinheitlichung unter einem gemeinsamen Programm - und dann ran an die Massen. Doch wenig spricht dafür, dass sich »die Lohnabhängigen in den Betrieben« deshalb auf die Straße begeben, weil man ihnen die Stichworte Arbeitszeitverkürzung und Mindestlohn unter die Nase hält.
Die Protestierenden in Spanien und Griechenland, aber auch die Ansätze zu Occupy-Protesten in Deutschland, bestehen darauf, dass nur sie selbst das Programm formulieren, für das sie auf die Straße gehen. Wer der Bewegung als parteiförmiger Block gegenübertritt, verkennt ihren demokratischen Charakter.
Schwammig ist richtig!
Die IL setzt dagegen bewusst auf einen schwammigen Aktionsaufruf - und das ist richtig. Wenn sie erklärt, dass die Proteste den Raum schaffen sollen, in dem eine Verständigung über Krisendeutungen und Alternativen möglich wird, dann zeigt das, dass sie mehr vom Charakter dieser Bewegungen verstanden hat. Doch weshalb sollte eine Mobilisierung gegen die Troika ausgerechnet im Land der Krisengewinner funktionieren? Auch Teile der Lohnabhängigen in Deutschland profitieren von der Politik der Bundesregierung. Von üppigen Sonderprämien, wie Audi oder BMW sie ihren Beschäftigten gewähren, können spanische und griechische KollegInnen nur träumen.
In Deutschland sitzen die Gewinner der Krise, zum Beispiel die Exportindustrie, die es sich leisten kann, mit solchen Ausschüttungen sozialen Frieden zu erkaufen. Doch auch hier gibt es VerliererInnen, nur wurden sie schon Jahre früher produziert: mit der Agenda 2010, wachsender Prekarität, stagnierenden Löhnen. Natürlich ist die Situation in Deutschland nicht mit der Implosion sozialer Absicherung vergleichbar, wie sie Griechenland erlebt. Doch »Krise« ist für die Prekären hierzulande eine tägliche Erfahrung. Die Beschäftigten des Schleckerkonzerns werden diese Sichtweise bestätigen. Dies ist ein gemeinsamer Ausgangspunkt, um den es in Frankfurt gehen könnte - und ein guter Grund, auch einmal den Warnstreiks und Tarifkämpfen zum Beispiel im öffentlichen Dienst einen Besuch abzustatten. Der zweite kann die Demokratiefrage sein. Denn bei der politischen Bewältigung der Krise ist das demokratische Selbstverständnis, das Europa so gern vor sich herträgt, zur reinen Farce geworden.
Als der ehemalige griechische Premier Papandreou ein Referendum über die Sparmaßnahmen ankündigte, besiegelte er sein politisches Ende. Nun amtieren in Griechenland und Italien Regierungen, deren einziger Zweck darin besteht, die Ansprüche der Gläubiger zu sichern. Wahlen, die in Griechenland eigentlich für Februar geplant waren, sind auf April verschoben. Wer wäre auch so verrückt, die GriechInnen an die Wahlurnen zu lassen, bevor alle wichtigen Entscheidungen getroffen sind. Nicht umsonst war die Hauptforderung der letztjährigen Proteste die nach »echter Demokratie« ist - so schwammig dieses Ziel auch sein mag. In der aktuellen Situation ist der Wunsch nach »Demokratie« beinah zur revolutionären Forderung geworden.
Bei allen Kontroversen auf der Konferenz scheint der Wunsch nach einem gemeinsamen Aufbruch doch zu überwiegen, das Netzwerk Marx21 in der Linkspartei hat sogar seinen jährlichen Kongress verschoben. Auch aus Italien, Österreich und Frankreich haben sich Aktivistengruppen angekündigt. Wenn die beteiligten Gruppen, von attac über Occupy bis zur Linksjugend und der Gewerkschaftslinken, in die Mobilisierung einsteigen, dann könnte das Himmelfahrtswochenende zu einem solchen Aufbruch werden. Erfahrungen mit groß angelegten Blockaden gibt es inzwischen.
Griechische Protestnetzwerke haben erklärt, dass sie sich die Fahrt nach Frankfurt nicht mehr leisten können. An ihrer Stelle könnte eine andere Zielgruppe kommen: Die ErasmusstudentInnen, LangzeittouristInnen und neuen ArbeitsmigrantInnen aus Spanien, Italien, Griechenland, die schon im Mai 2011 die ersten waren, die in Deutschland auf die Straßen gingen.
»Eine metropolitane Blockade findet statt, wenn der städtische Raum sich gegen sich selbst richtet«, schrieben Margarita Tsomou, Vassilis Tsianos und Dimitris Papadopoulos mit Blick auf die Proteste in Griechenland. Und »metropolitane Panik«, wenn die Angst vor den Massen die Eliten erfasst. Bisher hat die Troika Schocktherapie die Menschen in Angst und Starre versetzt. Die Bewegungen des letzten Jahres hätten den Spieß umgedreht. »Wenn Panik de-individualisiert und re-sozialisiert wird, wird sie zum Alptraum der Eliten.«
So weit werden die Aktionen in Frankfurt vielleicht nicht reichen. Aber im guten Fall können sie die erste gemeinsame Übung des metropolitanen Panikorchesters werden und zeigen: Das europäische Prekariat ist längst in den deutschen Städten angekommen.
Europäische Aktionskonferenz
AktivistInnen aus Frankreich, Griechenland, Belgien, Italien, Österreich und Deutschland, von attac, aus lokalen Krisenbündnissen, Occupy-Gruppen, der Erwerbslosenbewegung, von der Interventionistischen Linken, den Euromärschen, dem Ums-Ganze-Bündnis, aus antirasstischen Netzwerken, der Gewerkschaftslinken, trotzkistischen Gruppen, der Grünen Jugend, der Linksjugend Solid sowie der Linkspartei versammelten sich vom 24. bis 26. Februar zur Aktionskonferenz in Frankfurt am Main. Die Konferenz ruft zu Massenprotesten gegen die Verarmungspolitik der Troika auf: der Besetzung der Frankfurter Innenstadt am 17. Mai, der Blockade des Geschäftsbetriebs im Bankenviertel am 18. Mai und einer Großdemonstration am 19. Mai. Bereits am 31. März ist ein erster »Europäischer Aktionstag gegen den Kapitalismus« geplant, vom 12. bis 15. Mai globale Aktionstage der Occupy Bewegung. Außerdem findet vom 17. bis 20. Mai der 34. Bundeskongresse Internationalismus (BUKO) in Erfurt statt.
-> www.european-resistance.org -> www.march31.net -> www.buko.info